Schlussanträge des Generalanwalts Yves Bot vom 30. April 2013 (Rechtssache C‑628/11)
SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
YVES BOT
vom 30. April 2013
Rechtssache C‑628/11
Strafverfahren
gegen
International Jet Management GmbH
(Vorabentscheidungsersuchen des Oberlandesgerichts Braunschweig [Deutschland])
„Verbot jeder Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit – Gewerbliche Flüge aus einem Drittland nach einem Mitgliedstaat – Regelung eines Mitgliedstaats, nach der Luftfahrtunternehmen, die nicht über eine von diesem Staat erteilte Betriebsgenehmigung verfügen, für jeden Einflug aus einem Drittland eine Erlaubnis einholen müssen“
1. Mit dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen wird der Gerichtshof gefragt, ob Art. 18 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einen Mitgliedstaat daran hindert, von Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft, die über eine in einem anderen Mitgliedstaat im Einklang mit der Verordnung (EG) Nr. 1008/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. September 2008 über gemeinsame Vorschriften für die Durchführung von Luftverkehrsdiensten in der Gemeinschaft erteilte Betriebsgenehmigung verfügen, für Bedarfsflüge, die von einem Drittland in sein Hoheitsgebiet führen, eine Einfluggenehmigung zu verlangen.
2. Die Hauptschwierigkeit der vorliegenden Rechtssache besteht dabei in der Klärung der Frage, ob Art. 18 AEUV – angesichts der in Rede stehenden Thematik, nämlich der Erbringung von Flugdiensten zwischen einem Drittland und einem Mitgliedstaat durch ein Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft – auf einen Sachverhalt wie den des Ausgangsverfahrens anwendbar ist.
3. In diesen Schlussanträgen werde ich zunächst darlegen, weshalb ich der Ansicht bin, dass die genannte Vorschrift in der Tat auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbar ist.
4. Sodann werde ich erläutern, weshalb diese Vorschrift meines Erachtens dahin auszulegen ist, dass sie einen Mitgliedstaat daran hindert, von Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft, die über eine in einem anderen Mitgliedstaat erteilte Betriebsgenehmigung verfügen, für Bedarfsflüge von einem Drittland in sein Hoheitsgebiet eine Einfluggenehmigung zu verlangen.
I – Rechtlicher Rahmen
A – Unionsrecht
1. Verordnung (EG) Nr. 847/2004
5. Art. 3 der Verordnung (EG) Nr. 847/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über die Aushandlung und Durchführung von Luftverkehrsabkommen zwischen Mitgliedstaaten und Drittstaaten lautet: „Ein Mitgliedstaat schließt keine neuen Vereinbarungen mit einem Drittland, durch die die Zahl der Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft, die nach den bestehenden Vereinbarungen für die Erbringung von Luftverkehrsdienstleistungen zwischen seinem Hoheitsgebiet und jenem Land bezeichnet werden können, verringert wird, und zwar weder im Hinblick auf den gesamten Markt des Luftverkehrs zwischen den beiden Parteien, noch im Hinblick auf bestimmte Städteverbindungen.“
6. Art. 5 dieser Verordnung bestimmt:
„Schließt ein Mitgliedstaat ein Abkommen oder vereinbart er Änderungen eines Abkommens oder seiner Anhänge, wonach die Nutzung der Verkehrsrechte oder die Zahl der Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft, die für eine Nutzung der Verkehrsrechte in Frage kommen, begrenzt wird, so trägt er dafür Sorge, dass die Aufteilung der Verkehrsrechte auf die in Frage kommenden Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft auf der Grundlage eines nichtdiskriminierenden und transparenten Verfahrens erfolgt.“
2. Verordnung Nr. 1008/2008
7. Der zehnte Erwägungsgrund der Verordnung (EG) Nr. 1008/2008 lautet:
„Um den Luftverkehrsbinnenmarkt zu vollenden, sollten noch bestehende Beschränkungen, die zwischen Mitgliedstaaten angewendet werden, etwa Beschränkungen beim Code-Sharing auf Strecken nach Drittländern oder bei der Preisfestsetzung auf Strecken nach Drittländern mit einer Zwischenlandung in einem anderen Mitgliedstaat (Flüge der sechsten Freiheit), aufgehoben werden.“
8. Art. 1 Abs. 1 der Verordnung lautet:
„Diese Verordnung regelt die Genehmigung von Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft, das Recht von Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft, innergemeinschaftliche Flugdienste durchzuführen, und die Preisfestsetzung für innergemeinschaftliche Flugdienste.“
9. In Art. 2 der Verordnung heißt es:
„Im Sinne dieser Verordnung gelten die folgenden Begriffsbestimmungen:
- 1. ‚Betriebsgenehmigung‘ ist eine Genehmigung, die einem Unternehmen von der zuständigen Genehmigungsbehörde erteilt wird und das Unternehmen je nach den Angaben in der Genehmigung berechtigt, Flugdienste zu erbringen;
- …
- 4. ‚Flugdienst‘ ist ein Flug oder eine Folge von Flügen zur gewerblichen Beförderung von Fluggästen, Fracht und/oder Post;
- …
- 8. ‚Luftverkehrsbetreiberzeugnis (AOC)‘ ist ein einem Unternehmen ausgestelltes Zeugnis, in dem dem Luftverkehrsbetreiber bescheinigt wird, dass er über die fachliche Eignung und Organisation verfügt, um die Sicherheit des im Zeugnis genannten Betriebs gemäß den einschlägigen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts oder gegebenenfalls des einzelstaatlichen Rechts zu gewährleisten;
- …
- 10. ‚Luftfahrtunternehmen‘ ist ein Unternehmen mit einer gültigen Betriebsgenehmigung oder einer gleichwertigen Genehmigung;
- 11. ‚Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft‘ ist ein Luftfahrtunternehmen mit einer gültigen Betriebsgenehmigung, die von einer zuständigen Genehmigungsbehörde gemäß Kapitel II erteilt wurde;
- …
- 13. ‚innergemeinschaftlicher Flugdienst‘ ist ein Flugdienst, der innerhalb der Gemeinschaft durchgeführt wird;
- 14. ‚Verkehrsrecht‘ ist das Recht, einen Flugdienst zwischen zwei Flughäfen der Gemeinschaft durchzuführen;
- …“
10. Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1008/2008 sieht vor:
„Kein in der Gemeinschaft niedergelassenes Unternehmen darf Fluggäste, Post und/oder Fracht im gewerblichen Luftverkehr befördern, wenn ihm nicht eine entsprechende Betriebsgenehmigung erteilt worden ist.
