Verschulden

Aus PASSAGIERRECHTE
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Für die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruches ist regelmäßig ein Verschulden oder auch Vertretenmüssen beim Schädiger erforderlich. Aufgrund der Beweislastumkehr in § 280 Abs. 1 S. 2 BGB obliegt der Beweis, dass der Schädiger die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat, bei demselbigen. Konkret bedeutet das, dass der Luftfrachtführer beweisen muss, dass er, bei einer Flugverspätung, die Verspätung nicht zu vertreten hat. Dies dürfte dem Luftfrachtführer aber regelmäßig nicht gelingen, was zur Folge hat, dass ein Verschulden angenommen wird.

Eigenes Verschulden und der eigenen Mitarbeiter

Der vertragliche Luftfrachtführer muss für das eigene Verschulden aber auch für das seiner Mitarbeiter einstehen. Das Verschulden der Vertreter gilt als eigenes Verschulden der juristischen Person Luftfahrtunternehmen. Auch ein Verschulden der Mitarbeiter muss sich der Luftfrachtführer als eigenes zurechnen lassen. Die Mitarbeiter werden in der Regel als Erfüllungsgehilfen des Luftfahrtunternehmens tätig. Dieses hat dann auch deren Pflichtverletzung zu vertreten. Gemäß § 276 Abs. 1 S. 1 BGB muss der Schuldner, also der Luftfrachtführer, grundsätzlich Vorsatz und Fahrlässigkeit vertreten. Regelmäßig wird ein Vorsatz bezüglich einer Verspätung jedoch nicht vorliegen. Ein Vorsatz bezüglich der Verspätung kann wohl ausnahmsweise vorliegen, wenn den Passagieren eines verspäteten Zubringerfluges eine Weiterreise ermöglicht werden soll. Häufiger werden dagegen Fälle der Fahrlässigkeit vorliegen. Fahrlässigkeit ist gemäß § 276 Abs. 2 BGB die Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt. Zur Entlastung muss der Luftfrachtführer beweisen, dass er alles Erforderliche getan hat, um die Verspätung und etwaige andere Leistungsstörungen zu vermeiden. Fahrlässigkeit setzt zudem immer Voraussehbarkeit und Vermeidbarkeit der pflichtwidrigen Störung voraus. Damit ist jedoch eine objektive Voraussehbarkeit und Vermeidbarkeit gemeint. Es muss demnach aus einer objektiven Sicht beurteilt werden, ob die Störung voraussehbar und vermeidbar war. Zur genauen Einschränkung der Fahrlässigkeitsbeurteilung gibt es allerdings noch einige Rechtsnormen oder speziellen Vorschriften, welche zur Beurteilung herangezogen werden können oder sogar müssen. Der Luftfrachtführer muss grundsätzlich dafür sorgen, dass eine betriebliche Organisation vorhanden ist, um den reibungslosen Ablauf von Sicherheitskontrollen, Check-In und weiteren Abläufen vor dem Flug zu gewährleisten. Ausgeschlossen ist ein Verschulden lediglich bei höherer Gewalt. Fraglich ist wann ein Fall höherer Gewalt vorliegt. Insofern wird im Sinne der Fahrlässigkeit auf die objektive Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit der Störung abgestellt. War die Störung also vorhersehbar und vermeidbar, kann von dem Vorliegen einer höheren Gewalt ausgegangen werden. Höhere Gewalt liegt beispielsweise bei Terrorakten oder Atomunglücken vor. Problematisch wird es bei Annahme einer höheren Gewalt, wenn es um schlechte Wetterverhältnisse gibt. Bei extrem schlechten Wetterverhältnissen ist eine Entlastung des Luftfrachtführers möglich, wenn die Wetterverhältnisse nicht vorhersehbar waren. Sofern ein Flughafen wegen der Wetterverhältnisse geschlossen werden muss, also Starts und Landungen überhaupt nicht möglich sind, liegt in der Regel ein Fall höherer Gewalt vor. Kann ein Flugzeug wegen schlechten Sichtverhältnisses, wie z.B. Nebel, nicht landen, kann die Frage nach der höhreren Gewalt nicht eindeutig beantwortet werden, da die Landung dort insbesondere von der technischen Ausstattung des Flugzeuges und der Qualifikation des Piloten abhängig ist. Um diese Frage zu beantworten, muss man wohl darauf abstellen müssen, welche Anforderungen man an einen sorgfältigen Luftfrachtführer stellen kann. Jedoch behält der Fluggast auch in Fällen höherer Gewalt seinen Anspruch auf Beförderung bis er vom Vertrag eventuell zurückgetreten ist. Unmöglichkeit i.S.d. § 275 BGB liegt nur dann vor, wenn die Leistung endgültig unmöglich geworden ist. Kommt es durch den Fall der höheren Gewalt nur für eine bestimmte Zeit zur Verhinderung der Leistung, ist der Luftfrachtführer nach abklingen des Verhinderungsgrundes noch zur Beförderung verpflichtet. Es lässt sich insofern zusammenfassen, dass ein Verschulden des Luftfahrtunternehmers in der Regel über die Fahrlässigkeit zustande kommt. Damit er diese Fahrlässigkeit auch zu vertreten hat, muss die Störung objektiv vorhersehbar und vermeidbar gewesen sein. Es ist daher immer der Einzelfall zu prüfen.

