Flugverspätung und Montrealer Übereinkommen
Fraglich ist inwieweit das Montrealer Übereinkommen (MÜ) abschließende Regelungen zur Verspätungshaftung des Luftfrachtführers trifft und ein Rückgriff auf nationales Recht nicht mehr möglich ist.
Zweck der Regelung
Mit der Regelung in Art. 29 MÜ soll gewährleistet werden, dass das in allen Vertragsstaaten geltende MÜ weder durch nationale Regelungen durchbrochen, noch unterlaufen wird. Damit soll die Einheitlichkeit der Haftung gewährleistet werden. Weiterhin kann somit der gefundene Ausgleich zwischen den Interessen des Luftfrachtführers und den Interessen dessen Vertragspartners abgesichert werden. Es sind sowohl Haftungserleichterungen als auch Haftungsbeschränkungen geregelt. Es besteht zwar grundsätzlich Einigkeit darüber, dass Art. 29 MÜ einen Rückgriff auf nationales Recht verbietet, dennoch wird das Verhältnis der Vorschriften des MÜ zu nationalem Recht und die Reichweite der Ausschlusswirkung unterschiedlich bewertet.
Verdrängung anderer Anspruchsgrundlagen
Es ist nicht ganz eindeutig, ob andere Ansprüche die auf Anspruchsgrundlagen außerhalb des Abkommens gestützt werden können, durch das MÜ vollständig verdrängt werden und somit ganz ausgeschlossen sind oder ob diese Ansprüche so wie es auch im Wortlaut von Art. 29 MÜ lautet nur unter den Voraussetzungen und Beschränkungen geltend gemacht werden. Im Gegensatz zu Art. 24 WA werden durch Art. 29 MÜ außer dem MÜ selbst noch andere Anspruchsgrundlagen benannt. Die Formulierung des Art. 29 MÜ wird in diesem Zusammenhang jedoch eher als missglückt angesehen, da es zu einem Chaos kommen würde, wenn man nebenbei noch sämtliche nationale Anspruchsgrundlagen zulassen würde. Es wird daher unter anderem vorgeschlagen die Aufzählung der in Frage kommenden Haftungsgrundlagen des Art. 29 MÜ ausschließlich als mögliche Qualifizierung von sich aus dem Abkommen ergebenden Schadensersatzansprüchen zu betrachten. Grundsätzlich ist es jedoch nicht von allzu großer Bedeutung, ob andere Anspruchsgrundlagen ausgeschlossen sind oder andere Ansprüche den Voraussetzungen und Beschränkungen des MÜ unterworfen werden. Werden andere Ansprüche den Voraussetzungen und Beschränkungen des MÜ unterworfen, so gilt dies für materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Voraussetzungen und Beschränkungen, wie beispielsweise für den Gerichtsstand. Doch Bedenken die beinhalten, dass die unterschiedlichen Auffassungen in solchen Fällen wie dem Gerichtsstand zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, sind unbegründet.
Reichweite der Ausschlusswirkung
Eingeschränkter Regelungsbereich des MÜ
Das MÜ hat wie das WA einen eingeschränkten Regelungsbereich. Das Ziel beider Übereinkommen ist die Vereinheitlichung einiger besonderer Fragen der internationalen Beförderung. Fragen die nicht in den Regelungsbereich des MÜ oder des WA fallen, werden dann durch anwendbares nationales Recht bzw. supranationales Recht beantwortet.
Abschließende Regelung in Teilbereichen
Zwar zielt das MÜ nicht auf eine abschließende Regelung der internationalen Beförderung ab, jedoch wird durch Art. 29 MÜ eine abschließende Regelung in Teilbereichen beabsichtigt. Die Abgrenzung dieser Teilbereiche ist jedoch mit Schwierigkeiten verbunden. In Betracht kommt zunächst eine weite Bestimmung der Teilbereiche abschließender Regelung durch das MÜ. Beispielhaft könnte die Schadensersatzhaftung insgesamt des Luftfrachtführers bei der Luftbeförderung abschließend geregelt sein. Darauf ist abzustellen weil das 3. Kapitel des MÜ laut seiner Überschrift die Haftung des Luftfrachtführers und den Umfang des Schadensersatzes regelt. In der Rechtsprechung zum WA wurde die Ansicht vertreten, dass die Schadensersatzhaftung der Luftbeförderung bereits endgültig im WA geregelt ist.
