Schlussanträge des Generalanwalts Pedro Cruz Villalón vom 17. Februar 2011 (Rechtssache C‑120/10)

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SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

PEDRO CRUZ VILLALÓN

vom 17. Februar 2011

Rechtssache C‑120/10

European Air Transport SA

gegen

Collège d'Environnement de la Région de Bruxelles-Capitale,

Région de Bruxelles-Capitale

(Vorabentscheidungsersuchen des Conseil d'État [Belgien])


„Luftverkehr – Richtlinie 2002/30/EG – Begriff ‚Betriebsbeschränkungen‘ – Geräuschemissionsgrenzwerte, die beim Überfliegen von Wohngebieten in der Umgebung von Flughäfen einzuhalten sind – Möglichkeit des Erlasses nationaler Vorschriften für den Lärmpegel am Boden – Verhältnis zur Richtlinie 2002/49/EG – Abkommen über die Internationale Zivilluftfahrt – Grundrechte – Art.7, 37 und 53 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und der Mitgliedstaaten zum Schutz vor Lärmbelästigung

1. Belästigungen durch Flughäfenlärm gehören zu den umweltpolitischen Herausforderungen, die die städtischen Ballungsgebiete am stärksten belasten. Die damit zusammenhängenden Interessenkonflikte sind nicht weniger bedeutsam: Es stehen sich – ohne erschöpfend sein zu wollen – der Luftverkehr, der Fluss von Waren und Personen und die Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten auf der einen und der Schutz der Umwelt und der öffentlichen Gesundheit auf der anderen Seite gegenüber.

2. Die vorliegende Rechtssache gibt dem Gerichtshof zum ersten Mal Gelegenheit, zu diesem Spannungsverhältnis Stellung zu nehmen. Der belgische Conseil d’État hat vier Vorlagefragen vorgelegt, in denen er seine Zweifel an der Vereinbarkeit einer regionalen Regelung zur Bekämpfung der Lärmbelästigung durch Flugzeuge, die den Flughafen Brüssel-Zaventem benutzen, mit der Richtlinie 2002/30/EG über Regeln und Verfahren für lärmbedingte Betriebsbeschränkungen auf Flughäfen der Gemeinschaft darlegt. Die zentrale Frage des Falls geht letztlich dahin, wie weit die sogenannten „Betriebsbeschränkungen“ reichen.

3. Jedoch hat der Gerichtshof bei seiner Auslegung den weiteren Zusammenhang zu berücksichtigen, in dem die Rechtssache angesiedelt ist. Hervorzuheben ist, dass die Richtlinie neben anderen Instrumenten des internationalen und des abgeleiteten Lärmschutzrechts einschließlich des Rechts zur Bekämpfung von Flughafenlärm steht. Darüber hinaus schützen der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR) sowie die Verfassungsgerichte und die obersten Gerichtshöfe der Mitgliedstaaten die Bürger, die in der Umgebung von Flughäfen wohnen. Dieser Umstand wird durch die Art. 7 und 37 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union noch verstärkt. Daher geht es bei der Auslegung des Begriffs „Betriebsbeschränkung“ nicht einfach um die Auslegung eines Begriffs des abgeleiteten Rechts, sondern um eine Operation voller Schwierigkeiten, mit der wir uns, wie im Folgenden darzustellen sein wird, auf besonders heikles Terrain begeben.

I – Unionsrechtlicher Rahmen

4. Mit dem Ziel, den Umweltschutz zu verbessern und zu gewährleisten, dass sich die Luftverkehrsbranche in einem kohärenten Rahmen innerhalb der Politiken der nachhaltigen Entwicklung entfaltet, erließ die Gemeinschaft auf der Grundlage von Art. 80 Abs. 2 EG die Richtlinie 2002/30 über Regeln und Verfahren für lärmbedingte Betriebsbeschränkungen auf Flughäfen der Gemeinschaft. Das Umweltschutzziel der Richtlinie wird durch den ersten Erwägungsgrund veranschaulicht, nach dem „Hauptziel der gemeinsamen Verkehrspolitik … eine langfristig tragbare Entwicklung“ ist.

5. Spezifischer Gegenstand der Harmonisierung durch die Richtlinie 2002/30 sind die sogenannten „Betriebsbeschränkungen“, die die Flughäfen der Union Flugzeugen, die auf ihnen starten und landen, aus Lärmschutzgründen auferlegen müssen. Die Gefahr, dass sich die Betriebsbeschränkungen zwischen den Mitgliedstaaten unterscheiden und dadurch der freie Verkehr behindert wird, ist der Hauptgrund für die Harmonisierung durch die Richtlinie 2002/30.

6. Art. 2 Buchst e der Richtlinie definiert „Betriebsbeschränkungen“ folgendermaßen:

„e) ‚Betriebsbeschränkung‘ ist eine lärmrelevante Maßnahme zur Begrenzung oder Reduzierung des Zugangs ziviler Unterschallflugzeuge zu einem Flughafen. Darin eingeschlossen sind Betriebsbeschränkungen, durch die knapp die Vorschriften erfüllende Luftfahrzeuge von bestimmten Flughäfen abgezogen werden sollen, sowie partielle Betriebsbeschränkungen, die den Betrieb ziviler Unterschallflugzeuge je nach Zeitraum einschränken.“

7. Art. 4 der Richtlinie 2002/30 enthält die allgemeinen Regeln, die auf sämtliche Betriebsbeschränkungen anzuwenden sind. Unter ihnen hebt sich wegen ihrer Bedeutung für die vorliegende Rechtssache die in Abs. 4 vorgesehene Regelung ab:

„Artikel 4

Allgemeine Lärmschutzregeln für Luftfahrzeuge

  • (1) Die Mitgliedstaaten beschließen einen ausgewogenen Ansatz bei der Lösung von Lärmproblemen auf Flughäfen ihres Gebiets. Sie können ferner wirtschaftliche Anreize für Lärmschutzmaßnahmen prüfen.
  • (2) Plant eine zuständige Behörde Betriebsbeschränkungen, so berücksichtigt sie die voraussichtlichen Kosten und den wahrscheinlichen Nutzen der verschiedenen möglichen Maßnahmen sowie die Besonderheiten des Flughafens.
  • (3) Die aufgrund dieser Richtlinie getroffenen Maßnahmen oder Maßnahmenpakete sind nicht restriktiver, als es zur Verwirklichung der für einen bestimmten Flughafen festgelegten Umweltziele notwendig ist. Sie stellen keine Diskriminierung wegen der Nationalität oder Identität des Luftfahrtunternehmens oder des Luftfahrzeugherstellers dar.
  • (4) Für leistungsbedingte Betriebsbeschränkungen ist von dem Lärmwert des Luftfahrzeugs auszugehen, der durch das gemäß Band I des Anhangs 16 des Abkommens über die Internationale Zivilluftfahrt, dritte Ausgabe (Juli 1993), durchgeführte Bescheinigungsverfahren ermittelt wurde.“

8. Durch die Art. 5 und 6 der Richtlinie werden Maßnahmen zur Harmonisierung der Regelung über die Ausarbeitung von der Richtlinie unterliegenden Betriebsbeschränkungen eingeführt.

„Artikel 5

Prüfung

  • (1) Bei der Prüfung einer Entscheidung über Betriebsbeschränkungen werden die im Anhang II genannten Informationen berücksichtigt, soweit dies für die betreffenden Betriebsbeschränkungen und die Merkmale des Flughafens angemessen und möglich ist.
  • (2) Müssen Flughafenprojekte gemäß der Richtlinie 85/337/EWG einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden, wird bei einer gemäß jener Richtlinie vorgenommenen Prüfung davon ausgegangen, dass sie die Anforderungen des Absatzes 1 erfüllt, sofern bei der Prüfung soweit möglich die im Anhang II genannten Informationen berücksichtigt werden.

