Sinnestäuschungen in der Luftfahrt

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Sinnestäuschungen während eines Fluges können entstehen, weil menschliche Sinne für den Einsatz auf dem Boden bestimmt sind. Sich bei der Flugnavigation ausschließlich auf die Sinne zu verlassen ist riskant, weil die Bewegungen des Luftfahrzeuges nicht immer richtig eingeschätzt werden können. Diese Täuschungen können für Piloten extrem gefährlich sein.

Arten

Täuschungen des Gleichgewichtssystems

Das Gleichgewichtssystem besteht aus Otolithen und Bogengangsorganen. Sinnestäuschungen entstehen, wenn das Gehirn die optischen Wahrnehmungen und die des Gleichgewichtsorganes nicht in Übereinstimmung bringen kann.
Täuschungen, die im Gleichgewichtssystem des Ohres entstehen, treten meist dann auf, wenn externe Sicht unzuverlässig oder nicht verfügbar ist. Sie führen zu einer falschen Wahrnehmung der Drehung, Geschwindigkeit oder Beschleunigung.

Die Schräglage-Illusion ist die am meisten auftretende Art der räumlichen Desorientierung für Piloten. Durch die Stabilisierung der Flüssigkeit in den Bogengängen kann der Pilot einen Geradeausflug annehmen, obwohl das Luftfahrzeug in Wirklichkeit geneigt ist. Dies geschieht durch die schnelle Rückkehr zum Horizontalflug nach einer schrittweisen, allmählichen Wendung, die der Pilot nicht bemerkt hat. Das Phänomen basiert auf einer falschen Wahrnehmung der Winkelverschiebung um die Rollachse, sodass eine Illusion der Neigung entsteht. Die Illusion wird oft mit dem vestibulospinalen Reflex in Verbindung gebracht, bei dem der Pilot sich in die Richtung stützt, die er fälschlicherweise als vertikale annimmt.
Die Schräglage-Illusion ist eine Art der Gleichgewichtstäuschung während eines Fluges, die räumliche Desorientierung hervorruft. Die Bogengänge des Gleichgewichtsorgans sind mit Flüssigkeit gefüllt. In den Kanälen befinden sich Sinneshärchen, die bei jeder Drehung des Kopfes von der Flüssigkeit berührt werden. Dadurch wird die Drehung von den Nerven wahrgenommen. Nach 20 bis 25 Sekunden hört die Stimulation auf und die Veränderung kann aufgenommen werden. Darüber hinaus können die Kanäle eine Drehbeschleunigung von 2 Grad pro Sekunde oder weniger nicht erkennen. Daher könnte der Pilot nicht in der Lage sein, eine langsame Drehung oder Neigung zu erkennen, die lang genug anhält. Wenn der Pilot die Tragflächen ausgeglichen hat, hat er immer noch die Vorstellung, dass das Flugzeug sich in die entgegengesetzte Richtung neigt. Daraufhin versucht der Pilot, die Position der Tragflächen wieder zu korrigieren. Die Schräglage-Illusion kann auch durch falsche periphere visuelle Orientierungshinweise hervorgerufen werden.
Wenn der Pilot die Desorientierung nicht merkt, versucht er weiterhin, die Lage auszugleichen, bis das Flugzeug sich dreht. Die Schräglage-Illusion ist die am häufigsten auftretende Art der räumlichen Desorientierung in der Luftfahrt. In solchen Fällen sind Piloten auf ihre Instrumente angewiesen.

Eine andere Art der Sinnestäuschung ist das sogenannte Todestrudeln (englisch: graveyard spin). Es kann auftreten, während das Luftfahrzeug ins Trudeln übergeht. Wenn der Pilot das Trudeln nach links einleitet, wird er automatisch das Gefühl haben, dass das Luftfahrzeug sich in dieselbe Richtung dreht. Nach kurzer Zeit wird der Pilot den Eindruck bekommen, dass das Linkstrudeln immer weiter abnimmt. Daraufhin wird er das Rechtstrudeln einleiten. In dem Moment wird er eine plötzliche Bewegung nach rechts wahrnehmen. Wenn der Pilot glaubt, dass das Flugzeug sich tatsächlich nach rechts bewegt, wird er wieder das Linkstrudeln einleiten, um die Bewegung zu kompensieren. Dadurch wird er unwissend erneut in die ursprüngliche Bewegung einleiten. Um der Täuschung bewusst zu werden, muss der Pilot die Anzeigen der Fluginstrumente überprüfen. Die ganze Situation erzeugt einen Konflikt zwischen der Sinneswahrnehmung des Piloten und den Anzeigen der Fluginstrumente. Verlässt sich der Pilot nicht auf die Technik, sondern auf seine Wahrnehmung, setzt das Linkstrudeln weiter fort. Verliert das Flugzeug zu viel an Flughöhe, bevor der Pilot die Täuschung erkennt und Korrekturmaßnahmen ergreift, wird es abstürzen.

