Flugsicherheitsnetz
Flugsicherheitsnetze sind boden- oder luftgestützte Systeme oder Systemfunktionen, die den Benutzer vor potenziell gefährlichen Zuständen auf eine effektive Weise und mit ausreichend Zeit, um auf die Situation zu reagieren, warnen.
Sicherheitsnetze helfen dabei, drohende oder tatsächliche Gefahrensituationen nicht zu einem größeren Flugunfall werden zu lassen. Sicherheitsnetze können entweder bodenbasiert oder luftgestützt sein:
- Bodengestützte Sicherheitsnetze sind ein integrer Bestandteil des Flugmanagementsystems. Sie verwenden primär Überwachungsdaten der Flugverkehrsdienste und bieten eine Vorwarnzeit von bis zu zwei Minuten. Nach dem Empfangen eines Alarmzeichens müssen Fluglotsen die Situation sofort bewerten und entsprechende Schritte einleiten.
- Luftgestützte Sicherheitsnetze stellen Warnungen und Reaktionsempfehlungen direkt für Piloten bereit. Die Vorwarnzeit ist hier allerdings kürzer – bis zu 40 Sekunden. Von Piloten wird erwartet, dass sie sofort geeignete Gegenmaßnahmen ergreifen.
Bodengestützte Sicherheitsnetze
Kurzfristige Konfliktwarnung
Das kurzfristige Konfliktwarnsystem (englisch: short term conflict alert, STCA) ist ein automatisches Alarmsystem für Fluglotsen. Es ist ein bodengestütztes Sicherheitsnetz, das durch eine in einer angemessenen Zeitspanne erzeugte Benachrichtigung vor Kollisionen zwischen Flugzeugen warnt. Die Warnung basiert auf tatsächlichen oder potenziellen Überschreitung der Mindestsicherheitsabstände.
Der ICAO-Annex 4444 schreibt vor, dass jedes Radar-System für die Übermittlung von sicherheitsrelevanten Warnungen, einschließlich bestehender und möglicher Konflikte, geeignet sein soll.
STCA ist ein Teil der Prognosefunktion der Sicherheitsnetze. Es nutzt Überwachungsdaten vom Radar, automatischer Flugzeugüberwachung sowie Umweltdaten und manchmal Flugplaninformationen, um die Bewegung des Flugzeuges zu prognostizieren. Dieser Prozess verläuft normalerweise unbemerkt vom Fluglotsen, sofern keine Verletzung der Mindestsicherheitsabstände eintritt. In diesem Fall generiert STCA ein Alarmsignal, um den Fluglotsen auf die gefährliche Situation hinzuweisen. Aufgrund der unsicheren Vorhersage der Flugbahn kann STCA das Ereignis etwa zwei Minuten im Voraus erkennen. Diese Zeit noch weiter auszudehnen wäre nicht vorteilhaft, da dadurch nur mehr Fehlwarnungen entstehen würden.
Annäherungs-Warnung
Das Annäherungs-Warnsystem (englisch: area proximity warning, APW) alarmiert den Fluglotsen, wenn ein Flugzeug kurz davor ist, ein Luftraumbereich zu verletzen, für welchen es nicht freigegeben wurde. Die Warnung bezieht sich auf den Standort und die Geschwindigkeit des Flugzeuges hinsichtlich des Luftraumbereiches, wo die Aktion erforderlich ist. APW hat keine andere Funktion, als auf zwei Situationen aufmerksam zu machen:
- Unberechtigte Verletzung gesperrter Luftraumbereiche durch gesteuerte Flüge
- Unberechtigte Verletzung vom kontrollierten Luftraum durch nicht gesteuerte Flüge.
APW warnt in einem Zeitintervall von bis zu zwei Minuten im Voraus.
APW ist nur dann effektiv, wenn die Anzahl der Fehlalarme in Übereinstimmung mit lokalen Anforderungen unter einem akzeptablen Schwellenwert bleibt und wenn es genug Zeit lässt, um eine gefährliche Situation zu lösen.
Um alle verfügbaren Informationen verarbeiten zu können, müssen Fluglotsen über ausreichend Situationsbewusstsein verfügen sowie sich ein mentales Modell des Luftraumes und ein Verkehrsmuster kreieren. Um die Situation unter Kontrolle zu halten und Entscheidungen zu treffen, muss der Fluglotse Strategien und Taktiken zur Handhabung der Verkehrsströme und Konflikte entwickeln. In diesem Kontext hat das APW-System folgende Eigenschaften:
- Angemessenheit und Rechtzeitigkeit: der Erzeugungsmechanismus für Warnungen orientiert sich an gängigen Praktiken der Flugverkehrskontrolle.
