Flugverspätung 4 Stunden

Aus PASSAGIERRECHTE
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Begriff der Verspätung

Bei einer „großen Verspätung“ handelt es sich um eine Verzögerung des Abflugs. Der Begriff der „Verzögerung“ ist jedoch nicht in Art. 2 der Fluggastrechteverordnung definiert. Laut dem Wortlaut des Art. 8 der Fluggastrechteverordnung ist jedoch auf den „Abflug“ abzustellen. Somit ist ein Flug nach Art. 6 der Fluggastrechteverordnung als verzögert anzusehen, wenn sein Beginn nach dem in der Buchung vorgesehenen Zeitpunkt stattfindet. Dies ist die sogenannte „Abflugverspätung“. Bei einer großen Verspätung steht dem betroffenen Fluggast nach Art. 6 der Fluggastrechteverordnung ein Anspruch auf gestaffelte Unterstützungs- und Betreuungsleistungen nach Art. 8 der Fluggastrechteverordnung zu. Dem Wortlaut des Art. 8 der Fluggastrechteverordnung zu Folge besteht für die betroffenen Fluggäste jedoch kein Anspruch auf Ausgleichszahlungen nach Art. 7 der Fluggastrechteverordnung. Durch den EuGH wurde ein solcher Anspruch für eine verspätete Ankunft jedoch rechtsfortbildend zuerkannt. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass es zu einer Verzögerung der Ankunft von mindestens drei Stunden am Endziel kommt. Große Probleme bereitet früher die Abgrenzung der Verspätung von der Annullierung. Nun existiert eine gängige Kurzformel: Bei einer Annullierung fällt der geplante Flug aus und bei einer großen Verspätung wird der Flug jedoch nach Maßgabe der ursprünglichen Planung weiterhin erfolgen.

Voraussetzungen für eine fluggastrechtlich relevante Abflugverspätung

Um eine Verspätung im Sinne des Art. 6 der Fluggastrechteverordnung annehmen zu können, muss eine Verzögerung des Abflugs von mindestens zwei Stunden gegeben sein. Erst dann kann man eine in zeitlicher Hinsicht „große Verspätung“ im Sinne des offiziellen Titels der Fluggastrechteverordnung. Geringfügige Abflugverspätungen sollen fluggastrechtlich irrelevant bleiben.

Prognoseentscheidung bei Verspätung

Wichtig ist, dass eine solche Verspätung „nach vernünftigem Ermessen absehbar“ sein muss. Absehbar für das ausführende Luftfahrtunternehmen. Wird durch eine Prognose im Vorfeld des regulären Flugantritts deutlich, dass es zu einer Mindestverspätung von zwei Stunden kommen wird, dann gelten die Fluggastrechte ab dem Zeitpunkt der „Absehbarkeit“. Es ist demnach nicht ausschlaggebend, dass erst tatsächlich die Verspätungsdauer von zwei Stunden erreicht ist. Die Fluggastrechte finden bereits dann Anwendung, wenn sich die Prognose ex post als falsch erweisen sollte. Laut der Formulierung „nach vernünftigem Ermessen absehbar“ sollen auch die wirtschaftlichen und zeitlichen Ressourcen der konkret ausführenden Airline Berücksichtigung finden. Das bedeutet so viel, wie das kein unverhältnismäßiger Aufwand zu betreiben ist. Hilfreich könnten jedoch erschwingliche technische Applikationen sein. So werden sich in naher Zukunft „künstlich intelligente“ Flight-Services, wie Google Flights auf die Prognoseentscheidungen auswirken können. Durch selbsterlernte Algorithmen wird eine neue Funktion verfügbar sein, welche mit einer 80 % Wahrscheinlichkeit verspätete Flüge anzeigen kann.

Streckenstaffelung im Falle einer Verspätung

Liegt die zeitliche Mindestvoraussetzung von zwei Stunden als Prognoseentscheidung vor, dann ist der Tatbestand der Verzögerung erfüllt, wenn die Distanz der Flugstrecke maximal 3.500 km beträgt (Art. 6 Abs. 1 lit. a der Fluggastrechteverordnung – Kurzstrecke). Bei einer Entfernung zwischen 1.500 und 3.500 km und bei allen „innergemeinschaftlichen Flügen“, deren Distanz mehr als 1.500 km beträgt, können erst dann als verspätet eingestuft werden, wenn der Abflug eine Verzögerung von mindestens drei Stunden aufweist (Art. 6, Abs. 1 lit. b der Fluggastrechteverordnung-Mittelstreckenflüge). Alle anderen Flüge, also außergemeinschaftliche Flüge mit einer Flugdistanz von 3.500 km sind ab einem von vier Stunden verzögerten Abflug als verspätet einzustufen (Art. 6 Abs. 1 lit. c der Fluggastrechteverordnung – Langstreckenflug). Es gilt also die folgende übergreifende Formel: Je geringer die Entfernung, desto eher entfalten die Fluggastrechte ihre Wirkung. Die Anspruchsinhalte erhöhen sich mit der zeitlichen Dauer der Verzögerung. Der betroffene Fluggast kann demnach einen Anspruch auf Ausgleichszahlungen nach der Fluggastrechteverordnung zwischen 250 und 600 Euro geltend machen. Zusätzlich dazu, kann auch bei einer Verspätung von vier Stunden ein Anspruch gegen die Airline aus der Fluggastrechteverordnung auf Betreuung und Unterstützung geltend gemacht werden.

