Höhere Gewalt: Unterschied zwischen den Versionen
(4 dazwischenliegende Versionen desselben Benutzers werden nicht angezeigt) | |||
Zeile 1: | Zeile 1: | ||
Höhere Gewalt ( | |||
== Voraussetzungen für das Vorliegen von Höherer Gewalt == | |||
Höhere Gewalt liegt dann vor, wenn Umstände auf einem betriebsfremden, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen Dritter herbeigeführten Ereignis beruhen, das nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar war, mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch äußerste Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden konnte und auch nicht wegen seiner Häufigkeit in Kauf zu nehmen ist (BGH NJW 1990, 1167). | |||
Höhere Gewalt liegt nach deutscher Rechtsprechung vor, wenn ein schadenverursachendes Ereignis von außen einwirkt, also seinen Grund nicht in der Natur der gefährdeten Sache hat (objektive Voraussetzung) und das Ereignis auch durch die äußerst zumutbare Sorgfalt weder abgewendet noch unschädlich gemacht werden kann (subjektive Voraussetzung); LG Hannover, Urteil vom 11.1.2017, Az.: 8 O 299/16. Solche Umstände umfassen beispielsweise politische Instabilität in mindestens einem der Reiseländer, Wetterumstände, die die Reise unmöglich machen und unerwartete Sicherheitsrisiken. Doch selbst wenn diese Umstände vorliegen, müssen die insbesondere technisch und wirtschaftlich zumutbaren Maßnahmen überprüft werden, die das Unternehmen getroffen hat oder hätte treffen können, um die Reise dennoch zu ermöglichen. Dabei muss stets beachtet werden, dass der Umstand nicht Teil der gewöhnlichen Tätigkeit des [[Luftfahrtunternehmen]]s sein darf. Er darf für die [[Fluggesellschaft]] also nicht vorhersehbar gewesen sein. | |||
=Höhere Gewalt: Außergewöhnliche Umstände nach der Fluggastrechteverordnung= | =Höhere Gewalt: Außergewöhnliche Umstände nach der Fluggastrechteverordnung= | ||
Zeile 113: | Zeile 117: | ||
* Das Gericht gab der Klage vollumfänglich statt. Durch die Verzögerung des Abflugs sei es zu einer erheblichen Verkürzung der Reise gekommen, was einen minderungsbegründenden Mangel darstelle. Dies habe die Beklagte auch zu vertreten, da sie nicht nachweisen konnte, ab Kenntnisnahme vom Streik zumutbare Maßnahmen zum Schutz der Reisenden vor Beeinträchtigungen unternommen zu haben. Dies habe ihr aber im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht oblegen. Auch stehe den Klägern ein Anspruch auf Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit zu. | * Das Gericht gab der Klage vollumfänglich statt. Durch die Verzögerung des Abflugs sei es zu einer erheblichen Verkürzung der Reise gekommen, was einen minderungsbegründenden Mangel darstelle. Dies habe die Beklagte auch zu vertreten, da sie nicht nachweisen konnte, ab Kenntnisnahme vom Streik zumutbare Maßnahmen zum Schutz der Reisenden vor Beeinträchtigungen unternommen zu haben. Dies habe ihr aber im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht oblegen. Auch stehe den Klägern ein Anspruch auf Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit zu. | ||
|- | |||
|LG Hannover, Urteil vom 11.1.2017 | |||
|8 O 299/16 | |||
|Höhere Gewalt setzt ein von außen kommendes, betriebsfremdes Ereignis voraus, dass auch bei äußerster vernünftiger Weise zu erwartender Sorgfalt nicht abwendbar war. | |||
|} | |} | ||
Aktuelle Version vom 18. Februar 2019, 10:29 Uhr
Voraussetzungen für das Vorliegen von Höherer Gewalt
Höhere Gewalt liegt dann vor, wenn Umstände auf einem betriebsfremden, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen Dritter herbeigeführten Ereignis beruhen, das nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar war, mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch äußerste Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden konnte und auch nicht wegen seiner Häufigkeit in Kauf zu nehmen ist (BGH NJW 1990, 1167).
Höhere Gewalt liegt nach deutscher Rechtsprechung vor, wenn ein schadenverursachendes Ereignis von außen einwirkt, also seinen Grund nicht in der Natur der gefährdeten Sache hat (objektive Voraussetzung) und das Ereignis auch durch die äußerst zumutbare Sorgfalt weder abgewendet noch unschädlich gemacht werden kann (subjektive Voraussetzung); LG Hannover, Urteil vom 11.1.2017, Az.: 8 O 299/16. Solche Umstände umfassen beispielsweise politische Instabilität in mindestens einem der Reiseländer, Wetterumstände, die die Reise unmöglich machen und unerwartete Sicherheitsrisiken. Doch selbst wenn diese Umstände vorliegen, müssen die insbesondere technisch und wirtschaftlich zumutbaren Maßnahmen überprüft werden, die das Unternehmen getroffen hat oder hätte treffen können, um die Reise dennoch zu ermöglichen. Dabei muss stets beachtet werden, dass der Umstand nicht Teil der gewöhnlichen Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens sein darf. Er darf für die Fluggesellschaft also nicht vorhersehbar gewesen sein.
