Wann Entschädigung bei Flugverspätung?

Aus PASSAGIERRECHTE
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Begriff Flugverspätung

Flug im Sinne der Fluggastrechteverordnung ist nicht die Luftverkehrsbewegung eines Flugzeugs, sondern ein Beförderungsvorgang, der von einem bestimmten Luftverkehrsunternehmen auf einer bestimmten Route ausgeführt wird und mit dem eine Gesamtheit von Fluggästen von einem Flughafen zum anderen befördert wird (BGH, Urt. v. 04.09.2018, Az.: X ZR 111/17). Von einer Flugverspätung ist immer dann auszugehen, wenn sich ein Ereignis im Zusammenhang mit einem Flug zu einem anderen Zeitpunkt ergibt, als anfänglich vorgesehen war. Siehe auch: https://www.passagierrechte.org/Flugversp%C3%A4tung

Voraussetzungen für eine fluggastrechtlich relevante Abflugverspätung

Um eine Verspätung im Sinne des Art. 6 der Fluggastrechteverordnung annehmen zu können, muss eine Verzögerung des Abflugs von mindestens zwei Stunden gegeben sein. Erst dann kann man eine in zeitlicher Hinsicht „große Verspätung“ im Sinne des offiziellen Titels der Fluggastrechteverordnung. Geringfügige Abflugverspätungen sollen fluggastrechtlich irrelevant bleiben. Wichtig ist, dass eine solche Verspätung „nach vernünftigem Ermessen absehbar“ sein muss. Absehbar für das ausführende Luftfahrtunternehmen. Wird durch eine Prognose im Vorfeld des regulären Flugantritts deutlich, dass es zu einer Mindestverspätung von zwei Stunden kommen wird, dann gelten die Fluggastrechte ab dem Zeitpunkt der „Absehbarkeit“. Es ist demnach nicht ausschlaggebend, dass erst tatsächlich die Verspätungsdauer von zwei Stunden erreicht ist. Die Fluggastrechte finden bereits dann Anwendung, wenn sich die Prognose ex post als falsch erweisen sollte. Laut der Formulierung „nach vernünftigem Ermessen absehbar“ sollen auch die wirtschaftlichen und zeitlichen Ressourcen der konkret ausführenden Airline Berücksichtigung finden. Das bedeutet so viel, wie das kein unverhältnismäßiger Aufwand zu betreiben ist. Hilfreich könnten jedoch erschwingliche technische Applikationen sein. So werden sich in naher Zukunft „künstlich intelligente“ Flight-Services, wie Google Flights auf die Prognoseentscheidungen auswirken können. Durch selbsterlernte Algorithmen wird eine neue Funktion verfügbar sein, welche mit einer 80 % Wahrscheinlichkeit verspätete Flüge anzeigen kann.

Streckenstaffelung

Liegt die zeitliche Mindestvoraussetzung von zwei Stunden als Prognoseentscheidung vor, dann ist der Tatbestand der Verzögerung erfüllt, wenn die Distanz der Flugstrecke maximal 3.500 km beträgt (Art. 6 Abs. 1 lit. a der Fluggastrechteverordnung – Kurzstrecke). Bei einer Entfernung zwischen 1.500 und 3.500 km und bei allen „innergemeinschaftlichen Flügen“, deren Distanz mehr als 1.500 km beträgt, können erst dann als verspätet eingestuft werden, wenn der Abflug eine Verzögerung von mindestens drei Stunden aufweist (Art. 6, Abs. 1 lit. b der Fluggastrechteverordnung-Mittelstreckenflüge). Alle anderen Flüge, also außergemeinschaftliche Flüge mit einer Flugdistanz von 3.500 km sind ab einem von vier Stunden verzögerten Abflug als verspätet einzustufen (Art. 6 Abs. 1 lit. c der Fluggastrechteverordnung – Langstreckenflug). Es gilt also die folgende übergreifende Formel: Je geringer die Entfernung, desto eher entfalten die Fluggastrechte ihre Wirkung. Die Anspruchsinhalte erhöhen sich mit der zeitlichen Dauer der Verzögerung. Unabhängig von den Distanzen der lit. a-c hat der Fluggast laut Art. 6 Abs. 1 lit. iii ab einer fünfstündigen Verspätung einen Anspruch auf Unterstützungsleistungen nach Art. 8 Abs. 1 lit. a der Fluggastrechteverordnung. Hier steht jedoch nicht die Verspätungsprognose, sondern die wahre Abflugverspätung in Rede.