Artikel 6

Betriebsbeschränkungen mit dem Ziel eines Abzugs von knapp die Vorschriften erfüllenden Luftfahrzeugen

  • (1) Ergibt die im Einklang mit den Vorschriften des Artikels 5 durchgeführte Prüfung aller möglichen Maßnahmen, dass, nachdem partielle Betriebsbeschränkungen in Betracht gezogen worden sind, zur Erreichung der Ziele dieser Richtlinie Betriebsbeschränkungen mit dem Ziel eingeführt werden müssen, knapp die Vorschriften erfüllende Luftfahrzeuge auszuschließen, gelten für den betreffenden Flughafen statt des in Artikel 9 der Verordnung (EWG) Nr. 2408/92 vorgesehenen Verfahrens folgende Vorschriften:
    • a) Sechs Monate nach Abschluss der Prüfung und dem Beschluss, den Betrieb zu beschränken, werden auf dem betreffenden Flughafen keine im Vergleich zur entsprechenden Vorjahresperiode zusätzlichen Dienste mit knapp die Vorschriften erfüllenden Luftfahrzeugen mehr zugelassen.
    • b) Frühestens sechs Monate danach kann von jedem Betreiber verlangt werden, die Zahl der Flugbewegungen seiner nur knapp die Vorschriften erfüllenden Luftfahrzeuge, die den betreffenden Flughafen anfliegen, um jährlich bis zu 20 % der ursprünglichen Gesamtzahl an Flugbewegungen zu reduzieren.
  • (2) Vorbehaltlich der Prüfungsvorschriften des Artikels 5 können auf den Stadtflughäfen des Anhangs I strengere Maßnahmen hinsichtlich der Begriffsbestimmung der knapp die Vorschriften erfüllenden Luftfahrzeuge eingeführt werden, sofern diese Maßnahmen nicht zivile Unterschallstrahlflugzeuge betreffen, die laut ihrer ursprünglichen Bescheinigung oder ihrer Neubescheinigung den Lärmstandards des Bands I Teil II Kapitel 4 des Anhangs 16 des Abkommens über die internationale Zivilluftfahrt entsprechen.“

9. Art. 7 der Richtlinie regelt ihren zeitlichen Anwendungsbereich und sieht vor, dass Art. 5 für „Betriebsbeschränkungen, die bereits vor Inkrafttreten dieser Richtlinie erlassen worden sind“, nicht gilt.

10. In Anhang I der Richtlinie sind die Flughäfen aufgeführt, die als „Stadtflughäfen“ eingestuft werden. In dieser Liste ist der Flughafen Brüssel-Zaventem nicht enthalten.

11. Die Richtlinie 2002/30 trat am 28. März 2002 in Kraft, die Frist für ihre Umsetzung durch die Mitgliedstaaten lief am 28. September 2003 ab.

12. Wenige Monate nach Erlass der Richtlinie 2002/30 erließ der Gemeinschaftsgesetzgeber auf der Grundlage des Art. 175 Abs. 1 EG die Richtlinie 2002/49/EG über die Bewertung und Bekämpfung von Umgebungslärm. Wenngleich sie nicht ausdrücklich auf die Richtlinie 2002/30 Bezug nimmt, werden in Art. 1 ihre Ziele genannt und es wird festgestellt, dass sie „auch eine Grundlage für die Einführung von Gemeinschaftsmaßnahmen zur Lärmminderung bei den wichtigsten Lärmquellen darstellen [soll]; dies sind insbesondere Straßen- und Schienenfahrzeuge und -infrastruktureinrichtungen, Flugzeuge, Geräte, die für die Verwendung im Freien vorgesehen sind, Ausrüstung für die Industrie sowie ortsbewegliche Maschinen“ (Hervorhebung nur hier).

13. In Art. 3 Buchst. a der Richtlinie 2002/49 ist der Begriff „Umgebungslärm“ definiert als „unerwünschte oder gesundheitsschädliche Geräusche im Freien, die durch Aktivitäten von Menschen verursacht werden, einschließlich des Lärms, der von … Flugverkehr … ausgeht“. Zur Lärmbekämpfung in sensiblen Zonen schafft die Richtlinie durch Planungsinstrumente – strategische Lärmkarten, Aktionspläne und akustische Planung – drei Interventionsstufen. Daneben wird eine Regelung zur Harmonisierung der Lärmexpositionsgrenzen getroffen, die gemäß Art. 3 Buchst. s „je nach Lärmquellen (Straßenverkehrs-, Eisenbahn-, Flug-, Industrie- und Gewerbelärm usw.), Umgebung, unterschiedlicher Lärmempfindlichkeit der Bevölkerungsgruppen sowie nach den bisherigen Gegebenheiten und neuen Gegebenheiten (Änderungen der Situation hinsichtlich der Lärmquelle oder der Nutzung der Umgebung) unterschiedlich sein“ können.

14. Die Richtlinie 2002/49 trat am 18. Juli 2002 in Kraft, die Frist für ihre Umsetzung durch die Mitgliedstaaten lief am 18. Juli 2004 ab.

15. Die Art. 7 und 37 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union lauten:

„Artikel 7

Achtung des Privat- und Familienlebens

Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung sowie ihrer Kommunikation.

Artikel 37

Umweltschutz

Ein hohes Umweltschutzniveau und die Verbesserung der Umweltqualität müssen in die Politik der Union einbezogen und nach dem Grundsatz der nachhaltigen Entwicklung sichergestellt werden.“

16. In den Erläuterungen des Präsidiums des Konvents zur Charta wird hervorgehoben, dass sich Art. 37 „stützt … auf die Artikel 2, 6 und 174 EGV [ersetzt durch Art. 3 Abs. 3 des Vertrags über die Europäische Union sowie die Art. 11 und 191 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union]. Er lehnt sich auch an Verfassungsbestimmungen einiger Mitgliedstaaten an.“

II – Nationaler rechtlicher Rahmen

17. Die belgische Verfassung weist die Zuständigkeit für die Gesetzgebung und den Gesetzesvollzug auf dem Gebiet des Luftverkehrs einschließlich der Flughäfen der Föderalregierung zu, während die Regionen die – ebenfalls legislativen und exekutiven – Befugnisse für den Umweltschutz innehaben. Art. 23 Abs. 4 der Verfassung gewährleistet das Recht auf Umweltschutz.

18. Die belgischen Regionen sind zuständig für die Verwaltung der in ihrem Gebiet gelegenen Flughäfen, mit Ausnahme des Flughafens Brüssel-Zaventem, der in die Zuständigkeit der Föderalregierung fällt.

19. Durch Verordnung vom 17. Juli 1997 regelte die Regierung der Region Brüssel-Hauptstadt im Rahmen ihrer Zuständigkeiten auf dem Gebiet des Umweltschutzes den Lärmschutz in Wohngebieten. Zur Durchführung der Verordnung erging am 27. Mai 1999 der Erlass über die Bekämpfung der durch den Luftverkehr verursachten Lärmbelästigung, der den Lärmhöchstpegel festlegt, der beim Überflug von Flugzeugen über die Region Brüssel-Hauptstadt verursacht werden darf.

20. Art. 2 des Erlasses legt den Lärmpegel fest, ab dem der Überflug eines Flugzeugs die Festsetzung einer Geldbuße rechtfertigt. Die Festsetzung der Geldbuße richtet sich nach folgenden Kriterien:

  • Lärmpegel in dB, gemessen am Boden und nicht an der Quelle;
  • Überflugszone;
  • Zeitnische.

21. Dieses mit der Verordnung vom 17. Juli 1997 und dem Erlass vom 27. Mai 1999 über die Bekämpfung der durch den Luftverkehr verursachten Lärmbelästigung eingeführte System wurde vom belgischen Conseil d’État für verfassungsgemäß erklärt. In seinem Urteil vom 9. Mai 2006 stellte das oberste Verwaltungsgericht fest, dass die Bekämpfung des durch Flugzeuge verursachten Lärms in die Zuständigkeiten der Föderation für das Verkehrswesen fällt, während für den Umgebungslärm einschließlich des von Flugzeugen ausgehenden Lärms die Regionalbehörden zuständig sind.

22. Die Region Brüssel-Hauptstadt hat zwar in Erfüllung der Richtlinie 2002/49 einen Aktionsplan vorgelegt, der aber nicht für den Flughafen Brüssel-Zaventem gilt, für den ein spezieller von den zuständigen Behörden ausgearbeiteter Plan fehlt.

