Handlungen Dritter als außergewöhnlicher Umstand

Aus PASSAGIERRECHTE
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Unbeherrschbare Umstände, die von außen den Flugbetrieb beeinflussen können (z.B. etwa schlechte Wetterbedingungen) gelten als außergewöhnliche Umstände. In Betracht kommen auch Handlungen Dritter bzw. durch Dritte verursachte Situationen, die zu einer Annullierung oder Verspätung führen können. Fraglich ist, wann solche Situationen als außergewöhnliche Umstände gelten und nicht der Risikosphäre der Fluggesellschaft zugerechnet werden können.

Hauptartikel: Außergewöhnliche Umstände

Handlungen Dritter Definition

Definition

Handlungen Dritter

  • Das Verhalten von Personen, die auf den Flugbetrieb Einfluss nehmen können
  • Dritte meint, dass das Verhalten der Person nicht unmittelbar der Fluggesellschaft zugerechnet werden kann. Es geht also Personen, die in keiner unmittelbaren rechtlichen Verbindung mit der Airline stehen
  • Angestellte, Mitarbeiter oder Führungskräfte einer Fluggesellschaft sind folglich nicht gemeint
  • Dritte können typischer Weise sein: Flughafenbetreiber, Subunternehmen, Partnerunternehmen, andere Fluggesellschaften, Passagiere, Sicherheitsbehörden


Abgrenzung: Handlungen Nicht-Dritter

Für eine Annullierung oder Verspätung kann insbesondere der Ausfall von Crewmitgliedern verantwortlich sein. Crewmitglieder sind nicht Dritte. Dieser Ausfall kann sowohl auf einer Erkrankung beruhen oder auf andere Weise begründet werden. In der Rechtsprechung ist man sich weitestgehend einig, dass dadurch kein außergewöhnlicher Umstand begründet werden soll. Eine Fluggesellschaft muss nicht nur dafür sorgen, dass die Flugzeuge und die dazugehörige Technik funktioniert, sondern muss auch dafür Sorge tragen, dass die Maschine mit ausreichend Mitarbeitern besetzt ist (LG Darmstadt, Urt. v. 23.05.2012, Az. 7 S 250/11). Selbiges gilt jedoch nicht nur für Krankheiten. Wenn Crewmitglieder ausfallen, weil sie ihre vorgeschriebenen Ruhezeiten einhalten müssen, dann liegt auch darin kein außergewöhnlicher Umstand. Eine Fluggesellschaft muss ihre Flüge so planen, dass es nicht zu einer solchen Situation kommt. Falls aufgrund einer außerplanmäßigen Verlängerung der Flugzeit dennoch die Ruhezeiten der Piloten betroffen sind, ist das ein Risiko, welches die Airline zu tragen hat.

Siehe auch:
Crew als außergewöhnlicher Umstand Erkrankung der Crew Erkrankung eines Piloten Streik als außergewöhnlicher Umstand

Dritte im Flugverkehr und Einordnung ihrer Handlungen

Grundsätzliche Überlegung

Legt man die durch den EuGH bestimmten Kriterien außergewöhnlicher Umstände zugrunde, ist im Kern danach zu fragen, inwiefern die Fluggesellschaft zur Aufrechterhaltung und Durchführung des eigenen Flugbetriebes die Verantwortung für den Reibungslosen Ablauf trägt. Dort wo schon keine Möglichkeit für Airlines besteht, einen Organisationsbereich (etwa die Durchführung von Sicherheitskontrollen) selbst zu regeln und zu kontrollieren, kann ein Zwischenfall nicht ohne Weiteres ihrem Risikobereich zugerechnet werden. Sofern ein nicht kontrollierbarer Organisationsbereich betroffen ist, ist weiterhin danach zu fragen, ob es sich um einen Organisationsbereich handelt, in dem sich ein typisches Risiko des Flugbetriebs niederschlägt (z.B. technische Defekte der Maschine oder Wetterbedingungen) oder ob es sich um einen solchen handelt, der durch gesetzliche oder tatsächliche Rahmenbedingungen der Selbstorganisation der Fluggesellschaft entzogen ist, etwa im Bereich der Flugsicherung, aber auch in Bereichen, in denen eine zur Abwicklung des Flugbetriebs erforderliche Leistung nur durch den Flughafenbetreiber zur Verfügung gestellt wird, so dass die Fluggesellschaft "keine Wahl" hat, eigene Vorsorge bzw. Entscheidungen zu treffen (z.B. nur Bodenpersonal der Flughafenbetreibers verfügbar). Insofern muss danach gefragt werden, ob

1. ob ein Dritter gehandelt hat,

2. ob der Dritte im Auftrag bzw. für die Fluggesellschaft gehandelt hat,

3. ein kontrollierbarer Organisationsbereich der Fluggesellschaft betroffen ist

4. und ob sich ein luftverkehrstypisches Risiko in dem betroffenen Organisationsbereich niedergeschlagen hat.