Abflugbegriff

Der Abflug liegt dann vor, wenn der Zeitpunkt gekommen ist, dass das Flugzeug sich komplett in der Luft befindet. Schon begrifflich setzt ein Abflug einen Flugmoment voraus. Damit ist weder das Entfernen der Bremsklötze, noch das Verlassen der Parkbucht, noch das Rollen auf dem Abflugfeld als Abflug im Sinne der Norm anzusehen. Wird der Startvorgang eingeleitet, dann jedoch abgebrochen, dann kommt es somit nicht zu einem pünktlichen Start des Fluges. Es bedarf jedoch nicht nur des vollständigen Abhebens, sondern das Abheben muss sich endgültig in Richtung auf den Zielflughafen darstellen. Ist das Flugzeug schon in der Luft und muss jedoch wegen technischen Gründen wieder umkehren, dann ist auch noch kein Abflug im Sinne des Art. 6 der Fluggastrechteverordnung gegeben. Auf die verspätete Ankunft kommt es für den Tatbestand des Art. 6 der Fluggastrechteverordnung nicht an. Kommt es zu einem verspäteten Abflug aber dennoch zu einer pünktlichen Ankunft, dann muss Art. 6 der Fluggastrechteverordnung keine Anwendung finden.

Berechnungsmethode der Distanz bei Verspätungen (Art. 7 Abs. 4 der Fluggastrechteverordnung)

Die Ermittlung der Entfernung erfolgt laut Art. 7 Abs. 1 der Fluggastrechteverordnung über die Großkreisentfernungsmethode. Verwendet wird bei dieser gesetzlichen Berechnung die kürzeste Strecke zwischen dem Start- und Zielflughafen entlang der kugelförmigen Erdoberfläche (Orthodrome) unter Berücksichtigung der Erdkrümmung. Der tatsächlich zurückgelegten Flugstrecke kommt jedoch keine Bedeutung zu. Ausschlaggebend sind die tatsächlich angeflogenen Flughäfen. Viel eher deren „aerodrome reference points“ (ARP), jedoch nicht die Betitelung durch die Fluggesellschaft auf dem Flugschein. Diese Thematik gewinnt bei Regionalflughäfen an Bedeutung, wenn auf dem Flugschein auch die nächstgelegene Großstadt aufgeführt ist.

Dabei besteht jedoch die Frage, ob auch dann eine Berechnung auf der kürzesten Strecke zwischen dem Startflughafen und dem im Flugschein aufgeführten Endziel zu erfolgen hat, wenn es zu einer Durchführung von Flügen in Teilstrecken, wie z.B. Hamburg-München-Palma de Mallorca kommt. Denn in Frage kommen würde ebenfalls die Summe der Entfernungen der einzelnen Strecken. So z.B. Hamburg-München und dann die Strecke München-Palma de Mallorca. Durch den BGH (Urt. v. 14.10.10, Az.: Xa ZR 15/10) wurde entschieden, dass laut Art. 7 Abs. 1 S. 2 der Fluggastrechteverordnung bei der Berechnung der Entfernung der letzte Zielort (also das Endziel) ausschlaggebend ist, den der Fluggast aufgrund der Annullierung später erreicht, als die planmäßige Ankunftszeit ursprünglich angelegt war. Damit kommt es nicht auf den Zielort des einzelnen Beförderungsvorgangs an, welcher annulliert wurde. Wird also die erste kurze Teilstrecke annulliert, dann ist bei der Berechnung der Höhe der Ausgleichszahlungen nicht diese Entfernung ausschlaggebend, sondern die Entfernung zum Endziel des einheitlich gebuchten Fluges (LG Hannover, Urt. v. 10.10.12, Az.: 12 S 19/12, LG Hannover, Urt. v. 08.11.13, Az.: 14 S 1/13).

