EuGH Urteil zur Erbringung von Betreuungsleistungen bei Annullierung des Fluges , Rs. C 12/11 McDonagh gegen Ryanair Ltd

Aus PASSAGIERRECHTE
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EuGH Urteil zur Erbringung von BETREUUNGSLEISTUNGEN bei ANNULLIERUNG des FLUGES, Rs. C 12/11 (McDonagh gegen Ryanair Ltd)

• Der Begriff der außergewöhnlichen Umstände soll auch genau solche Umstände die nicht den normalen Gegebenheiten entsprechen umfassen. Kommt es demnach im Luftverkehr zu Vorkommnissen die nicht den normalen Umständen entsprechen, so können diese höchstens als außergewöhnlicher Umstand eingestuft werden. Darüber hinaus gehende Umstände, wie etwa höchst außergewöhnliche Umstände kennt der Gesetzgeber nicht.

• Daraus ergibt sich, dass ein Luftfahrtunternehmen stets die Pflicht trifft Betreuungsleistungen zu erbringen, wenn der Flug annulliert wird, unabhängig davon wie außergewöhnlicher der Umstand sein mag, der für die Annullierung verantwortlich ist.

• Begründet wird dies mit dem hohen Schutzniveau, welches die Verordnung einem jeden Fluggast bieten soll. Es ist nicht vertretbar, dass einem Fluggast bei dem Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstands Betreuungsleistungen zustehen und im Falle vom Vorliegen höchst außergewöhnlicher Umstände, das ausführende Luftfahrtunternehmen von einer solchen Pflicht frei wird.

• Grundsätzlich gibt es weder finanzielle noch zeitliche Grenzen für die Erbringung von Betreuungsleistungen. Betreuungsleistungen sind so lange zu erbringen wie sie vom Fluggast benötigt werden, d.h. so lange bis er seinen Flug zum Endziel antreten kann. • Bei Betreuungsleistungen ist jedoch auch zu beachten, dass diese notwendig, angemessen und zumutbar sein müssen, damit sich eine Pflicht des Luftfahrtunternehmens zur Leistung solcher Betreuungsleistungen ergibt.

TENOR EuGH Rs. C-12/11 vom 31.01.2013 in Sachen McDonagh gegen Ryanair Ltd

Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 ist dahin auszulegen, dass Umstände wie die Schließung eines Teils des europäischen Luftraums nach dem Ausbruch des Vulkans Eyjafjallajökull „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne dieser Verordnung darstellen, die die Luftfahrtunternehmen nicht von ihrer Betreuungspflicht gemäß den Art. 5 Abs. 1 Buchst. b und 9 der Verordnung entbinden.

Die Art. 5 Abs. 1 Buchst. b und 9 der Verordnung Nr. 261/2004 sind dahin auszulegen, dass im Fall der Annullierung eines Fluges wegen „außergewöhnlicher Umstände“ von einer Dauer, wie sie im Ausgangsverfahren gegeben ist, der in diesen Bestimmungen vorgesehenen Pflicht zur Betreuung der Fluggäste nachzukommen ist, ohne dass dies die Gültigkeit dieser Bestimmungen berührt.

Ein Fluggast kann jedoch als Entschädigung dafür, dass das Luftfahrtunternehmen seiner Betreuungspflicht nach den Art. 5 Abs. 1 Buchst. b und 9 der Verordnung Nr. 261/2004 nicht nachgekommen ist, nur solche Beträge erstattet bekommen, die sich in Anbetracht der dem jeweiligen Fall eigenen Umstände als notwendig, angemessen und zumutbar erweisen, um den Ausfall der Betreuung des Fluggasts durch das Luftfahrtunternehmen auszugleichen, was zu beurteilen Sache des nationalen Gerichts ist.

McDonagh gegen Ryanair Ltd EuGH Rs. C-12/11 vom 31.01.2013

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung und die Beurteilung der Gültigkeit der Art. 5 Abs. 1 Buchst. b und 9 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. L 46, S. 1).

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau McDonagh und der Ryanair Ltd (im Folgenden: Ryanair) wegen der Weigerung Letzterer, Frau McDonagh gegenüber nach dem Ausbruch des isländischen Vulkans Eyjafjallajökull, der zur Annullierung ihres Fluges und in größerem Maßstab zur Schließung eines Teils des europäischen Luftraums führte, die in Art. 5 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 261/2004 vorgesehenen Betreuungsleistungen zu erbringen.

TATBESTAND McDonagh gegen Ryanair Ltd EuGH Rs. C-12/11 vom 31.01.2013

Annullierung des Fluges wegen Vulkanaschewolke

Am 11. Februar 2010 buchte Frau McDonagh bei Ryanair für den 17. April 2010 zum Preis von 98 Euro einen Flug von Faro (Portugal) nach Dublin (Irland). Am 20. März 2010 brach der isländische Vulkan Eyjafjallajökull aus. Am 14. April 2010 setzte die explosive Phase ein, die eine Vulkanaschewolke in den Himmel über Europa aufsteigen ließ. Am 15. April 2010 schlossen die Luftfahrtbehörden wegen der Gefahren für die Luftfahrzeuge den Luftraum mehrerer Mitgliedstaaten. Am 17. April 2010 wurde der Flug von Frau McDonagh infolge der Schließung des irischen Luftraums annulliert. Die Ryanair-Flüge zwischen dem europäischen Kontinent und Irland wurden am 22. April 2010 wieder aufgenommen, und Frau McDonagh gelangte erst am 24. April 2010 wieder nach Dublin.