Dagegen sprechende Gründe
Eine weite Bestimmung des Bereichs einer abschließenden Regelung durch das WA muss abgelehnt werden. In der Literatur wird die Ansicht vertreten, dass die Ausschlusswirkung des Art. 24 WA nur soweit reichen kann, wie die einzelnen Haftungsvorschriften Anwendung finden. Der Wortlaut des Art. 24 WA spricht gegen ein weites Verständnis der abschließenden Regelung durch das WA. In Art. 24 WA wird für die Ausschließlichkeit der Haftung nach dem WA auf die Art. 17, 18,19 WA verwiesen. Man kann dem Wortlaut entnehmen, dass die Haftung nur für diese Fälle gilt und eben nicht abschließend geregelt ist, sonst wärde der Verweis auf diese Artikel überflüssig. Auch die Entstehungsgeschichte des WA spricht gegen ein so weites Verständnis abschließender Regelungen durch das WA. Eine Schadensersatzhaftung des Luftfrachtführers bei der Luftbeförderung soll nicht insgesamt abschließend geregelt werden. Auch Sinn und Zweck widersprechen einer weiten Bestimmung des Bereichs ausschließender Haftung nach dem WA. Neben der Vereinheitlichung bestimmter Rechtsnormen ist das Ziel des WA, der Schutz des Luftfrachtführers vor dem finanziellen Ruin. Es war nie Absicht den Luftfrachtführer vor gewöhnlichen Geschäftsrisiken zu schützen. Dies wäre jedoch der Fall, wenn man über Art. 24 WA die Nichthaftung des Luftfrachtführers in allen nicht im Abkommen geregelten Fällen festschreiben würde. Für alle anderen Fälle wurden die Art. 17, 18, 19 WA getroffen. Außerdem muss der Luftfrachtführer den gewöhnlichen Risiken seines Geschäftsverkehrs mit einer bestimmten Sorgfalt begegnen können und darf für etwaige Schäden die entstehen nicht kompensationslos bleiben. Die Vereinheitlichung von Rechtsnormen im internationalen Luftverkehr stellt keinen Selbstzweck dar, also kann auch nicht von einem weiten Bereich der abschließenden Regelung des WA bestimmt werden. Geklärt werden muss jedoch wie der Verweis auf die Fälle der Art. 17,18,19 MÜ verstanden werden muss. Fraglich ist woran durch den Verweis auf die Fälle der Art. 17, 18, 19 MÜ angeknüpft wird und unter welchen Umständen durch Art. 29 MÜ Schadensansprüche nach nationalem oder supranationalem Recht konkret ausgeschlossen sind. Für die Regelung des Art. 24 WA wird zunächst gefragt ob alle Tatbestandsvoraussetzungen der genannten Artikel überhaupt erfüllt sind. Der exklusive Anwendungsbereich des Abkommens werde dabei durch den Verweis auf die genannten Artikel in tatsächlicher und zeitlicher Hinsicht definiert. Es wird jedoch auch die Ansicht vertreten, dass in Art. 24 WA durch den Verweis auf die genannten Artikel der Bereich ausschließlicher Haftung nur in zeitlicher Hinsicht und bezüglich der bezeichneten Verletzungen begrenzt wird. Es wird also nicht umfassend auf den Tatbestand der Art. 17, 18 und 19 WA verwiesen. Dies würde im Anwendungsbereich des Art. 17 MÜ jedoch dazu führen, dass beispielsweise ein Personenschaden der in zeitlicher Hinsicht zwar eingetreten ist, jedoch nicht auf Grund eines Unfalls, ohne Kompensation bleiben müsste. Eine solche Ansicht ist abzulehnen, denn es ist nicht klar, warum der Verweis auf Art. 17 MÜ nicht das Tatbestandsmerkmal „ Unfall“ mitumfassen soll. Teilweise kann hier auch auf den Schadenstypus abgestellt werden und damit sofern ein solcher Schaden gegeben ist , der gleiche Schaden nicht mehr nach nationalem Recht geltend gemacht werden kann. Das Abkommen muss zumindest zeitlich anwendbar sein. Durch das OLG Köln wurde zunächst geprüft, ob der geltend gemachte Schaden wirtschaftlich einem im Abkommen geregelten Schaden entspricht. Wird derselbe Schaden geltend gemacht, dessen Ersatz im Abkommen geregelt ist, so geht der BGH davon aus , das sämtliche andere Anspruchsgrundlagen ausgeschlossen sind gemäß Art. 24 WA. An dieser Ansicht ist jedoch