Flugverspätung Entschädigung Anrechnung

Aus PASSAGIERRECHTE
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Artikel 12 der Fluggastrechteverordnung regelt das Verhältnis der aus der Verordnung erwachsenen Ansprüche zu eventuell anderen bestehenden Ansprüchen eines Fluggasts

Artikel 12 der Fluggastrechteverordnung

"Weiter gehender Schadensersatz

(1) Diese Verordnung gilt unbeschadet eines weiter gehenden Schadensersatzanspruchs des Fluggastes. Die nach dieser Verordnung gewährte Ausgleichsleistung kann auf einen solchen Schadensersatzanspruch angerechnet werden.

(2) Unbeschadet der einschlägigen Grundsätze und Vorschriften des einzelstaatlichen Rechts, einschließlich der Rechtsprechung, gilt Absatz 1 nicht für Fluggäste, die nach Artikel 4 Absatz 1 freiwillig auf eine Buchung verzichtet haben."

Der Zweck des Artikel 12 Fluggastrechteverordnung ist die Vermeidung einer Überkompensation: Der Fluggast soll gerade nicht wegen des selben Umstands (zum Beispiel eine Verspätung) aus mehreren Rechtsgrundlagen Entschädigungen beziehen können.

Obwohl der Titel des Artikels 12 der Fluggastrechteverordnung "Weiter gehender Schadensersatz" lautet, ergibt sich aus der Vorschrift selbst kein Schadensersatzanspruch, das heißt keine konkreten Vorgaben über die Umsetzung der in Artikel 7 normierten Ausgleichszahlungen (BGH, Urteil vom 25.03.2010 - Xa ZR 96/09).

Die tatsächliche Ausgestaltung dieses Entschädigungsanspruchs obliegt also vielmehr dem nationalen Gesetzgeber, wobei es sich nach deutschem Recht um einen vertraglichen Schadensersatzanspruch handelt.

Relevante Fallgruppen

In einigen typischen Situationen kommt der Zurechnungsnorm des Artikels 12 der Verordnung eine gesteigerte Bedeutung zu:

Problemdarstellung

Die Fluggastrechteverordnung - wenn auch das wohl wichtigste Instrument zum Schutze der Fluggäste - ist nicht die einzige Rechtsgrundlage, aus der ein Fluggast bei einer Verspätung, Annullierung oder Nichtbeförderung Rechte und - ganz konkret - finanzielle Entschädigung ableiten kann.

Pauschalreisen mit Flugzeug

So kommen im Falle von Flug-Pauschalreisen bei einer Verspätung, Annullierung oder Nichtbeförderung neben möglicherweise bestehenden Ansprüchen auf Ausgleichsleistungen auch Ansprüche aus dem deutschen Pauschalreiserecht in Frage (siehe exemplarisch: Einzelne Mängel und Mängelgruppen#Verspätung).

Anrechnung

In dieser Hinsicht ist zu beachten, dass die Fluggastrechteverordnung ausschließlich das Verhältnis zwischen Fluggast und ausführendem Luftfahrtunternehmen betrifft.
Demgegenüber betreffen Ansprüche aus dem Pauschalreiserecht stets den Reisenden und den Reiseveranstalter (siehe auch: Pauschalreise#Reiseveranstalter). Da regelmäßig nicht der Reiseveranstalter selbst die Beförderungsleistung erbringt, fallen hier also die Schuldner je nach Anspruchsgrundlage auseinander.

Trotzdem hat das LG Frankfurt entschieden, dass bei einer Flugpauschalreise eine wegen Verspätung von dem ausführendem Luftfahrtunternehmen geleistete Ausgleichszahlung auf einen danach gegenüber dem Reiseveranstalter begehrten Anspruch auf teilweise Rückzahlung des Reisepreises aus Minderung anzurechnen ist - beide Ansprüche bestehen wegen des selben Sachverhalts - der Verspätung, gemäß Sinn und Zweck des Artikel 12 der Verordnung ist eine Überkompensation zu vermeiden: Der Anspruch ist ein "weiterer Schadensersatz" im Sinne des Artikel 12, hierbei ist es nicht von Relevanz, dass es sich genau genommen um einen Minderungsanspruch nach deutschem Recht handelt (LG Frankfurt/Main, 29.11.2012 - 2-24 S 67/12; im Ergebnis ebenfalls auf dieser Linie: BGH, Urteil vom 30.09.2014 - X ZR 126/13).