Noch häufiger kommt die Todesspirale (englisch: graveyard spiral) vor. Sie entsteht im Zusammenhang mit der Rückkehr zum Horizontalflug nach einer längerer Wendung und Drehung. Häufig ereignet sich der Zustand bei einem Nachtflug oder unter schlechten Wetterbedingungen, wo keine Korrekturen am Horizont orientierend vorgenommen werden können. Die Todesspirale ist das Ergebnis mehrerer Sinnestäuschungen in der Luftfahrt, die bei Instrumentenflügen auftreten können, wenn der Pilot räumlich desorientiert ist und das Bewusstsein für die Flughöhe verliert.
Der Pilot nimmt irrtümlicherweise an, dass die Tragflächen sich auf derselben Höhe befinden, die Anzeigen werden jedoch einen Abstieg melden. Dies führt üblicherweise dazu, dass der Pilot versucht wieder aufzusteigen. In einer Drehung befindet sich das Flugzeug in einem Winkel und wird einen großen Kreis am Himmel beschreiben. Wieder am Steuerhorn zu ziehen würde dazu führen, dass das Flugzeug schneller an Flughöhe verliert. Das Flugzeug wird weiter in die Drehung getrieben und verliert auch am Auftrieb. An diesem Punkt beschreibt das Flugzeug eine Spirale mit einer Flugbahn wie in einem Trichter. Das Flugzeug wird in einer immer enger werdenden und absteigenden Spiralbewegung die Basis der Wolken verlassen und abstürzen.
Das Phänomen beruht auf den physikalischen Eigenschaften des Innenohres. Wenn das Flugzeug sich mit einer konstanten Rate für mehr als 20 Sekunden dreht, bewegt sich die Flüssigkeit in den Kanälen in die ursprüngliche Position und signalisiert, dass die Drehung aufgehört hat, obwohl sie in Wirklichkeit fortgesetzt wird. Wird danach der Horizontalflug eingeleitet, bewegen sich die Flüssigkeit und die Sinneshärchen im Ohr in die entgegengesetzte Richtung und melden eine starke Bewegung in diese Richtung.
Die Todesspirale setzt jedoch langsam ein. Dies ermöglicht es dem Piloten, sich mental auf die falsche Wahrnehmung einstellen zu können. Ein Pilot, der sich nicht auf Höhenmesser verlässt, wird ohne externe Signale annehmen, dass die Tragflächen waagerecht sind. Um diese Situation zu vermeiden, üben Piloten Instrumentenflüge mit einer Sichtbegrenzungseinrichtung. Der Pilot muss ausschließlich auf den künstlichen Horizont bzw. die Hinweise der Instrumente vertrauen, bis die subjektive Wahrnehmung mit den Daten der Fluginstrumente übereinstimmt.

Die Coriolis-Illusion tritt auf, wenn das Luftfahrzeug sich lang genug in einer Drehung befindet. Die Flüssigkeit in den Gehörgängen fließt dann mit derselben Geschwindigkeit, wie die Kanäle. Eine Bewegung des Kopfes in eine andere Richtung, zum Beispiel, um einen anderen Bereich des Cockpits anzuschauen, kann die Fließrichtung verändern. Dies erzeugt einen starken Eindruck der Drehung, Beschleunigung oder Bewegung um eine völlig andere Achse. Der Pilot kann fälschlicherweise ein Manöver des Flugzeuges annehmen. Wenn er ausgehend von der irrtümlichen Wahrnehmung versucht, die Lage zu korrigieren, kann er das Flugzeug in eine gefährliche Position manövrieren.
Aus diesem Grund ist es für Piloten wichtig, einen Instrumenten-Cross-Check oder Scan zu entwickeln, bei dem die Kopfbewegung minimal ist, und für die Möglichkeit der Coriolis-Illusion stets bewusst zu sein.

Ein abrupter Wechsel vom Aufstieg zum geraden Horizontalflug kann die Illusion eines Sturzes nach hinten hervorrufen. Wenn der Pilot die Orientierung verliert und versucht, den vermeintlichen Sturz auszugleichen, kann dies die Illusion weiter verstärken.