Ein Unternehmen, das die Voraussetzungen dieses Kapitels erfüllt, hat Anspruch auf Erteilung einer Betriebsgenehmigung.“
11. Art. 4 der Verordnung bestimmt:
„Einem Luftfahrtunternehmen wird von der zuständigen Genehmigungsbehörde eines Mitgliedstaats eine Betriebsgenehmigung erteilt, sofern
- a) sein Hauptgeschäftssitz sich in diesem Mitgliedstaat befindet;
- b) es Inhaber eines gültigen Luftverkehrsbetreiberzeugnisses (AOC) ist, das von einer nationalen Behörde desselben Mitgliedstaats ausgestellt wurde, dessen zuständige Genehmigungsbehörde für die Erteilung, Verweigerung, Widerrufung oder Aussetzung der Betriebsgenehmigung des Luftfahrtunternehmens der Gemeinschaft zuständig ist;
- …
- d) seine Haupttätigkeit die Durchführung von Flugdiensten ist, sei es allein oder in Verbindung mit jeder sonstigen Form des gewerblichen Betriebs von Luftfahrzeugen oder der Instandsetzung und Wartung von Luftfahrzeugen;
- …“
12. Art. 15 („Erbringung innergemeinschaftlicher Flugdienste“) der Verordnung Nr. 1008/2008, der zu deren Kapitel III („Zugang zu Strecken“) gehört, sieht vor:
- „(1) Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft sind berechtigt, innergemeinschaftliche Flugdienste durchzuführen.
- (2) Die Mitgliedstaaten machen die Durchführung von innergemeinschaftlichen Flugdiensten durch ein Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft nicht von einer Zulassung oder Genehmigung abhängig. Die Mitgliedstaaten verlangen von Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft keine Unterlagen oder Informationen, die diese bereits der zuständigen Genehmigungsbehörde vorgelegt haben, sofern die betreffenden Informationen rechtzeitig bei der zuständigen Genehmigungsbehörde eingeholt werden können.
- …
- (5) Ungeachtet der Bestimmungen zweiseitiger Abkommen zwischen Mitgliedstaaten und vorbehaltlich der für Unternehmen geltenden Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft wird es Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft von den betroffenen Mitgliedstaaten erlaubt, Flugdienste betrieblich zu verbinden und mit allen Luftfahrtunternehmen Code-Sharing-Vereinbarungen auf Flugdiensten nach, von oder über einen Flughafen in ihrem Hoheitsgebiet von oder nach jedem Ort in Drittländern einzugehen.
Ein Mitgliedstaat kann im Rahmen des zweiseitigen Luftverkehrsabkommens mit dem betreffenden Drittland Code-Sharing-Vereinbarungen zwischen Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft und Luftfahrtunternehmen eines Drittlandes insbesondere dann einschränken, wenn das betreffende Drittland den von dem betreffenden Mitgliedstaat aus operierenden Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft keine ähnlichen kommerziellen Möglichkeiten einräumt. Die so verfahrenden Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass im Rahmen dieser Abkommen auferlegte Einschränkungen den Wettbewerb zwischen Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft nicht einschränken, keine Diskriminierung zwischen diesen beinhalten und nicht einschränkender als erforderlich sind.“
B – Deutsches Recht
13. § 2 Abs. 1 des Luftverkehrsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. Mai 2007 (BGBl. 2007 I S. 698, im Folgenden: LuftVG) sieht vor, dass deutsche Luftfahrzeuge nur verkehren dürfen, wenn sie zum Luftverkehr zugelassen (Verkehrszulassung) und, soweit es durch Rechtsverordnung vorgeschrieben ist, in das Verzeichnis der deutschen Luftfahrzeuge (Luftfahrzeugrolle) eingetragen sind. Im Übrigen wird nach dieser Vorschrift ein Luftfahrzeug zum Verkehr nur zugelassen, wenn das Muster des Luftfahrzeugs zugelassen ist, der Nachweis der Verkehrssicherheit nach der Prüfordnung für Luftfahrtgerät geführt ist, der Halter des Luftfahrzeugs eine Haftpflichtversicherung unterhält und die technische Ausrüstung des Luftfahrzeugs so gestaltet ist, dass das durch seinen Betrieb entstehende Geräusch das nach dem jeweiligen Stand der Technik unvermeidbare Maß nicht übersteigt.
14. Gemäß § 2 Abs. 7 LuftVG dürfen Luftfahrzeuge, die nicht im Geltungsbereich dieses Gesetzes eingetragen und zugelassen sind, nur mit Erlaubnis in den Geltungsbereich dieses Gesetzes einfliegen oder auf andere Weise dorthin verbracht werden, um dort zu verkehren. Dieser Erlaubnis bedarf es nicht, soweit ein Abkommen zwischen dem Heimatstaat und der Bundesrepublik Deutschland oder ein für beide Staaten verbindliches Übereinkommen etwas anderes bestimmt.
15. Nach § 2 Abs. 8 LuftVG kann die Erlaubnis nach dessen Abs. 6 und 7 allgemein oder für den Einzelfall erteilt, mit Auflagen verbunden und befristet werden.
16. Gemäß § 58 LuftVG handelt u. a. ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder fahrlässig ohne Erlaubnis nach § 2 Abs. 7 LuftVG mit einem Luftfahrzeug in den Geltungsbereich dieses Gesetzes einfliegt oder auf andere Weise ein Luftfahrzeug dorthin verbringt. Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu 10 000 Euro geahndet werden.
