Rechtsgrundlagen – eine Abgrenzung

Aus PASSAGIERRECHTE
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Bei den vielen Rechtsquellen stellt sich die Frage nach der Reihenfolge und den Ausschlusskriterien, unter welchen die jeweiligen Normen anzuwenden sind. Jede Rechtsquelle zieht verschiedene Ansprüche nach sich. Dabei ist das anzuwendende Recht immer abhängig von den jeweiligen Gegebenheiten, also dem tatsächlichen Sachverhalt.


Juristische Vorgehensweise

Hier sei erwähnt, dass innerstaatliche Rechtsnormen generell, soweit anwendbar, vorrangig anzuwenden sind (ipso jure), und dann in Fällen der Nichtanwendbarkeit durch speziellere Regelungen und internationale Rechtsnormen verdrängt werden. Aus juristischer Sicht wird daher immer zuerst nach nationalem Recht geforscht, und anschließend nach vorrangig anzuwendenden internationalen Regelungen oder Spezialgesetzen gesucht, welche das nationale Recht verdrängen.

Welche Normen im Genauen anzuwenden sind ist abhängig vom Einzelfall. Relevante Faktoren sind

1. die Vertragsart – Pauschalreise oder Individualreise (Nur-Flug-Vertrag)?

2. die äußeren Umstände – handelt es sich um einen nationalen, oder um einen internationalen Flug? Liegt der Flughafen in der EU?

3. die Schadensart – liegt eine Flugverspätung vor, oder ist das Gepäck beschädigt? Kam es bei einem Unfall zu einem Personenschaden?

4. individuelle Vertragsvereinbarungen – ist in den AGB die Geltung einer Verordnung oder eines Übereinkommens vereinbart worden?


Um feststellen zu können, welche Norm die Anspruchsgrundlage stellt muss besonders darauf geachtet werden, die einzelnen Schadenspositionen zu trennen. Wenn also bei einem Urlaub (Individualreise) etwa der Flug zu spät kommt und auch noch das Gepäck verloren geht, dann sind Verspätung und Verlust getrennt zu betrachten und verschiedene Rechtsgrundlagen heranzuziehen.


Die rechtliche Sphäre um den Passagier

Die Fluggastrechte bzw. Passagierrechte ergeben sich maßgeblich aus folgenden Rechtsnormen, deren Anwendungsbereiche später gegeneinander abgegrenzt werden:

Individualreise/ Nur-Flug-Vertrag

1. Montrealer Übereinkommen und Warschauer Abkommen

2. Verordnungen der Europäischen Gemeinschaft (EG[VO]) darunter

- VO (EG) Nr. 2027/97 i. V. m. Änderungsverordnung VO (EG) Nr. 889/2002

- VO(EG) Nr. 261/04

3. Nationales Recht (BGB) – Werkvertragsrecht §§ 631 ff. BGB


Pauschalreise

4. deutsche Reisevertragsrecht (§§ 651 a-m BGB)


Hier kristallisiert sich bereits eine Rangordnung heraus, die zwar nicht der klassischen juristischen Vorgehensweise entspricht, jedoch für den Laien meist besser nachzuvollziehen ist:

Vorrangig anzuwenden sind internationale Übereinkommen und Verträge (Montrealer Übereinkommen) – besteht dann eine Regelungslücke (keine Anwendbarkeit da nicht ratifiziert, oder der Schaden z. B. Annullierung ist nicht erfasst) greift man auf die „nächst größere Einheit“ zurück: das Europarecht. Fällt der vorliegende Fall ebenfalls in eine Regelungslücke (Pauschalreise sind nicht geregelt), ist das nationale Recht heranzuziehen.




Abgrenzung der Rechtsquellen

Letztendlich muss jede Rechtsquelle mit deren Anwendungsbereich separat betrachtet werden.