Berechnungsmethode der Distanz bei Verspätungen (Art. 7 Abs. 4 der Fluggastrechteverordnung)

Die Ermittlung der Entfernung erfolgt laut Art. 7 Abs. 1 der Fluggastrechteverordnung über die Großkreisentfernungsmethode. Verwendet wird bei dieser gesetzlichen Berechnung die kürzeste Strecke zwischen dem Start- und Zielflughafen entlang der kugelförmigen Erdoberfläche (Orthodrome) unter Berücksichtigung der Erdkrümmung. Der tatsächlich zurückgelegten Flugstrecke kommt jedoch keine Bedeutung zu. Ausschlaggebend sind die tatsächlich angeflogenen Flughäfen. Viel eher deren „aerodrome reference points“ (ARP), jedoch nicht die Betitelung durch die Fluggesellschaft auf dem Flugschein. Diese Thematik gewinnt bei Regionalflughäfen an Bedeutung, wenn auf dem Flugschein auch die nächstgelegene Großstadt aufgeführt ist.

Dabei besteht jedoch die Frage, ob auch dann eine Berechnung auf der kürzesten Strecke zwischen dem Startflughafen und dem im Flugschein aufgeführten Endziel zu erfolgen hat, wenn es zu einer Durchführung von Flügen in Teilstrecken, wie z.B. Hamburg-München-Palma de Mallorca kommt. Denn in Frage kommen würde ebenfalls die Summe der Entfernungen der einzelnen Strecken. So z.B. Hamburg-München und dann die Strecke München-Palma de Mallorca. Durch den BGH (Urt. v. 14.10.10, Az.: Xa ZR 15/10) wurde entschieden, dass laut Art. 7 Abs. 1 S. 2 der Fluggastrechteverordnung bei der Berechnung der Entfernung der letzte Zielort (also das Endziel) ausschlaggebend ist, den der Fluggast aufgrund der Annullierung später erreicht, als die planmäßige Ankunftszeit ursprünglich angelegt war. Damit kommt es nicht auf den Zielort des einzelnen Beförderungsvorgangs an, welcher annulliert wurde. Wird also die erste kurze Teilstrecke annulliert, dann ist bei der Berechnung der Höhe der Ausgleichszahlungen nicht diese Entfernung ausschlaggebend, sondern die Entfernung zum Endziel des einheitlich gebuchten Fluges (LG Hannover, Urt. v. 10.10.12, Az.: 12 S 19/12, LG Hannover, Urt. v. 08.11.13, Az.: 14 S 1/13).

Blankenburg zu Folge soll eine Unterscheidung hinsichtlich des Endziels erfolgen. Im ersten Fall kommt es dazu, dass durch den Fluggast schon vor dem Reisebeginn beide Flüge als eine „einheitliche Reise“ gebucht wurden und der Fluggast somit bereits vor Beginn der Reise abgefertigt wurde und damit der letzte Ankunftsflughafen das Endziel seiner Reise darstellt. Im zweiten Fall besteht zwischen den Flügen kein unmittelbarer Zusammenhang. Das ist z.B. dann der Fall, wenn keine einheitliche Buchung vorgenommen wurde oder es zu einer Unterbrechung der einzelnen Flugabschnitte durch einen längeren Aufenthalt kommt, bei dem es auch zu dem Auschecken nach dem ersten Flugabschnitt kommt. In einer solchen Situation erscheint es schwierig, dass Ziel des zweiten Fluges noch als Endziel der Flugreise zu bezeichnen.

Laut dem AG Frankfurt a.M. (Urt. v. 11.10.13, Az.: 29 C 1952/13) ist bei einer einheitlich gebuchten Reise, welche aus mehreren Flügen eines Luftfahrtunternehmens besteht, die Entfernung aus der Summe der Teilstrecken zu ermitteln. Da der Art. 7 der Fluggastrechteverordnung eine streckenabhängige Staffelung der Ausgleichsansprüche enthält, ist davon auszugehen, dass Gesetzgeber die Ansicht vertreten, dass die Unannehmlichkeiten für den Fluggast mit der Entfernung zunehmen. Deshalb könnte im Zusammenhang mit der wirklich zurückgelegten Strecke angenommen werden, dass bei der Bemessung die Entfernung bei Umsteigeflügen auf die Summe der Entfernungen der Teilstrecken und damit einerseits zwischen dem Startflughafen und dem Zwischenlandeort einerseits und auf der anderen Seite zwischen diesem und dem Endziel zu ermitteln ist. Zu dieser Entscheidung kamen das HG Wien, das BGHS Wien und das LG Graz (Urt. v. 10.05.17).