Dass sich das Flugunternehmen (gem. § 278 BGB) z.B. das Verhalten von Bodenpersonal grundsätzlich immer zurechnen lassen muss, kann damit begründet werden, dass die Fluggesellschaft das betriebsspezifische Risiko immer zu tragen hat, unabhängig davon, ob ein Nähe- oder Abhängigkeitsverhältnis besteht (vgl. AG Rüsselsheim, Urt. v. 27.07.2012, 3 C 468/12). Das ist im Hinblick auf den Schutzzweck der Fluggastrechteverordnung zu beführworten. Insofern schlägt sich in diesem Organisationsbereich ein "luftverkehrstypisches Risiko" nieder, dass alleine die Fluggesellschaft zu tragen hat (Betriebssphäre).

Flughafenbetreiber als Dritter

Flughafenbetreiber

  • Private oder öffentliche Unternehmen, die Flughäfen als Geschäftszweck besitzen
  • Sie stellen die komplette Flughafeninfrastruktur den Fluggesellschaften und der Flugsicherung zur Verfügung


Der Flughafenbetreiber ist für die Bereitstellung der für den Flugbetrieb erforderlichen Infrastruktur verantwortlich. Damit trägt der Flughafenbetreiber grundsätzlich die Verantwortung für Handlungen von Personen, die im Auftrag des Flughafenbetreibers die Bereitstellung der Infrastruktur gewährleisten sollen. Dabei ist im Einzelfall fraglich, wo die Verantwortungssphäre des Flughafenbetreibers ihre Grenzen findet. Im Betriebsablauf an einem Flughafen kann es bei der Abwicklung zu Beschädigungen, Kollisionen oder Defekten kommen. Es muss im Einzelfall abgewogen werden, ob die Verantwortungssphäre des Flughafenbetreibers betroffen ist, oder ob die Fluggesellschaft oder ein sonstiger Dritter die Verantwortung trägt.

Verantwortungssphäre des Flughafenbetreibers

Die Verantwortungssphäre umfasst alle die Infrastruktur betreffende Maßnahmen und Handlungen. Dabei geht es häufig auch um technische Einrichtungen. Im Falle eines Systemausfalls hängt die Einordnung des Zwischenfalls davon ab, welcher Sphäre der Systemausfall, bzw. technische Defekt, der zum Systemausfall führte, zugerechnet werden muss (EuGH, Beschl. v. 14.11.2014, Rs. C-394/14, Urt. v. 04.05.2017, Rs. C-315/15). Denn technische Defekte beim Flugbetrieb Betrieb einer Fluggesellschaft fallen grundsätzlich in den Verantwortungsbereich der Fluggesellschaft. Etwas anderes gilt aber, wenn z.B. nicht nur das primäre System, sondern auch das Back-Up-System ausfallen und dieser Komplettausfall der Computersysteme eine erhebliche Zeit andauert. Der mehrstündige Ausfall aller Computersysteme, die der Flughafenbetreiber als Infrastruktur zur Verfügung stellt, schafft eine Situation, die von der Fluggesellschaft nicht mehr beherrschbar ist und außerhalb des Rahmens der gewöhnlichen Betriebstätigkeit eines Luftfahrtunternehmens liegt (LG Stuttgart, Urt. v. 21.12.2017, Az.: 5 S 142/17). Ein Luftfahrtunternehmen ist nicht verpflichtet, selbst entsprechende Fachleute vorzuhalten, um die Infrastrukturprobleme, hier konkret die Zuleitungsprobleme zu den ihm vom Flughafenbetreiber zur Nutzung bereitgestellten Computersystemen, zu beheben. Ob Mitarbeiter des Flughafens im Einzelfall als Erfüllungsgehilfen der Airline anzusehen sind, so dass die Airline für deren Fehlverhalten verantwortlich ist (so etwa AG Frankfurt a.M., Urt. v. 10.04.2014, Az.: 30 C 3491/13(25), AG Rüsselsheim, Urt. v. 27.07.2012, Az.: 3 C 468/12 in Bezug auf ein Bodenfahrzeug), ist umstritten und hinsichtlich der Rechtsprechung des EuGH und des BGH (weite Risikosphäre der Fluggesellschaft, s.u.) fragwürdig.