Blankenburg zu Folge soll eine Unterscheidung hinsichtlich des Endziels erfolgen. Im ersten Fall kommt es dazu, dass durch den Fluggast schon vor dem Reisebeginn beide Flüge als eine „einheitliche Reise“ gebucht wurden und der Fluggast somit bereits vor Beginn der Reise abgefertigt wurde und damit der letzte Ankunftsflughafen das Endziel seiner Reise darstellt. Im zweiten Fall besteht zwischen den Flügen kein unmittelbarer Zusammenhang. Das ist z.B. dann der Fall, wenn keine einheitliche Buchung vorgenommen wurde oder es zu einer Unterbrechung der einzelnen Flugabschnitte durch einen längeren Aufenthalt kommt, bei dem es auch zu dem Auschecken nach dem ersten Flugabschnitt kommt. In einer solchen Situation erscheint es schwierig, dass Ziel des zweiten Fluges noch als Endziel der Flugreise zu bezeichnen.

Laut dem AG Frankfurt a.M. (Urt. v. 11.10.13, Az.: 29 C 1952/13) ist bei einer einheitlich gebuchten Reise, welche aus mehreren Flügen eines Luftfahrtunternehmens besteht, die Entfernung aus der Summe der Teilstrecken zu ermitteln. Da der Art. 7 der Fluggastrechteverordnung eine streckenabhängige Staffelung der Ausgleichsansprüche enthält, ist davon auszugehen, dass Gesetzgeber die Ansicht vertreten, dass die Unannehmlichkeiten für den Fluggast mit der Entfernung zunehmen. Deshalb könnte im Zusammenhang mit der wirklich zurückgelegten Strecke angenommen werden, dass bei der Bemessung die Entfernung bei Umsteigeflügen auf die Summe der Entfernungen der Teilstrecken und damit einerseits zwischen dem Startflughafen und dem Zwischenlandeort einerseits und auf der anderen Seite zwischen diesem und dem Endziel zu ermitteln ist. Zu dieser Entscheidung kamen das HG Wien, das BGHS Wien und das LG Graz (Urt. v. 10.05.17).

Das LG Frankfurt a.M. (Urt. v. 16.06.16, Az.: 2-24 S 208/15) hatte eine Entscheidung im folgenden Fall zu treffen: Bei einem Flug, welcher sich aus mehreren Teilflügen zusammensetzte und die von einem annullierten Flug betroffenen Fluggäste auf dem ersten Teilflug durch eine andere Fluggesellschaft ausgeführten Flug umgebucht wurden auf einen Flug, welcher fast die gleichen Abflug- und Ankunftszeiten aufwies, kam es aufgrund von einer Verspätung dieses Fluges dazu, dass der Anschlussflug nicht mehr erreicht werden konnte und die betroffenen Fluggäste somit nicht in der Lage waren den Anschlussflug zu erreichen und damit ihr Endziel mit einer Verspätung von 23 Stunden erreichten. In diesem Fall hat das Landgericht entschieden, dass die gesamte Strecke beachtet werden muss. Begründet wird dies damit, dass der letzte Zielort zu beachten ist, welcher durch den betroffenen Fluggast aufgrund der Annullierung des ersten Fluges mit einer so enormen Verspätung erreicht wurde.