Die Head-up-Illusion entsteht bei einer plötzlichen Vorwärtslinearbeschleunigung während eines Horizontalfluges. Der Pilot bekommt den Eindruck, dass der Bug des Flugzeuges sich stark nach oben zieht, und schiebt den Bug wieder nach unten. Ein nächtlicher Start von einem gut beleuchteten Flughafen in einen völlig dunklen Himmel oder ein schneller Start von einem Flugzeugträger kann diese Täuschung erzeugen und zum Absturz führen.

Das Gegenteil davon ist die Head-down-Illusion. Sie entsteht bei einer plötzlichen geradlinigen Verlangsamung. Es entsteht die Illusion, dass der Bug stark nach unten gezogen wird, woraufhin der Pilot die Lage des Flugzeuges wieder begradigen würde. Kommt die Täuschung bei einem langsamen Endanflug vor, kann es zu einem Strömungsabriss kommen. Ein Strömungsabriss auf niedrigen Flughöhen ist sehr gefährlich, da das Flugzeug abrupt an der Auftriebskraft verliert und abstürzt.

Optische Täuschungen

Täuschungen der linearen Perspektive

Diese Täuschung kann den Piloten dazu veranlassen, die Steigung des Endanfluges zu ändern. Sie kommt vor, wenn die Start- oder Landebahnen unterschiedliche Breite haben, unterschiedlich auf- oder absteigend sind oder das Gelände unregelmäßig ist. Piloten lernen es, einen normalen Endanflug zu erkennen, indem sie ein geistiges Bild der erwarteten Beziehung zwischen der Länge und der Breite einer durchschnittlichen Landebahn entwickeln und bei der Landung daran denken. Ein Beispiel ist, wenn ein Pilot, der an kleinere Landebahnen gewöhnt ist, eine Landung an einem großen Flughafen durchführen muss. Die viel breitere Landebahn würde ein mentales Bild von dem Punkt hervorrufen, an dem mit dem Landemanöver begonnen wird, wo das Flugzeug noch viel höher ist, als es sein sollte. In einem Flugzeug, wo das Cockpit sich relativ zum Boden weit höher oder tiefer befindet, als der Pilot es gewöhnt ist, kann eine ähnliche Täuschung in der letzten Phase des Landeanfluges entstehen.

Ein Endanflug über einem unregelmäßigen, aufsteigenden Gelände mit einer flachen, oder ungewöhnlich schmalen oder langen Landebahn kann die Illusion erzeugen, dass das Flugzeug sich zu hoch befindet. Der Pilot kann daraufhin die Sinkgeschwindigkeit erhöhen, wodurch das Luftfahrzeug ungewöhnlich niedrig zur Landung ansetzt.
Der Endanflug über einem absteigenden Gelände mit einer flachen oder ungewöhnlich breiten Landebahn kann zu einer konträren Illusion führen.

Andere Täuschungen

  • Schwarzloch-Anflug-Illusion. Diese optische Täuschung kann während eines Nachtanfluges über Wasser oder unbeleuchtetem Gelände mit Übergang zur beleuchteten Landebahn, wobei der Horizont nicht sichtbar ist. Es entsteht ein visuelles schwarzes Loch zwischen Flugzeug und Landebahn. Piloten setzten oft den Sichtanflug selbstbewusst fort, anstatt sich auf die Instrumente zu verlassen. Als Folge überschätzen Piloten oft den Gleitpfad, weil periphere visuelle Hinweise fehlen, insbesondere unterhalb des Flugzeuges. Zusätzlich kann der Pilot den Eindruck bekommen, dass die Landebahn schräg liegt. Als Ergebnis initiieren sie einen aggressiven Abstieg und setzen zu einem viel zu niedrigen Gleitpfad an.
  • Autokinetische Täuschung. Die autokinetische Täuschung kann bei Nacht oder bei eingeschränkter Sicht auftreten. Der Pilot bekommt den Eindruck, dass ein festes Objekt sich vor dem Flugzeug bewegt. Diese Vorstellung entsteht, wenn man einen festen Lichtpunkt in einer dunklen Umgebung zu lange anschaut. Die Illusion entsteht aufgrund von mangelnder Bewegung des Auges. Zusätzlich zu unzureichenden visuellen Hinweisen mit einer einzigen Lichtquelle wird die unzureichende Augenbewegung vom Gehirn als Bewegung des Objektes interpretiert. Die Illusion kann eine Fehlannahme erzeugen, dass das betrachtete Objekt sich auf Kollisionskurs mit dem Flugzeug befindet.