Die Durchführung der Sicherheitskontrollen am Airport liegen regelmäßig im Zuständigkeits- und Verantwortungsbreich des Flughafenbetreibers. Kommt es zu Problemen in diesem Bereich, etwa durch einen Streik des Sicherheitspersonals oder einen Streik der Fluglotsen, handelt es sich um Umstände, die für eine Fluggesellschaft nicht beherrschbar sind. Es liegen daher im Regelfall keine außergewöhnlichen Umstände vor. Das Gleiche gilt für alle weitere für den Flugbetrieb bedeutsame Infrastruktur, die der Flughafenbetreiber zur Verfügung stellt. Einer außergewöhnlicher Umstand liegt deshalb auch dann vor, wenn am Startflughafen das Pushback-Fahrzeug des Flughafenbetreibers nicht rechtzeitig bereitsteht (ein Pushback- Fahrzeug ist ein Fahrzeug, das Flugzeuge auf dem Rollfeld in die richtige Position bringen kann), woraufhin die Starterlaubnis nicht rechtzeitig erteilt werden kann. Es liegt dann nämlich nicht im Einflussbereich der Fluggesellschaft, ob ihr, trotz das sie alle hierfür erforderlichen Voraussetzungen erfüllt hat, tatsächlich der Abflug zur vorgesehenen Zeit gestattet wird (AG Erding, Urteil vom 15.4.2016, Az.: 7 C 1934/15).

Verwantworungsspähre der Fluggesellschaft

Wo die Verantwortungssphäre des Flughafenbetreibers (oder sonstiger Dritter) endet, beginnt die Betriebsspähre der Fluggesellschaft. Sie kann sich auch nicht durch den Verweis auf Dritte von ihrer Ausgleichspflicht nach der Fluggastrechteverordnung befreien, sofern der Zwischenfall ihrem Risikobereich, bzw. dem betriebsspezifischen Risiko zugerechnet werden muss. Dabei ergibt die höchstrichterliche Rechtsprechung, dass dieser Risikobereich sehr weit gefasst werden muss.

Die Kollision eines Treppenfahrzeuges mit einem Flugzeug stellt so etwa keinen außergewöhnlichen Umstand dar (EuGH, Urteil vom 14.11.2014, Az. C-394/14), da schon der Einsatz eines Treppenfahrzeuges selbst nicht außergewöhnlich, sondern vielmehr essentieller Bestandteil bei der Ausübung des Luftverkehrs ist. Zudem liegt ein Schaden durch ein Treppenfahrzeug nicht außerhalb des Verantwortungsbereiches einer Airline, vielmehr wird das Treppenfahrzeug gerade für die Airline eingesetzt. Entsprechend liegt kein außergewöhnlicher Umstand vor, wenn ein Gepäckwagen mit einem Flugzeug kollidiert und daraus eine Annullierung/Verspätung entsteht. Nach der Meinung des BGH liegt so ein Vorfall nämlich nicht außerhalb dessen, was üblicherweise mit dem Ablauf der Personenbeförderung im Luftverkehr verbunden ist, da auch der ruhende Verkehr von Flugzeugen und Fahrzeugen einen Teil des Betriebs darstellt (BGH, Urt. v. 20.12.2016, Az.: X ZR 77/15). Das Fahrmanöver zur Positionierung des Flugzeugs vor dem Abflug und Anbringen des Gates gehört ebenfalls zur Ausübung der normalen betrieblichen Tätigkeit der Fluggesellschaft (EuGH, Urt. v. 22.12.2008, Az. C-549/07). Das Kriterium der Beherrschbarkeit bemisst sich insbesondere danach, ob der betreffende Vorgang unmittelbar in den betrieblichen Ablauf der Fluggesellschaft fällt. Auch wenn sich das Luftfahrtunternehmen darauf beruft, dass diejenigen, die das Flugzeug bewegt haben, zum betriebsexternen Bodenpersonal gehören, kann es sich so nicht von seiner Ausgleichszahlungspflicht befreien (AG Frankfurt am Main, Urteil v. 03.02.2010, Az.:29 C 2088/09).