17. Gemäß § 94 der Luftverkehrs-Zulassungs-Ordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. Juli 2008 (BGBl. 2008 I S. 1229, im Folgenden: LuftVZO) wird die Erlaubnis zum Einflug in den Luftraum der Bundesrepublik Deutschland nach § 2 Abs. 7 LuftVG vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung oder einer von ihm bestimmten Stelle erteilt.
18. Nach § 95 Abs. 1 LuftVZO muss der Antrag auf Erteilung der Erlaubnis folgende Angaben enthalten: den Namen und die Anschrift des Luftfahrzeughalters, das Luftfahrzeugmuster sowie das Staatszugehörigkeits- und Eintragungszeichen des Luftfahrzeugs, die vorgesehene Ankunftszeit nach Datum und Uhrzeit und den voraussichtlichen Zeitpunkt des Weiter- oder Rückflugs, den Ausgangs- und Zielflugplatz sowie gegebenenfalls Zwischenlandeplätze im Bundesgebiet, die Anzahl der Fluggäste und Art und Menge der Fracht, den Zweck des Flugs, insbesondere bei Beförderung einer geschlossenen Gruppe, die Angabe, wo die Gruppe ursprünglich zusammengestellt wurde, und bei Charterung den Namen, die Anschrift und den Geschäftszweig des Charterers. Die Erlaubnisbehörde kann weitere Angaben verlangen. Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung oder eine von ihm bestimmte Stelle gibt die Einzelheiten des Antragsverfahrens für die Erlaubniserteilung in Form allgemeiner Verwaltungsvorschriften bekannt.
19. Gemäß § 95 Abs. 2 LuftVZO muss der Antrag für Einflüge im nichtplanmäßigen Verkehr mit Landungen zu gewerblichen Zwecken (Gelegenheitsverkehr), sofern nicht der Fall des § 95 Abs. 3 vorliegt, spätestens zwei volle Werktage vor Beginn des beabsichtigten Fluges, bei einer Reihe von mehr als vier Flügen spätestens vier Wochen vor Beginn der beabsichtigten Flüge, bei der Erlaubnisbehörde eingegangen sein.
II – Sachverhalt des Ausgangsverfahrens
20. Die International Jet Management GmbH ist ein Luftfahrtunternehmen mit Sitz in Wien-Schwechat (Österreich). Sie führt Bedarfsflüge von Drittländern, im konkreten Fall von Russland und der Türkei, nach Mitgliedstaaten der Europäischen Union durch.
21. Die Gesellschaft verfügt über eine vom österreichischen Verkehrsministerium erteilte Betriebsgenehmigung im Sinne der Verordnung Nr. 1008/2008. Außerdem besitzt sie ein Luftverkehrsbetreiberzeugnis gemäß Art. 6 dieser Verordnung, das ihr von der Austro Control GmbH, einer mit hoheitlichen Aufgaben ausgestatteten Gesellschaft, deren Anteile von der Republik Österreich gehalten werden, ausgestellt wurde.
22. Mit Urteil vom 24. Mai 2011 verurteilte das Amtsgericht Braunschweig International Jet Management zu einer Geldbuße von 500 Euro wegen eines fahrlässigen Verstoßes, zu vier Geldbußen von 1 890 Euro wegen vorsätzlicher Verstöße und zu sechs Geldbußen von 600 Euro wegen weiterer vorsätzlicher Verstöße. Das Gericht war der Ansicht, dass International Jet Management in der Zeit vom 9. Dezember 2008 bis zum 15. März 2009 Flüge von Moskau (Russland) und Ankara (Türkei) nach Deutschland durchgeführt habe, ohne über eine Erlaubnis für den Einflug in den deutschen Luftraum nach § 2 Abs. 7 LuftVG in Verbindung mit den §§ 94 ff. LuftVZO zu verfügen.
23. In drei Fällen war die Einfluggenehmigung in den deutschen Luftraum vom Luftfahrtbundesamt wegen Fehlens einer Nichtverfügbarkeitserklärung versagt worden. Diese Erklärung bescheinigt, dass sich das im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ansässige Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft zuvor bei den deutschen Luftfahrtgesellschaften vergewissert hat, dass keine von ihnen bereit ist, den betreffenden Flug zu vergleichbaren Bedingungen durchzuführen. In den übrigen Fällen hatte das Luftfahrtbundesamt zum Zeitpunkt der streitigen Einflüge noch nicht über den Genehmigungsantrag entschieden.
24. International Jet Management legte gegen das Urteil vom 24. Mai 2011 beim Ersten Strafsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig Rechtsbeschwerde ein und beantragte, das Urteil aufzuheben und sie freizusprechen. Zur Begründung ihrer Beschwerde macht sie geltend, dass der Bußgeldtatbestand gegen das Unionsrecht verstoße und ihr Anspruch auf genehmigungsfreien Einflug in den europäischen Luftraum bereits aus der Verordnung Nr. 1008/2008 folge. Darüber hinaus stehe das Diskriminierungsverbot nach Art. 18 AEUV der Verhängung solcher Geldbußen entgegen. Schließlich sei die deutsche Regelung mit Art. 56 AEUV unvereinbar, der die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs in der Union vorschreibe.
25. Da das vorlegende Gericht Zweifel hinsichtlich der Auslegung des Unionsrechts hat, hat es beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen.
III – Vorlagefragen
26. Das Oberlandesgericht Braunschweig legt dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor:
- 1. Ist der Anwendungsbereich des in Art. 18 AEUV (ex Art. 12 EG) normierten Diskriminierungsverbots eröffnet, wenn ein Mitgliedstaat (Bundesrepublik Deutschland) von einem Luftfahrtunternehmen, das über eine in einem anderen Mitgliedstaat (Republik Österreich) erteilte, gültige Betriebsgenehmigung im Sinne der Art. 3 und 8 der Verordnung Nr. 1008/2008 verfügt, eine Einfluggenehmigung für Bedarfsflüge (gewerbliche Flüge im Nichtlinienverkehr), die von Drittstaaten in das Gebiet des Mitgliedstaats führen, verlangt?