Durch viele andere Gerichte (LG Landshut, Urt. v. 16.12.15, Az.: 13 S 2291/15; LG Hamburg, Urt. v. 16.12.15, Az.: 13 S 2291/15 und 15.01.16, Az.: 320 S 8/15; AG Köln, Urt. v. 3.12.13, Az.: 113 C 428/13; AG Hamburg, Urt. v. 03.06.15, Az.: 120a C 28/15; AG Nürtingen, Urt. v. 28.05.15, Az.: 12 C 394/15; AG Wedding, Urt. 14.10.15, Az.: 22 a C 193/15; LG Köln, Urt. v. 30.05.17, Az.: 11 s 230/16) wurde jedoch die Ansicht verfolgt, dass unter dem Begriff der „Entfernung“ selbst bei einheitlich gebuchten Umsteigeverbindungen nur die Entfernung zwischen dem Abflug- und letzten Zielort ausschlaggebend ist. Die dabei tatsächlich zurückgelegte Flugstrecke spielt keine Rolle. Bei der Begründung ihrer Ansicht berufen sich die jeweiligen Gerichte unter anderem auf die „Leitlinien der Kommission für die Auslegung der Verordnung“. Durch das LG Hamburg (Urt. v. 15.01.16, Az.: 320 S 8/15) wurde diese Frage sogar dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt (EuGH, Az.: C-40/16). Am 07.06.16 wurde durch, dass LG Hamburg jedoch mitgeteilt, dass sich das Verfahren in der Hauptsache erledigt hat. Am 20.06.16 wurde die Rechtssache damit wieder aus dem Register des EuGHs entfernt. Kurz danach wurde diese Frage dem EuGH jedoch erneut durch das AG Hamburg zur Vorabentscheidung vorgelegt. Es ging um den Fall Bossen/Brüsssels Airines (Rs. C-559/16). Nach diesem Vorlagebeschluss des LG Köln vom 30.05.17, Az.: 11 S 230/16) wurde die Forderung durch das beklagte Luftfahrtunternehmen anerkannt. Durch den Beschluss vom 12.07.17 wurde auch durch das HG Wien (1 R 4/17k) die Rechtsfrage dem EuGH wieder vorgelegt.

Durch die unverbindlichen Leitlinien der Kommission für die Auslegung der europäischen Fluggastrechteverordnung wird festgelegt, dass die Entfernung bei einer großen Verspätung nach der Methode der Großkreisentfernung zwischen dem Abflugsort und dem Endziel zu ermitteln ist. Damit soll die Entfernung für die „Reise“ ermittelt werden und nicht durch die Addition der Großkreisentfernungen der einzelnen Anschlussflüge, durch die es zu der Gesamtheit der Reise kommt.

Somit hat die Berechnung nach der Großkreismethode auch bei einheitlich gebuchten Direktflügen mit Zwischenlandung, aber auch bei Mehrstreckenflügen Anwendung zu finden. Es soll also keine Summierung der einzelnen, relevanten Segmente vorgenommen werden. Unter Entfernung im Sinne des Art. 7 Abs. 1 der Fluggastrechteverordnung ist die Distanz zwischen dem Ort des ersten Abflugs und dem Endziel zu verstehen (Entscheidung Bossen/Brussels Airlines vom 07.09.17. Liegt keine einheitliche Buchung vor, dann müssen die Start- und Zielflughäfen der jeweiligen Einzelstrecken berücksichtigt werden.

Fazit Entschädigung bei Verspätung

Um also schlussendlich die Frage beantworten zu können, wann dem Fluggast eine Entschädigung bei Verspätung zusteht, muss vor allem zu erst ein Blick auf die Flugdistanz geworfen werden, welche nach der soeben näher erläuterten Großkreismethode bestimmt werden kann. Des Weiteren gewinnt für die Frage, ab wann dem Fluggast bei Verspätung eine Entschädigung zusteht, die Dauer der Verspätung Bedeutung. Betrachtet man dann den Zusammenhang zwischen der Entfernung und der Dauer der Verspätung lässt sich problemlos ermitteln, ab wann dem von einer Verspätung betroffenen Fluggast ein Anspruch auf Entschädigung zusteht.