III – Sachverhalt und Verfahren vor den nationalen Gerichten

23. Der Flughafen Brüssel-Zaventem liegt zwar im Gebiet der Region Flandern, doch überfliegen die dort betriebenen Flüge auch in sehr geringer Höhe die Region Brüssel-Hauptstadt. Wie in Nr. 17 dieser Schlussanträge vorausgeschickt wurde, ist die Föderalregierung für den Betrieb dieses Flughafens zuständig. Aufgrund dessen sind drei belgische Verwaltungen unmittelbar aktiv oder passiv von Flügen betroffen, die auf dem Flughafen Brüssel-Zaventem starten, landen oder zwischenlanden. Die Verfahrensbeteiligten haben betont, dass die dargestellten Umstände auf eine lange und komplexe politische und institutionelle Auseinandersetzung zurückgehen, in deren Verlauf es auch zu Prozessen vor den nationalen Gerichten kam.

24. European Air Transport (im Folgenden: EAT) ist eine Fluggesellschaft, die zur DHL-Gruppe gehört und Frachtflüge durchführt, die auf dem Flughafen Brüssel-Zaventem starten, landen und zwischenlanden. Am 24. November 2006 leitete das Institut Bruxellois de Gestion de l’Environnement (im Folgenden: IBGE), die regionale Einrichtung für die Überprüfung der Einhaltung der Umweltbestimmungen, gegen EAT ein Verfahren wegen 62 innerhalb eines Monats begangener Verstöße gegen den regionalen Erlass vom 27. Mai 1999 ein. EAT wird vorgeworfen, die nachts von ihren Flugzeugen ausgegangenen Lärmemissionen hätten die dort festgelegten Werte überstiegen. EAT bringt vor, die regionalen Bestimmungen, gegen die sie verstoßen haben solle, seien rechtswidrig, da als Kriterium für die Lärmmessung der Lärmpegel am Boden statt an der Quelle herangezogen worden sei. EAT zufolge sei das Kriterium der Messung an der Quelle durch die internationalen Bestimmungen über den Luftverkehr und die Luftsicherheit zwingend vorgegeben.

25. Am 19. Oktober 2007 schloss das IGBE das Verfahren ab und setzte eine Geldbuße von 56 113 Euro gegen EAT fest. Diese Entscheidung wurde beim Collège d'environment (im Folgenden: Collège) angefochten. Diese Stelle bestätigte am 24. Januar 2008 die Entscheidung des IBGE.

26. EAT focht die Entscheidung des Collège beim Conseil d’État an, der zwei Vorabentscheidungsersuchen vorgelegt hat: das eine bei der Cour constitutionnelle und das andere beim Gerichtshof der Europäischen Union; Letzteres liegt der vorliegenden Rechtssache zugrunde.

IV – Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof

27. Am 5. März 2010 ist bei der Kanzlei des Gerichtshofs das Vorabentscheidungsersuchen des belgischen Conseil d’État eingegangen, mit dem die folgenden vier Fragen vorgelegt worden sind:

1. Ist der Begriff „Betriebsbeschränkung“ in Art. 2 Buchst. e der Richtlinie 2002/30/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. März 2002 über Regeln und Verfahren für lärmbedingte Betriebsbeschränkungen auf Flughäfen der Gemeinschaft dahin gehend auszulegen, dass er Vorschriften zur Festlegung von Grenzwerten für den Lärmpegel am Boden umfasst, die beim Überflug von Gebieten in der Umgebung eines Flughafens einzuhalten sind und bei deren Überschreitung dem Verursacher der Überschreitung eine Sanktion auferlegt werden kann, wobei die Luftfahrzeuge die Routen zu beachten und die Start- und Landeverfahren einzuhalten haben, die von anderen Verwaltungsbehörden ohne Berücksichtigung der Lärmgrenzwerte festgelegt werden?

2. Sind Art. 2 Buchst. e und Art. 4 Abs. 4 derselben Richtlinie dahin gehend auszulegen, dass es sich bei den „Betriebsbeschränkungen“ immer um „leistungsbedingte“ Beschränkungen handeln muss, oder lassen es diese Bestimmungen zu, dass andere Vorschriften, die den Schutz der Umwelt betreffen, den Zugang zu einem Flughafen auf der Grundlage von Grenzwerten für den Lärmpegel am Boden, die beim Überflug von Gebieten in der Umgebung des Flughafens einzuhalten sind und bei deren Überschreitung dem Verursacher der Überschreitung eine Sanktion auferlegt werden kann, beschränken?

3. Ist Art. 4 Abs. 4 derselben Richtlinie dahin gehend auszulegen, dass er es verbietet, dass neben leistungsbedingten Betriebsbeschränkungen, bei denen vom Lärmwert des Luftfahrzeugs auszugehen ist, in Vorschriften zum Schutz der Umwelt Grenzwerte für den Lärmpegel am Boden festgelegt werden, die beim Überflug von Gebieten in der Umgebung eines Flughafens einzuhalten sind?

4. Ist Art. 6 Abs. 2 derselben Richtlinie dahin gehend auszulegen, dass er es verbietet, dass in Vorschriften Grenzwerte für den Lärmpegel am Boden festgelegt werden, die beim Überflug von Gebieten in der Umgebung eines Flughafens einzuhalten sind und bei deren Überschreitung dem Verursacher der Überschreitung eine Sanktion auferlegt werden kann, wenn mit Flugzeugen, die den Standards des Bands I Teil II Kapitel 4 des Anhangs 16 des Abkommens über die Internationale Zivilluftfahrt entsprechen, möglicherweise gegen diese Vorschriften verstoßen wird?

28. Neben EAT haben das Collège, die französische Regierung und die Kommission innerhalb der in Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs bestimmten Frist schriftliche Erklärungen eingereicht.

29. An der mündlichen Verhandlung am 30. November 2010 haben die Vertreter von EAT und des Collège sowie der dänischen Regierungen und der Kommission teilgenommen.

V – Die in dieser Rechtssache untersuchten Vorlagefragen

30. Von den vier Fragen, die der Conseil d’État vorgelegt hat, sind meiner Ansicht nach nur die erste und die dritte zu beantworten.

31. Mit seiner zweiten Frage fragt der Conseil d’État nach der Auslegung einer Bestimmung der Richtlinie 2002/30 für den Fall, dass es sich bei der in Rede stehenden regionalen Regelung um eine „Betriebsbeschränkung“ handelt. Im Rahmen der Beantwortung der ersten und der dritten Frage werde ich darlegen, dass sich aus dem Wortlaut und den Zielen der Richtlinie 2002/30 ergibt, dass es sich bei den streitigen Maßnahmen gleichwohl nicht um „Betriebsbeschränkungen“ handelt.

32. Die vierte Vorlagefrage ist aus meiner Sicht ebenso wenig zu beantworten, da sie auf einem falschen Verständnis des Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2002/30 beruht, einer Bestimmung, die ausschließlich auf die sogenannten „Stadtflughäfen“ Anwendung findet. Der Flughafen Brüssel-Zaventem ist in der Liste in Anhang I der Richtlinie nicht aufgeführt und demzufolge gemäß Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 2002/30 kein „Stadtflughafen“. Daher ist Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2002/30 in der vorliegenden Rechtssache nicht anwendbar, so dass die vierte Vorlagefrage keiner Antwort bedarf.

VI – Zur ersten Vorlagefrage

33. Der belgische Conseil d’État fragt zunächst nach der genauen Tragweite des Begriffs „Betriebsbeschränkung“ in der Richtlinie 2002/30. Er fragt insbesondere, ob eine regionale Bußgeldbestimmung zur Ahndung von Überschreitungen bestimmter Grenzwerte für den Lärmpegel am Boden als „Betriebsbeschränkung“ im Sinne des Art. 2 Buchst. e der genannten Richtlinie zu betrachten ist.