- 2. Liegt − sofern die Frage 1 bejaht wird − ein Verstoß gegen Art. 18 AEUV bereits im Genehmigungserfordernis selbst, wenn eine Einfluggenehmigung, deren Einholung mit Hilfe einer Geldbuße durchgesetzt werden kann, für Flugdienste von Drittstaaten zwar von Luftfahrtunternehmen, die eine Verkehrszulassung (Betriebsgenehmigung) in den übrigen Mitgliedstaaten erhalten haben, nicht jedoch von Luftfahrtunternehmen mit Verkehrszulassung in der Bundesrepublik Deutschland gefordert wird?
- 3. Darf − sofern der Anwendungsbereich von Art. 18 AEUV zwar eröffnet ist (Frage 1), das Genehmigungserfordernis selbst jedoch nicht als diskriminierend bewertet wird (Frage 2) − die Erteilung einer Einfluggenehmigung für Flugdienste der Betroffenen, die von Drittstaaten in die Bundesrepublik Deutschland führen, unter Androhung einer Geldbuße ohne Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot davon abhängig gemacht werden, ob das Luftfahrtunternehmen des Mitgliedstaats bei der Genehmigungsbehörde nachweist, dass Luftfahrtunternehmen mit Verkehrszulassung in der Bundesrepublik Deutschland nicht in der Lage sind, die Flüge durchzuführen (Nichtverfügbarkeitserklärung)?
IV – Würdigung
27. Mit seiner ersten und seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 18 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einen Mitgliedstaat daran hindert, von Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft, die über eine in einem anderen Mitgliedstaat erteilte Betriebsgenehmigung verfügen, für Bedarfsflüge, die von einem Drittland in sein Hoheitsgebiet führen, eine Einfluggenehmigung zu verlangen.
28. Die Hauptschwierigkeit in dieser Rechtssache besteht darin, ob der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens, nämlich die Erbringung von Flugdiensten von einem Drittland nach einem Mitgliedstaat durch ein Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft, in den Anwendungsbereich des AEU-Vertrags fällt, so dass auf diesen Sachverhalt das Diskriminierungsverbot anwendbar ist.
A – Zur Anwendbarkeit von Art. 18 AEUV auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens
29. Der Luftverkehr nimmt im AEU-Vertrag einen ganz speziellen Platz ein. Nach Art. 4 Abs. 2 Buchst. g AEUV verfügen die Mitgliedstaaten und die Union im Bereich des Verkehrs über eine geteilte Zuständigkeit. Gemäß Art. 58 Abs. 1 AEUV gelten für den freien Dienstleistungsverkehr auf dem Gebiet des Verkehrs die Bestimmungen des Titels über den Verkehr (Titel VI). Für den freien Dienstleistungsverkehr auf dem Gebiet des Verkehrs gilt daher eine von den allgemeinen Vorschriften abweichende Regelung.
30. Darüber hinaus wird in Titel VI die Luftfahrt selbst, wie auch die Seeschifffahrt, gesondert behandelt und von den übrigen Verkehrsarten unterschieden. Gemäß Art. 100 Abs. 1 und 2 AEUV sind sie diesem Titel nämlich entzogen, solange der Unionsgesetzgeber nichts anderes bestimmt hat. Maßnahmen zur Liberalisierung des Luftverkehrs können daher nur auf der Grundlage von Art. 100 Abs. 2 AEUV erlassen werden.
31. Insoweit hat der Unionsgesetzgeber mit dem Erlass der Verordnung Nr. 1008/2008 die ihm durch Art. 100 Abs. 2 AEUV übertragene Zuständigkeit ausgeübt und die Flugdienste auf den innergemeinschaftlichen Strecken liberalisiert. Nach Art. 1 Abs. 1 dieser Verordnung regelt sie nämlich u. a. das Recht von Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft, innergemeinschaftliche Flugdienste durchzuführen. Den Sektor der Flugstrecken zwischen Drittländern und den Mitgliedstaaten hat der Unionsgesetzgeber dagegen bislang nicht liberalisiert.
32. Unterliegen diese Strecken somit, auch wenn sie noch nicht liberalisiert worden sind, den allgemeinen Bestimmungen des AEU-Vertrags und insbesondere dem Diskriminierungsverbot?
33. Die deutsche Regierung trägt vor, da die Verordnung Nr. 1008/2008 nach ihren Art. 1 Abs. 1 und 15 Abs. 1 und 2 nur für innergemeinschaftliche Flugdienste gelte, habe der Unionsgesetzgeber von der ihm durch Art. 100 Abs. 2 AEUV übertragenen Zuständigkeit nur in diesem Bereich Gebrauch gemacht. Titel VI des AEU-Vertrags regele daher nur die innergemeinschaftlichen Flugdienste und gelte nicht für Flugdienste von einem Drittland nach einem Mitgliedstaat, so dass diese Flugdienste vom Anwendungsbereich der Verträge ausgeschlossen seien. Art. 18 AEUV sei daher auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens nicht anwendbar.
34. Die deutsche Regierung ist mit anderen Worten der Auffassung, dass ein Sachverhalt wie der des Ausgangsverfahrens vom Anwendungsbereich des AEU-Vertrags auszuschließen sei, da es für ihn kein auf der Grundlage von Art. 100 Abs. 2 AEUV erlassenes Sekundärrecht gebe.
35. Ich vermag mich diesem Standpunkt nicht anzuschließen. Meiner Meinung nach fällt der Bereich, zu dem dieser Sachverhalt gehört, nämlich die Erbringung von Flugdiensten zwischen einem Mitgliedstaat und einem Drittland durch ein Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft, unter das Unionsrecht und bleibt dem Diskriminierungsverbot unterworfen.
36. Die deutsche Regierung verkennt meines Erachtens die Bedeutung und Tragweite von Art. 100 Abs. 2 AEUV in Verbindung mit Art. 58 Abs. 1 AEUV.
37. Der Verweis in Art. 58 Abs. 1 AEUV auf Art. 100 Abs. 2 AEUV betrifft nämlich nur den freien Dienstleistungsverkehr. Damit wird klargestellt, dass die Liberalisierung der Dienstleistungen auf dem Gebiet des Verkehrs nicht nach den allgemeinen Bestimmungen durchgeführt werden kann, sondern im Rahmen des den Verkehr betreffenden Titels VI des AEU-Vertrags erfolgen muss.