Klage auf Entschädigung

Ryanair betreute die Klägerin des Ausgangsverfahrens in der Zeit vom 17. bis einschließlich 24. April 2010 nicht wie in Art. 9 der Verordnung Nr. 261/2004 vorgesehen. Frau McDonagh reichte beim vorlegenden Gericht Klage gegen Ryanair ein, mit der sie eine Entschädigung in Höhe von 1 129,41 Euro für die ihr in dem genannten Zeitraum entstandenen Kosten für Mahlzeiten, Erfrischungen, Unterbringung und Beförderung verlangt.

Vorhandensein von höchstaußergewöhnlichen Umständen die zu Betreuungsleistungen verpflichten

Ryanair macht geltend, bei der Schließung des Luftraums über einem Teil von Europa nach dem Ausbruch des Vulkans Eyjafjallajökull handele es sich nicht um „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne der Verordnung Nr. 261/2004, sondern um „höchst außergewöhnliche Umstände“, die sie nicht nur von ihrer Ausgleichspflicht, sondern auch von ihren Betreuungspflichten nach den Art. 5 und 9 dieser Verordnung entbänden. Da das vorlegende Gericht Zweifel daran hegt, ob die Pflicht zur Erbringung der genannten Betreuungsleistungen unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens Beschränkungen unterworfen werden kann, und unter Berücksichtigung dessen, dass eine Entscheidung des Gerichtshofs über diese Frage noch nicht vorliege, hat es beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Gehen Umstände wie die Schließungen des europäischen Luftraums als Folge des Ausbruchs des Vulkans Eyjafjallajökull in Island, die eine weitreichende, längere Unterbrechung des Luftverkehrs verursacht haben, über „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne der Verordnung Nr. 261/2004 hinaus?

2. Wenn Frage 1 zu bejahen ist: Ist die Haftung für die Erfüllung der Betreuungspflicht unter solchen Umständen nach den Art. 5 und 9 der Verordnung Nr. 261/2004 ausgeschlossen?

3. Wenn Frage 2 zu verneinen ist: Sind die Art. 5 und 9 der Verordnung Nr. 261/2004 insoweit ungültig, als sie gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, das Diskriminierungsverbot, den im Übereinkommen von Montreal verankerten Grundsatz des „gerechten Interessenausgleichs“ und die Art. 16 und 17 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Grundrechtecharta) verstoßen?

4. Ist die Verpflichtung nach den Art. 5 und 9 der Verordnung Nr. 261/2004 so auszulegen, dass sie eine implizite Begrenzung, wie etwa eine zeitliche und/oder eine finanzielle Grenze, für die Erbringung von Betreuungsleistungen in Fällen enthält, in denen die Annullierung aufgrund „außergewöhnlicher Umstände“ erfolgt?

5. Wenn Frage 4 zu verneinen ist: Sind die Art. 5 und 9 der Verordnung Nr. 261/2004 insoweit ungültig, als sie gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, das Diskriminierungsverbot, den im Übereinkommen von Montreal verankerten Grundsatz des „gerechten Interessenausgleichs“ und die Art. 16 und 17 der Grundrechtecharta verstoßen?

RECHTLCIHE HINTERGRÜNDE McDonagh gegen Ryanair Ltd EuGH Rs. C-12/11 vom 31.01.2013

Montrealer Übereinkommen

Das am 28. Mai 1999 in Montreal geschlossene Übereinkommen zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr (im Folgenden: Übereinkommen von Montreal) wurde von der Europäischen Gemeinschaft am 9. Dezember 1999 unterzeichnet und in ihrem Namen durch den Beschluss 2001/539/EG des Rates vom 5. April 2001 (ABl. L 194, S. 38) genehmigt.

Präambel Montrealer Übereinkommen

Der letzte Absatz der Präambel des Übereinkommens von Montreal lautet: „in der Überzeugung, dass gemeinsames Handeln der Staaten zur weiteren Harmonisierung und Kodifizierung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr durch ein neues Übereinkommen das beste Mittel ist, um einen gerechten Interessenausgleich zu erreichen“.