Höhere Gewalt: Außergewöhnliche Umstände nach der Fluggastrechteverordnung
Nach der Fluggastrechteverordnung (VO-EG Nr. 261/2004) stehen dem Passagiere Ausgleichsansprüche bei Verspätung und Annullierung zu. Allerdings nicht bei "höherer Gewalt", die im Rahmen der Verordnung als "außergewöhnliche Umstände" bezeichnet werden. Für Annullierungen und Verspätungen stehen dem Reisenden keine Ausgleichszahlungen zu, wenn die Luftfahrtgesellschaft außergewöhnliche und unvermeidbare Umstände nachweisen kann (Wetter, Sicherheit, Streik), Art. 5 Abs. 3 VO-EG Nr. 261/2004 (Fluggastrechteverordnung). Dies bedeutet, dass bestimmte Umstände, die nicht in den Verantwortungsbereich der Fluggesellschaft fallen, für Verspätung oder Annullierung verantwortlich waren. Grundsätzlich ist unter einem außergewöhnlichen Umstand ein Vorkommnis zu verstehen, welches sich auch dann nicht hätte vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Die Ausgleichszahlungen gelten nach deutschem Recht nicht als Schadensersatzleistungen. Außergewöhnliche Umstände müssen von der Fluggesellschaft vorgebracht und nachgewiesen werden.
Siehe dazu:
Technische Probleme
Technische Mängel fallen nur dann unter außergewöhnliche und unvermeidbare Umstände, wenn sie außerhalb der gewöhnlichen Wartungsintervalle auftreten und somit nicht zu erwarten waren. Hängen sie beispielsweise mit Wetterereignissen zusammen (Blitzschlag, Hagelschäden etc.), sind außergewöhnliche und unvermeidbare Umstände gegeben. Auch Schäden durch Produktionsfehler, Sabotage oder terroristische Akte fallen unter solche Umstände. Es gilt jedoch stets, dass das Unternehmen alle Wartungsarbeiten durchgeführt hat, die technisch und wirtschaftlich tragbar waren. Der technische Defekt als solcher ist jedoch dann nicht der außergewöhnliche Umstand und stellt auch keine höhere Gewalt dar. Vielmehr ist es die höhere Gewalt (wie z.B. eine Naturkatastrophe), die den technischen Defekt zur Folge hat, welche als außergewöhnlicher Umstand eingestuft wird.
Wetterumstände und Naturkatastrophen
Wetterbedingungen
Allgemein ist anerkannt, dass Wetterverhältnisse, die einen Start, einen planmäßigen Flug oder eine Landung am Zielflughafen (Vgl.: AG Offenbach, Urt. v. 06.01.2006, 33 C 2/06) nicht zulassen, als außergewöhnlicher Umstand angesehen werden (Vgl.: AG Königs Wusterhausen, Urt. v. 15.06.2011, 4 C 572/10). Allerdings muss die Fluggesellschaft alle zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um den Flug auch bei schlechtem Wetter durchzuführen. Zumutbar ist z.B. das Warten auf eine Besserung des Wetters oder etwa das Bedenken einer alternativen Flugroute. Wenn nicht mit einem baldigen Wegfall des schlechten Wetters zu rechnen ist, so liegt ein außergewöhnlicher Umstand vor, etwa bei mehrtägigem, hartnäckigen Nebels (BGH, Urt. v. 25.03.2010, Az.: Xa ZR 96/09). Auch Blitzschlag, Schneefall oder starker Wind werden regelmäßig als außergewöhnlicher Umstand gewertet.
Bei der Bewertung von Wetterbedingungen ist die Entscheidung des Piloten ausschlaggebend. Seine Entscheidung kann vom Gericht nur eingeschränkt überprüft werden (LG Kleve, Urt. v. 07.04.2011, Az.: 6 S 116/10). Wenn sich eine Fluggesellschaft auf schlechte Wetterverhältnisse beruft, so liegt die Beweislast für die ausschlaggebenden Wetterereignisse bei der Gesellschaft. Sie muss darlegen, welche konkreten Witterungsbedingungen in welchem Zeitraum wann zur Entscheidung des Piloten oder zur Streichung des ursprünglich vergebenen Starts durch die Flugsicherung geführt haben.
Siehe dazu ausführlich: Schlechte Wetterbedingungen.
Naturkatastrophen
Auch Naturkatastrophen wie Vulkanausbrüche, Tsunamis oder Brände sind für eine Fluggesellschaft nicht kontrollierbar und stellen daher unter Umständen Außergewöhnliche Umstände dar.