38. Art. 100 Abs. 2 AEUV wiederum soll nur den Anwendungsbereich des Titels VI regeln, indem die verschiedenen Verkehrsarten unterschieden werden und festgelegt wird, dass die Vorschriften dieses Titels nicht ohne Weiteres für die Luftfahrt und die Seeschifffahrt gelten. Entgegen dem Vorbringen der deutschen Regierung soll er daher nicht jede Art von Luftverkehr vom Anwendungsbereich des AEU-Vertrags ausschließen, solange der Unionsgesetzgeber keine Regelung auf der Grundlage dieser Vorschrift erlassen hat.
39. Selbst wenn eine Verkehrsleistung nicht in den Anwendungsbereich einer auf der Grundlage von Art. 100 Abs. 2 AEUV erlassenen Vorschrift des Sekundärrechts fallen würde und diese Leistung weiterhin nationalen Rechtsvorschriften unterläge, müssten die Mitgliedstaaten daher, wenn sie eine Regelung zu dieser Verkehrsleistung erlassen, gleichwohl Art. 61 AEUV und andere allgemeine Vorschriften des AEU-Vertrags beachten.
40. Hätten die Verfasser der Verträge die Anwendung der allgemeinen Bestimmungen des AEU-Vertrags, abgesehen von denjenigen zum freien Dienstleistungsverkehr, auf den Bereich des Luftverkehrs ausschließen wollen, hätten sie dies ausdrücklich mittels einer Art. 58 Abs. 1 AEUV entsprechenden Bestimmung getan.
41. Daher ist Art. 18 AEUV auf einen Sachverhalt anwendbar, der noch nicht durch Sekundärrecht geregelt ist, das auf der Grundlage von Art. 100 Abs. 2 AEUV ergangen ist.
42. Es bleibt zu klären, ob der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens unter Berücksichtigung dessen, dass er die Erbringung von Flugdiensten von einem Drittland nach einem Mitgliedstaat durch ein Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft betrifft, in den Anwendungsbereich des AEU-Vertrags im Sinne dieser Vorschrift fällt.
43. Meines Erachtens ist dies der Fall.
44. Zunächst – und weil diese Frage vor allem in der mündlichen Verhandlung aufgeworfen worden ist – bin ich der Ansicht, dass sich der Umstand, dass der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens keinen Linienflug betrifft, nicht auf die Lösung auswirkt, die ich vorschlagen werde. Die Unterscheidung zwischen Linienflugverkehr und Bedarfsflugverkehr verliert nämlich an Deutlichkeit. In der Verordnung Nr. 1008/2008 selbst wird der Linienflugverkehr nur an wenigen Stellen erwähnt, und zwar dann, wenn sich die Regelmäßigkeit der Flüge auf die Bedingungen für die Erteilung der Betriebsgenehmigung auswirkt oder für die Sicherstellung der Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen wichtig ist. Abgesehen von diesen speziellen Ausnahmen wird in der Verordnung für die Anwendung ihrer Bestimmungen nicht zwischen Linienflugverkehr und Bedarfsflugverkehr unterschieden, was meines Erachtens angesichts des Zwecks der Verordnung, die finanzielle Gesundheit der Luftfahrtunternehmen und damit die Sicherheit zu gewährleisten, einleuchtet.
45. Zwischen der Verordnung Nr. 1008/2008 und dem Sachverhalt des Ausgangsverfahrens besteht durchaus ein Zusammenhang. Nach ihrem Art. 1 Abs. 1 soll die Verordnung zwar das Recht von Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft regeln, innergemeinschaftliche Flugdienste durchzuführen. Es darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass die Verordnung auch die Regelung der Genehmigung von Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft zum Gegenstand hat. In Kapitel II, das der Betriebsgenehmigung gewidmet ist, hat der Unionsgesetzgeber nämlich vor allem die Bedingungen für die Erteilung der Betriebsgenehmigung harmonisiert und Regeln für die Gültigkeit, die Aussetzung und den Widerruf dieser Genehmigung aufgestellt. Hierzu sieht Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 der Verordnung vor, dass ein Unternehmen, das die Voraussetzungen dieses Kapitels erfüllt, Anspruch auf die Erteilung einer Betriebsgenehmigung hat. Nach Art. 3 Abs. 2 erteilt die zuständige Genehmigungsbehörde Betriebsgenehmigungen nicht und erhält deren Gültigkeit nicht aufrecht, wenn die Voraussetzungen dieses Kapitels nicht erfüllt sind.
46. Diese Harmonisierung, die den Status aller Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft betrifft, gilt für jeden Flug, d. h. sowohl für innergemeinschaftliche Flüge als auch für Flüge zwischen einem Mitgliedstaat und einem Drittland. Gemäß Art. 4 Buchst. d der Verordnung wird einem Luftfahrtunternehmen nämlich von der zuständigen Genehmigungsbehörde eines Mitgliedstaats eine Betriebsgenehmigung erteilt, sofern seine Haupttätigkeit die Durchführung von Flugdiensten ist, sei es allein oder in Verbindung mit jeder sonstigen Form des gewerblichen Betriebs von Luftfahrzeugen oder der Instandsetzung und Wartung von Luftfahrzeugen.
47. Der Begriff „Flugdienst“ wird in Art. 2 Nr. 4 der Verordnung Nr. 1008/2008 als „ein Flug oder eine Folge von Flügen zur gewerblichen Beförderung von Fluggästen, Fracht und/oder Post“ definiert. Dieser Begriff umfasst daher alle Flüge, seien es innergemeinschaftliche Flüge oder Verbindungen zwischen einem Drittland und einem Mitgliedstaat. Dafür spricht auch, dass der Unionsgesetzgeber einen solchen Flugdienst von einem innergemeinschaftlichen Flugdienst unterschieden hat, der in Art. 2 Nr. 13 der Verordnung als „ein Flugdienst, der innerhalb der Gemeinschaft durchgeführt wird“, definiert wird.