Sicherheitsbehörden als Dritte

Entscheidungen des Luftverkehrsmanagements, d.h. insbesondere der Flugsicherung, sind ebenfalls Handlungen Dritter, auf welche die Fluggesellschaft keinen Einfluss hat. Solche Handlungen, Anordnungen und Entscheidungen stellen daher regelmäßig von außen kommende, nicht beherrschbare Umstände dar. Es handelt sich folglich um außergewöhnliche Umstände.

Passagiere als Dritte

Handlungen Passagiere außergewöhnlicher Umstand

Handlungen von Fluggästen können den reibungslosen Ablauf des Flugbetriebes stören. Insbesondere kann durch deren Verhalten ein Zwischenfall ausgelöst werden, welcher den Start verzögert. Dabei ist problematisch, ob daraus ein außergewöhnlicher Umstand resultiert. Wenn man bedenkt, dass Passagiere in der Regel völlig unabhängig von der Fluggesellschaft sind und deren Verhalten eigenverantwortlich steuern, erscheint es sachgemäß davon auszugehen, dass deren unbilliges Verhalten einen außergewöhnlichen Umstand begründen kann. So entschied auch das Amtsgericht Frankfurt in einem Fall, bei dem sich ein Passagier besonders aggressiv verhielt. In diesem Fall zeigte der Fluggast während des Fluges Aggressionen, weshalb des Flugzeug sicherheitshalber gelandet werden musste. In der Folge kam es zu Verspätungen. Das Amtsgericht ging eben deshalb von einem außergewöhnlichen Umstand aus, da das Verhalten in keinerlei mit der Airline in Verbindung zu bringen war. Das sei nur dann nicht der Fall, wenn schon vor Abflug erkennbar war, dass der Passagier stark alkoholisiert ist und deswegen mit aggressivem Verhalten gerechnet werden kann. Andere Fallbeispiele sind zum Beispiel das Öffnen der Notrutsche durch Passagiere. Ein solche Verhalten ist zwar unerwartet, allerdings müsse man damit rechnen, weshalb ein außergewöhnlicher Umstand nicht bejaht wurde (AG Rüsselsheim, Urt. v. 20.07.2010, Az. 3 C 1316/09). Ein Passagier, der einen medizinischen Notfall erleidet, stellt in der Regel immer einen außergewöhnlichen Umstand dar. Die Airline dürfe nicht dafür bestraft werden, dass ihre Mitarbeiter ordnungsgemäß geholfen haben. Gerade im Hinblick, dass ein Unterlassen der Hilfe unter Umständen strafbar sein kann, erscheint das sachgerecht. Das Luftfahrtunternehmen darf nicht dadurch, dass dessen Mitarbeiter ein Verhalten zeigen, dessen Unterlassen unter Strafe stehen würde, bestraft werden.

  • Unsachgemäßes Verhalten als außergewöhnliche Umstände

Gelegentlich kommt es vor, dass durch das unsachgemäße Verhalten einzelner Passagiere im Flugzeug ein Zwischenfall ausgelöst wird, welcher den Start verzögert. Ob sich damit ein außergewöhnlicher Umstand begründen lässt, ist ebenfalls umstritten. Sollte es vorkommen, dass sich ein Fluggast an Board aggressiv verhält und das Flugzeug daraufhin sicherheitshalber gelandet werden muss, kann von einem entlastenden außergewöhnlichen Umstand für das Luftfahrtunternehmen ausgegangen werden, AG Frankfurt, Urteil vom 08.06.2016, Az. 31 C 397/16-17. Begründet werden kann dies mit der Annahme, dass der Passagier eigenverantwortlich handelte und von der Airline völlig unabhängig war. Daher konnte sein Handeln auch nicht mit der Airline in Verbindung gebracht werden. Insofern ist der Ausschlussgrund nur dann gerechtfertigt, wenn nicht schon vor Abflug erkennbar war, dass der Passagier betrunken war oder anderweitig aggressives Verhalten gezeigt hat. An anderer Stelle wurde dagegen entschieden, dass das unerwartete Auslösen der Notrutsche kein außergewöhnlicher Umstand sein soll. Zur Begründung wurde angeführt, dass ein solcher Fall zwar nicht alltäglich ist, aber er dennoch gelegentlich vorkommt. Folglich müsse eine Airline zumindest damit rechnen, dass die Notrutsche unerwartet (durch Passagiere) ausgelöst wird. Damit ist ein solcher Umstand nicht mehr außergewöhnlich. Bei einem medizinischen Notfall ist in der Regel von einem außergewöhnlichen Umstand auszugehen.