Mit Urteil vom 06.09.2019 entscheid der BGH nun erneut, dass nach der Fluggastrechteverordnung wegen Beförderungsverweigerung gewährte Ausgleichsansprüche auf Schadensersatzansprüche nach §651f Abs.1 BGB aF (alter Fassung) anzurechnen sind, wenn diese ebenfalls auf der Beförderungsverweigerung beruhen (BGH, Urteil des X. Zivilsenats vom 6.8.2019 - X ZR 128/18). In diesem Fall konnte die klagende Reisende, der die Beförderung verweigert wurde, erst mit 30 Stunden Verspätungihr Endziel erreichen, wodurch sie einerseits ihr bereits gebuchtes Hotel nicht nutzen konnte und zudem Kosten für eine Buchung eines anderen Hotels zu tragen hatte.

Die Klägerin hatte bereits 600€ Ausgleichszahlung nach Artikel 7 der Fluggastrechteverordnung erhalten, begehrte aber weiterhin wegen obig genannter Posten und außerdem entstandenen Kosten für einen Mietwagen und vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten (siehe hierzu: Flugverspätung Anwaltskosten) weitere 532,64€.

Der BGH verneinte diesen Anspruch, da beide Ansprüche nach Artikel 12 der Verordnung anzurechnen seien. Anderenfalls würde eine nicht gewollte Überkompensation des Fluggastes eintreten, da beide Ansprüche auf finanzielle Entschädigung letztendlich auf dem selben Umstand basieren.

§ 651p BGB

Zur abschließenden Klarstellung des Verhältnisses zwischen den Ansprüchen aus Fluggastrechteverordnung und Pauschalreiserecht hat der Gesetzgeber in der Novelle des (Pauschal)reiserechts von 2018 die Vorschrift des § 651p BGB eingefügt. In § 651p Absatz 1 Nr. 1 BGB wird explizit festgelegt, dass ein Reisender, der gegen den Reiseveranstalter Anspruch auf Schadensersatz oder auf Erstattung eines infolge einer Minderung zu viel gezahlten Betrages hat, dieser sich den Betrag anrechnen lassen muss, den er aufgrund desselben Ereignisses als Entschädigung oder als Erstattung infolge einer Minderung nach Maßgabe der Fluggastrechteverordnung erhalten hat.

Da diese Vorschrift jedoch erst ab 01.07.2018 gültig ist muss geprüft werden, ob sie auf den jeweiligen Fall anwendbar ist. Dies ist nicht der Fall, wenn das entsprechende anspruchsbegründende Ereignis bereits vor Inkrafttreten der Norm stattgefunden hat.

Ansprüche bei nicht erbrachter Ausgleich- und Unterstützungsleistungen

Neben der gegebenenfalls zu erbringenden Ausgleichszahlung können dem von einer Verspätung, Annullierung oder Nichtbeförderung betroffenen Fluggastauch Betreuungsleistungen und Unterstützungsleistungen zustehen.