Fremdverschulden

Fraglich ist auch, inwieweit der Luftfrachtführer für ein Verschulden haftet, welches nicht ihn oder seine Angestellten trifft, sondern Selbstständige oder andere Unternehmen, welche der Luftfrachtführer beauftragt hat. Die Rede ist hier vom sogenannten Erfüllungsgehilfen. Ein Erfüllungsgehilfe ist eine Person, welche vom Luftfrachtführer beauftragt wird und die der Erfüllung der Verbindlichkeiten des Luftfahrtunternehmers dient. Dies ergibt sich aus § 278 S.1 BGB. Der Erfüllungsgehilfe soll also Verbindlichkeiten für das Luftfahrtunternehmen erfüllen, welche dieses aus einem gesonderten Vertragsverhältnis treffen. Dies können andere Unternehmen und deren Angestellte sein oder auch einzelne Personen, welche selbstständig tätig werden. Beispiele für Erfüllungsgehilfen eines Luftfrachtführers:

sämtliche Bodenabfertigungsdienste Fluggast-Vorfeld-Beförderer Treibstofflieferant Catering-Firmen Reinigungsfirmen Abfertigungspersonal eines anderen Luftfrachführers Flugleiter, falls er Aufgaben der Flugplatz-Betriebssicherheit wahrnimmt Reisebüro, falls es Informationen über den Flug gibt und Unterlagen beschafft ausführender Luftfrachtführer

Bei dieser Aufzählung handelt es sich lediglich um Beispiele. Sie ist keinesfalls abschließend. Auch die Leute i.S.d. Art. 19 MÜ können Erfüllungsgehilfen sein bzw. sind es in der Regel sogar.

Beispiele, die keinen Erfüllungsgehilfen und auch keine Leute i.S.d. Art. 19 MÜ darstellen:

Hersteller von Luftfahrzeugen Vermieter Reparatur- und Wartungswerft, sofern nicht in den Betrieb des Luftfrachtführers integriert Flugsicherungsbehörde Flugwetterdienst Flugleiter, wenn er Luftaufsicht ausübt Zulassungsbehörde

Der Luftfahrtunternehmer haftet grds. nicht für langwierige Untersuchungen der Gesundheitsbehörde, der Bundespolizei oder der Zollbehörde. Da gerade Kontrollen des Zolls aber regelmäßig stattfinden, muss er für solche Kontrollen gewisse Vorkehrungen treffen und einen gewissen „ Zeitpuffer“ einkalkulieren. Sicherheitskontrollen sind, anders als in den USA, in Deutschland in erster Linie Aufgabe der Luftfahrtbehörde, welche ihrerseits private Subunternehmer zur Durchführung der Kontrollen beauftragen dürfen. Abschließend müsste noch erwähnt werden, dass eine Haftung des Luftfahrtunternehmers für den Erfüllungsgehilfen nur dann in Betracht kommt, wenn die Hilfsperson auch in Ausführung der ihr übertragenen Aufgabe und nicht nur bei Gelegenheit handelt.

