Vorflug

Aus PASSAGIERRECHTE
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Vorkommnisse auf dem Vorflug

Die europäische Fluggastrechteverordnung trifft keine eindeutige Entscheidung, ob ein außergewöhnlicher Umstand, der die Verspätung eines Fluges zur Folge hat, das Luftfahrtunternehmen auch für die weiteren Flüge von ihrer Ausgleichszahlungspflicht entbindet. Erwägungsgrund 15 der Verordnung legt den Gedankten durchaus nahe, dass hinsichtlich der Folgeverspätung ein außergewöhnlicher Umstand stets fortwirken kann. Demgegenüber besagt Erwägungsgrund 14 aber, dass ein außergewöhnlicher Umstand bei z. B. einer mit der Durchführung des betreffenden Fluges nicht zu vereinbarenden Wetterbedingung vorliegt, woraus sich folgern lässt, dass der Eintritt eines außergewöhnlichen Umstandes eine Verspätung bei nachfolgenden Flügen nicht zur Entlastung eines Luftfahrtunternehmens führen kann. Eine beliebige Verlängerung der Verkettung der außergewöhnlichen Umstände würde das eigentliche Ziel der Verordnung – die Rechte der Fluggäste zu stärken – unterlaufen.

Übernächster Flug

Bei der verspäteten Startzeit hätte der Fluggast nach der Verordnung nun einen Ausgleichsanspruch gegen das Luftfahrtunternehmen. Jedoch könnte die Fluggesellschaft sich auf einen außergewöhnlichen Grund berufen und somit von ihrer Zahlungspflicht befreit werden. Die Richter des Amtsgerichts Rüsselsheim hatten einen Fall zu entscheiden, in dem ein Passagier aus dem „übernächsten“ Flug aufgrund der Verspätung seinen Anspruch geltend machen wollte (vgl. AG Rüsselsheim, Urt. v. 05.07.2013 – 3 C 145/13 (37), siehe auch AG Rüsselsheim, Urt. v. 02.11.2012 – 3 C 855/12 (37)). Der vorangegangene Flug war wegen Flugsicherungsanlagen bzw. Kapazitätsbeschränkungen ausgefallen. Die Richter urteilten, dass ein Ereignis, das während des Fluges eingetreten ist, allenfalls für den unmittelbar folgenden Flug als außergewöhnlicher Umstand herangezogen werden kann (Art. 5 Abs. 3 VO (EG) Nr. 261/2004). Für alle weiteren nachfolgenden Flüge ist das nicht mehr möglich. Die Berufung auf einen außergewöhnlichen Umstand befreit die Airline also nur dann, wenn der Umstand sich nicht auf dem unmittelbaren Vorflug ereignet hat, sondern schon bei davorliegenden Vorumlaufflügen eingetreten ist.

Vogelschlag auf Vorflug

Ereignet sich ein Vogelschlag auf einem Vorflug und kommt es deswegen auf den Folgeflügen zu Verspätungen oder Annullierungen, so ist das Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstandes von den getroffenen Gegenmaßnahmen der Airline abhängig zu machen. Zwar legt der 15. Erwägungsgrund zur EG (VO) Nr. 261/2004 durchaus den Gedanken nahe, dass hinsichtlich der Folgeverspätungen ein außergewöhnlicher Umstand stets fortwirken könne. Denn danach sollte vom Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstands ausgegangen werden, wenn eine Entscheidung des Flugverkehrsmanagements zu einem einzelnen Flugzeug an einem bestimmten Tag zur Folge hat, dass es bei einem oder mehreren Flügen des betreffenden Flugzeugs zu einer großen Verspätung, einer Verspätung bis zum nächsten Tag oder zu einer Annullierung kommt, obgleich vom betreffenden Luftfahrtunternehmen alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen wurden, um die Verspätungen oder Annullierungen zu verhindern. Wenn ein Luftfahrtunternehmen jedoch nur in gewissem Maße Ersatzmaschinen bereit hält um die Umlaufflüge bei einem Zwischenfall fortsetzten zu können, so handelt es sich hierbei um eine betriebswirtschaftliche Entscheidung. Die Airline hat in diesen Fällen abzuwägen, ob sie den Frühflug bis auf Weiteres nicht durchführt und dafür den zweiten Flug des Umlaufs pünktlich durchführt, oder die Verspätung durchreicht, ist in ihrer Planung angelegt und wird von den Kosten abhängen sowie davon, wie viele Reservemaschinen sie an welchen Standorten bereithält. Mit Blick auf die in den Erwägungsgründen Nr. 1 bis 4 zur EG (VO) Nr. 261/2004 hervorgehobene Zielsetzung, die Rechte der Fluggäste zu stärken, scheint es nicht vereinbar, dass das Flugunternehmen allein mit Blick auf den in seiner Organisation und Ablaufplanung angelegten Entscheidungskonflikt entlastet wird. Somit liegt bei einem Vogelschlag auf einem Vorflug und einer daraus resultierenden Verspätung kein außergewöhnlicher Umstand vor. Die Fluggesellschaft kann sich nicht von ihrer Ausgleichszahlungspflicht befreien.

Umlaufverfahren

Die Flüge im Umlaufverfahren durchzuführen, ist eine betriebswirtschaftliche Organisationsentscheidung der Fluggesellschaft. Solche Entscheidungen dürfen und sollen nicht zulasten des Fluggastes gehen (vgl. LG Hannover, Urt. v. 18.01.2012 – 14 S 52/11). Die Unvermeidbarkeit eines außergewöhnlichen Umstands liegt nur dann vor, wenn das Luftfahrtunternehmen alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um den Umstand zu verhindern, diese Maßnahmen aber gescheitert sind (vgl. BGH, Urt. v. 04.10.2010 – Xa ZR 15/10). Die Fluggesellschaft muss umfassend vortragen, welche personellen, materiellen und finanziellen Mittel zur Verfügung standen, um den Flug zum geplanten Zeitpunkt durchzuführen. Außerdem muss das Unternehmen hinreichend begründen, warum es ihm nicht zumutbar war, auf diese Möglichkeiten zurückzugreifen (vgl. AG Paderborn, 15.03.2012 – 50 C 254/11).