Kommt die Fluggesellschaft der Verpflichtung nicht nach, Betreuungsleistungen zu erbringen, kann der Fluggast alle Kosten ersetzt verlangen, die ihm infolge dieser Pflichtverletzung entstanden sind. Dabei hat der Flugpassagier die Kosten so gering wie möglich zu halten. (AG Simmern, Urteil v. 20.04.2007, 3 C 688/06)

Fraglich ist daher, ob ein solcher, auf finanzielle Kompensation gerichteter Ersatzanspruch einen "anderen Schadensersatz" im Sinne des Artikel 12 der Fluggastrechteverordnung darstellt. Aus Perspektive des deutschen Rechts ist zunächst anzumerken, dass ein (deutscher) vertraglicher Schadensersatzanspruch stets verschuldensabhängig ist, wohingegen Betreuungsleistungen verschuldensabhängig zu leisten sind: Die bei der Ausgleichszahlung nach Artikel 7 der Verordnung äußerst wichtige Frage des Vorliegens von außergewöhnlichen Umständen ist hier von keiner Relevanz. Es handelt sich daher um einen dem deutschen Schadensersatzrecht fremden Entschädigungstypus.

Zudem hat der EuGH in der Rechtssache Aurora Sousa Rodríguez und andere gegen Air France SA. entschieden, dass der Anspruch auf Ausgleichszahlung grundsätzlich neben anderen Ansprüchen aus der Fluggastrechteverordnung besteht und zu erfüllen ist (EuGH, 13.10.2011 - C-83/10).

Verzugsschäden

Verzugsschäden sind jene Schäden, die durch die schuldhafte Nichtleistung des Schuldners entstehen. Dies können in erster Linie Gebühren sein, die ein Fluggast für einen Rechtsanwalt zur Durchsetzung seiner Ansprüche aufzuwenden hat - diese kann er von dem ausführenden Luftfahrtunternehmen ersetzt verlangen.

Siehe hierzu: Flugverspätung Anwaltskosten

Entscheidend ist hier, dass der Schadensersatzanspruch gerade nicht auf eine Verspätung, Annullierung oder Nichtbeförderung zurückzuführen ist, sondern allein auf die ausbleibende Leistung des ausführenden Luftfahrtunternehmen. Es handelt sich folglich nicht um einen "weiteren Schadensersatz" im Sinne des Artikel 12 Fluggastrechteverordnung (vgl. unter anderem LG Frankfurt/Main, 06.09.2018 - 2-24 S 340/17).

Montrealer Übereinkommen

Als zweites wichtiges Regelwerk besteht neben der Fluggastrechteverordnung noch das Montrealer Übereinkommen. Auch dieses kann dem Fluggast grundsätzlich einen Anspruch auf finanzielle Entschädigung gewähren, unterscheidet sich aber in der Struktur von der Fluggastrechteverordnung: Während diese pauschal einen nach Entfernung gestaffelten Betrag zuspricht, fordert der Anspruch aus dem Montrealer Übereinkommen einen konkret bezifferbaren und nachgewiesenen Schaden, der unmittelbar durch eine Flugverspätung entstanden ist.

Der Fluggast hat sodann grundsätzlich ein Wahlrecht zwischen den beiden Anspruchsgrundlagen. Im IATA und ELFAA-Fall entschied der EuGH, dass das Bestehen eines Anspruchs auf Ausgleichsleistungen aus der Fluggastrechteverordnung die alternative Geltendmachung eines Anspruchs aus dem Montrealer Übereinkommen nicht ausschließe (EuGH, Urt. v. 10.01.2006, Az: C-344/04).

Zu beachten ist hierbei, dass das Montrealer Übereinkommen lediglich für Verspätungen einen Schadensersatzanspruch vorsieht, auf Annullierungen oder eine Nichtbeförderung ist es somit nicht neben der Fluggastrechteverordnung anwendbar.

Aus praktischen Gründen kann es für einen Fluggast einfacher sein, wenn er sich auf seinen Anspruch aus der Fluggastrechteverordnung beschränkt, denn hier muss kein unmittelbar zusammenhängender Schaden nachgewiesen werden.

Schadensersatz aus Beförderungsvertrag

Annullierung oder Nichtbeförderung

Wie bereits gezeigt, greift der Schadensersatzanspruch des Montrealer Übereinkommens nicht bei Annullierungen oder Nichtbeförderungen. Neben dem Anspruch aus der Fluggastrechteverordnung kann sich in diesen Fällen aber auch aus der Verletzung des geschlossenen Beförderungsvertrags ein vertraglicher Schadensersatzanspruch ergeben.