Streik

Fraglich ist auch, ob sich der vertragliche Luftfrachtführer einen Streik seiner Erfüllungsgehilfen zurechnen lassen muss. Einerseits haben Gerichte ein Verschulden des Luftfahrtunternehmers im Fall eines Personalstreikes bereits bejaht. Andererseits möchte die herrschende Meinung in der Literatur eine Entlastung des Luftfrachtführers zulassen. Dies ist auch grds. zu bejahen. Jedoch ist hier, wie es wohl auch die Rechtsprechung tut, der Einzelfall zu betrachten. Wenn dem Luftfrachtführer jedoch eine Pflichtverletzung zur Last zu legen ist, hat er den Streik auch zu vertreten. Dies kann zum Beispiel dann der Fall sein, wenn ihm der Streik rechtzeitig angekündigt wurde. Dies dürfte in der Regel der Fall sein. Seine Pflichtverletzung besteht dann darin, kein Ersatzpersonal organisiert zu haben. Also ist vereinfacht gesagt bei einem Streik danach zu fragen, ob der Luftfrachtführer von dem Streik wusste und ob er die Möglichkeit hatte Ersatzpersonal zu organisieren. Ist das der Fall, hat er die dahingehend eintretenden Störungen und Pflichtverletzungen auch zu vertreten.

Einschränkungen in den ABB

Schließlich ist problematisch, ob der Luftfrachtführer in seinen ABB die Haftung für Abflugverspätungsschäden ausschließen oder begrenzen kann. Beispielhaft wäre das Ausschließen leichter Fahrlässigkeit und somit eine Begrenzung der Verspätungshaftung. Art. 26 MÜ verbietet lediglich Bestimmungen im Luftbeförderungsvertrag, welche eine Haftung des Luftfrachtführers komplett ausschließen oder den Haftungshöchstbetrag herabsetzen. Das Ausschließen der Haftung für leichte Fahrlässigkeit wäre also grundsätzlich möglich. Zumindest steht dem nicht Art. 26 MÜ entgegen. Jedoch könnte dem § 309 Nr. 7 b BGB entgegenstehen. Danach sind solche Bedingungen unzulässig, die ein Ausschluss oder eine Begrenzung der Haftung für sonstige Schäden, die auf einer grob fahrlässigen Pflichtverletzung des Verwenders oder auf einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Pflichtverletzung eines gesetzlichen Vertreters oder Erfüllungsgehilfen beruhen. Das bedeutet auch danach ist der Ausschluss einer Haftung für leichte Fahrlässigkeit nicht ausgeschlossen. Es ist in der Norm ja nur die Rede von Vorsatz und grober Fahrlässigkeit. Ein Ausschluss der Haftung für leichte Fahrlässigkeit könnte aber gemäß § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam sein. Das ist gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB dann der Fall, wenn eine Bestimmung wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrages ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist. Das wird immer dann der Fall sein, wenn die Bestimmung sich auf den Ausschluss der Haftung für eine Kardinalpflicht bezieht. Wann eine solche Kardinalpflicht vorliegt kann jedoch nicht klar beantwortet werden. Dahingehend gibt es verschiedene Ansichten. Aber bei allen Ansichten geht es letztlich darum die ausdrückliche oder stillschweigende Individualvereinbarung zu schützen. Es kommt darauf an, ob der Kernbereich der zugesagten Leistung betroffen ist. Fraglich ist daher, ob die pünktliche Beförderung zum Kernbereich des Luftbeförderungsvertrages gehört. Grundsätzlich wird man zunächst sehen müssen, dass der Kernbereich wohl den Ortswechsel darstellt. Also die Beförderung vom Abflugort zum Zielort. Es könnte aber sein, dass die pünktliche Beförderung ebenfalls zum Kernbereich des Beförderungsvertrages gehört. Davon ist wohl auszugehen. Der Fluggast wählt das Flugzeug als schnellstes Beförderungsmittel, um pünktlich und möglichst schnell den Zielort zu erreichen. Die Fluggäste wollen Termine wahrnehmen und buchen daher einen bestimmten Flug vor allem aus einem zeitlichen Grund. Ein bestimmter Flug wird ja nur gebucht, um zu einer bestimmten Zeit auch am Zielort zu sein. Folglich gehört die pünktliche Beförderung zum Kernbereich des Luftbeförderungsvertrages Demnach kann eine solche Einschränkung, namentlich der generelle Ausschluss der Haftung für leichte Fahrlässigkeit, unwirksam gemäß § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 2 BGB sein. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass eine Einschränkung der Haftung wegen Vorsatz und grober Fahrlässigkeit schon wegen § 309 Nr. 7 b BGB ausgeschlossen ist. Aber auch ein Ausschluss der Haftung wegen leichter Fahrlässigkeit kann, wie oben gezeigt, unwirksam sein bzw. wird es in der Regel auch sein. Trotzdem findet sich eine solche Regelung in vielen Allgemeinen Beförderungsbedingungen der Luftfrachtführer. Eine generelle Unwirksamkeit kann also nicht angenommen werden. Vielmehr muss die einzelne Bestimmung konkret nach den §§ 307-309 BGB beurteilt werden.