- Effektivität: Ein Fluglotse kann die Warnung übersehen oder nicht erkennen aus demselben Grund, weswegen die eigentliche Gefahrensituation bereits übersehen oder nicht erkannt wurde. Dies wird durch entsprechende Anpassung der Nutzerschnittstellen vermieden.
- Verständlichkeit und Leistungsüberwachung: die Mitarbeiter sollen regelmäßige Weiterbildungsmaßnahmen durchlaufen, um der steigenden Komplexität des APW und der Umgebung, in der es genutzt wird, gerecht zu werden. In diesen Maßnahmen sollen auch Situationen geübt werden, in denen APW einen Alarm auslöst.
Das APW-Konzept berücksichtigt die jeweilige Luftraumgestaltung und Klassifikation, die Vielzahl von verschiedenen Nutzern, flexible Luftraumnutzung (FUA) und die geltenden Verfahren der Flugsicherungsdienste.
Im Falle einer Warnung muss der Fluglotse umgehend die Situation bewerten und geeignete Maßnahmen ergreifen, um die Verletzung des Luftraumes zu vermeiden oder deren Folgen zu mildern.
APW muss zukünftigen Anforderungen, darunter weitere Zunahme des Verkehrsaufkommens, Änderung der Verkehrsmuster, flexible Luftraumnutzung, neue Flugzeugcharakteristiken, weitere Automatisierung in der Luft und auf dem Boden sowie ggf. Einführung neuer Konzepte gerecht werden. Deswegen muss die Kompatibilität von APW und anderen Sicherheitsnetzen maximiert werden. Im Zusammenhang mit dem technischen Fortschritt im Flugzeugbau können weitere Änderungen im APW-Konzept vorgenommen werden:
- Korrelation der Einschränkungen der Flugverkehrskontrolle mit der Absicht des Flugzeuges, um die Anzahl von Fehlalarmen weiter zu verringern.
- Längere Vorgriffszeit, mehrstufiger oder verschiedenartiger Alarm.
- Korrelation von Warnungen aus verschiedenen Quellen (auf dem Boden und in der Luft), um kombinierte Warnungen zu generieren.
Mindestsicherheitshöhe-Warnung
Das Mindestsicherheitshöhe-Warnsystem (englisch: minimum safe altitude warning, MSAW) ist eine Warnanlage, die Fluglotsen über erhöhtes Risiko eines gesteuerten Fluges ins Gelände informiert. Ein Warnzeichen erfolgt, wenn das Flugzeug dem Boden oder einem Hindernis gefährlich nahekommt.
Das Hauptziel des MSAW-Systems ist es, die Sicherheit zu verbessern und nicht die Einhaltung eines festgelegten Minimums zu überwachen.
MSAW vergleicht die Höhen, die von einem Transponder im Flugzeug übermittelt werden mit definierten Sicherheitsmindesthöhen. Wenn die Höhe des Flugzeuges tatsächlich oder potenziell zu niedrig erscheint, wird eine akustische und visuelle Warnung für den Fluglotsen generiert.
MSAW erhält Daten von Flugzeugüberwachung, Umweltdatenverarbeitung und Flugdatenverarbeitung:
- Überwachungsdaten, einschließlich Druckhöhenmessungen
- Flugdaten können auf folgende Art und Weise verwendet werden:
- Art/Kategorie des Fluges: um die Notwendigkeit der Alarmierung und der dabei herangezogenen Parameter einzuschätzen;
- Betreffender Luftraumsektor: um Warnungen zu richten;
- Freigegebene Flughöhen: um die Relevanz von Warnungen zu erhöhen;
- Gelände- und Hindernisdaten;
- Warnparameter;
- Zusätzliche Einträge.
Das MSAW-System bietet mehrere Varianten der Prognose:
- Vertikale Voraussage ist eine lineare Hochrechnung unter Verwendung der aktuellen Höhe und des vertikalen Kurses.
- Vertikale Voraussage mit freigegebener Flugfläche: in einigen Systemen der Flugverkehrskontrolle greift MSAW auf freigegebene Flugflächen, um Flugbahnen und somit das Konfliktpotenzial zu prognostizieren.
- Horizontale Voraussage ist eine geradlinige Extrapolation unter Verwendung der aktuellen Position und Geschwindigkeit in der lateralen Dimension.