Art. 29 des Montrealer Übereinkommens

„Bei der Beförderung von Reisenden, Reisegepäck und Gütern kann ein Anspruch auf Schadenersatz, auf welchem Rechtsgrund er auch beruht, sei es dieses Übereinkommen, ein Vertrag, eine unerlaubte Handlung oder ein sonstiger Rechtsgrund, nur unter den Voraussetzungen und mit den Beschränkungen geltend gemacht werden, die in diesem Übereinkommen vorgesehen sind; die Frage, welche Personen zur Klage berechtigt sind und welche Rechte ihnen zustehen, wird hierdurch nicht berührt. Bei einer derartigen Klage ist jeder eine Strafe einschließende, verschärfte oder sonstige nicht kompensatorische Schadenersatz ausgeschlossen.“

Erwägungsgründe der Verordnung Nr. 261/2004

In den Erwägungsgründen 1, 2, 14 und 15 der Verordnung Nr. 261/2004 heißt es:

„(1) Die Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich des Luftverkehrs sollten unter anderem darauf abzielen, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen. Ferner sollte den Erfordernissen des Verbraucherschutzes im Allgemeinen in vollem Umfang Rechnung getragen werden.

(2) Nichtbeförderung und Annullierung oder eine große Verspätung von Flügen sind für die Fluggäste ein Ärgernis und verursachen ihnen große Unannehmlichkeiten.

(14) Wie nach dem Übereinkommen von Montreal sollten die Verpflichtungen für ausführende Luftfahrtunternehmen in den Fällen beschränkt oder ausgeschlossen sein, in denen ein Vorkommnis auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Solche Umstände können insbesondere bei politischer Instabilität, mit der Durchführung des betreffenden Fluges nicht zu vereinbarenden Wetterbedingungen, Sicherheitsrisiken, unerwarteten Flugsicherheitsmängeln und den Betrieb eines ausführenden Luftfahrtunternehmens beeinträchtigenden Streiks eintreten.

(15) Vom Vorliegen außergewöhnlicher Umstände sollte ausgegangen werden, wenn eine Entscheidung des Flugverkehrsmanagements zu einem einzelnen Flugzeug an einem bestimmten Tag zur Folge hat, dass es bei einem oder mehreren Flügen des betreffenden Flugzeugs zu einer großen Verspätung, einer Verspätung bis zum nächsten Tag oder zu einer Annullierung kommt, obgleich vom betreffenden Luftfahrtunternehmen alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen wurden, um die Verspätungen oder Annullierungen zu verhindern.“

Annullierung nach der Verordnung Nr. 261/2004

In Art. 5 („Annullierung“) der Verordnung Nr. 261/2004 heißt es:

„(1) Bei Annullierung eines Fluges werden den betroffenen Fluggästen

a) vom ausführenden Luftfahrtunternehmen Unterstützungsleistungen gemäß Artikel 8 angeboten,

b) vom ausführenden Luftfahrtunternehmen Unterstützungsleistungen gemäß Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe a) und Absatz 2 angeboten und im Fall einer anderweitigen Beförderung, wenn die nach vernünftigem Ermessen zu erwartende Abflugzeit des neuen Fluges erst am Tag nach der planmäßigen Abflugzeit des annullierten Fluges liegt, Unterstützungsleistungen gemäß Artikel 9 Absatz 1 Buchstaben b) und c) angeboten und

c) vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen gemäß Artikel 7 eingeräumt, es sei denn,

i) sie werden über die Annullierung mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet, oder

ii) sie werden über die Annullierung in einem Zeitraum zwischen zwei Wochen und sieben Tagen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglicht, nicht mehr als zwei Stunden vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens vier Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen, oder

iii) sie werden über die Annullierung weniger als sieben Tage vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglicht, nicht mehr als eine Stunde vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen.

(3) Ein ausführendes Luftfahrtunternehmen ist nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen gemäß Artikel 7 zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.

…“

Artikel 8 der Verordnung Nr. 261/2004

Art. 8 dieser Verordnung bestimmt die Modalitäten der Unterstützung der Fluggäste durch das Luftfahrtunternehmen hinsichtlich des Anspruchs Ersterer auf Erstattung oder anderweitige Beförderung.

Anspruch auf Betreuungsleistungen

Art. 9 („Anspruch auf Betreuungsleistungen“) der Verordnung sieht vor:

„(1) Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so sind Fluggästen folgende Leistungen unentgeltlich anzubieten:

a) Mahlzeiten und Erfrischungen in angemessenem Verhältnis zur Wartezeit,

b) Hotelunterbringung, falls

– ein Aufenthalt von einer Nacht oder mehreren Nächten oder – ein Aufenthalt zusätzlich zu dem vom Fluggast beabsichtigten Aufenthalt notwendig ist,

c)Beförderung zwischen dem Flughafen und dem Ort der Unterbringung (Hotel oder Sonstiges).

(2) Außerdem wird den Fluggästen angeboten, unentgeltlich zwei Telefongespräche zu führen oder zwei Telexe oder Telefaxe oder E-Mails zu versenden.