Das LG Frankfurt a.M. (Urt. v. 16.06.16, Az.: 2-24 S 208/15) hatte eine Entscheidung im folgenden Fall zu treffen: Bei einem Flug, welcher sich aus mehreren Teilflügen zusammensetzte und die von einem annullierten Flug betroffenen Fluggäste auf dem ersten Teilflug durch eine andere Fluggesellschaft ausgeführten Flug umgebucht wurden auf einen Flug, welcher fast die gleichen Abflug- und Ankunftszeiten aufwies, kam es aufgrund von einer Verspätung dieses Fluges dazu, dass der Anschlussflug nicht mehr erreicht werden konnte und die betroffenen Fluggäste somit nicht in der Lage waren den Anschlussflug zu erreichen und damit ihr Endziel mit einer Verspätung von 23 Stunden erreichten. In diesem Fall hat das Landgericht entschieden, dass die gesamte Strecke beachtet werden muss. Begründet wird dies damit, dass der letzte Zielort zu beachten ist, welcher durch den betroffenen Fluggast aufgrund der Annullierung des ersten Fluges mit einer so enormen Verspätung erreicht wurde.

Durch viele andere Gerichte (LG Landshut, Urt. v. 16.12.15, Az.: 13 S 2291/15; LG Hamburg, Urt. v. 16.12.15, Az.: 13 S 2291/15 und 15.01.16, Az.: 320 S 8/15; AG Köln, Urt. v. 3.12.13, Az.: 113 C 428/13; AG Hamburg, Urt. v. 03.06.15, Az.: 120a C 28/15; AG Nürtingen, Urt. v. 28.05.15, Az.: 12 C 394/15; AG Wedding, Urt. 14.10.15, Az.: 22 a C 193/15; LG Köln, Urt. v. 30.05.17, Az.: 11 s 230/16) wurde jedoch die Ansicht verfolgt, dass unter dem Begriff der „Entfernung“ selbst bei einheitlich gebuchten Umsteigeverbindungen nur die Entfernung zwischen dem Abflug- und letzten Zielort ausschlaggebend ist. Die dabei tatsächlich zurückgelegte Flugstrecke spielt keine Rolle. Bei der Begründung ihrer Ansicht berufen sich die jeweiligen Gerichte unter anderem auf die „Leitlinien der Kommission für die Auslegung der Verordnung“. Durch das LG Hamburg (Urt. v. 15.01.16, Az.: 320 S 8/15) wurde diese Frage sogar dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt (EuGH, Az.: C-40/16). Am 07.06.16 wurde durch, dass LG Hamburg jedoch mitgeteilt, dass sich das Verfahren in der Hauptsache erledigt hat. Am 20.06.16 wurde die Rechtssache damit wieder aus dem Register des EuGHs entfernt. Kurz danach wurde diese Frage dem EuGH jedoch erneut durch das AG Hamburg zur Vorabentscheidung vorgelegt. Es ging um den Fall Bossen/Brüsssels Airines (Rs. C-559/16). Nach diesem Vorlagebeschluss des LG Köln vom 30.05.17, Az.: 11 S 230/16) wurde die Forderung durch das beklagte Luftfahrtunternehmen anerkannt. Durch den Beschluss vom 12.07.17 wurde auch durch das HG Wien (1 R 4/17k) die Rechtsfrage dem EuGH wieder vorgelegt.

Durch die unverbindlichen Leitlinien der Kommission für die Auslegung der europäischen Fluggastrechteverordnung wird festgelegt, dass die Entfernung bei einer großen Verspätung nach der Methode der Großkreisentfernung zwischen dem Abflugsort und dem Endziel zu ermitteln ist. Damit soll die Entfernung für die „Reise“ ermittelt werden und nicht durch die Addition der Großkreisentfernungen der einzelnen Anschlussflüge, durch die es zu der Gesamtheit der Reise kommt.

Somit hat die Berechnung nach der Großkreismethode auch bei einheitlich gebuchten Direktflügen mit Zwischenlandung, aber auch bei Mehrstreckenflügen Anwendung zu finden. Es soll also keine Summierung der einzelnen, relevanten Segmente vorgenommen werden. Unter Entfernung im Sinne des Art. 7 Abs. 1 der Fluggastrechteverordnung ist die Distanz zwischen dem Ort des ersten Abflugs und dem Endziel zu verstehen (Entscheidung Bossen/Brussels Airlines vom 07.09.17. Liegt keine einheitliche Buchung vor, dann müssen die Start- und Zielflughäfen der jeweiligen Einzelstrecken berücksichtigt werden.