34. Die Bestimmungen der Richtlinie 2002/30, die der Gerichtshof in diesem Verfahren auslegen muss, sind zweifellos mehrdeutig und zeugen von den technischen, wirtschaftlichen und politischen Schwierigkeiten, die der Problematik des Flughafenlärms zugrunde liegen. Die Anwendung traditioneller Auslegungskriterien führt zu einer partiellen und möglicherweise unvollständigen Antwort. Eine korrekte Lesart der Richtlinie 2002/30 erfordert daher eine Untersuchung ihrer Vorgeschichte, aber auch ihres allgemeinen rechtlichen Rahmens.

A – Die Vorgeschichte der Richtlinie 2002/30 und das Verfahren ihres Erlasses

35. Fluglärm ist die Ursache unzähliger nationaler, internationaler und – wie die vorliegende Rechtssache zeigt – auch europäischer Rechtsstreitigkeiten. Die auf dem Spiel stehenden wirtschaftlichen wie auch sozialen und politischen Interessen erschweren die Suche nach einer generellen Lösung. Es handelt sich außerdem um eine besonders schwerwiegende Problematik, insbesondere, wenn sie Wohngebiete im Umfeld von Flughäfen betrifft. Ein gutes Beispiel ist der Sachverhalt, der dem vorliegenden Fall zugrunde liegt.

36. Mit dem Ziel der Bekämpfung des von den Flughäfen der Union ausgehenden Lärms arbeitete die Kommission im Jahr 2001 einen Vorschlag für eine Richtlinie aus, die im Wesentlichen die Einführung einer gemeinsamen Regelung für den Erlass von lärmbedingten Betriebsbeschränkungen auf Flughäfen bezweckte. Die Kommission hatte den Zeitpunkt für ihre Initiative nicht zufällig gewählt: Im selben Jahr vollzog die International Civil Aviation Organization ( Internationale Zivilluftfahrtorganisation, im Folgenden: ICAO) eine wesentliche Änderung ihres Standpunkts zur Bekämpfung des von zivilen Luftfahrzeugen ausgehenden Lärms. Während bis dahin die im Rahmen der ICAO getroffenen Maßnahmen die technischen Voraussetzungen der Luftfahrt betrafen, beruht ihre Strategie seit dem Jahr 2001 auf dem sogenannten „ausgewogenen Ansatz“.

37. Der „ausgewogene Ansatz“ besteht darin, die Lärmproblematik in zwei Phasen anzugehen. Die erste ist zukunftsorientiert und konzentriert sich auf die Identifizierung der Lärmquellen in ihrer gesamten Bandbreite. Die zweite ist aktiv und verlangt die schrittweise Umsetzung von vier Arten von Maßnahmen: Reduzierung des Lärms an der Quelle, Flächennutzungsplanung, lärmmindernde Betriebsverfahren sowie Betriebsbeschränkungen. Die letztgenannte, die Betriebsbeschränkung, ist eine subsidiäre Maßnahme, die nur anzuwenden ist, wenn die anderen drei erschöpft sind.

38. Die Europäische Union ist nicht Mitglied der ICAO, wohl aber sind es die Mitgliedstaaten. Darüber hinaus erklären die Anstrengungen zur Koordinierung der Regulierung des Luftverkehrs, bei dem es sich um ein multinationales und daher auf gemeinsame Aktionen der Staaten auf internationaler Ebene angewiesenes Phänomen handelt, dass die im Rahmen der ICAO vereinbarten Bestimmungen praktisch in der ganzen Welt gelten. Die Europäische Union war in den letzten Jahren in derselben Richtung tätig und darum bemüht, dass die internationalen Luftverkehrsregeln in allen Mitgliedstaaten einheitlich oder zumindest harmonisiert umgesetzt werden. Im Sinne dieser Politik wurde die damalige Europäische Gemeinschaft in allen Bereichen des „ausgewogenen Ansatzes“, für die sie zuständig war, gesetzgeberisch tätig.

39. Hinsichtlich der Kontrolle des Lärms an seiner Quelle gab es schon im Jahr 2001 eine Gemeinschaftsregelung zu Emissionen von Flugzeugen, die schrittweise durch neue Maßnahmen angepasst wurde, mit denen die europäischen Bestimmungen an die Vorgaben der ICAO angeglichen wurden. Hinsichtlich der zukunftsorientierten Maßnahmen sowie im Hinblick auf die Flächennutzung wurde 2002 die Richtlinie 2002/49 über die Bewertung und Bekämpfung von Umgebungslärm erlassen, die spezielle Vorschriften für Flughäfen enthält. Der dritte Aspekt, den die Kommission in Angriff nahm, war der schwerwiegendste von allen: die Betriebsbeschränkungen, wozu die Kommission dem Rat und dem Europäischen Parlament im November 2001 den zuvor erwähnten Richtlinienvorschlag übermittelte.

40. In der Begründung des Entwurfs wird klargestellt, dass im Richtlinienvorschlag „die ICAO-Lärmschutzleitlinien umgesetzt und weiterentwickelt [werden], die von der 33. ICAO-Versammlung, die vom 25. September bis 5. Oktober 2001 in Montreal stattfand, gebilligt … wurden“. Nach diesen Leitlinien sind Betriebsbeschränkungen lärmrelevante Maßnahmen zur Begrenzung oder Reduzierung des Zugangs ziviler Flugzeuge zu einem Flughafen. Obwohl an keiner Stelle der Ausnahmecharakter der Betriebsbeschränkungen hervorgehoben wird, wird deutlich, dass die ursprüngliche Absicht der Kommission in der Reduzierung der Zahl derartiger Maßnahmen bestand. Die Folge einer Betriebsbeschränkung ist das vollständige oder teilweise Verbot des Zugangs zu einem Flughafen. Aus diesem Grund muss eine Betriebsbeschränkung, damit sie erlassen oder durchgeführt werden kann, auf objektive und zuverlässige Daten des von der Maßnahme betroffenen Flugzeugs gestützt werden. Die Kommission hat in ihrem Entwurf unterstrichen, dass diese objektiven und zuverlässigen Daten im Zusammenhang mit der Zulassung für Luftfahrzeuge zu erheben sind, eines Instruments zur allgemeinen Betriebsgenehmigung, das es ermöglicht, die technischen Eigenschaften eines jeden Flugzeugs zu katalogisieren.

41. Im Verfahren beim Europäischen Parlament erfuhr der Vorschlag der Kommission zwar keine großen Änderungen, war aber Gegenstand von Ergänzungen, durch die der Wortlaut den Leitlinien der ICAO stärker angenähert wurde. Der Ausschuss für Regionalpolitik, Verkehr und Fremdenverkehr machte den Vorschlag, der Richtlinie den geltenden Art. 4 Abs. 4 hinzuzufügen, nach dem Betriebsbeschränkungen auf dem Kriterium der Lärmmessung an der Quelle basieren müssen. Der Ausschuss für Umweltfragen bestätigte den Verbotscharakter der Betriebsbeschränkungen, beklagte aber, dass angesichts der gewählten Rechtsgrundlage – des früheren Art. 80 EG-Vertrag, der die Verkehrspolitik betraf – die Mitgliedstaaten nicht die Möglichkeit hätten, sich für strengere Standards zu entscheiden. Er räumte in seinem Bericht mithin ein, dass „Flugzeuge, die 5dB oder mehr unter der Norm für die in Kapitel 3 aufgeführten Flugzeuge bleiben, nie ausgeschlossen werden können“.

42. Den Debatten des Parlaments lässt sich entnehmen, dass die Initiative der Kommission zwei klare Adressaten hatte: die Flughäfen und die Flugzeuge. Erstere, weil sie verpflichtet sind, die Betriebsbeschränkungen anzuwenden, Letztere, weil sie die Maßnahme zu befolgen haben. Darüber hinaus ist es offensichtlich, dass die Debatte über die Betriebsbeschränkungen unter dem Gesichtspunkt des Verbots geführt wurde, also im Hinblick auf Maßnahmen, die bestimmte Flugzeuge betreffen und kategorisch deren Landung oder Start auf dem Flughafen, wo diese gelten, entgegenstehen. Zu keiner Zeit wurde die Möglichkeit in Betracht gezogen, eine Betriebsbeschränkung in Form einer Sanktionsregelung, eines Flächennutzungsplans oder spezieller Umweltschutzregelungen einzuführen. Tatsächlich hat der eingeschränkte Charakter des Richtlinienvorschlags einen Europaabgeordneten dazu veranlasst, das Parlament auf die Notwendigkeit hinzuweisen, einen ganzheitlichen Standpunkt zum Flughafenlärm einzunehmen, insbesondere in Anbetracht dessen, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte kurz zuvor sein Urteil in der Rechtssache Hatton/Vereinigtes Königreich erlassen hatte. Nach Ansicht dieses Abgeordneten würde mit dem Vorschlag die Problematik des Flughafenlärms keiner umfassenden Lösung zugeführt, und er forderte die Kommission daher auf, neue Initiativen in dieser Richtung zu ergreifen.