…“

Weiter gehender Schadensersatz

Art. 12 („Weiter gehender Schadensersatz“) der genannten Verordnung bestimmt in seinem Abs. 1: „Diese Verordnung gilt unbeschadet eines weiter gehenden Schadensersatzanspruchs des Fluggastes. Die nach dieser Verordnung gewährte Ausgleichsleistung kann auf einen solchen Schadensersatzanspruch angerechnet werden.“

Art. 16 der Verordnung Nr. 261/2004

In Art. 16 („Verstöße“) der Verordnung Nr. 261/2004 heißt es:

„(1) Jeder Mitgliedstaat benennt eine Stelle, die für die Durchsetzung dieser Verordnung in Bezug auf Flüge von in seinem Hoheitsgebiet gelegenen Flughäfen und Flüge von einem Drittland zu diesen Flughäfen zuständig ist. Gegebenenfalls ergreift diese Stelle die notwendigen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Fluggastrechte gewahrt werden. Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission mit, welche Stelle gemäß diesem Absatz benannt worden ist.

(3) Die von den Mitgliedstaaten für Verstöße gegen diese Verordnung festgelegten Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.“

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE McDonagh gegen Ryanair Ltd EuGH Rs. C-12/11 vom 31.01.2013

Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

Der Rat der Europäischen Union macht im Wesentlichen geltend, die Fragen seien unzulässig, weil sie für das Ausgangsverfahren insoweit nicht entscheidungserheblich seien, als sich Fluggäste bei einer Annullierung des Fluges unabhängig von deren Grund vor einem nationalen Gericht nicht darauf berufen könnten, dass ein Luftfahrtunternehmen seiner in den Art. 5 Abs. 1 Buchst. b und 9 der Verordnung Nr. 261/2004 vorgesehenen Betreuungspflicht nicht nachgekommen sei, um von diesem eine Entschädigung zu erlangen. Dazu ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 261/2004 bei Annullierung eines Fluges den betroffenen Fluggästen vom Luftfahrunternehmen unter den in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen die in Art. 9 dieser Verordnung vorgesehene Übernahme der Kosten für Mahlzeiten, Unterbringung und Kommunikation anzubieten ist. Der Gerichtshof hatte bereits Gelegenheit, klarzustellen, dass ein Fluggast, wenn ein Luftfahrtunternehmen gegen seine Verpflichtungen aus besagtem Art. 9 verstößt, berechtigt ist, einen Ausgleichsanspruch auf der Grundlage der in den genannten Bestimmungen genannten Kriterien geltend zu machen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Oktober 2011, Sousa Rodríguez u. a., C 83/10, Slg. 2011, I 9469, Randnr. 44), wobei eine solche Forderung nicht so zu verstehen ist, dass damit Schadensersatz verlangt wird, der als individualisierte Wiedergutmachung einen durch die Annullierung des betreffenden Fluges entstandenen Schaden unter den u. a. in Art. 22 des Übereinkommens von Montreal vorgesehenen Voraussetzungen ausgleichen soll (vgl. in diesem Sinne Urteil Sousa Rodríguez u. a., Randnr. 38). Mit einer Forderung wie derjenigen, um die es im Ausgangsverfahren geht, soll nämlich vom Luftfahrtunternehmen die Erfüllung seiner aus den Art. 5 Abs. 1 Buchst. b und 9 der Verordnung Nr. 261/2004 folgenden Betreuungspflicht durch gleichwertigen Ersatz erlangt werden, wobei darauf hingewiesen sei, dass diese Pflicht auf einer der Regelung des Übereinkommens von Montreal vorgelagerten Stufe angesiedelt ist (vgl. Urteile vom 22. Dezember 2008, Wallentin-Hermann, C 549/07, Slg. 2008, I 11061, Randnr. 32, und vom 23. Oktober 2012, Nelson u. a., C 581/10 und C 629/10, Randnr. 57). Der in diesem Zusammenhang vom Rat hervorgehobene Umstand, dass jeder Mitgliedstaat eine für die Durchsetzung der Verordnung Nr. 261/2004 zuständige Stelle benennen muss, die gegebenenfalls die notwendigen Maßnahmen ergreift, um sicherzustellen, dass die Fluggastrechte gewahrt werden, und die gemäß Art. 16 dieser Verordnung von jedem Fluggast mit einer Beschwerde wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung befasst werden kann, kann das Recht eines Fluggasts auf eine solche Erstattung nicht in Frage stellen. Dieser Artikel kann nämlich nicht so ausgelegt werden, dass er allein den mit der Durchführung der Verordnung Nr. 261/2004 betrauten nationalen Stellen die Ahndung vorbehält, wenn die Luftfahrtunternehmen ihrer in den Art. 5 Abs. 1 Buchst. b und 9 dieser Verordnung geregelten Betreuungspflicht nicht nachkommen. Demzufolge kann sich ein Fluggast vor einem nationalen Gericht darauf berufen, dass ein Luftfahrtunternehmen seiner in den Art. 5 Abs. 1 Buchst. b und 9 der Verordnung Nr. 261/2004 vorgesehenen Betreuungspflicht nicht nachgekommen ist, um von dem Unternehmen die Kosten ersetzt zu bekommen, die es nach diesen Bestimmungen hätte übernehmen müssen. Da die Fragen somit entscheidungserheblich sind, ist das Vorabentscheidungsersuchen also zulässig.