problematisch, dass der Schadentypus nur über den entsprechenden Tatbestand bestimmt werden kann, der den Ersatz dieses Schadens regelt. Der Schadenstypus des Art. 19 MÜ müsste daher der Verspätungsschaden sein, welcher während des jeweiligen Haftungszeitraumes eintritt. Bei Art. 17 MÜ wäre es beispielsweise ein Unfallkörperverletzungsschaden während des Haftungszeitraumes. Damit erscheint die zuerst genannte Ansicht sinnvoller, nach der für die Bestimmung des Schadenstypus auf den Tatbestand der Art. 17, 18, 19 MÜ zurückgegriffen wird, zunächst festgestellt wird, ob der geltend gemachte Lebenssachverhalt den Tatbestand der Art. 17, 18, 19 MÜ erfüllt. Es muss also auf den Tatbestand der Art. 17, 18, 19 MÜ zurückgegriffen werden, um den Bereich der abschließenden Regelung zu bestimmen. Diese Ansicht muss jedoch für das MÜ weiterhin eingegrenzt werden. Diese Ergänzung beinhaltet, dass auch der subjektive Tatbestand erfüllt sein muss. Sonst wäre in allen Fällen, in denen sich der Luftfrachtführer entlasten kann, der Rückgriff auf nationales oder supranationales Recht möglich. Die Art. 17, 18 MÜ wurden nicht um einen subjektiven Tatbestand erweitert, jedoch wurden sie um andere vom Luftfrachtführer zu beweisende Möglichkeiten erweitert. Diese gehören zwar zum Tatbestand der entsprechenden Artikel, aber spielen keine Rolle im Rahmen von Art. 29 MÜ. Dennoch muss man auf die vom Fluggast bzw. dem Absender von Gütern zu beweisenden Tatbestandsmerkmale der Art. 17, 18, 19 MÜ abstellen. Wenn diese aufgrund des feststehenden Lebenssachverhalts erfüllt sind, liegt beispielsweise im Rahmen der Haftung nach Art. 19 MÜ ein auf der Ankunftsverspätung beruhender Schaden vor. Dann ist ein Schadensersatzanspruch nach nationalem oder supranationalem Recht durch Art. 29 MÜ ausgeschlossen. Nach dieser Ansicht, die auf den Tatbestand abstellt, sind auch Nebenpflichtverletzungen die grds. Nur zum Teil dem WA bzw. dem MÜ unterfallen sollen, viel einfacher zu handhaben. Erfüllt der durch eine Nebenpflichtverletzung begründete Sachverhalt die Tatbestandsvoraussetzungen der Art. 17, 18, 19 MÜ so liegt eindeutig eine dem Abkommen unterfallende Nebenpflichtverletzung vor. Damit ist ein Schadensersatzanspruch nur auf diese Artikel des MÜ zu stützen, nicht aber auf die Nebenpflichtverletzung an sich, die einen Anspruch aus dem Beförderungsvertrag nach nationalem Recht begründen würde. Fraglich ist, ob eine Änderung der Rechtslage mit der Änderung des Wortlautes gegenüber dem Art. 24 WA/HP Absicht war. Es ist davon auszugehen, dass in Art. 29 MÜ der Bezug zu den Art. 17, 18, 19 MÜ weiterhin gegeben sein soll. Es ist nicht anzunehmen, dass mit der Änderung der Rechtslage dahingehende, dass unter der Geltung des MÜ ein jeglicher Anspruch auf Schadensersatz bei der Beförderung von Reisenden nur auf das MÜ zurückgeführt werden kann und andere Anspruchsgrundlagen außerhalb der Fälle der Art. 17, 18, 19 MÜ ausgeschlossen werden. Auch soll der Luftfrachtführer nicht kompensationsfrei bei erlittenen Schäden bleiben, die nicht im Abkommen geregelten Situationen.
Ergebnis
In Art. 29 MÜ muss als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der Zusatz „ in den Fällen der Art. 17, 18, 19“ hineingelesen werden. Somit kommt für das WA nur eine enge, in den Fällen der Art. 17, 18 und 19 MÜ orientierte Bestimmung des Bereichs abschließender Regelung durch das MÜ in Frage. Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen der Art. 17, 18, 19 MÜ vor, so kann sich gemäß Art. 29 S. 1, 1 . HS MÜ ein Anspruch auf Ersatz eines in den genannten Normen geregelten Schadens nur noch aus dem Abkommen ergeben. Andere Ansprüche auf Ersatz des gleichen Schadens nach nationalem oder supranationalem Recht sind nicht möglich. Die Regelung der Haftung des Luftfrachtführers im MÜ ist abschließend.