Rechtsprechung

Gericht, Datum Aktenzeichen Amtliche Leitsätze/Inhalt
OLG Koblenz, Urteil vom 11.01.2008 10 U 385/07
  • Schlechte Wetterverhältnisse begründen einen haftungsbefreienden außergewöhnlichen Umstand.
OLG Köln, Urteil vom 11.04.2003 6 U 206/02
  • Eine Klausel, die den Luftfrachtführer von jeglicher Haftung für Gepäckbeschädigung befreit, benachteiligt den Vertragspartner unangemessen im Sinne des § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB.
LG Düsseldorf, Urteil vom 23.10.2007 22 S 190/07
  • Ein durch Schneefall bedingte Flugverspätung ist eine höhere Gewalt wenn dieser nicht vorhersehbar war.
LG Hannover, Urteil vom 30.03.1989 3 S 451/88
  • Aus dem Urteil lässt sich entnehmen, dass ein Reiseveranstalter im Falle eines Ersatzstreiks Ersatzflüge organisieren muss.
LG Saarbrücken, Urteil vom 08.09.1988 2 S 82/87
  • Ein Atomunglück am Urlaubsort ist ein Fall „höherer Gewalt“ und berechtigt den Reisenden vom Reisevertrag zurückzutreten.
LG Frankfurt, Urteil vom 12.01.1987 2/24 S 173/85
  • Fällt ein Flug aufgrund eines Personalstreiks aus, so macht sich das Luftverkehrsunternehmen gegenüber dem Fluggast schadensersatzpflichtig.
AG Augsburg, Urteil vom 07.07.2016 15 C 89/16
  • Bei höherer Gewalt i.S.d. § 651j BGB handelt es sich um ein ungewöhnliches und unvorhersehbares Ereignis, auf das die Vertragsparteien keinen Einfluss haben und dessen Folgen trotz Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht hätte vermieden werden können. Auch Terrorakte können ein solches Ereignis sein, wenn es sich nicht nur um einzelne Terroranschläge handelt, die in das von jedem Einzelnen zu tragende allgemeine Lebensrisiko fallen.
  • Ein Reisender ist berechtigt, seine Reise zu kündigen, wenn eine Häufung von Anschlägen zu einer Verschärfung der Sicherheitslage in der Reiseregion führt, die für den Reisenden bei Vertragsschluss nicht vorhersehbar war.
AG Weißenfels, Urteil vom 18.05.2011 1 C 626/10
  • Ein Waldbrand am Urlaubsort ist ein Fall höherer Gewalt und berechtigt den Reisekunden zur Kündigung des Reisevertrages vor Antritt der Reise ohne den vollen Reisepreis zahlen zu müssen.