Endanflug-Überwachung
Das System der Endanflug-Überwachung (englisch: approach path monitor, APM) hat ebenfalls die Funktion, vor Kollisionen mit dem Boden zu warnen. Die Aufmerksamkeit richtet sich dabei auf die Endanflug-Phase des Fluges. APM ist auf die Ausgestaltung und Klassifikation des jeweiligen Luftraumes ausgelegt und eignet sich für eine Vielzahl von Anwendern und geltende Vorschriften.
APM-System ist sowohl für präzise, als auch nicht-präzise Instrumentenanflüge geeignet. APM ist jedoch nicht bei Platzrunden anwendbar.
Hinsichtlich dieser Aspekte ist APM in der Lage, verschiedene Parameter bei der Generierung von Warnungen heranzuziehen. Verschiedene Parameter können auch im Falle von Systemverschlechterung angewandt werden (zum Beispiel Ausfall einer oder mehreren Radarstationen).
Das APM-System muss als Wichtigstes erkennen, welche Flugbahnen zu Flugzeugen im Verantwortungsbereich einer bestimmten Flugverkehrskontrollstelle gehören und für welche Flugbahnen eine APM-Warnung relevant ist.
Die Performance von APM wird an der Anzahl von echten und fehlerhaften Warnungen gemessen, die dem Fluglotsen angezeigt werden, sowie an der Menge an Vorwarnzeit, die bei echten Warnungen zur Verfügung gestellt wird. Bevor diese Elemente gemessen werden können, muss man wissen, bei welchen Ereignissen bzw. Szenarien ein Alarm generiert werden musste und bei welchen nicht. Es gibt fünf grundlegende Kategorien:
- 1: Notwendige Warnung
- 2: Wünschenswerte Warnung
- 3: Nicht notwendige Warnung
- 4: Nicht wünschenswerte Warnung
- 5: Nutzlose Warnung
Zu der ersten Kategorie gehören Szenarien, bei denen es unbedingt notwendig ist, dass die Aufmerksamkeit des Fluglotsen sich darauf richtet. Dazu gehören eine Reihe von Anflug- und Landeunfällen, einschließlich gesteuerter Flug ins Gelände sowie erhebliche Abweichungen von der Anflugbahn. Darüber hinaus werden in dieser Kategorie Unfälle zusammengefasst, die nur durch rechtzeitiges Manövrieren vermieden werden konnten. Diese Manöver sind gut zu erkennen, da sie typischerweise eine plötzliche und schnelle Änderung der Flugbahn beinhalten, um einen Unfall zu verhindern oder dessen Folgen zu mildern.
Die Warnungen der Kategorie 2 sind diejenigen, wo das Einschreiten wünschenswert ist. Dazu gehören solche Ereignisse, die zwar risikohaft sind, können jedoch mit gewöhnlichen Anweisungen (z.B. Flughöhe überprüfen) gelöst werden.
In der Kategorie drei werden Vorfälle zusammengefasst, in denen es als unnötig erachtet wird, dass die Aufmerksamkeit des Fluglotsen darauf gelenkt wurde. Die Warnung ist unter den gegebenen Umständen „verständlich“ oder „vorhersehbar“ und stellt keine große Ablenkung dar. Dies ist meist bei geringen Abweichungen von der Flugbahn der Fall, die beispielsweise durch Turbulenzen verursacht wird und vom Piloten selbst korrigiert wurde.
Kategorie vier sind Fälle, in denen die Abweichung von der Flugbahn die Grenzen nicht übersteigt. Eine Warnung wäre unnötig und störend.
Szenarien der Kategorie fünf sind Fälle, in denen aufgrund eines Fehlers im APM-System eine Warnung wegen einer Situation generiert wird, welche nicht existiert. Diese Warnungen müssen als ungültig betrachtet werden, aber in manchen Fällen sind sie schwer zu verhindern. Die Ursache dieser Warnungen unterscheidet sich je nach System. Einige Szenarien sind sofort offensichtlich und als Fehlalarme erkennbar, bei anderen ist eine mehr oder weniger gründliche Untersuchung erforderlich, um festzustellen, dass das Flugzeug in der Tat von der Flugbahn nicht abgekommen war.
Luftgestützte Sicherheitsnetze
Kollisions-Vermeidungssystem
Das luftseitige Kollisions-Vermeidungssystem (englisch: airborne collision avoidance system , ACAS) ist eine Art der Bodenkollisionsvermeidungstechnologie, welche unabhängig von der bodengestützten Ausrüstung und ohne, dass eine Warnung vom Fluglotsen notwendig ist, betrieben wird. Wenn das Risiko einer Kollision bevorsteht, zeit das System ein Manöver an, mit dem der Zusammenprall verhindert werden kann.
