Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 14. 06. 2007, Aktenzeichen C‑422/05

Aus PASSAGIERRECHTE
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URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

14. Juni 2007

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Richtlinie 2002/30/EG – Luftverkehr – Lärmbedingte Betriebsbeschränkungen auf Flughäfen der Gemeinschaft – Während der Umsetzungsfrist erlassene Maßnahmen eines Mitgliedstaats, die geeignet sind, die Erreichung des in der Richtlinie vorgeschriebenen Zieles ernstlich in Frage zu stellen“

In der Rechtssache C‑422/05

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 226 EG, eingereicht am 28. November 2005,

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch F. Benyon und M. Huttunen als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Königreich Belgien, zunächst vertreten durch M. Wimmer, dann durch A. Hubert als Bevollmächtigte,

Beklagter,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Rosas, der Richter J. Klučka, J. N. Cunha Rodrigues und U. Lõhmus (Berichterstatter) sowie der Richterin P. Lindh,

Generalanwalt: M. Poiares Maduro,

Kanzler: R. Grass,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 25. Januar 2007

folgendes

Urteil

1. Mit ihrer Klage beantragt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften festzustellen, dass das Königreich Belgien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie 2002/30/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. März 2002 über Regeln und Verfahren für lärmbedingte Betriebsbeschränkungen auf Flughäfen der Gemeinschaft (ABl. L 85, S. 40, im Folgenden: Richtlinie) sowie aus Art. 10 Abs. 2 EG in Verbindung mit Art. 249 Abs. 3 EG verstoßen hat, dass es die Königliche Verordnung vom 14. April 2002 zur Regelung des Nachtflugverkehrs bestimmter ziviler Unterschallstrahlflugzeuge (Moniteur belge vom 17. April 2002, S. 15570, im Folgenden: Königliche Verordnung vom 14. April 2002) erlassen hat.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

2. Nach ihrem Art. 17 trat die Richtlinie am Tag ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, d. h. dem 28. März 2002, in Kraft. Diese Richtlinie hat den Begriff des „ausgewogenen Ansatzes“ zur Regelung des Fluglärms und außerdem Leitlinien für Betriebsbeschränkungen auf den Flughäfen der Europäischen Gemeinschaft eingeführt.

3. Art. 2 der Richtlinie bestimmt:

„Für die Zwecke dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:

  • d) ‚Knapp die Vorschriften erfüllendes Luftfahrzeug‘ ist ein ziviles Unterschallstrahlflugzeug, das die im Band I Teil II Kapitel 3 des Anhangs 16 des Abkommens über die internationale Zivilluftfahrt festgelegten Höchstwerte um eine kumulative Marge von höchstens 5 EPNdB (Effective Perceived Noise in Dezibel) unterschreitet, wobei die kumulative Marge die in EPNdB ausgedrückte Zahl ist, die man durch Addieren der einzelnen Margen (d. h. der Differenzen zwischen dem bescheinigten Lärmpegel und dem zulässigen Lärmhöchstpegel) jeder der drei Referenzlärmmesspunkte, wie sie im Band I Teil II Kapitel 3 des Anhangs 16 des Abkommens über die internationale Zivilluftfahrt festgelegt sind, erhält.
  • e) ‚Betriebsbeschränkung‘ ist eine lärmrelevante Maßnahme zur Begrenzung oder Reduzierung des Zugangs ziviler Unterschall[strahl]flugzeuge zu einem Flughafen. Darin eingeschlossen sind Betriebsbeschränkungen, durch die knapp die Vorschriften erfüllende Luftfahrzeuge von bestimmten Flughäfen abgezogen werden sollen, sowie partielle Betriebsbeschränkungen, die den Betrieb ziviler Unterschall[strahl]flugzeuge je nach Zeitraum einschränken.
  • g) ‚Ausgewogener Ansatz‘ ist der Ansatz, innerhalb dessen die Mitgliedstaaten die möglichen Maßnahmen zur Lösung des Lärmproblems auf einem Flughafen auf ihrem Gebiet prüfen, insbesondere die absehbare Auswirkung einer Reduzierung des Fluglärms an der Quelle, der Flächennutzungsplanung und ‑verwaltung, der lärmmindernden Betriebsverfahren und Betriebsbeschränkungen.“

4. Art. 4 der Richtlinie mit der Überschrift „Allgemeine Lärmschutzregeln für Luftfahrzeuge“ sieht vor:

  • „(1) Die Mitgliedstaaten beschließen einen ausgewogenen Ansatz bei der Lösung von Lärmproblemen auf Flughäfen ihres Gebiets. Sie können ferner wirtschaftliche Anreize für Lärmschutzmaßnahmen prüfen.
  • (2) Plant eine zuständige Behörde Betriebsbeschränkungen, so berücksichtigt sie die voraussichtlichen Kosten und den wahrscheinlichen Nutzen der verschiedenen möglichen Maßnahmen sowie die Besonderheiten des Flughafens.
  • (3) Die aufgrund dieser Richtlinie getroffenen Maßnahmen oder Maßnahmenpakete sind nicht restriktiver, als es zur Verwirklichung der für einen bestimmten Flughafen festgelegten Umweltziele notwendig ist. Sie stellen keine Diskriminierung wegen der Nationalität oder Identität des Luftfahrtunternehmens oder des Luftfahrzeugherstellers dar.
  • (4) Für leistungsbedingte Betriebsbeschränkungen ist von dem Lärmwert des Luftfahrzeugs auszugehen, der durch das gemäß Band I des Anhangs 16 des Abkommens über die Internationale Zivilluftfahrt, dritte Ausgabe (Juli 1993), durchgeführte Bescheinigungsverfahren ermittelt wurde.“

5. Art. 5 der Richtlinie mit der Überschrift „Prüfung“ bestimmt:

„(1) Bei der Prüfung einer Entscheidung über Betriebsbeschränkungen werden die im Anhang II genannten Informationen berücksichtigt, soweit dies für die betreffenden Betriebsbeschränkungen und die Merkmale des Flughafens angemessen und möglich ist.