B – Der Begriff der „Betriebsbeschränkung“, wie er sich aus der Auslegung der Richtlinie 2002/30 ergibt

43. Die soeben geschilderte Vorgeschichte ist bei der Festlegung der genauen Tragweite der Richtlinie 2002/30 hilfreich. Wie nunmehr darzustellen ist, sieht die Richtlinie eine Regelung zur Kontrolle des Lärms vor, deren Anwendungsbereich auf ein Gebiet beschränkt ist, das nach einer genauen Eingrenzung verlangt. Die gesamte Konstruktion, die der Richtlinie 2002/30 zugrunde liegt, geht von dem Begriff der „Betriebsbeschränkung“ aus, auf dessen Grundlage Bestimmungen über ihren Erlass sowie ihre Wirkungen und Ausnahmen vorgesehen werden. Bei den „Betriebsbeschränkungen“ handelt es sich um eines der Elemente, die den zuvor erwähnten sogenannten „ausgewogenen Ansatz“ bilden. Der Bereich, der den „Betriebsbeschränkungen“ zugewiesen ist, darf sich daher nicht mit anderen Maßnahmen des von der ICAO empfohlenen „ausgewogenen Ansatzes“ überschneiden.

44. Davon ausgehend komme ich nun zur Untersuchung der verschiedenen Elemente, aus denen sich eine Betriebsbeschränkung zusammensetzt. Ich bin der Auffassung, dass eine derartige Maßnahme einen bestimmten Gegenstand sowie verschiedene Subjekte hat, die in der Richtlinie spezifiziert sind. Die soeben dargestellten Vorarbeiten ermöglichen es ebenfalls, den Inhalt eines jeden Elements zu konkretisieren. Nach der Betrachtung der Elemente, aus denen sich der Begriff der „Betriebsbeschränkung“ zusammensetzt, wird ihre Anwendung auf die in diesem Verfahren streitigen regionalen Brüsseler Maßnahmen vorgeschlagen, um die erste Frage zu beantworten.

1. Der Gegenstand der „Betriebsbeschränkung“

45. In Art. 2 Buchst. e der Richtlinie 2002/30 ist die Betriebsbeschränkung definiert als lärmrelevante Maßnahme „zur Begrenzung oder Reduzierung des Zugangs ziviler Unterschallflugzeuge zu einem Flughafen“. Sodann wird spezifiziert, dass es sich um vollständige Beschränkungen oder um partielle Beschränkungen handeln kann, die den Betrieb eines Flugzeugs „je nach Zeitraum“ einschränken.

46. Eine Maßnahme, die den „Zugang“ zu einem Flughafen „begrenzt“ oder „reduziert“, kann durch sehr heterogene Entscheidungen umgesetzt werden. So könnte der Begriff „Reduzierung“ des Zugangs im Sinne eines Hindernisses für den Zugang und nicht seines Verbots verstanden werden. Dadurch würde die „Begrenzung“ mit einem Verbot und die „Reduzierung“ mit einer Barriere gleichgesetzt, die den Zugang zwar erschwert, aber nicht verhindert. Die zweite Kategorie könnte Sanktionsmaßnahmen, schwer zu erfüllende technische Anforderungen, Gebühren oder unmittelbar oder mittelbar diskriminierende Steuern usw. umfassen.

47. Wenngleich eine solche Auslegung ausgehend vom Wortlaut des Art. 2 Buchst. e der Richtlinie 2002/30 nicht ausgeschlossen erscheint, führt eine tiefer gehende Untersuchung dieser Vorschrift doch zu einem anderen Ergebnis.

48. In der Bestimmung wird die „Betriebsbeschränkung“ definiert, und im Folgenden werden die beiden Varianten, unter denen sie auftreten kann, dargelegt: Auf der einen Seite spricht Art. 2 Buchst. e vom Abzug knapp die Vorschriften erfüllender Luftfahrzeuge von bestimmten Flughäfen, während er auf der anderen Seite partielle Maßnahmen nennt, die den Betrieb von Flugzeugen je nach Zeitraum einschränken. Beide Tatbestände stimmen mit den zuvor dargestellten Begriffen der „Begrenzung“ bzw. der „Reduzierung“ überein. Es scheint daher klar zu sein, dass Betriebsbeschränkungen, die den Zugang „begrenzen“, solche sind, die kategorisch den Zugang bestimmter Flugzeuge zu einem Flughafen verbieten, während Betriebsbeschränkungen, die den Zugang „reduzieren“, partiellen Charakter haben und den Zugang zeitweise begrenzen. In beiden Fällen zielt die Bestimmung immer auf ein Verbot des Zugangs zu einem Flughafen, sei es vollständig, sei es zeitweilig.

49. Darüber hinaus werden diese Verbote vorab und objektiv angeordnet und nur dann angewandt, wenn ein Flugzeug bestimmte Voraussetzungen erfüllt. Soweit die Betriebsbeschränkung eine Maßnahme darstellt, die vor und nicht nach der Benutzung eines Flughafens erlassen wird, basieren die Voraussetzungen für ihre Anwendung, die ausschließlich das Flugzeug betreffen, gewöhnlich auf international standardisierten Kriterien. Diese Standardisierung findet ihren praktischen Niederschlag in den Regeln über die Zulassung, die in der Mehrheit der Länder der Welt den Nachweis über die Erfüllung der gemeinsamen Vorschriften ermöglichen.

50. Meines Erachtens ist daher klar, dass eine „Betriebsbeschränkung“ im Sinne des Art. 2 Buchst. e der Richtlinie 2002/30 eine vorab zu treffende objektive Verbotsmaßnahme darstellt, die ein ziviles Unterschallflugzeug am Zugang zu einem Flughafen hindert. Inhaltlich besteht diese Maßnahme in einem ausdrücklichen Landeverbot. Folglich sind nachträglich ergangene repressive Maßnahmen wie eine auf Lärmemissionen anwendbare Sanktionsregelung keine „Betriebsbeschränkungen“.

51. Diese Auslegung wird durch die Vorgeschichte der Richtlinie 2002/30 bestätigt. Während der parlamentarischen Beratungen zu der Richtlinie traten mehrere Handelskonflikte zwischen der Europäischen Union und Drittstaaten zutage, die mehrheitlich ihren Grund im Einfrieren der Anflugrechte bestimmter Flugzeuge aus Drittstaaten hatten. Gegenstand der Richtlinie war es, den einige Monate zuvor im Rahmen der ICAO vereinbarten ausgewogenen Ansatz umzusetzen, indem die Kriterien für die Anwendung von Betriebsbeschränkungen auf europäischen Flughäfen flexibler gestaltet wurden. Im Rahmen des ausgewogenen Ansatzes sollten Betriebsbeschränkungen nicht auf jede Art von Maßnahmen, die sich auf den Luftverkehr auswirken, erstreckt werden, sondern eher im Gegenteil entsprechend den Empfehlungen der ICAO einzig und allein auf die Fälle begrenzt werden, in denen sie unverzichtbar sind. Der Ausnahmecharakter ergibt sich aus dem Verbots- und damit belastenden Charakter einer jeden Betriebsbeschränkun.