Notlandung auf Vorflug

Das Amtsgericht Hannover hatte einen ähnlichen Fall zu beurteilen. Auf einem Vorflug kam es zu einer Verspätung. Die Piloten wurden über Bordfunk von der Bundespolizei dazu aufgefordert, auf dem nächstgelegenen Flughafen zu landen, weil ein ungecheckter Koffer sich an Bord des Flugzeuges befand. Die Piloten leisteten der Anweisung Folge und erlitten somit eine Verspätung, die sich auch auf den Folgeflug auswirkte. Der klagende Fluggast erreichte sein Urlaubsziel mit mehr als drei Stunden Verspätung und fordert von der Fluggesellschaft eine Ausgleichszahlung. Das Luftfahrtunternehmen berief sich auf einen außergewöhnlichen Umstand und verweigerte die Zahlung des Ausgleichs (vgl. AG Hannover, Urt. v. 30.09.2013, 532 C 7883/12). Die Richter urteilten, dass es keinen außergewöhnlichen Umstand i. S. v. Art.5 Abs. 3 VO (EG) Nr. 261/2004 darstellt, sofern sich an Bord des Flugzeugs ein ungecheckter Koffer befindet und die Maschine auf Anweisung der Bundespolizei zu Kontrollzwecken deswegen landen muss. Es ist Sache der Fluggesellschaft, dafür zu sorgen, dass kein ungecheckter Koffer an Bord ihres Flugzeugs gelangt. Die Fluggesellschaft schien keinerlei Zeitreserve eingeplant zu haben, um unerwartete Vorkommnisse und Zeiteinbußen auszugleichen. Folglich konnte sich das Luftfahrtunternehmen nicht auf einen außergewöhnlichen Umstand berufen und ist dem Fluggast zur Ausgleichszahlung verpflichtet.

Medizinische Vorfälle

Medizinische Vorfälle auf Vorflügen können zu erheblichen Verspätungen oder sogar Ausfällen führen. Die Bewertung ist unterschiedlich, ob es sich um einen außergewöhnlichen Umstand handelt, oder nicht.

Bewusstlosigkeit eines Passagiers

Ein medizinischer Notfall, hier die Bewusstlosigkeit einer Passagierin mit Abtransport durch Krankenwagen, kann ein außergewöhnlicher Umstand sein. Vor dem Hintergrund, dass allein die Durchführung des jeweils konkreten Fluges maßgeblich ist, kann ein medizinsicher Notfall jedoch nur eine Rolle spielen, wenn er in einem engen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem in Rede stehenden Flug steht. Bei Flügen, die im Umlaufverfahren geplant sind, ist diese Voraussetzung nicht gegeben. Somit handelt es sich nicht um einen außergewöhnlichen Umstand, wenn ein Flugzeug aufgrund der Bewusstlosigkeit eines Passagiert auf dem Vorflug Verspätung hat (vgl. AG Geldern, Urt. v. 28.11.2007, 14 C 273/07).

Medizinischer Notfall

Kommt es auf dem Vorflug zu einem medizinischen Notfall, sodass das Flugzeug umkehren oder notlanden muss, so handelt es sich dabei um einen außergewöhnlichen Umstand. Ein Luftfahrtunternehmen kann keine zumutbaren Maßnahmen zur Vorbeugung eines solchen Vorfalls treffen, wenn der medizinische Notfall zum Zeitpunkt des Abflugs noch nicht vorhersehbar war (vgl. AG Berlin-Wedding, Urt. v. 28.10.2010, 2 C 115/10).

Todesfall an Board

Ein plötzlicher Todesfall und eine daraus resultierende Verspätung der folgenden Flüge des eingesetzten Flugzeugs stellt keinen außergewöhnlichen Umstand im Sinne der Fluggastrechteverordnung dar. Es handelt sich hierbei nicht um einen Umstand, dem eine Airline mit zumutbaren Maßnahmen im Vorfeld entgegenwirken kann (vgl. AG Frankfurt a.M., Urt. v. 01.03.2011, 31 C 2177/10).

Ausblick

Bei dieser Fragestellung heißt es, die Augen offen zu halten und die weiteren Entwicklungen zu verfolgen. Das Landgericht Hannover hat im November 2013 ein Verfahren mit einer ähnlichen Rechtsfrage ausgesetzt und den Europäischen Gerichtshof angerufen. Die Richter fragen explizit nach der Auslegung der Fluggastrechteverordnung, wenn es bei Umlaufflügen zu Verspätungen kommt. Eine Antwort der obersten Richter der Europäischen Union steht noch aus (Stand: Oktober 2014, vgl. LG Hannover, Beschluss vom 29.11.2013 – 14 S 50/13).

Betreuungsleistungen

Gleichgültig, ob ein außergewöhnlicher Umstand die Airline von ihrer Ausgleichszahlungspflicht befreit oder nicht, muss diese [Betreuungsleistungen] an ihre Fluggäste leisten. Je nach Verspätung kommen unterschiedliche Leistungen in Betracht.

Siehe auch

[Flugverspätung]

[Fluggastrechteverordnung]

[Fluggastrechte]

[Flugannullierung]

[Außergewöhnliche Umstände]

Quellen

[Urteilsdatenbank]