Auch Planeten oder Sterne am Nachthimmel können diese Täuschung erzeugen. Die hellen Sterne und Planeten werden oft irrtümlicherweise für Landelichter eines entgegenkommenden Flugzeuges oder Satelliten gehalten.

  • Illusion der falschen visuellen Referenz. Diese Täuschung kann den Piloten dazu veranlassen, das Flugzeug am falschen künstlichen Horizont zu orientieren. Sie kann entstehen, wenn das Flugzeug eine geneigte Wolke oder ein unauffälliges Gelände mit Bodenlichtern, die vom dunklen Himmel mit Sternen schwer zu unterscheiden sind, überfliegt. Auch kann die Täuschung beim Flug über einem unauffälligen Gelände mit klarem Bodenlichtmuster bei dunklem, sternlosen Himmel entstehen.
  • Bewegungstäuschung. Diese Illusion entsteht, wenn das Gehirn periphere Bewegung eines anderen Objektes wahrnimmt und es Hinweise auf die eigenen Bewegungen fehlen. Die Täuschung entsteht oft, wenn man, zum Beispiel, in einem Zug sitzt und einen nahestehenden anderen Zug fortfahren sieht. Es entsteht der Eindruck, als würde man sich selbst rückwärts bewegen. Diese Täuschung kann während des Taxiings auf der Rollbahn vorkommen.
  • Illusion des wiederholten Musters. Diese Illusion kann entstehen, wenn das Flugzeug sich mit einer sehr niedrigen Geschwindigkeit auf einer Fläche bewegt, die ein sich wiederholende Muster aufweist, zum Beispiel Wellen auf dem Wasser. Die Augen des Piloten können die Höhe falsch interpretieren, wenn jedes Auge auf verschiedene Teile des Musters gerichtet ist. Dies führt zu einem großen Fehler in der Wahrnehmung der Höhe, sodass jeder Abstieg zu einem Aufprall auf den Boden führen kann. Insbesondere für Hubschrauberpiloten, die auf wenigen Metern Höhe über ruhigem Wasser befinden, stellt diese Täuschung eine große Gefahr dar.

Unfälle aufgrund von Täuschungen

  • Der Flug 855 der Air India stürzte am 1. Januar 1978 kurz nach dem Start in Bombay ab. Die Ursache des Unfalls war ein defekter künstlicher Horizont, weswegen der Pilot sich auf seine Sinne verlassen musste. Aufgrund der Schräglage-Illusion drehte der Pilot nach einer Rechtskurve immer weiter nach links.
  • Der Alitalia-Flug 4128 stürzte am 23. Dezember 1978 auf dem Weg von Rom nach Palermo kurz vor der Landung ab. Die Cockpit-Crew glaubte näher an der Landebahn zu sein, als sie in Wirklichkeit waren. Das Flugzeug stürzte ins Tyrrhenische Meer ab. 108 Insassen kamen dabei ums Leben, 21 Menschen konnten gerettet werden.
  • Ebenfalls aufgrund von einer falschen Wahrnehmung der Flughöhe in der Nähe der Landebahn stürzte der VASP-Flug 168 am 8. Juni 1982 in Fortaleza ab. Die Unfalluntersuchung zeigte, dass die Piloten durch die hellen Lichter der Stadt vor ihnen irritiert waren und zu niedrig zur Landung angesetzt haben.
  • Am 16. August 2010 stürzte die Boeing 737-73V der kolumbianischen Fluggesellschaft LAN Colombia auf der Insel San Andrés in der Karibik ab. Der Unfall ereignete sich aufgrund der Schwarzloch-Anflug-Illusion des Piloten, der in Schlechtwetterbedingungen zu niedrig zur Landung angesetzt hat. Das Flugzeug brachte auf der Landebahn in drei Teile auseinander. Der Unfall forderte zwei Menschenleben, weitere 129 Insassen überlebten.
  • Die Boeing 737-400 der Adam Air stürzte während des Fluges 574 von Surabaya nach Manado am 1. Januar 2007 auf der indonesischen Insel Sulawesi ab. Alle 102 Menschen an Bord starben. Die Piloten waren durch das ausgefallene Navigationssystem abgelenkt und bemerkten eine leichte Neigung nach rechts nicht. Aufgrund der räumlichen Desorientierung waren sie nicht mehr in der Lage, die Position auszugleichen.

Siehe auch