Streik
Auch ein Streik gilt unter Umständen als Entlastungsgrund. Dieser muss nicht nur das ausführende Unternehmen selbst betreffen, sondern kann sich auch auf Dritte beziehen, durch deren Streik die Reisedurchführung erheblich gestört wird. Allerdings beruht dieser nicht auf höherer Gewalt, sondern stellt dann, wenn überhaupt, selbst den außergewöhnlichen Umstand dar.
Politische Instabilität
Fraglich ist, ob politische Instabilität als außergewöhnlicher Umstand gilt. In Ländern, in denen andere politische Systeme vorherrschen, kann man schnell von einer Instabilität sprechen. Insbesondere, wenn der Zielflughafen nicht gesperrt ist, wird man jedoch davon ausgehen müssen, dass die Sicherheitslage nicht derart angespannt ist, dass eine Beförderung nicht stattfinden kann. Vielmehr muss auch hier dargelegt werden, warum die eigentliche Beförderung nicht stattfinden konnte. An der Beförderung ist das Unternehmen nicht gehindert, nur weil die Lage politisch instabil ist. Allerdings könnte man einen außergewöhnlichen Umstand annehmen, wenn, wie schon beschrieben, der Zielflughafen gesperrt ist oder offizielle Reisewarnungen bestehen.
Terroranschläge
Dieselbe Problematik besteht bei Terroranschlägen. Für gewöhnlich gehören sie zum allgemeinen Lebensrisiko, was den Reisenden letztendlich nicht zur Last gelegt werden dürfe. Andererseits kann auch die Fluggesellschaft nicht vorhersehen, dass es zu einem Terroranschlag kommt. Auch die Rechtsprechung urteilt diesbezüglich anders aus. Es kommt immer auf den Einzelfall an und darauf, wie das Luftfahrtunternehmen darlegen kann, dass es den Terroranschlag nicht vorhersehen konnte. Grundsätzlich wird man jedoch annehmen können, dass ein Terroranschlag nicht zum allgemeinen betrieblichen Ablauf gehört und damit im Regelfall auch nicht vorhersehbar ist. Allerdings ist, wie bereits dargelegt, auch hier eine Einzelfallbetrachtung notwendig. Jedoch wird es schwer anzunehmen und zu argumentieren, dass das Luftfahrtunternehmen den Terroranschlag hätte vorhersehen müssen. Nur wenn das Luftfahrtunternehmen darlegen kann, dass es alle ihm zumutbaren Maßnahmen getroffen hat, um den Flug trotzdem stattfinden zu lassen, kann es sich vollends exkulpieren.
Beweislast
Versucht ein Luftfahrtunternehmen, außergewöhnliche Umstände geltend zu machen, so muss es stets eindeutig beweisen, dass es ihm nicht möglich war, Maßnahmen zu treffen, um den Flug dennoch stattfinden zu lassen. Hierbei werden alle möglichen Maßnahmen untersucht und überprüft, warum ein Ergreifen derselben durch das Unternehmen nicht zumutbar gewesen wäre. Wichtig ist außerdem, dass dem Reisenden im Falle von außergewöhnlichen Umständen zwar keine Ausgleichsleistungen zustehen, wohl aber Betreuungsleistungen. Bezüglich der Unterbringung im Rahmen der Betreuungsleistungen ist eine einfache, zweckmäßige Unterkunft vollkommen ausreichend. Weigert sich ein Luftfahrtunternehmen solche Leistungen zu erbringen, entsteht dem Reisenden ein Schadensersatzanspruch in Höhe der ihm entstandenen Unterbringungs- und Verpflegungskosten. Die Exkulpation wirkt gemäß Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO nur bezüglich der Ausgleichszahlungen.
Rechtsprechung
Die folgende Tabelle soll punktuell die Rechtsprechung zum Thema der höheren Gewalt aufzeigen. Sie ist keinesfalls abschließend.
Gericht, Urteil vom… | Aktenzeichen | Zusammenfassung (siehe Reiserecht-Wiki) |
---|---|---|
LG Frankfurt, Urteil vom 01.04.2015 | 2-24 S 150/14 |
|
LG Düsseldorf, Urteil vom 23.10.2007 | 22 S 190/07 |
|
LG Saarbrücken, Urteil vom 08.09.1988 | 2 S 82/87 |
|
AG Hannover, Urteil vom 13.03.2017 | 511 C 11408/16 |
|
AG Köln, Urteil vom 29.08.2016 | 142 C 625/14 |
|
AG Augsburg, Urteil vom 07.07.2016 | 15 C 89/16 |
|
AG Weißenfels, Urteil vom 18.05.2011 | 1 C 626/10 |
|
AG Dachau, Urteil vom 22.11.2005 | 3 C 687/05 |
|
AG Schöneberg, Urteil vom 04.06.2002 | 11 C 581/01 |
|
LG Hannover, Urteil vom 11.1.2017 | 8 O 299/16 | Höhere Gewalt setzt ein von außen kommendes, betriebsfremdes Ereignis voraus, dass auch bei äußerster vernünftiger Weise zu erwartender Sorgfalt nicht abwendbar war. |