48. Daher muss ein Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft, um Flugdienste gleich welcher Art erbringen zu können, Inhaber einer Betriebsgenehmigung sein, die gemäß den einschlägigen Bestimmungen von Kapitel II der Verordnung Nr. 1008/2008 erteilt wurde. Diese Genehmigung gewährleistet, dass das Luftfahrtunternehmen sie unter Beachtung gemeinsamer Vorschriften, insbesondere in Bezug auf die Sicherheit, erhalten hat, und ihre Gültigkeit ist daher von den anderen Mitgliedstaaten anzuerkennen. De facto führt die Verordnung, ohne dies ausdrücklich zu erwähnen, den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der Betriebsgenehmigungen ein.
49. Die Betriebsgenehmigung ist auch als eine Voraussetzung für die Erbringung von Flugdiensten u. a. für Verbindungen von Drittländern nach einem Mitgliedstaat durch ein Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft anzusehen.
50. Durch eine nationale Maßnahme wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die dazu führt, dass die von einem anderen Mitgliedstaat erteilte Betriebsgenehmigung nicht anerkannt wird, kann der Status des Luftfahrtunternehmens der Gemeinschaft als solcher beeinträchtigt werden.
51. Ferner ist unbestreitbar, dass andere Regelungen des Sekundärrechts – auch wenn sie nicht unmittelbar die Erbringung von Flugdiensten auf Verbindungen zwischen einem Drittland und einem anderen Mitgliedstaat durch ein Luftfahrtunternehmen, das über eine von einem Mitgliedstaat erteilte Betriebsgenehmigung verfügt, betreffen – auf einen Sachverhalt wie den des Ausgangsverfahrens anwendbar sein können. So gilt z. B. die Verordnung Nr. 261/2004 nach ihrem Art. 3 Abs. 1 Buchst. b, „sofern das ausführende Luftfahrtunternehmen ein Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft ist, für Fluggäste, die von einem Flughafen in einem Drittstaat einen Flug zu einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaats, das den Bestimmungen des [EG‑]Vertrags unterliegt, antreten“.
52. Ebenso gilt die Verordnung (EG) Nr. 785/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Versicherungsanforderungen an Luftfahrtunternehmen und Luftfahrzeugbetreiber(13) nach ihrem Art. 2 Abs. 1 „für alle Luftfahrtunternehmen und Luftfahrzeugbetreiber, die innerhalb des Hoheitsgebiets, in das Hoheitsgebiet, aus dem Hoheitsgebiet oder über das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats fliegen, für das der [EG‑]Vertrag gilt“.
53. Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass die Vorschriften der Verordnung Nr. 1107/2006 nach ihrem Art. 1 Abs. 2 und 3 „für behinderte Menschen und Personen mit eingeschränkter Mobilität [gelten], die gewerbliche Passagierflugdienste nutzen oder zu nutzen beabsichtigen und von einem Flughafen, der in dem unter den [EG‑]Vertrag fallenden Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates liegt, abfliegen, auf einem solchen ankommen oder einen solchen im Transit benutzen. Die Artikel 3, 4 und 10 gelten auch für Fluggäste, die von einem Flughafen in einem Drittland zu einem Flughafen reisen, der in dem unter den [EG‑]Vertrag fallenden Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates liegt, wenn es sich bei dem ausführenden Luftfahrtunternehmen um ein Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft handelt.“
54. Schließlich – ohne Anspruch auf Vollständigkeit, da die Rechtsvorschriften der Union in diesem Bereich umfangreich sind – darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Unionsgesetzgeber im Anschluss an die sogenannten „Open-Skies“-Urteile die Verordnung Nr. 847/2004 erlassen hat, mit der ein Verfahren der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission eingeführt werden soll, wenn die Mitgliedstaaten Luftverkehrsabkommen mit Drittländern abschließen wollen und sich herausstellt, dass der Gegenstand des betreffenden Abkommens teilweise in die Zuständigkeit der Union und teilweise in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt.
55. Insbesondere sieht Art. 5 („Aufteilung der Verkehrsrechte“) der Verordnung Nr. 847/2004 Folgendes vor: „Schließt ein Mitgliedstaat ein Abkommen oder vereinbart er Änderungen eines Abkommens oder seiner Anhänge, wonach die Nutzung der Verkehrsrechte oder die Zahl der Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft, die für eine Nutzung der Verkehrsrechte in Frage kommen, begrenzt wird, so trägt er dafür Sorge, dass die Aufteilung der Verkehrsrechte auf die in Frage kommenden Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft auf der Grundlage eines nichtdiskriminierenden und transparenten Verfahrens erfolgt.“
56. Da der Unionsgesetzgeber mehrere Regeln erlassen hat, die den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens betreffen können, fällt meiner Ansicht nach die Erbringung von Flugdiensten von einem Drittland nach einem Mitgliedstaat durch ein Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft in den Anwendungsbereich des AEU-Vertrags. Eine so grundlegende Regel wie das Diskriminierungsverbot – bedarf es noch des Hinweises, dass sich die Union gemäß Art. 2 EUV auf Werte gründet, die allen Mitgliedstaaten in einer sich u. a. durch Nichtdiskriminierung auszeichnenden Gesellschaft gemeinsam sind? – muss im vorliegenden Fall, der viele Bezugspunkte zum Unionsrecht aufweist, Anwendung finden.