Definition außergewöhnlicher Umstände

Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 5 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen ist, dass Umstände wie die Schließung eines Teils des europäischen Luftraums nach dem Ausbruch des Vulkans Eyjafjallajökull „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne dieser Verordnung darstellen, die die Luftfahrtunternehmen nicht von ihrer Betreuungspflicht gemäß den Art. 5 Abs. 1 Buchst. b und 9 der Verordnung Nr. 261/2004 entbinden, oder ob sie im Gegenteil wegen ihrer besonderen Tragweite über diesen Begriff hinausgehen und die Luftfahrtunternehmen deshalb von dieser Pflicht freigestellt sind. Vorangestellt sei, dass der Begriff der außergewöhnlichen Umstände nicht zu denjenigen zählt, die in Art. 2 der Verordnung Nr. 261/2004 oder in anderen Bestimmungen dieser Verordnung definiert sind, obschon eine nicht abschließende Liste solcher Umstände aus den Erwägungsgründen 14 und 15 der Verordnung hervorgeht. Nach ständiger Rechtsprechung sind insoweit Bedeutung und Tragweite von Begriffen, die das Unionsrecht nicht definiert, entsprechend ihrem Sinn nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch und unter Berücksichtigung des Zusammenhangs, in dem sie verwendet werden, und der Ziele, die mit der Regelung, zu der sie gehören, verfolgt werden, zu bestimmen (Urteil Wallentin-Hermann, Randnr. 17). Nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch stellt die Wendung „außergewöhnliche Umstände“ wörtlich auf Umstände „abseits des Gewöhnlichen“ ab. Im Zusammenhang mit dem Luftverkehr bezeichnet sie ein Vorkommnis, das der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens nicht innewohnt und aufgrund seiner Natur oder Ursache von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen ist (Urteil Wallentin-Hermann, Randnr. 23). Mit anderen Worten werden davon, wie vom Generalanwalt in Nr. 34 seiner Schlussanträge ausgeführt, alle Umstände erfasst, die das Luftfahrtunternehmen nicht kontrollieren kann, welcher Natur und Schwere sie auch sein mögen.

Vorliegen von höchstaußergewöhnlichen Umständen

Die Verordnung Nr. 261/2004 enthält keinen Hinweis darauf, dass über die in ihrem Art. 5 Abs. 3 genannten „außergewöhnlichen Umstände“ hinaus eine gesonderte Kategorie von „besonders außergewöhnlichen“ Vorkommnissen anerkannt würde, aufgrund deren die Luftfahrtunternehmen von allen ihren Verpflichtungen einschließlich derjenigen nach Art. 9 dieser Verordnung freigestellt würden. Was sodann den Zusammenhang und die Ziele anbelangt, die mit Art. 5 der Verordnung Nr. 261/2004 verfolgt werden, der die Pflichten der Luftfahrtunternehmen bei Annullierung eines Fluges festlegt, ist zum einen darauf hinzuweisen, dass Abs. 3 dieser Vorschrift bei außergewöhnlichen Umständen nur die Ausgleichspflicht der Luftfahrtunternehmen nach Art. 7 dieser Verordnung entfallen lässt. Der Unionsgesetzgeber hat somit die Verpflichtung der Luftfahrtunternehmen zu Betreuungsleistungen gemäß Art. 9 der Verordnung unabhängig davon für erforderlich gehalten, welches Vorkommnis zur Annullierung des Fluges geführt hat. Zum anderen geht aus den Erwägungsgründen 1 und 2 der Verordnung Nr. 261/2004 klar hervor, dass diese ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherstellen soll und den Erfordernissen des Verbraucherschutzes im Allgemeinen Rechnung trägt, da die Annullierung eines Fluges den Fluggästen große Unannehmlichkeiten verursacht (Urteile Wallentin-Hermann, Randnr. 18, sowie Nelson u. a., Randnr. 72). Eine Auslegung, nach der Umstände, wie sie im Ausgangsverfahren in Rede stehen, insbesondere wegen ihrer Ursache und Tragweite aus dem begrifflichen Rahmen der außergewöhnlichen Umstände im Sinne der Verordnung Nr. 261/2004 fielen, liefe aber nicht nur der Bedeutung dieser Wendung im gewöhnlichen Sprachgebrauch, sondern auch den Zielen dieser Verordnung zuwider. Eine solche Auslegung hätte nämlich zur Folge, dass die Luftfahrtunternehmen gegenüber Fluggästen, die infolge einer Flugannullierung nur in begrenztem Maße Unannehmlichkeiten ausgesetzt sind, die Betreuungsleistungen nach Art. 9 der Verordnung Nr. 261/2004 erbringen müssten, während diese Betreuung Fluggästen wie der Klägerin des Ausgangsverfahrens vorenthalten bliebe, die sich insoweit in einer besonders prekären Lage befinden, als sie gezwungen sind, mehrere Tage an einem Flughafen zu verweilen. Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 5 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen ist, dass Umstände wie die Schließung eines Teils des europäischen Luftraums nach dem Ausbruch des Vulkans Eyjafjallajökull „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne dieser Verordnung darstellen, die die Luftfahrtunternehmen nicht von ihrer Betreuungspflicht gemäß den Art. 5 Abs. 1 Buchst. b und 9 der Verordnung entbinden. Aus der Antwort auf die erste Frage ergibt sich, dass die zweite und die dritte Frage nicht beantwortet zu werden brauchen.