52. Andere Bestimmungen der Richtlinie 2002/30 bestätigen den Verbotscharakter der Betriebsbeschränkungen. Nach Art. 9, in dem die Freistellungen für einzelne Flüge unter außergewöhnlichen Umständen geregelt sind, können die Mitgliedstaaten „auf Flughäfen in ihrem Gebiet einzelne Flüge von knapp die Vorschriften erfüllenden Luftfahrzeugen, die auf der Grundlage anderer Bestimmungen [der] Richtlinie nicht zulässig wären, genehmigen“. Aus dem Wortlaut der Bestimmung ergibt sich, dass diese Freistellung eine Ausnahme von der allgemeinen Regel darstellt, nach der bestimmten Flugzeugen die Benutzung eines Flughafens verboten ist. Auch Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie erlaubt den nationalen Behörden, das Umweltschutzniveau von Stadtflughäfen zu erhöhen, indem „strengere Maßnahmen hinsichtlich der Begriffsbestimmung der knapp die Vorschriften erfüllenden Luftfahrzeuge eingeführt werden“. Demnach lassen die Erhöhungen des Schutzniveaus, die die Staaten vornehmen dürfen, nur eine Art von Maßnahmen zu: die Änderung des subjektiven Anwendungsbereichs der Betriebsbeschränkung. Die Richtlinie 2002/30 erlaubt hingegen keine Verbesserung des Schutzes auf der Grundlage anderer Kriterien. Dies bestätigt, dass sie ausschließlich Betriebsbeschränkungen mit Verbotscharakter vorsieht.

53. Daher bin ich der Auffassung, dass eine „Betriebsbeschränkung“ im Sinne von Art. 2 Buchst. e der Richtlinie 2002/30 eine vollständige oder zeitweilige vorab zu treffende objektive Verbotsmaßnahme darstellt, die kategorisch den Zugang eines zivilen Unterschallflugzeugs zu einem Flughafen in der Union unterbindet und ihn nicht nur erschwert oder weniger attraktiv macht.

2. Die aktiven Subjekte der „Betriebsbeschränkung“

54. Es ist Sache der Mitgliedstaaten, die auf den Flughäfen anzuwendenden Betriebsbeschränkungen zu erlassen, aber Letzteren kommt die Aufgabe zu, deren Einhaltung zu gewährleisten. Aufgrund der besonderen Eigenschaften einer jeden Betriebsbeschränkung verlangt die Richtlinie 2002/30 von den Mitgliedstaaten, dass sie sicherstellen, dass „zuständige Behörden existieren, die für die in den Geltungsbereich dieser Richtlinie fallenden Angelegenheiten verantwortlich sind“. Dem lässt sich entnehmen, dass die Betriebsbeschränkungen von spezialisierten Behörden erlassen und durchgeführt werden, die sich dadurch auszeichnen, dass sie Zuständigkeiten auf dem Gebiet des Luftverkehrs innehaben und wahrnehmen, die in engem Zusammenhang mit dem täglichen Flughafenbetrieb stehen.

55. Bei dieser Betrachtungsweise sind die aktiven Subjekte der Betriebsbeschränkungen die nationalen Luftverkehrsbehörden sowie die Flughafenverwaltungen. Sie haben die Aufgabe, Betriebsbeschränkungen nach Maßgabe des oben dargestellten „ausgewogenen Ansatzes“ anzuordnen, was die Erfüllung verschiedener in den Art. 4 bis 6 der Richtlinie 2002/30 geregelter Voraussetzungen erfordert. Sie haben zudem die Aufgabe, bestimmte Ausnahmen von der allgemeinen Regelung, wie sie Art. 8 und 9 der Richtlinie vorsehen, anzuwenden.

56. Demnach wird durch die Richtlinie 2002/30 ein konkreter institutioneller Rahmen geschaffen, in dem die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass ihre für den Luftverkehr zuständigen Behörden sowie die unter die Richtlinie fallenden Flughafenverwaltungen beim Erlass oder der Durchführung von Betriebsbeschränkungen aufgrund materiell- und verfahrensrechtlicher Nomen handeln. Die Starrheit dieser Vorschriften unterstützt auch den in den Nrn. 45 bis 53 dieser Schlussanträge dargelegten Standpunkt, denn mit dem Verbotscharakter der Betriebsbeschränkungen, die ein Flugzeug vollständig oder zeitweise an der Benutzung eines Flughafens hindern, will die Richtlinie 2002/30 erreichen, dass sie nur in Ausnahmesituationen und aufgrund eines Verfahrens angeordnet werden, in dem die Beachtung des „ausgewogenen Ansatzes“ gewährleistet ist.

3. Die passiven Subjekte der „Betriebsbeschränkung“

57. Die Adressaten einer Betriebsbeschränkung, die passiven Subjekte, sind die Flugzeuge. Diese Maßnahmen sind ein weiteres Instrument zur Bekämpfung des Flughafenlärms, und im Unterschied zu den industriellen, Umweltschutz- oder städtebaulichen Normen, deren Adressaten Hersteller, Bauunternehmen oder Grundeigentümer sind, sind Gegenstand der Betriebsbeschränkungen die Flugzeuge. Im Rahmen der Richtlinie 2002/30 sind Adressaten der Betriebsbeschränkungen die zivilen Unterschallflugzeuge.

58. Angesichts des objektiven Charakters der Betriebsbeschränkungen, die ein Verbot davon abhängig machen, dass ein Flugzeug bestimmte technische Eigenschaften aufweist, verlangt die Richtlinie, dass diese Voraussetzungen anhand vorab festgelegter Kriterien geprüft werden. Ihre Erfüllung wird anhand der Zulassung festgestellt, eines Instruments, das in internationalen Vorschriften geregelt ist und das, wie bereits dargestellt wurde, eine einheitliche Kontrolle der Flugzeuge in verschiedenen Staaten ermöglicht. Aufgrund dessen bestimmt Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2002/30, dass für leistungsbedingte Betriebsbeschränkungen von dem Lärmwert des Luftfahrzeugs auszugehen ist, der nach den Bestimmungen des Abkommens über die Internationale Zivilluftfahrt ermittelt wurde. Steht eine Betriebsbeschränkung dem Zugang von Flugzeugen, deren Lärmemissionen einen bestimmten Wert erreichen, entgegen, erfolgt die Messung nach Maßgabe der internationalen Vorschriften, durch die das Messkriterium harmonisiert wird. Das Kriterium dient daher der Objektivierung der Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, bevor eine Betriebsbeschränkung auf ein Flugzeug angewandt werden kann.

59. Daher sind Betriebsbeschränkungen Maßnahmen, die sich an Flugzeuge richten, die bestimmte, vorab festgelegte Voraussetzungen erfüllen, und die zur Gewährleistung ihrer Objektivität auf der Zulassung oder auf internationaler Ebene harmonisierten Kriterien basieren.

4. Die Anwendung des Begriffs der „Betriebsbeschränkung“ auf die von der Region Brüssel-Hauptstadt ergriffenen Maßnahmen

60. Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, dass eine regionale Umweltschutzregelung mit Sanktionscharakter zur Festlegung von Lärmgrenzwerten in Wohngebieten keine „Betriebsbeschränkung“ im Sinne von Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 2002/30 darstellt.

61. Zum einen untersagt die in Rede stehende Regelung nicht von vornherein vollständig oder zeitweise den Zugang zum Flughafen Brüssel-Zaventem, sondern verbietet nur die Überschreitung bestimmter Emissionswerte. Nichts hindert ein Flugzeug an der Landung oder am Start auf diesem Flughafen, und die Rechtsfolge der Überschreitung der in der Regelung vorgesehenen Grenzen besteht in einem Bußgeld, nicht aber in einem Verbot.

62. Zweitens wird die streitige Regelung nicht vorab angewandt, sondern nachträglich: Nur wenn ein Flugzeug einen Flughafen unter Emissionsbedingungen benutzt hat, die gegen die Grenzwerte verstoßen, wird das Bußgeld verhängt. Hingegen wird eine „Betriebsbeschränkung“, wie in Nr. 49 dieser Schlussanträge dargelegt worden ist, vor der Benutzung des Flughafens angeordnet.

63. Drittens ergehen die regionalen Bestimmungen weder im Rahmen einer Verkehrspolitik, noch werden sie von den auf diesem Gebiet zuständigen Behörden erlassen oder angewandt, denn sie gehören zu den Umweltschutzbestimmungen, die nach der Verfassung in die Zuständigkeit der belgischen Regionen fallen. Der Conseil d’État hat diese Zuständigkeit in seinem Urteil vom 9. Mai 2006 bestätigt.