57. Die französische Regierung ist allerdings der Ansicht, dass die Anwendung von Art. 18 AEUV auf einen Sachverhalt wie den des Ausgangsverfahrens Art. 58 Abs. 1 AEUV de facto jede praktische Wirksamkeit nehmen würde, denn – so führt sie aus – wenn ein Mitgliedstaat zur Gleichbehandlung von Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft, die ihre Betriebsgenehmigung in seinem Hoheitsgebiet erhalten haben, und Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft, die sie im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats erhalten haben, verpflichtet wäre, würde dies zu einer Erstreckung des freien Dienstleistungsverkehrs nach Art. 56 AEUV auf die hier in Rede stehenden Dienstleistungen auf dem Gebiet des Verkehrs führen. Zur Stützung ihrer Auffassung führt die französische Regierung das Urteil vom 13. Dezember 1989, Corsica Ferries (France), an, in dem der Gerichtshof entschieden hat, dass der EWG-Vertrag, insbesondere seine Art. 59, 61, 62 und 84, es vor Inkrafttreten der Verordnung (EWG) Nr. 4055/86 einem Mitgliedstaat nicht verbot, anlässlich der Benutzung auf seinem Inselterritorium gelegener Hafeneinrichtungen durch ein Schiff Gebühren bei der Ausschiffung und bei der Einschiffung der Passagiere zu erheben, wenn die Passagiere von Häfen in einem anderen Mitgliedstaat kamen oder sich dorthin begaben, während solche Gebühren im Verkehr zwischen zwei im Inland gelegenen Häfen nur für die Einschiffung bei der Abfahrt vom Inselhafen erhoben wurden.
58. Ich teile den Standpunkt der französischen Regierung nicht.
59. Das Urteil Corsica Ferries (France) kann meiner Ansicht nach die Anwendbarkeit von Art. 18 AEUV auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens nicht in Frage stellen. Zunächst hat nämlich der Gerichtshof, wie Generalanwalt Mengozzi in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Neukirchinger zu Recht ausgeführt hat, im Urteil Corsica Ferries (France) die in Rede stehende Regelung nicht aus dem Blickwinkel von Art. 7 EG (jetzt Art. 18 AEUV) geprüft.
60. Sodann beruht der freie Dienstleistungsverkehr nicht nur auf dem Verbot diskriminierender Maßnahmen aufgrund der Staatsangehörigkeit des Dienstleistungserbringers. Er beruht auch auf der Aufhebung aller Beschränkungen durch nationale Regelungen, die, mögen sie auch unterschiedslos gelten, den freien Dienstleistungsverkehr beeinträchtigen, wenn sie geeignet sind, die Erbringung von Dienstleistungen durch einen Dienstleister, der in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist, zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen.
61. Dies bedeutet, dass die Mitgliedstaaten, soweit ein Bereich nicht liberalisiert ist, berechtigt sind, Beschränkungen vorzusehen. Zu diesem Ergebnis ist der Gerichtshof im Übrigen im Urteil Corsica Ferries (France) gelangt. Auch wenn ein Bereich nicht liberalisiert ist, müssen die Mitgliedstaaten dagegen meines Erachtens gleichwohl das Diskriminierungsverbot beachten.
62. Dies scheint mir Art. 15 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1008/2008 gut zu verdeutlichen. Er sieht nämlich u. a. vor, dass es ungeachtet der Bestimmungen zweiseitiger Abkommen zwischen Mitgliedstaaten den Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft von den betroffenen Mitgliedstaaten erlaubt wird, Flugdienste betrieblich zu verbinden und mit allen Luftfahrtunternehmen Code-Sharing-Vereinbarungen auf Flugdiensten nach einem Flughafen in ihrem Hoheitsgebiet von jedem Ort in Drittländern einzugehen. Nach Unterabs. 2 dieser Vorschrift kann ein Mitgliedstaat Code-Sharing-Vereinbarungen zwischen Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft und Luftfahrtunternehmen eines Drittlands einschränken. Er muss jedoch dafür Sorge tragen, dass diese Einschränkungen den Wettbewerb zwischen Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft nicht einschränken, keine Diskriminierung zwischen ihnen beinhalten und nicht einschränkender als erforderlich sind.
63. Diese Vorschrift zeigt meiner Ansicht nach, dass die Mitgliedstaaten trotz der fehlenden Liberalisierung der Flugdienste für Verbindungen zwischen einem Drittland und einem Mitgliedstaat weiterhin insbesondere das Diskriminierungsverbot zu beachten haben.
64. Aufgrund der vorstehenden Erwägungen bin ich der Auffassung, dass Art. 18 AEUV auf einen Sachverhalt wie den des Ausgangsverfahrens anwendbar ist.
65. Zu klären ist nunmehr, ob diese Vorschrift einen Mitgliedstaat daran hindert, von Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft, die über eine in einem anderen Mitgliedstaat erteilte Betriebsgenehmigung verfügen, für Bedarfsflüge, die von einem Drittland in sein Hoheitsgebiet führen, eine Einfluggenehmigung zu verlangen.
B – Zum Verstoß gegen Art. 18 AEUV
66. Wie der Gerichtshof in Randnr. 32 des Urteils Neukirchinger ausgeführt hat, verbieten die Vorschriften über die Gleichbehandlung von Inländern und Ausländern nach ständiger Rechtsprechung nicht nur offene Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit oder – bei Gesellschaften – des Sitzes, sondern auch alle verdeckten Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zum gleichen Ergebnis führen.
67. Im vorliegenden Fall bestehen keine Zweifel daran, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende deutsche Regelung ein Unterscheidungsmerkmal einführt, das an den Ort des Sitzes des Luftfahrtunternehmens der Gemeinschaft anknüpft.
68. Gemäß § 2 Abs. 7 LuftVG müssen nämlich Luftfahrtunternehmen, deren Betriebsgenehmigung in einem anderen Mitgliedstaat als der Bundesrepublik Deutschland erteilt wurde, eine Einfluggenehmigung einholen.
69. Das Unterscheidungsmerkmal knüpft daher an den Ort der Erteilung der Betriebsgenehmigung an. Gemäß Art. 4 Buchst. a der Verordnung Nr. 1008/2008 wird die Betriebsgenehmigung aber von den zuständigen Behörden des Mitgliedstaats erteilt, in dem das antragstellende Unternehmen seinen Hauptgeschäftssitz hat. Diese Regelung betrifft daher eindeutig Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft, die ihren Gesellschaftssitz in einem anderen Mitgliedstaat haben. Da es an den Ort des Gesellschaftssitzes anknüpft, führt dieses im deutschen Recht vorgesehene Unterscheidungsmerkmal letztlich zum gleichen Ergebnis wie ein auf der Staatsangehörigkeit beruhendes Merkmal.