Die Berechnung der Höhe der Ausgleichszahlung richtet sich also nach der unmittelbaren Entfernung zwischen dem Abflugort und dem letzten Zielort. Danach ergeben sich folgende mögliche Ausgleichszahlungen:

• 250€ pro Person bei allen Flügen über eine Entfernung von 1500km oder weniger

• 400€ pro Person bei allen Flügen über eine Entfernung zwischen 1500km und 3500km

• 600€ pro Person bei allen Flügen über eine Entfernung von mehr als 3500km.

Die Nutzung der Kemptener Reisemängeltabelle

Die Kemptener Reisemängeltabelle von Prof. Dr. Ernst Führich beinhaltet zeitlich chronologische Reisemängel und einfach hinzunehmende Unannehmlichkeiten bei Pauschalreisen. In dieser Reisemängeltabelle sind auch die einzelnen Minderungsbeträge aufgeführt und können als Anhaltspunkt für den Einzelfall genommen werden, um eine Vorstellung davon haben zu können, wie die Richter in einem solchen Fall entscheiden könnten. Sollte es also zu einer Verspätung von vier Stunden im Rahmen einer Pauschalreise kommen, dann hat der Fluggast die Möglichkeit auch gegen den Reiseveranstalter seine Ansprüche geltend zu machen.

Beispiel: (Auszug Kemptener Reisemängeltabelle)

Urteil Verspätung (h) Prozentsatz Erklärung
AG Hannover, Urt. v. 02.10.2001, Az.: 502 C 6301/01 4,5 Stunden 5% (3%) Ab der 5. Stunde pro angefangener Stunde 5 % des Tagespreises; zzgl. 3 % des Gesamtpreises

Flugverspätung Entschädigung Pauschalreise Frankfurter Tabelle

Wie viel Entschädigung dem betroffenen Fluggast bei einer Flugverspätung im Rahmen einer Pauschalreise zusteht, ist abhängig von der Dauer der Verzögerung. Durch die Frankfurter Reisemängeltabelle wird eine Minderung des Reisepreises erst dann vorgesehen, wenn sich der Abflug um mehr als vier Stunden verspätet. In einem solchen Fall kommt es üblicherweise zu einer Reisepreisminderung von fünf Prozent. So ist bei einer Verspätung von vier Stunden im Rahmen einer Pauschalreise auch die Frankfurter Tabelle zu Rate zu ziehen.

Hier ein Auszug aus der Frankfurter Tabelle:

Mängel Minderung in % Bemerkung
zeitlich verschobener Abflug über vier Stunden hinaus 5+ Für jede weitere Stunde Verspätung erhalten Sie 5 % des durchschnittlichen Tagespreises der Reise zurück

Urteil

Urteile Aktenzeichen Zusammenfassung
[1] Rs. C-537/17 • Eine Passagierin hatte bei der Fluggesellschaft Royal Air Maroc einen Flug von Berlin nach Agadir (Marokko) gebucht, der eine Zwischenlandung in Casablanca (Marokko) mit Wechsel des Flugzeugs vorsah. Wegen einer Überbuchung wurde die Kundin in Casablanca nicht planmäßig, sondern erst mit der nächsten verfügbaren Maschine der Fluggesellschaft weiterbefördert und erreichte das Endziel Agadir schließlich mit vierstündiger Verspätung.

• Das Gericht entschied, dass beide Flüge einheitlich gebucht wurden und i.S. eines direkten Anschlusses unmittelbar zusammenhingen. Obwohl der zweite Flug zwischen Casablanca und Agadir vollständig außerhalb der EU durchgeführt wurde und Royal Air Maroc seinen Sitz außerhalb der EU hat, entfaltet so die VO-EG Nr. 261/2004 für die gesamte Beförderung Geltung.

• Der Regelungen der VO-EG Nr. 261/2004 ist nach Ansicht der Richter nicht zu entnehmen, dass der Wechsel des Flugzeuges nach dem ersten Flug für die Einordnung der Flüge als einheitlichen Beförderungsvorgang bzw. Flug von Bedeutung ist. Der Wechsel der Maschine steht der Gesamtheit des Fluges mit Anschlussflug also nicht entgegen, so dass die VO-EG Nr. 261/2004 vorliegend Anwendung findet. Demnach kann die Passagierin wegen der Verspätung Ausgleichsansprüche nach der Verordnung gegen Royal Air Maroc geltend machen.

Siehe auch