In modernen Flugzeugen können verschiedene Typen des Systems eingesetzt werden, um unbeabsichtigten Kontakt mit anderen Flugzeugen, Boden oder Hindernissen zu verhindern:
- Luftseitiger Radar kann den relativen Standort anderer Luftfahrzeuge erkennen. Größere Verkehrsflugzeuge sind mit einem Wetterradar ausgestattet, Antikollisionsradare sind in der Zivilluftfahrt jedoch selten.
- Verkehrskollisions-Vermeidungssystem (TCAS) sendet aktiv Anfragen an Transponder anderer Flugzeuge und erarbeitet so im Falle einer Bedrohung eine Taktik zur Vermeidung der Kollision. TCAS-Systeme sind relativ teuer und kommen vorwiegend in sehr großen Flugzeugen zum Einsatz. Sie sind jedoch nur dann effektiv, wenn das andere Flugzeug mit funktionierenden Transponder mit Flughöhenübermittlung ausgestattet ist.
- Ein tragbares Kollisions-Vermeidungssystem (PCAS) ist, dagegen, kostengünstiger und wurde speziell für den Einsatz in der allgemeinen Luftfahrt entwickelt. PCAS-Systeme interagieren nicht aktiv mit Transpondern anderer Flugzeuge, sondern empfangen passiv die Antworten aus anderen Interaktionen. Sie unterliegen denselben Beschränkungen, wie TCAS-Systeme, die Kosten für PCAS sind jedoch signifikant geringer.
- Synthetisches Sichtsystem (SVS) ist eine computergenerierte Simulation der direkten Umgebung des Flugzeuges, welche Piloten bei schlechter Sicht verwenden können.
- Kollisions-Vermeidungssystem für Hindernisse (OCAS) wurde entwickelt, um vor einer unmittelbaren Gefahr des Zusammenpralls mit einem Hindernis (zum Beispiel Stromleitungen, Fernsehtürme oder Windkraftanlagen) zu warnen. Dadurch können die Warnlichter ausgeschaltet bleiben, bis ein Flugzeug erkannt wird, das sich auf einer gefährlichen Flugbahn befindet. Dadurch bleibt auch der Nachthimmel frei von unnötiger Lichtemission.
Große und anspruchsvolle Flugzeuge können mehrere Systeme gleichzeitig einsetzen, während kleinere nur PCAS haben oder von den Möglichkeiten des OCAS-Systems profitieren können.
Bodenannäherungs-Warnsystem
Bodenannäherungs-Warnsystem (GPWS) löst einen Alarm im Cockpit aus, wenn das Flugzeug dem Boden gefährlich nahe kommt. Das System überwacht die Höhe des Flugzeuges über dem Boden. Die Mindesthöhe wird durch den Höhenmesser des Radars festgelegt. Ein Computer verfolgt dann diese Messwerte, berechnet Trends und macht den Flugkapitän mit akustischen und visuellen Warnungen aufmerksam, wenn das Flugzeug sich im Zustand von bestimmten Flugkonfigurationen befindet. Diese Konfigurationen oder Modi sind:
- Exzessive Sinkrate
- Exzessive Annäherungsrate auf den Boden
- Verlust der Flughöhe entweder nach dem Start oder bei hoher Leistung
- Unsicherer Abstand zum Boden
- Übermäßige Abweichung unter dem Gleitpfad (beim Landeanflug)
- Zu steiler Querneigungswinkel
- Windscherungsschutz
GPWS kann nur Daten von unterhalb des Flugzeuges verwenden. Bei einer dramatischen Änderung des Geländes, zum Beispiel bei einem steilen Hang, wird GPWS die Annäherungsrate des Flugzeuges nicht ermitteln können, bis es für ein Ausweichmanöver zu spät ist.
Die primäre Ursache von Bodenkollisionen trotz GPWS sind kurze Landungen. Wenn das Fahrwerk und die Landeklappen ausgefahren werden, erwartet das GPWS eine Landung und löst somit kein Alarm aus.
Das Lösung dieses Problems wurde im erweiterten GPWS (EGPWS) gefunden. Das System bietet denselben Schutz auch bei Landung.
EGPWS verwendet Dateneingaben des Flugzeuges wie Standort, Fluglage, Fluggeschwindigkeit, Gleitpfad sowie die des Geländes, Hindernisse und der Flughafendatenbank, um potenzielle Konflikte zwischen der Flugbahn des Flugzeuges und dem Gelände oder dem Hindernis zu erkennen.