64. Schließlich erklärt der nachträgliche Charakter der regionalen Maßnahmen, obwohl sie sich auf Flugzeuge beziehen, dass ihre Anwendung nicht von vorab festgelegten Kriterien wie der Zulassung oder auf internationaler Ebene angenommener Harmonisierungsbestimmungen abhängt. Die einzige effektive Form, ein angemessenes Niveau von Umgebungslärm zu gewährleisten, wird unter Berücksichtigung der Lärmindizes an dem zu schützenden Ort erreicht, nämlich in den Wohngebieten in der Umgebung von Flughäfen. Folglich verwendet die beanstandete Regelung nicht die Kriterien, von denen eine Betriebsbeschränkung zur Anwendung der Maßnahme auf ein Flugzeug abhängt, und kann dies auch nicht.

65. Diese Schlussfolgerung wird durch die Tatsache bekräftigt, dass sämtliche Staaten, die an diesem Verfahren beteiligt sind, wie auch die Kommission der Ansicht sind, dass es sich bei den streitigen Maßnahmen nicht um Betriebsbeschränkungen handelt. Daraus ergibt sich, dass die Definition der „Betriebsbeschränkungen“ in Art. 2 Buchst. e Maßnahmen, wie sie der Erlass vom 27. Mai 1999 über die Bekämpfung der durch den Luftverkehr verursachten Lärmbelästigung vorsieht, nicht umfasst.

5. Zusammenfassung

66. Aufgrund der vorstehenden Ausführungen schlage ich dem Gerichtshof in Bezug auf die erste Frage vor, Art. 2 Buchst. e der Richtlinie 2002/30 dahin auszulegen, dass eine „Betriebsbeschränkung“ eine vollständige oder zeitweilige vorab zu treffende objektive Verbotsmaßnahme darstellt, die kategorisch den Zugang eines zivilen Unterschallflugzeugs zu einem Flughafen in der Union unterbindet und nicht nur erschwert oder weniger attraktiv macht. Folglich stellt eine Regelung, wie sie der Erlass vom 27. Mai 1999 über die Bekämpfung der durch den Luftverkehr verursachten Lärmbelästigung vorsieht, keine „Betriebsbeschränkung“ im Sinne des Art. 2 Buchst. e der Richtlinie 2002/30 dar.

VII – Zur dritten Vorlagefrage

67. Nachdem ausgeschlossen worden ist, dass die streitigen Maßnahmen unter die Richtlinie 2002/30 fallen, ist auf die Frage des Conseil d’État nach der Vereinbarkeit nationaler Vorschriften zum Schutz der Umwelt, in denen Grenzwerte für den Lärmpegel festgelegt werden, der am Boden statt an der Quelle gemessen wird, mit dieser Richtlinie einzugehen. Das vorlegende Gericht hat insbesondere Zweifel, ob Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2002/30, der auf das Kriterium der Messung des Lärmwerts von Luftfahrzeugen an der Quelle Bezug nimmt, das im Abkommen über die Internationale Zivilluftfahrt niedergelegt ist, dem in den regionalen Brüsseler Vorschriften vorgesehenen Kriterium der Messung am Boden entgegensteht, selbst wenn diese nicht als „Betriebsbeschränkung“ anzusehen sind.

68. Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob es sich bei der Richtlinie 2002/30 um ein Instrument zur maximalen Angleichung handelt. Wäre dies der Fall, wäre jede nationale Maßnahme, die gegen die Bestimmungen der Richtlinie 2002/30 verstößt oder ihre Anwendung erschwert, unabhängig davon, ob es sich um nationale Bestimmungen handelt, die nicht in ihren Anwendungsbereich fallen, mit ihr unvereinbar.

69. Diese Frage ist zu verneinen. Die Richtlinie stellt kein Instrument zur maximalen Angleichung dar, und eine Auslegung in diesem Sinne würde faktisch den Zielen widersprechen, die mit ihr verfolgt werden. Dieser Schluss ergibt sich aus dem rechtlichen Kontext der Richtlinie 2002/30, aber auch aus dem Schutz, den die Mitgliedstaaten sowie die Union dem Grundrecht auf Umweltschutz gewähren, insbesondere dem Aspekt dieses Rechts, der den Einzelnen vor Lärmbelästigungen schützt.

A – Der allgemeine rechtliche Rahmen für die Bekämpfung von Flughafenlärm und seine Auswirkungen auf die Auslegung der Richtlinie 2002/30

70. Wie in den Nrn. 45 bis 59 dieser Schlussanträge dargelegt, stellen „Betriebsbeschränkungen“ nur eine der Maßnahmen dar, die im Rahmen des „ausgewogenen Ansatzes“ zu treffen sind. Gerade der Zweck dieses Ansatzes macht es erforderlich, sämtliche bei Lärmminderungen an Flughäfen zusammentreffenden Werte und Interessen miteinander in Einklang zu bringen, und nicht einen gegenüber den übrigen durchzusetzen. Würde die Richtlinie 2002/30 zu einem Instrument, das der Durchführung bestimmter Maßnahmen auf dem Gebiet des Städtebaus oder des Umweltschutzes entgegensteht, wäre der „ausgewogene Ansatz“ nicht mehr ausgewogen, sondern einseitig auf die Verkehrspolitik ausgerichtet.

71. Ein solches Ergebnis wäre nicht nur mit der Richtlinie 2002/30, sondern auch mit den Grundlagen der internationalen Instrumente, die der Regelung der „Betriebsbeschränkungen“ zugrunde liegen, unvereinbar. In Anhang E der ICAO-Entschließung A35/5, durch die der „ausgewogene Ansatz“ auf internationaler Ebene eingeführt wird, wird festgestellt, dass „die Staaten rechtliche Verpflichtungen, Gesetze, geltende Abkommen und festgelegte Politiken zur Bekämpfung des Fluglärms haben, die ihre Anwendung berühren könnten“. In Anhang F der Entschließung, der die Stadtplanung und das Stadtmanagement betrifft, wird festgestellt, dass „das Raumordnungswesen Planungstätigkeiten beinhaltet, für die in erster Linie die lokalen Behörden zuständig sind“; dies „berührt jedoch die Betriebskapazität der Flughäfen und hat wiederum Auswirkungen auf die Zivilluftfahrt“.

72. Da sich die ICAO bewusst ist, dass nationale Umweltmaßnahmen, wie sie in diesem Verfahren in Rede stehen, mittelbare Auswirkungen auf den Luftverkehr haben können, fordert sie die Staaten nicht dazu auf, derartige Bestimmungen aufzuheben, sondern dazu, ihr Vorgehen im Rahmen des sogenannten „ausgewogenen Ansatzes“ abzustimmen. Zu keiner Zeit werden die Staaten, die der ICAO angehören, aufgefordert, ihre Maßnahmen zur Bekämpfung des Flughafenlärms auf Betriebsbeschränkungen zu begrenzen. Im Bewusstsein der verfassungsmäßigen Werte und Interessen, die auf dem Spiel stehen, beschränken sich die Entschließungen der ICAO vielmehr darauf, die Staaten aufzufordern, globale Maßnahmen unter Berücksichtigung und Abwägung sämtlicher betroffener Faktoren umzusetzen.

73. Um der Lärmproblematik in der soeben dargestellten Art und Weise zu begegnen, erließ die damalige Europäische Gemeinschaft die Richtlinie 2002/49. In ihr wird bestimmt, dass die Mitgliedstaaten störenden Lärm auf verschiedenen Planungsebenen bekämpfen. Konkret widmet die Richtlinie der Flughafenplanung besondere Aufmerksamkeit, die bei der Ausarbeitung strategischer Lärmkarten (Art. 7), der Aktionspläne (Art. 8) und der akustischen Planung (Art. 3 Buchst. u) zu berücksichtigen ist.