Montrealer Übereinkommen und Warschauer Übereinkommen

Allgemeines

Das Montrealer Übereinkommen ist anzuwenden für jede

- internationale Beförderung von

- Personen, Reisegepäck oder Gütern,

- zwischen zwei Vertragsstaaten des Montrealer Übereinkommens, die

- durch Luftfahrzeuge

- gegen Entgelt erfolgt.

Das Montrealer Übereinkommen regelt Ansprüche der Passagiere infolge von Personenschäden (Tod oder Körperverletzung, keine psychischen Schäden), Gepäckschäden (Verlust, Verspätung, Beschädigung oder Zerstörung von Gepäck) nach Art. 17 MÜ oder auch Verspätungsschäden i. S. d Art. 19 MÜ. Das Übereinkommen ist dabei nur auf den Ersatz materieller Schäden gerichtet; immaterielle Schäden wie vergangene Urlaubsfreude können nicht auf Grundlage des Montrealer Übereinkommens geltend gemacht werden. Es haften das vertragliche Luftfahrtunternehmen und das ausführende Luftfahrtunternehmen in Gesamtschuldnerschaft.

Typische Regelungslücken

Die Anwendbarkeit des Montrealer Übereinkommens kann aus mehreren Gründen ausscheiden: Es mangelt beispielsweise an einer Ratifizierung, oder der Sachverhalt fällt aus anderen Gründen nicht in den Anwendungsbereich des Übereinkommens (keine internationale Beförderung, Personen- oder Gepäckschaden, sondern Flugverspätung). Dabei ist zu beachten, dass das Montrealer Übereinkommen auch in Nichtvertragsstaaten im Zuge von individuellen Parteivereinbarungen zur Anwendung kommen kann, sofern die nationalen Rechtsnormen eine Vertragsfreiheit in dieser Hinsicht gewähren und keine anderen Rechtsnormen einem solchen Vertrag entgegenstehen. Die in den Vertrag übernommenen Teile des Montrealer Übereinkommens fallen dann jedoch unter die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) und sind rechtlich auch als solche zu behandeln.


Europarecht – Verordnungen der Europäischen Gemeinschaft

Allgemeines

In Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft stellen sich vor die Anwendbarkeit von nationalem Recht noch die Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft und die Verordnungen. Während die Richtlinien in jedem Staat auf eigene Weise umgesetzt werden (Resultat einer Richtlinie für Pauschalreisen sind beispielsweise die §§ 651 a-m BGB, den Regelungen für das Pauschalreiserecht), gelten die Verordnungen unmittelbar und für alle Vertragsstaaten verbindlich. Den Anwendungsbereich der Verordnung regelt jede Verordnung selbst.

VO (EG) Nr. 2027/97 und VO (EG) Nr. 889/2002

Die frühere VO (EG) Nr. 2027/97 regelte die Haftung der Luftunternehmen bei Unfällen. Sie wurde nach Einführung des Montrealer Übereinkommens durch die VO (EG) 889/2002 ergänzt und dadurch an das Haftungssystem des Montrealer Übereinkommens angepasst. Gleichzeitig wurde das Montrealer Übereinkommen dadurch anwendbar auf alle Flüge, die von einem Luftfahrtunternehmen der Europäischen Gemeinschaft durchgeführt wurden. Bis zu diesem Zeitpunkt wurde der Anwendungsbereich des Übereinkommens territorial auf Flüge zwischen Mitgliedsstaaten begrenzt. Kriterium für den Status „Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft ist eine EG-Betriebsgenehmigung i. S. d. EG (VO) Nr. 2407/92. Luftfahrtunternehmen der Europäischen Gemeinschaft sind demnach in der Regel alle gewerblichen Luftfahrtunternehmen mit einem Sitz in der EU. Im Luftbeförderungsrecht gelten eine Vielzahl von internationalen, europäischen und nationalen Rechtsquellen. Als Internationale Rechtsquelle ist vornehmlich das Montrealer Übereinkommen und das Warschauer Abkommen zu nennen, im europäischen Recht die FluggastrechteVO und im nationalen Recht das Luftverkehrsgesetz und das BGB. Untereinander ist immer das Prinzip des Vorrangs der jeweils höheren Stufe zu beachten. Im Unionsrecht gilt die Vorrangigkeit der höheren Stufe gemäß Artikel 216 Absatz 2 AEUV. Das Unionsrecht bindet nicht nur die Organe der EU, sondern auch die Mitgliedsstaaten. Durch die Ratifikation des Montrealer Übereinkommens, ist dieses auch Bestandteil des Unionsrechts geworden.