70. Diese unterschiedliche Behandlung kann nur dann gerechtfertigt sein, wenn sie auf objektiven, von der Staatsangehörigkeit der Betroffenen unabhängigen Erwägungen beruht und in einem angemessenen Verhältnis zu dem Zweck steht, der mit den nationalen Rechtsvorschriften zulässigerweise verfolgt wird. Dies scheint mir hier jedoch nicht der Fall zu sein.
71. Im Ausgangsverfahren vertritt die Generalstaatsanwaltschaft nämlich die Auffassung, dass diese Ungleichbehandlung aus wirtschaftsprotektionistischen Gründen und aus zwingenden Gründen der Sicherheit gerechtfertigt sei.
72. Was die wirtschaftsprotektionistischen Gründe anbelangt, kann ich nicht erkennen, wie ein solches Ziel in einer Union mit 27 Mitgliedstaaten als legitim angesehen werden und einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot rechtfertigen könnte. Die Ausnahmen vom Verbot jeder Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit sind, da sie ein Grundrecht beeinträchtigen, eng auszulegen. Ziele wirtschaftlicher Art wurden vom Gerichtshof aber mehrfach als nicht geeignet angesehen, eine diskriminierende Regelung zu rechtfertigen. Für mich ist jedenfalls nicht ersichtlich, inwiefern der Schutz der heimischen Wirtschaft als auf objektiven, von der Staatsangehörigkeit der Betroffenen unabhängigen Erwägungen beruhend angesehen werden könnte.
73. Die von der Generalstaatsanwaltschaft angeführte Rechtfertigung aus Gründen der Sicherheit könnte zwar tatsächlich als legitimes Ziel angesehen werden, doch halte ich im vorliegenden Fall auch die Berufung auf einen solchen Rechtfertigungsgrund nicht für zulässig.
74. Wie ausgeführt, sind nämlich nach deutschem Recht die Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft, die über eine in einem anderen Mitgliedstaat erteilte Betriebsgenehmigung verfügen, verpflichtet, eine Einfluggenehmigung zu beantragen. Die Erteilung dieser Genehmigung setzt wiederum die Vorlage einer Nichtverfügbarkeitserklärung und eines Versicherungsnachweises sowie die Prüfung weiterer Umstände voraus. Das vorlegende Gericht führt hierzu aus, dass es sich bei den Umständen, die nach deutschem Recht im Genehmigungsverfahren geprüft werden müssten, um solche handele, die von der Republik Österreich selbst kontinuierlich zu überwachen seien. Den deutschen Behörden ist z. B. nach § 95 Abs. 1 Satz 2 LuftVZO das AOC zur Prüfung vorzulegen.
75. Das Erfordernis einer Einfluggenehmigung stellt daher de facto eine erneute Prüfung von Umständen dar, die bereits von den nationalen Behörden geprüft wurden, die die Betriebsgenehmigung auf der Grundlage der einschlägigen Bestimmungen der Verordnung Nr. 1008/2008 erteilt haben.
76. Nach dieser Verordnung ist nur die Behörde des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet das Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft seinen Hauptgeschäftssitz hat, für die Prüfung zuständig, ob die in der Verordnung vorgesehenen Voraussetzungen für die Erteilung erfüllt sind. Zu ihnen gehört nach Art. 4 Buchst. h der Verordnung, dass die für die Erteilung der Betriebsgenehmigung zuständige Behörde zu prüfen hat, ob das Luftfahrtunternehmen die in Art. 11 und in der Verordnung Nr. 785/2004 festgelegten Versicherungsanforderungen erfüllt. Desgleichen kann eine Betriebsgenehmigung nur erteilt werden, wenn diese Behörde überprüft hat, ob das Luftfahrtunternehmen ein gültiges AOC besitzt. Nur sie kann zudem die Betriebsgenehmigung aussetzen oder widerrufen, wenn die genannten Voraussetzungen nicht mehr erfüllt sind.
77. Die Beachtung der von den Luftfahrtunternehmen zu erfüllenden Voraussetzungen für die Erteilung der Betriebsgenehmigung soll die finanzielle Gesundheit der Luftfahrtunternehmen sicherstellen, denn der Unionsgesetzgeber war der Ansicht, dass die finanzielle Gesundheit und die Sicherheit möglicherweise verknüpft sind.
78. Da die von der Generalstaatsanwaltschaft im Ausgangsverfahren vorgebrachten Sicherheitsaspekte bereits von der für die Erteilung der Betriebsgenehmigung zuständigen Behörde geprüft wurden, steht ihre erneute Prüfung nicht in angemessenem Verhältnis zu dem verfolgten rechtmäßigen Ziel.
79. Interessant ist auch, dass die deutsche Regierung in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, dass die Informationen, die von einem Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft, das Bedarfsflüge von einem Drittland nach Deutschland durchführe, verlangt würden, von Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft, die Flüge von einem Drittland mit Zwischenlandungen durchführten, nicht gefordert würden. So hat die deutsche Regierung in der mündlichen Verhandlung bestätigt, dass für einen Flug von Moskau, bei dem vor der Ankunft am Zielort Berlin (Deutschland) eine Zwischenlandung in Wien eingelegt wird, vom Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft keine Einfluggenehmigung in die Bundesrepublik Deutschland verlangt wird. Für mich ist nicht ersichtlich, inwiefern in diesem Fall die nationale Rechtsvorschrift durch Gründe der Luftverkehrssicherheit gerechtfertigt sein könnte.
80. Eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende stellt daher eine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit im Sinne von Art. 18 AEUV dar.
81. In Anbetracht der Antwort auf die erste und die zweite Frage braucht die dritte Frage meiner Ansicht nach nicht geprüft zu werden.
V – Ergebnis
82. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die vom Oberlandesgericht Braunschweig zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen wie folgt zu antworten:
Art. 18 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einen Mitgliedstaat daran hindert, von Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft, die über eine in einem anderen Mitgliedstaat erteilte Betriebsgenehmigung verfügen, für Bedarfsflüge von einem Drittland in sein Hoheitsgebiet eine Einfluggenehmigung zu verlangen.