Da es sich bei dem Beförderungsvertrag um ein relatives Fixgeschäft handelt (siehe hierzu: Relatives/absolutes Fixgeschäft), erlöscht die Pflicht zur Beförderung des Fluggastes bei einer Annullierung oder Nichtbeförderung, bzw. erwächst an ihrer Stelle ein Schadensersatzanspruch.

Besteht auch ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen nach der Fluggastrechteverordnung, muss dieser auf den Schadensersatzanspruch aus Verletzung des Beförderungsvertrags angerechnet werden.

Verspätung

Bei einer Verspätung - genauer einer Ankunftsverspätung - verhält es sich allerdings anders. Durch die Verspätung erwächst kein Mangel des Beförderungsvertrags, bei dem es sich rechtlich um einen Werkvertrag handelt:

Die Beförderungsleistung wird nicht dadurch schlechter, dass sie erst zu einem späteren Zeitpunkt erbracht wird. Ob dem Fluggast durch eine Verspätung ein Nachteil entsteht und welcher Art dieser ist, hängt vielmehr ganz von seinen persönlichen Verhältnissen ab. Ihm kann ein Geschäft entgehen; für ihn kann die Verspätung eine bloße Unbequemlichkeit darstellen; sie kann ihm sogar willkommen sein, etwa weil er selbst verspätet am Flughafen erscheint. Dies macht deutlich, dass es einen objektiven Minderwert einer verspäteten Beförderungsleistung nicht geben kann (BGH, Urteil vom 28.05.2009 - Xa ZR 113/08).

Entsprechend liegt ein Verzugsschaden vor, der als "anderer Schadensersatz" im Sinne von Artikel 12 anzurechnen ist.

Sonstiger nationaler Schadensersatz, insb. Beförderungsmehrkosten

Hauptziel der nach der Fluggastrechteverordnung zu gewährenden Ausgleichszahlung ist die Kompensation des durch die Verspätung, Annullierung oder Nichtbeförderung entstandenen Zeitverlusts.

Daneben können durch diese Unannehmlichkeiten aber auch noch andere Schadenspositionen entstehen, die sich allerdings nach nationalem Schadensersatzrecht richten:

So kann dem Fluggast ein Schaden entstehen, weil er einen gebuchten Weiterflug nicht wahrnehmen kann (OLG Köln, 08.10.1993 - 20 U 110/92). Denkbar sind auch entstehende Beförderungskosten, weil der Reisende wegen einer Flugannullierung zum Beispiel zurück zu seinem Heimatort kehren muss - dies umfasst gegebenenfalls auch die Kosten für die erneute Anreise zum Flughafen (LG Frankfurt am Main, Urteil vom 26.07.2007 - 2-24 S 290/06, 2-24 S 290/06). Auch ein möglicherweise durch die nicht ordnungsgemäße Beförderung eingetretener Verdienstausfall kann zu einem Schadensersatzanspruch führen (BGH, Urteil vom 08.08.2017 - X ZR 101/16).

Artikel 12 Absatz 2

Nach Artikel 12 Absatz 2 der Fluggastrechteverordnung gilt die Zurechnungsnorm des Artikel 1 nicht für Fälle des Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung:

Dieser Vorschrift nach hat ein Luftfahrtunternehmen im Falle einer Überbuchung zunächst zu versuchen, Fluggäste freiwillig auf einen Verzicht der Beförderung zu bewegen. Diese sind im Gegenzug durch eine zwischen Fluggast und Luftfahrtunternehmen vereinbarte Gegenleistung zu entschädigen, dies kann zum Beispiel ein Gutschein sein.

In der Rechtsfolge besteht nach der Fluggastrechteverordnung keine Anrechnung einer solchen Leistung, auch nach deutschem Schadensersatzrecht ergibt sich kein Anspruch, da eine einvernehmliche Vertragsänderung stattgefunden hat.

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