  • Auslösen der Notrutsche als außergewöhnlicher Umstand

Kann ein Flug nicht pünktlich abfliegen, weil der Passagier während der Vorbereitung des Startvorgangs durch Ziehen des Verriegelungshebels die Notrutsche über der Tragfläche des Flugzeugs ausgelöst hat, woraufhin der Flug abgebrochen werden musste, so handelt es sich um einen außergewöhnlichen Umstand. Das eigenverantwortliche Handeln eines Dritten - auch eines Flugpassagiers - stellt einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Art. 5 Abs. 3 VO (EG) Nr. 261/2004 dar. In Erwägungsgrund 14 der Verordnung wird erkennbar, dass der Verordnungsgeber bei den haftungsausschließenden außergewöhnlichen Umständen ersichtlich solche im Blick hatte, die außerhalb der Sphäre des Luftfahrtunternehmens liegen und sich dessen Beherrschung entziehen. Das eigenverantwortliche Auslösen der Notrutsche durch einen Fluggast ist kein typisches und in Ausübung der betrieblichen Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens vorkommendes Ereignis. Das Geschehen stellt in der kommerziellen Fluggastbeförderung vielmehr eine absolute Ausnahme dar. Es ist für eine Airline auch nicht beherrschbar, da die Flugzeugbesatzung einem Fluggast im Hinblick auf die Flugsicherheit zwar konkrete Anordnungen erteilen, diesen freilich aber nicht in einer Weise kontrollieren kann, die eigenverantwortliche Störungen des Ablaufs durch den Fluggast vollständig ausschließt. Das Verhalten eines Fluggastes ist auch nicht der besonderen Risikosphäre des Luftfahrtunternehmens zuzuordnen oder ihr auf andere Weise zuzurechnen. Eine Fluggesellschaft stehen keine zumutbaren Maßnahmen zur Verfügung, um das Auslösen der Notrutsche durch den Fluggast zu verhindern. Eine - über die gesetzlichen Informationspflichten hinausgehende - Anweisung an die Flugpassagiere, es ohne besonderen Anlass zu unterlassen, während der Vorbereitungen des Startvorgangs die gesondert gesicherte Notrutsche des Flugzeugs über den nicht ohne Weiteres zu überwindenden Verriegelungsmechanismus auszulösen, ist nicht geboten (vgl. AG Rüsselsheim, Urt. v. 11.07.2012, 3 C 497/12 (36)).

  • Verspätetes- oder Nichterscheinen eines Passagiers

Das Nichterscheinen eines bereits eingecheckten Passagiers beim Boarding stellt keinen außergewöhnlichen Umstand dar. Dies ist ein typisches Risiko beim Betrieb eines Verkehrsfluges. Genauso verhält es sich auch, wenn das bereits eingecheckte Gepäck dann wieder aus dem Flugzeug entladen werden muss. Vielmehr handelt es sich bei diesem Vorgang um einen gewöhnlichen und häufig vorkommenden Umstand, der üblicherweise mit dem Ablauf der Personenbeförderung im Luftverkehr verbunden ist oder verbunden sein kann. Somit liegt kein außergewöhnlicher Umstand vor. Das Flugunternehmen muss alle ihr zumutbaren Maßnahmen treffen, den Gast noch rechtzeitig zu befördern. Dazu gehören ausreichende Zeitreserven im Rahmen der Rotationskette des Flugzeuges, oder etwa die Passagiere mit einem vorrangigem Anschlussflug vorrangig zu behandeln und diese direkt zu ihrem Flug zu bringen.