Betreuungsleistungen bei Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstands

Mit seinen zusammen zu prüfenden Fragen 4 und 5 möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Art. 5 Abs. 1 Buchst. b und 9 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen sind, dass im Fall der Annullierung eines Fluges wegen „außergewöhnlicher Umstände“ wie derjenigen, die im Ausgangsverfahren in Rede stehen, die in diesen Bestimmungen vorgesehene Pflicht zur Betreuung der Fluggäste zeitlich oder finanziell begrenzt ist, und ob, falls dies nicht der Fall ist, die so ausgelegten Bestimmungen in Anbetracht des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, des Diskriminierungsverbots, des Grundsatzes eines „gerechten Interessenausgleichs“, auf den das Übereinkommen von Montreal abstellt, und der Art. 16 und 17 der Grundrechtecharta ungültig sind. Dazu ist festzustellen, dass der Unionsgesetzgeber für den Fall der Annullierung des Fluges aufgrund des Auftretens „außergewöhnlicher Umstände“ die in Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 vorgesehenen Pflichten der Luftfahrtunternehmen modifizieren wollte. So ist das Luftfahrtunternehmen nach dem 15. Erwägungsgrund und Art. 5 Abs. 3 dieser Verordnung abweichend von deren Art. 5 Abs. 1 von der nach Art. 7 der Verordnung bestehenden Ausgleichspflicht gegenüber den Fluggästen befreit, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären, also auf Umstände, die von dem Luftfahrtunternehmen tatsächlich nicht zu beherrschen sind (Urteil Nelson u. a., Randnr. 39). Der Gerichtshof hat insoweit darauf hingewiesen, dass das Luftfahrtunternehmen unter solchen Umständen nur von seiner Ausgleichspflicht nach Art. 7 der Verordnung Nr. 261/2004 entbunden ist und dass demzufolge seine Betreuungspflicht nach Art. 9 dieser Verordnung bestehen bleibt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Mai 2011, Eglītis und Ratnieks, C 294/10, Slg. 2011, I 3983, Randnrn. 23 und 24).

Zeitliche und finanzielle Begrenzung von Betreuungsleistungen

Außerdem ergibt sich aus dem Wortlaut der Verordnung Nr. 261/2004 keinerlei Begrenzung, ob zeitlich oder finanziell, der Pflicht zur Betreuung der Fluggäste bei außergewöhnlichen Umständen wie denjenigen, um die es im Ausgangsverfahren geht. Art. 9 der Verordnung Nr. 261/2004 lässt sich nämlich entnehmen, dass dem Luftfahrtunternehmen alle Betreuungspflichten gegenüber den Fluggästen, deren Flug annulliert worden ist, zur Gänze während des gesamten Zeitraums obliegen, in dem die betroffenen Fluggäste auf ihre anderweitige Beförderung warten müssen. In diesem Sinne geht aus Abs. 1 Buchst. b dieser Vorschrift klar hervor, dass das Luftfahrtunternehmen eine Hotelunterbringung unentgeltlich anzubieten hat, solange sie „notwendig“ ist. Hinzu kommt, dass jede andere Auslegung, mit der anerkannt würde, dass die Pflicht des Luftfahrtunternehmens zur Betreuung der Fluggäste, deren Flug annulliert wurde, Grenzen, ob zeitlicher oder finanzieller Art, kennt, die mit der Verordnung Nr. 261/2004 verfolgten und oben in Randnr. 31 in Erinnerung gerufenen Ziele insoweit in Frage stellen würde, als die Fluggäste jenseits dieser Grenzen überhaupt nicht betreut würden und so sich selbst überlassen wären. Wie aber der Generalanwalt in Nr. 52 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, erweist sich die Betreuung solcher Fluggäste beim Eintritt außergewöhnlicher Umstände, die lange anhalten, als besonders wichtig und muss gerade bei einer besonders langen Wartezeit infolge der Annullierung eines Fluges sichergestellt werden, dass dem Fluggast, dessen Flug annulliert wurde, während der gesamten Wartezeit der Zugang zu den allernötigsten Erzeugnissen und Dienstleistungen möglich ist. Folglich kann der Verordnung Nr. 261/2004 entgegen der Auffassung von Ryanair nicht entnommen werden, dass unter Umständen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden die in den Art. 5 und 9 dieser Verordnung vorgesehene Pflicht zur Betreuung der Fluggäste zeitlich oder finanziell begrenzt werden muss.

Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

Es muss jedoch gesichert sein, dass diese Auslegung nicht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und dem Grundsatz eines „gerechten Interessenausgleichs“, auf den das Übereinkommen von Montreal abstellt, sowie dem Diskriminierungsverbot und den Art. 16 und 17 der Grundrechtecharta zuwiderläuft. Nach einem allgemeinen Auslegungsgrundsatz ist nämlich ein Unionsrechtsakt so weit wie möglich in einer Weise, die seine Gültigkeit nicht in Frage stellt, und im Einklang mit dem gesamten Primärrecht auszulegen (Urteil vom 16. September 2010, Chatzi, C 149/10, Slg. 2010, I 8489, Randnr. 43). Was erstens den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof bereits in seinem Urteil vom 10. Januar 2006, IATA und ELFAA (C 344/04, Slg. 2006, I 403), die Gelegenheit hatte, in den Randnrn. 78 bis 92 festzustellen, dass die Art. 5 bis 7 der Verordnung Nr. 261/2004 nicht wegen eines Verstoßes gegen diesen Grundsatz ungültig sind. Es ist aber durch nichts, auch nicht durch das Fehlen einer zeitlichen oder finanziellen Begrenzung der Betreuungspflicht, unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens gerechtfertigt, die vom Gerichtshof in jenem Urteil getroffene Feststellung der Gültigkeit in Frage zu stellen. Daran kann auch der von Ryanair geltend gemachte Umstand nichts ändern, dass die Betreuungspflicht, wie sie in Art. 9 der Verordnung Nr. 261/2004 geregelt ist, unbestreitbare finanzielle Folgen für die Luftfahrtunternehmen hat, da diese Folgen gemessen an dem Ziel eines hohen Schutzniveaus für die Fluggäste nicht als unverhältnismäßig angesehen werden können. Die Bedeutung, die dem Ziel des Schutzes der Verbraucher und somit auch der Fluggäste zukommt, kann nämlich negative wirtschaftliche Folgen selbst beträchtlichen Ausmaßes für bestimmte Wirtschaftsteilnehmer rechtfertigen (Urteil Nelson u. a., Randnr. 81 und die dort angeführte Rechtsprechung). Im Übrigen müssten, wie der Generalanwalt in den Nrn. 58 und 60 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, die Luftfahrtunternehmen als umsichtige Unternehmer die Kosten, die mit der gegebenenfalls anfallenden Erfüllung ihrer Betreuungspflicht verbunden sind, voraussehen und können außerdem die durch diese Pflicht verursachten Kosten auf die Flugpreise umlegen. Daraus folgt, dass die Art. 5 Abs. 1 Buchst. b und 9 der Verordnung Nr. 261/2004 nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen.

Gerechter Interessenausgleich

Gleichwohl kann ein Fluggast als Entschädigung dafür, dass das Luftfahrtunternehmen seiner Betreuungspflicht nach den Art. 5 Abs. 1 Buchst. b und 9 der Verordnung Nr. 261/2004 nicht nachgekommen ist, nur solche Beträge erstattet bekommen, die sich in Anbetracht der dem jeweiligen Fall eigenen Umstände als notwendig, angemessen und zumutbar erweisen, um den Ausfall der Betreuung des Fluggasts durch das Luftfahrtunternehmen auszugleichen, was zu beurteilen Sache des nationalen Gerichts ist. Was zweitens den Grundsatz eines „gerechten Interessenausgleichs“ anbelangt, auf den der letzte Absatz der Präambel des Übereinkommens von Montreal Bezug nimmt, genügt der Hinweis, dass die in der Verordnung Nr. 261/2004 vorgesehenen standardisierten und sofortigen Wiedergutmachungsmaßnahmen, darunter die Pflicht zur Betreuung der Fluggäste, deren Flug annulliert worden ist, nicht zu den Maßnahmen gehören, für die das Übereinkommen von Montreal die Durchführungsvoraussetzungen festlegt (vgl. in diesem Sinne Urteil Wallentin-Hermann, Randnr. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung). Die Gültigkeit der genannten Bestimmungen ist deshalb nicht anhand des Grundsatzes eines „gerechten Interessenausgleichs“ zu beurteilen, der in diesem Übereinkommen in Bezug genommen wird.