74. Der dargestellte rechtliche Rahmen bestätigt den dargestellten Ansatz: Die Betriebsbeschränkungen als spezifische im Rahmen der Verkehrspolitik angeordnete Verbote bestehen neben anderen nationalen Umweltmaßnahmen. Die internationalen Normen und die Richtlinie 2002/30 stehen nicht im Gegensatz zueinander, sondern haben unterschiedliche Anwendungsbereiche. Ein Fall wie der in Belgien, wo eine regionale Behörde Sanktionsnormen erlässt, um die Anwohner vor erhöhter Lärmbelastung zu schützen, fällt nicht unter die Richtlinie 2002/30.

75. Unabhängig von den vorstehenden Ausführungen darf nicht übersehen werden, dass – wie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen ausgeführt hat – das Vorgehen der Brüsseler Regionalbehörden, soweit es sich um eine einseitige Tätigkeit handelt, die nicht mit anderen Verwaltungsbehörden des Lands abgestimmt ist, aus der Sicht der Richtlinie 2002/49 problematisch sein kann, die ein gewisses Maß an interner Koordinierung bei der Lärmbekämpfung verlangt. Nach den Ausführungen der Kommission ist die derzeitige Situation des Flughafens Brüssel-Zaventem alles andere als ideal und Ausdruck einer fehlenden Zusammenarbeit zwischen den Behörden, die zu einer Verletzung der Richtlinie 2002/49 führen kann, wenn auch nicht der Richtlinie 2002/30, deren Anwendungsbereich die regionalen Maßnahmen, um die es in diesem Verfahren geht, nicht betrifft.

76. Zusammenfassend bin ich der Ansicht, dass sowohl der internationale Rahmen als auch die Richtlinie 2002/49 den sektoriellen Charakter der Richtlinie 2002/30 bestätigen, die auf die Anordnung, Regelung und Befreiung von „Betriebsbeschränkungen“ im Sinne der Ausführungen in den Nrn. 45 bis 59 dieser Schlussanträge beschränkt ist. Eine Auslegung der Richtlinie 2002/30 im Sinne eines Instruments zur maximalen Angleichung würde zu einem Ergebnis führen, das mit dem „ausgewogenen Ansatz“ und mit der Richtlinie 2002/49, die die Lärmproblematik einschließlich des Flughafenlärms insgesamt regeln will, unvereinbar ist.

B – Der Lärmschutz als Grundrecht und seine Auswirkungen auf die Gesetzgebung der Union zum Flughafenlärm

77. Die Antwort, die ich für die dritte Frage vorschlage, findet eine zusätzliche Stütze in ihrer Analyse aus einer allgemeineren Perspektive. Bekanntlich schützen das Recht der Union und die nationalen Rechtsordnungen mittels der Grundrechte vor Schäden, die durch Lärm verursacht wurden. Dieser Schutz hat mithin verfassungsrechtlichen Charakter und steht in engem Zusammenhang mit der Frage des Conseil d’État.

78. Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union gewährleistet das Grundrecht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, während Art. 37 ausdrücklich ein Recht auf Umweltschutz anerkennt. Letztgenanntes Recht ist als Grundsatz ausgestaltet und kommt zudem nicht aus dem Nichts, sondern ist die Folge des jüngsten Prozesses der verfassungsrechtlichen Anerkennung des Umweltschutzes, in den die Mitgliedstaaten ihre Verfassungsüberlieferungen eingebracht haben. Dies wird in den Erläuterungen zur Charta der Grundrechte bestätigt, in denen ausgeführt wird, dass Art. 37 „sich auch an die Verfassungsbestimmungen einiger Mitgliedstaaten [anlehnt]“.

79. Wichtig ist der Hinweis darauf, dass aus Art. 52 Abs. 3 der Charta hervorgeht, dass, soweit die Charta Rechte enthält, die den durch die Europäische Kommission zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) garantierten Rechten entsprechen, diese die gleiche Bedeutung und Tragweite haben, wie sie ihnen in der genannten Konvention verliehen wird. Nach der Erläuterung zu dieser Bestimmung werden die Bedeutung und Tragweite der garantierten Rechte nicht nur durch den Wortlaut der EMRK, sondern auch durch die Rechtsprechung des EGHMR bestimmt. Art. 52 Abs. 3 Satz 2 der Charta sieht vor, dass diese Bestimmung dem nicht entgegensteht, dass das Recht der Union einen weiter gehenden Schutz gewährt. Im Umkehrschluss steht dies dem Erlass von Maßnahmen mit niedrigerem Schutzniveau durch die Union entgegen.

80. Der Umweltschutz ist ein Ziel, das der EuGHMR über das Grundrecht auf Achtung des Privat- und Familienlebens und der Wohnung in seine Auslegung des Art. 8 EMRK integriert hat. Konkret hat der EuGHMR wiederholt entschieden, dass Lärmbelästigungen unter den Umweltschutz im Sinne von Art. 8 EuGHMR fallen. Die Frage des Flughafenlärms wurde im Urteil Hatton/Vereinigtes Königreich erörtert, in dem festgestellt wurde, dass Fluglärm aktive Schutzmaßnahmen durch den Staat rechtfertigt und gelegentlich erforderlich macht. Nach Art. 53 der Charta ist diese Auslegung für die Union bindend und muss vom Gerichtshof berücksichtigt werden.

81. In diesem Kontext ist die Frage zu beantworten, ob die Harmonisierung durch die Richtlinie 2002/30 als maximale Angleichung zu betrachten ist. Angesichts der Bestimmungen der Art. 7 und 37 der Charta in ihrer Auslegung durch die vorstehend angeführte Rechtsprechung des EuGHMR kommt man schwerlich zu dem Ergebnis, dass durch die Richtlinie 2002/30 eine maximale Angleichung erfolgt. Durch eine derartige Angleichung würden andere als die in der Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen zum Lärmschutz an Flughäfen undurchführbar. Dadurch käme es zu einer Art Stillstand des staatlichen Lärmschutzes, und den Staaten wäre jeder Spielraum bei der Umsetzung ihrer Umweltschutz-, Städtebau- und Gesundheitspolitiken genommen. Ein solches Ergebnis würde u. a. dazu führen, dass der Einzelne gezwungen wäre, unter Berufung auf Art. 8 EMRK in seiner Auslegung durch den EuGHMR gegen seinen Staat zu klagen. In vielen Fällen könnte dabei der Klage stattgegeben werden.

82. Angesichts des grundrechtlichen Kontexts, in dem diese Rechtssache angesiedelt ist, schlage ich dem Gerichtshof daher vor, eine Auslegung zu verwerfen, nach der durch die Richtlinie 2002/30 eine maximale Angleichung mit den dargestellten Konsequenzen erfolgt. Die Richtlinie hindert meiner Meinung nach die Mitgliedstaaten nicht am Erlass von Vorschriften zum Schutz der Umwelt, die mittelbare Auswirkungen auf die Bestimmungen über die Zivilluftfahrt haben, die durch die Richtlinie harmonisiert werden. Obwohl sie das Kriterium der Messung der von zivilen Unterschallflugzeugen ausgehenden Lärmbelastung am Boden anwendet, ist eine nationale Vorschrift zum Schutz der Umwelt wie die in Frage stehende nicht mit Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2002/30 unvereinbar, da sie keine „Betriebsbeschränkung“ darstellt.

VIII – Ergebnis

83. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen des Conseil d’État wie folgt zu beantworten:

  • 1. Eine „Betriebsbeschränkung“ stellt eine vollständige oder zeitweilige vorab zu treffende objektive Verbotsmaßnahme dar, die kategorisch den Zugang eines zivilen Unterschallflugzeugs zu einem Flughafen in der Union unterbindet und nicht nur erschwert oder weniger attraktiv macht. Folglich stellt eine Regelung, wie sie der Erlass vom 27. Mai 1999 über die Bekämpfung der durch den Luftverkehr verursachten Lärmbelästigung vorsieht, keine „Betriebsbeschränkung“ im Sinne des Art. 2 Buchst. e der Richtlinie 2002/30/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. März 2002 über Regeln und Verfahren für lärmbedingte Betriebsbeschränkungen auf Flughäfen der Gemeinschaft dar.
  • 2. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2002/30 ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Maßnahme wie dem Erlass vom 27. Mai 1999 nicht entgegensteht, die das Kriterium der Messung des Lärmpegels am Boden verwendet.