Gegenstände außergewöhnlicher Umstand

Zum anderen kann es auch durch mitgeführte Gegenstände von Passagieren zu Zwischenfällen kommen, die eine Verspätung oder Annullierung zur Folge haben. Auch durch von Passagieren mitgeführte Gegenstände können Gefahren für den Betriebsablauf entstehen, die durch die Fluggesellschaft nicht beherrschbar sind. Dies ist etwa der Fall, wenn die Powerbank (mobiler Ersatz-Akku für Smartphones) eines Passagiers plötzlich in Brand gerät. Kommt es zu einem solchen Brand, der zu einer starken Rauch- und Geruchsentwicklung in der Kabine führt, ist fraglich, wie die Verantwortlichkeit für die Verursachung einzuordnen ist. Der Schwelbrand einer Powerbank ist ein Ereignis, das nicht der gewöhnlichen Tätigkeit der Fluggesellschaft zuzuordnen ist und aufgrund seiner Natur oder Ursache von diesem nicht beherrscht werden kann. Auch der Brand eines Handyakkus während des Fluges kann nicht der Betriebsgefahr des Flugzeugs, die in den Verantwortungsbereich der Fluggesellschaft fällt, zugerechnet werden. Ein Verbot für die Passagiere, solche Ersatz-Akkus mit an Bord zu nehmen, wäre wegen der inzwischen allgemeinen Üblichkeit der ständigen Verfügbarkeit von Mobiltelefonen unzumutbar. Daher stellt der Brand der Powerbank einen außergewöhnlichen Umstand dar, der sich auch dann nicht hätte vermeiden lassen können, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Ein Schwelbrand, ausgelöst zum Beispiel durch die Powerbank eines Passagiers, welcher dann zu einer Flugverspätung führt, stellt einen außergewöhnlichen Umstand dar. Die maßgebliche Frage ist also immer die nach der Zuordnung zur gewöhnlichen Tätigkeit der Fluggesellschaft.