Nichtdiskriminierungsgrundsatz

Was drittens den allgemeinen Grundsatz der Nichtdiskriminierung oder der Gleichbehandlung betrifft, macht Ryanair geltend, die nach den Art. 5 Abs. 1 Buchst. b und 9 der Verordnung Nr. 261/2004 in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens vorgesehene Betreuungspflicht erlege den Luftfahrtunternehmen Verpflichtungen auf, die für die anderen, in den Verordnungen (EG) Nr. 1371/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr (ABl. L 315, S. 14), (EU) Nr. 1177/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über die Fahrgastrechte im See- und Binnenschiffsverkehr und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 (ABl. L 334, S. 1) und (EU) Nr. 181/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 über die Fahrgastrechte im Kraftomnibusverkehr und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 (ABl. L 55, S. 1) geregelten Beförderungsformen beim Vorliegen von Umständen, die denen des Ausgangsverfahrens glichen, nicht gälten, obwohl sich die Flug- oder Fahrgäste, die aufgrund einer weitreichenden und länger anhaltenden Unterbrechung des Verkehrs festsäßen, unabhängig von der Art ihrer Beförderung in der gleichen Lage befänden. Insoweit ist darauf zu verweisen, dass der Gerichtshof in den Randnrn. 93 bis 99 des Urteils IATA und ELFAA bereits festgestellt hat, dass die Art. 5 bis 7 der Verordnung Nr. 261/2004 nicht gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstoßen. Die jeweilige Lage der Unternehmen, die in den verschiedenen Verkehrssektoren tätig sind, ist nämlich nicht miteinander vergleichbar, da die einzelnen Beförderungsformen unter Berücksichtigung ihrer Funktionsweise, ihrer Zugänglichkeit und der Aufteilung ihrer Netze hinsichtlich der Bedingungen ihrer Benutzung nicht austauschbar sind (Urteil IATA und ELFAA, Randnr. 96). Unter diesen Umständen war der Unionsgesetzgeber berechtigt, Vorschriften aufzustellen, die ein unterschiedliches Verbraucherschutzniveau vorsehen, je nachdem, welcher Verkehrssektor betroffen ist. Die Art. 5 Abs. 1 Buchst. b und 9 der Verordnung Nr. 261/2004 verstoßen somit nicht gegen das Diskriminierungsverbot.

Unternehmerische Freiheit und Eigentumsrecht

Was viertens die Art. 16 und 17 der Grundrechtecharta anbelangt, die die unternehmerische Freiheit und das Eigentumsrecht verbürgen, bringt Ryanair vor, die Pflicht zur Betreuung der Fluggäste, die den Luftfahrtunternehmen unter Umständen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden auferlegt werde, entziehe den Unternehmen einen Teil der Früchte ihrer Arbeit und der von ihnen getätigten Investitionen. Dazu ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die unternehmerische Freiheit und das Eigentumsrecht nicht absolut gewährleistet werden, sondern im Zusammenhang mit ihrer gesellschaftlichen Funktion zu sehen sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. September 2012, Deutsches Weintor, C 544/10, Randnr. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung). Ferner lässt Art. 52 Abs. 1 der Grundrechtecharta Einschränkungen der Ausübung der in der Grundrechtecharta verankerten Rechte zu, sofern diese Einschränkungen gesetzlich vorgesehen sind, den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen. Bei dieser Beurteilung ist schließlich, wenn sich mehrere durch die Unionsrechtsordnung geschützte Rechte gegenüber stehen, darauf zu achten, dass die Erfordernisse des Schutzes dieser verschiedenen Rechte miteinander in Einklang gebracht werden müssen und dass ein angemessenes Gleichgewicht zwischen ihnen besteht (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 29. Januar 2008, Promusicae, C 275/06, Slg. 2008, I 271, Randnrn. 65 und 66, und Deutsches Weintor, Randnr. 47). Hier nimmt das vorlegende Gericht auf die Art. 16 und 17 der Grundrechtecharta Bezug. Es ist jedoch auch deren Art. 38 zu berücksichtigen, der wie Art. 169 AEUV darauf abzielt, dass in der Politik der Union ein hohes Niveau des Schutzes der Verbraucher, zu denen die Fluggäste gehören, gewährleistet ist. Der Schutz dieser Fluggäste gehört nämlich, wie oben in Randnr. 31 ausgeführt, zu den grundlegenden Zielen der Verordnung Nr. 261/2004. Aus den vorstehenden Randnrn. 45 bis 49, die Ausführungen zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz enthalten, ergibt sich aber, dass die Art. 5 Abs. 1 Buchst. b und 9 der Verordnung Nr. 261/2004, wie sie oben in Randnr. 43 ausgelegt worden sind, dem Erfordernis entsprechen, die einzelnen betroffenen Grundrechte miteinander in Einklang zu bringen und ein angemessenes Gleichgewicht zwischen ihnen herzustellen. Die genannten Bestimmungen verstoßen daher nicht gegen die Art. 16 und 17 der Grundrechtecharta. Demnach ist auf die Fragen 4 und 5 zu antworten, dass die Art. 5 Abs. 1 Buchst. b und 9 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen sind, dass im Fall der Annullierung eines Fluges wegen „außergewöhnlicher Umstände“ von einer Dauer, wie sie im Ausgangsverfahren gegeben ist, der in diesen Bestimmungen vorgesehenen Pflicht zur Betreuung der Fluggäste nachzukommen ist, ohne dass dies die Gültigkeit dieser Bestimmungen berührt. Ein Fluggast kann jedoch als Entschädigung dafür, dass das Luftfahrtunternehmen seiner Betreuungspflicht nach den Art. 5 Abs. 1 Buchst. b und 9 der Verordnung Nr. 261/2004 nicht nachgekommen ist, nur solche Beträge erstattet bekommen, die sich in Anbetracht der dem jeweiligen Fall eigenen Umstände als notwendig, angemessen und zumutbar erweisen, um den Ausfall der Betreuung des Fluggasts durch das Luftfahrtunternehmen auszugleichen, was zu beurteilen Sache des nationalen Gerichts ist.