VO(EG) Nr. 261/04

Für europäische Flugpassagiere besonders relevant ist inzwischen die (EG) Nr. 261/04. Die Verordnung (EG) Nr. 261/2004 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 regelt die Ansprüche der Passagiere von Flügen, die

- in der EU beginnen oder von einem Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft ausgeführt werden

bei Fällen von

- Nichtbeförderung

- Flugannullierung oder

- Verspätung

Eine Regelungsüberschneidung mit dem Montrealer Übereinkommen ergibt sich nur auf dem Gebiet der Flugverspätung. Dabei sind die Anspruchsarten verschieden: Bei einer Verspätung kann der Passagier nach Art. 6 der Verordnung vom Flugvertrag zurücktreten oder anderweitige Beförderung, sowie Betreuungsleistungen vor Ort verlangen. Gemäß Art. 19 des Montrealer Übereinkommens kann der Fluggast den Schaden ersetzt verlangen, der durch die Verspätung entstand. Aufgrund dieser verschiedenen Ansprüche ist eine Überkompensation ausgeschlossen und der Betroffene kann auf Grundlage beider Rechtsquellen Ansprüche geltend machen. Bezüglich der Konkurrenz mit anderen Schadensersatzansprüchen (z. B. aus dem deutschen Schadensersatzrecht der §§ 275, 280; Schadensersatz aus unerlaubter Handlung, u. a.) setzt Art. 12 der Verordnung fest, dass zwar auch andere Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden können, diese aber auch auf die Ausgleichsleistungen aus Art. 7 VO (EG) 261/04 angerechnet werden können.

Anspruchsgegner (siehe Passivlegitimation) ist bei Ansprüchen aus der Verordnung immer das ausführende Luftfahrtunternehmen.

Nationales Recht (BGB)

Das deutsche Werksvertragsrecht nach § 631 ff. BGB kommt dann zur Geltung, wenn der eine Vertragspartner dem anderen durch den Vertrag einen bestimmten Erfolg, die tatsächliche, mängelfreie Beförderung von Personen und Gepäck, schuldet. Grundsätzlich wird die Flugbeförderung inzwischen jedoch nur noch höchst selten als Gegenstand eines Werkvertrages behandelt, da die rechtliche Sphäre um das Thema Reisen und Luftbeförderung nahezu vollständig durch internationale Regelungen, Verordnungen, Richtlinien und Verträge abdeckt ist. Dazu kommen solche Fälle, in denen die internationalen Verträge zwar nicht einschlägig anzuwenden sind, ihre Geltung jedoch im Zuge individueller Parteiabreden (über beispielsweise die AGBs – Allgemeinen Geschäftsbedingungen) vereinbart wird.


Rechtsprechung

Zur Abgrenzung von verschiedenen Ansprüchen (hier Ausgleichsanspruch gegen Flugunternehmen und Minderungsanspruch gegen Reiseveranstalter) gegeneinander und Vermeidung von Überkompensation: Vgl. AG Rostock, Urteil vom 14.01.2013, Az. 47 C 256/12 (nach der Sucheingabe“ 47 C 256/12 Reise-Recht-Wiki.de“ durch google als erstes Ergebnis zu finden)


LG Duisburg, Urteil vom 29.11.2007, Az. 12 S 57/07: Ausgleichsansprüche aus der VO (EG) 261/04 können nur gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen geltend gemacht werden, und nicht gegenüber dem Reiseveranstalter