Rechtsprechung

Gericht, Datum Aktenzeichen Zusammenfassung (siehe Reiserecht-Wiki)
EuGH, Urteil vom 14.11.2014 C-394/14
  • Im vorliegenden Fall wurden dem Europäischen Gerichtshof Fragen zur Auslegung der Fluggastverordnung in Bezug auf außergewöhnliche Umstände vorgelegt. Die Kläger buchten bei dem beklagten Luftfahrtunternehmen Condor einen Flug. Als dieser starten sollte, kam es zu einer Kollision mit einem Treppenfahrzeug. Der Flügel des Flugzeug wurde dabei beschädigt und das Flugzeug musste ersetzt werden. Die Kläger kamen erst mit einer erheblichen Verspätung am Zielort an. Sie verlangen folglich eine Ausgleichszahlung gemäß der Fluggastverordnung, welche ihnen nicht zusteht, wenn die Kollision ein außergewöhnlicher Umstand ist, der Condor vor einer Inanspruchnahme befreien würde.
  • Technische Probleme, wie hier, können nur zu außergewöhnlichen Umständen gezählt werden, wenn sie auf Vorkommnisse zurückzuführen seien, die nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sei und aufgrund seiner Natur oder Ursache von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sei.
  • Eine Kollision mit einem Treppenfahrzeug sei demnach kein außergewöhnlicher Umstand im Sinne der Fluggastverordnung. Treppenfahrzeuge die es Fluggästen ermöglichen, in das Flugzeug ein- und auszusteigen, werden bei der Beförderung von Fluggästen regelmäßig eingesetzt. Das Luftfahrtunternehmen sei somit täglich mit Komplikationen konfrontiert, die sich beim Einsatz solcher Treppenfahrzeuge ergeben. Es sei damit Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens.
LG Darmstadt, Urteil vom 23.05.2012 7 S 250/11
  • Die Kläger hatten bei der Beklagten einen Flug von Sansibar nach Frankfurt am Main gebucht. Dieser Flug konnte jedoch nicht durchgeführt werden, da der Pilot kurzzeitig erkrankt ist. Das beklagte Luftfahrtunternehmen, das den Flug ausführen sollte, zahlte an die Kläger lediglich einen Teil der Ausgleichssumme, die den Klägern nach deren Ansicht gemäß der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 zustünde. Die Kläger fordern nun die Zahlung des Restbetrages.
  • Die Beklagte beruft sich auf einen haftungsbefreienden außergewöhnlichen Umstand im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 261/2004. Die Beklagte habe keinen Einfluss auf den Gesundheitszustand der Crew-Mitglieder und das Beschaffen eines Ersatzpiloten sei unwirtschaftlich und könne für dieser nicht erwartet werden.
  • Das Landgericht Darmstadthält die Klage für begründet und verurteilt die Belagte dazu, den Klägern die geforderten Ausgleichszahlungen zu zahlen. Die Beklagte habe keine Umstände vorgetragen, wonach die Verspätung auf einen außergewöhnlichen Umstand gem. Art. 5 Abs. 3 der EG-VO zurückging, der sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.
  • Die Erkrankung eines Mitarbeiters gehöre zum allgemeinen Risiko eines jeden Arbeitgebers, mit dem er für den normalen Betriebsablauf seines Unternehmens zu rechnen habe. Eine solche Erkrankung könne demnach nicht als außergewöhnlicher Umstand gem. Art. 5 Abs. 3 der EG-VO gewertet werden und es liegt folglich kein haftungsbefreiender Umstand vor.
AG Frankfurt, Urteil vom 08.06.2016 31 C 397/16
  • Die Kläger haben bei der beklagten Fluggesellschaft einen Flug gebucht. Dieser Flug startete wie pünktlich in L. Eine Passagierin brachte unangemeldet ihre Katze mit in die Kabine, welche dort frei herumlief. Als die Katze entdeckt wurde wurde der Passagierin mitgeteilt die Katze in ihrer Handtasche zu behalten. Die Katze verließ jedoch die Handtasche und lief wieder in der Kabine herum.
  • Die Besatzung des Flugzeuges vereinbarte mit der Passagierin die Katze in einem Waschraum einzusperren und versorgen zu lassen. Nach dem Start war die Besitzerin nicht damit einverstanden und wurde gewalttätig, trat gegen die Waschraumtür, schlug eine Flugbegleiterin und drohte das Flugzeug abstürzen zu lassen. Sie sagte außerdem sie gehöre zur Mafia und habe terroristische Absichten.
  • Der Pilot entschied daher eine Zwischenlandung durchzuführen um die gewalttätige Passagierin von Bord zu bringen. Aufgrund der Zwischenlandung waren Kontrollen am Flugzeug notwendig bevor der Flug weitergehen konnte und der Flug kam mit 24 Stunden Verspätung in F. an.
  • Die Kläger verklagten die Fluggesellschaft auf das Zahlen einer Ausgleichsleistng in Höhe von jeweils 600,00 € nebst Zinsen.
  • Das AG Frankfurt urteilt, dass die Handlungen der Passagierin einen außergewöhnlichen Umstand darstellten, welcher eine Zwischenlandung erzwungen hat um die Sicherheit des Personals, der Fluggäste und somit auch der Kläger zu gewährleisten. Entlastend ist hier auch, dass das Personal eine Vereinbarung bei Entdeckung der Katze traf sie im Waschraum einzusperren, sich die Katzenbesitzerin einsichtig zeigte und es nicht zu erwarten war, dass sie nach Start des Flugzeugs gewalttätig werden würde. Es wurden somit alle zumutbaren Maßnahmen getroffen um eine Verspätung zu vermeiden.
  • Das AG Frankfurt hat die Klage abgewiesen.
AG Rüsselsheim, Urteil vom 20.07.2010 3 C 1316/09
  • Vorliegend buchte der Kläger bei der Beklagten einen Flug von D Hurghada nach H, wodurch die Parteien einen Luftbeförderungsvertrag schlossen. Dieser Flug hatte eine Verspätung von insgesamt 23 Stunden aufgrund eines technischen Defekts. Die Beklagte führt an, dass sich durch unerklärliche Weise die Notrutsche löste, was bisher noch nie, allenfalls höchst selten vorgekommen sei.  Der Kläger verlangt nun von der Beklagten eine Ausgleichszahlung wegen Flugverspätung nach der Fluggastverordnung.
  • Das Amtsgericht Rüsselsheim sprach dem Kläger einen Anspruch auf Ausgleichzahlung nach der Fluggastverordnung zu. Wenn der Flug mehr als 3 Stunden Verspätung hatte, steht den Fluggästen ebenso ein Ausgleichsanspruch zu, wie bei einer Flugannullierung. Hier erlitten die Fluggäste einen Zeitverlust von 23 Stunden durch den verspäteten Flug, wodurch die Voraussetzung somit erfüllt ist.
  • Mithin begründet der hier vorliegende technische Defekt keinen außergewöhnlichen Umstand im Sinne der VO, die das Luftfahrtunternehmen von einer Inanspruchnahme befreien könnte. Dies gilt auch dann, wenn das Luftfahrtunternehmen alle vorgeschriebenen oder sonst bei Beachtung der erforderlichen Sorgfalt gebotenen Wartungsarbeiten frist- und ordnungsgemäß ausgeführt hat.

Siehe auch