Schadensersatz für Personenschäden während des Fluges

Aus PASSAGIERRECHTE
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Unabhängig von Ansprüchen wegen Verspätung oder Annullierung eines Fluges oder bei Beschädigung des Gepäcks können Luftfahrt-spezifische Ansprüche des Passagiers bzw. seiner Angehöriger auf Schadensersatz bestehen, wenn es während des Fluges zu einer Verletzung oder gar zum Tod kommt.

Rechtsgrundlage

Rechtsgrundlage etwaiger Ansprüche ist Art. 17 Abs. 1 Montrealer Übereinkommen (MÜ) in Verbindung mit Art. 1 Satz 2, Art. 3 VO-EG Nr. 2027/97 in Verbindung mit §§ 35 ff. Luftverkehrsgesetz.

Gemäß Art. 17 MÜ hat die Fluggesellschaft den Schaden zu ersetzen, der dadurch entsteht, daß ein Reisender getötet oder körperlich verletzt wird, jedoch nur, wenn sich der Unfall, durch den der Tod oder die Körperverletzung verursacht wurde, an Bord des Luftfahrzeugs oder beim Ein- oder Aussteigen ereignet hat.

Die Vorschriften des Montrealer Übereinkommens (MÜ) sind gemäß Art. 1 Satz 2, Art. 3 Vo-EG Nr. 2027/97 anwendbar, auch wenn es sich z.B. um einen innerdeutschen Flug handelt.

Unfall

Der Begriff des Unfalls wird in den einschlägigen Gesetzen nicht bestimmt. Nach der Rechtsprechung umfasst der Begriff des Unfalls grundsätzlich jedes auf einer äußeren Einwirkung beruhende, plötzliche Ereignis (BGH, Urt. v. 01.12.1981, Az.: VI ZR 111/80).

Während des Fluges

Ein- und Ausstieg

Auch während des Ein- und Ausstiegs kann es zu Unfällen kommen, die vom Schutzbereich der Regelung erfasst werden. Stürzt ein Passagier etwa beim Einsteigevorgang auf der Fluggastbrücke ca. 5 Meter vor Betreten des Flugzeugs, aufgrund einer durch Kondenswasser ausgebildeten feuchten Stelle und erleidet eine Fraktur, hat er gegen die Fluggesellschaft Anspruch auf Schadensersatz für aufgewendete Heilungskosten, für erlittene Erwerbsunfähigkeit und aus abgetretenem Recht seines Arbeitgebers auf Entgeltfortzahlung gemäß § 36 LuftVG.

Gemäß Art. 17 Abs. 1 MÜ hat die Fluggesellschaft (im Abkommen als „Luftfrachtführer“ bezeichnet) den Schaden zu ersetzen, der dadurch entsteht, dass ein Reisender verletzt oder getötet wird, jedoch nur, wenn sich der betreffende Unfall entweder an Bord des Flugzeugs oder beim Ein- oder Aussteigen ereignet hat. Fraglich ist, ob der Begriff des Einsteigens auch einen Unfall auf der Fluggastbrücke erfasst. Nach Ansicht der Richter ist der Begriff des Einsteigens weit auszulegen. Er umfasst nicht nur den letzten Schritt des Fluggastes in das Flugzeug, sondern sämtliche Vorgänge, die den Einstieg in das Flugzeug und damit den Beginn der Luftbeförderung betreffen. Die Beförderung beginnt, wenn der Fluggast nach letzter Kontrolle der Bordkarte und gegebenenfalls weiterer Identitätsdokumente in die Obhut und den Anordnungsbereich des Luftfahrtunternehmens gelangt. Denn ab diesem Augenblick ist die Bewegungsfreiheit dahingehend eingeschränkt, dass der Fluggast grundsätzlich nur noch in Richtung Luftfahrzeug gelangen soll und kann. Fraglich ist weiterhin, ob und wenn ja, welcher Zusammenhang zwischen der Verletzung des Passagiers und einer luftfahrttypischen Gefahr erforderlich ist. Die herrschende Ansicht forderte einen spezifischen inneren Zusammenhang zwischen der Ursache der Verletzung und dem Flugbetrieb zur Begrenzung der Zurechnung des Luftfahrtunternehmens. Dieses würde andernfalls uferlos auch für Verletzungen des Passagiers haften, vor denen das MÜ gar nicht schützen sollte, die also in keinem konkreten Zusammenhang mit typischen Gefahren beim Flugbetrieb stehen. Die Haftung der Fluggesellschaft nach Art. 17 Abs. 1 Montrealer Übereinkommen (MÜ) ist eine Gefährdungshaftung, welche die Auswirkungen einer konkreten, erlaubtermaßen gesetzten, Gefahr ausgleichen soll. Sie bezweckt den Schutz des Fluggastes vor den spezifischen Gefahren für sein Leben oder seine körperliche Integrität, die aus den technischen Einrichtungen und sonstigen sachlichen Gegebenheiten der Luftbeförderung resultieren. Dabei muss es sich um keine einmaligen, urtypischen Gefahren handeln, sondern um Risiken, die sich aus der typischen Beschaffenheit eines Flugzeugs oder aus einer beim Ein- oder Ausstieg verwendeten luftfahrttechnischen Einrichtung ergeben. Daher kommt es nicht darauf an, ob ein Unfall anhand bisheriger Erfahrungen vorhersehbar war, sondern nur darauf, ob es sich um eine spezifische Auswirkung derjenigen Gefahren handelt, hinsichtlich derer der Verkehr nach dem Sinn der Haftungsvorschrift schadlos gehalten werden soll. Nach Ansicht der Richter hatte sich durch den Sturz des Passagiers eine hinsichtlich der luftfahrtspezifischen Gefährdungshaftung verwirklicht. Denn vorliegend hat sich die Fluggesellschaft einer Einstiegshilfe in Gestalt einer beweglichen Fluggastbrücke bedient, die den Terminal mit dem Flugzeug verbindet, damit die Reisenden in den Innenraum des Flugzeugs gelangen können. Eine solche Brücke wird nur für das Besteigen eines mit ihr verbundenen Luftfahrzeugs eingesetzt und ist insofern dem Luftverkehr eigentümlich. Sie stellt sich als verschließbarer Tunnel dar, der aufgrund seiner erforderlichen Beweglichkeit in der Regel keinen Handlauf vorsieht und bei dem die Verbindung von Bereichen, in denen unterschiedliche Temperaturen und Luftfeuchtigkeitsgrade herrschen können, Kondenswasserbildung begünstigt. Aus diesen Gegebenheiten ergibt sich eine Rutschgefahr, die sich im Fall einer für den Ein- und Aussteigevorgang gegebenenfalls erforderlichen, gefällebildenden Neigung noch verstärkt. Durch den Sturz des Passagiers hat sich demnach eine Gefahr verwirklicht, die im Zusammenhang mit dem Betrieb des Luftfahrzeugs steht und insofern luftfahrttypisch ist. (BGH, Urt. v. 21.11.2017, Az.: X ZR 30/15)

Rechtsprechungsübersicht

Siehe auch