…“

6. Art. 7 der Richtlinie mit der Überschrift „Derzeitige Betriebsbeschränkungen“ sieht vor:

„Artikel 5 gilt nicht für

a) Betriebsbeschränkungen, die bereits vor Inkrafttreten dieser Richtlinie erlassen worden sind,

…“

7. Art. 16 der Richtlinie lautet:

„Die Mitgliedstaaten setzen die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, um dieser Richtlinie bis zum 28. September 2003 nachzukommen. Sie unterrichten die Kommission unverzüglich davon.

…“

8. Mit der Richtlinie wurde die Verordnung (EG) Nr. 925/1999 des Rates vom 29. April 1999 zur Registrierung und zum Betrieb innerhalb der Gemeinschaft von bestimmten Typen ziviler Unterschall-Strahlflugzeuge, die zur Einhaltung der in Band I Teil II Kapitel 3 des Anhangs 16 des Abkommens über die Internationale Zivilluftfahrt, dritte Ausgabe (Juli 1993), festgelegten Normen umgerüstet und neubescheinigt worden sind (ABl. L 115, S. 1, Berichtigung: ABl. L 120, S. 46), aufgehoben.

9. Art. 1 der Verordnung sah vor:

„Ziel dieser Verordnung ist die Festlegung von Bestimmungen zur Verhinderung einer Erhöhung der Gesamtlärmbelastung in der Gemeinschaft durch neubescheinigte zivile Unterschall-Strahlflugzeuge und zur gleichzeitigen Begrenzung sonstiger Umweltschäden.“

10. Gemäß Art. 2 der Verordnung bezeichnet der Ausdruck

  • „1. ‚ziviles Unterschall-Strahlflugzeug‘ ein ziviles Unterschall-Strahlflugzeug mit einer bescheinigten höchstzulässigen Abflugmasse von mindestens 34 000 kg oder mit einer für den betreffenden Flugzeugtyp bescheinigten zulässigen Kapazität von mehr als neunzehn Fluggastsitzen, ausgenommen der Besatzung vorbehaltene Sitze, das von Triebwerken mit einem Nebenstromverhältnis von weniger als 3 angetrieben wird;
  • 2. ‚neubescheinigtes ziviles Unterschall-Strahlflugzeug‘ ein ziviles Unterschall-Strahlflugzeug, für das ursprünglich eine Bescheinigung nach Kapitel 2 oder einer gleichwertigen Norm ausgestellt wurde oder das ursprünglich nicht über eine Lärmbescheinigung verfügte und das umgerüstet wurde, um die Normen des Kapitels 3 entweder unmittelbar durch technische Maßnahmen oder mittelbar durch Betriebsbeschränkungen zu erfüllen; zivile Unterschall-Strahlflugzeuge, für die ursprünglich nur eine Mehrfachbescheinigung in Bezug auf die Normen des Kapitels 3 aufgrund von Massenbeschränkungen ausgestellt werden konnte, gelten als neubescheinigte Luftfahrzeuge; zivile Unterschall-Strahlflugzeuge, die umgerüstet wurden, um die Normen des Kapitels 3 durch eine vollständige Neuausrüstung mit Triebwerken mit einem Nebenstromverhältnis von 3 oder mehr zu erfüllen, gelten nicht als neubescheinigte Luftfahrzeuge;
  • 4. ‚Betriebsbeschränkungen‘ für ein Flugzeug festgelegte Massenbeschränkungen und/oder Betriebseinschränkungen unter der Kontrolle des Flugzeugführers oder Betreibers wie Einschränkungen bezüglich der Klappenstellungen;

…“

11. Art. 3 der Verordnung sah für nicht-normgerechte Flugzeuge vor:

  • „(1) Neubescheinigte zivile Unterschall-Strahlflugzeuge dürfen ab dem Beginn der Geltungsdauer dieser Verordnung nicht mehr in die einzelstaatlichen Luftfahrzeugrollen eingetragen werden.
  • (2) Absatz 1 gilt nicht für zivile Unterschall-Strahlflugzeuge, die bereits ab dem Beginn der Geltungsdauer dieser Verordnung in der Luftfahrzeugrolle eines Mitgliedstaats und von da an in der Gemeinschaft eingetragen waren.
  • (3) Ungeachtet der Bestimmungen der Richtlinie 92/14/EWG, insbesondere des Artikels 2 Absatz 2, dürfen neu bescheinigte zivile Unterschall-Strahlflugzeuge, die in einem Drittland eingetragen sind, ab 1. April 2002 auf Flughäfen im Gebiet der Gemeinschaft nicht mehr betrieben werden, sofern der Betreiber derartiger Flugzeuge nicht nachweisen kann, dass sie vor dem Beginn der Geltungsdauer dieser Verordnung in der Luftfahrzeugrolle des betreffenden Drittlands eingetragen waren und zwischen dem 1. April 1995 und dem Beginn der Geltungsdauer dieser Verordnung im Gebiet der Gemeinschaft eingesetzt wurden.
  • (4) Neubescheinigte zivile Unterschall-Strahlflugzeuge, die in den Luftfahrzeugrollen der Mitgliedstaaten eingetragen sind, dürfen ab dem 1. April 2002 auf Flughäfen im Gebiet der Gemeinschaft nicht mehr betrieben werden, sofern sie nicht vor dem Beginn der Geltungsdauer dieser Verordnung in diesem Gebiet betrieben worden sind.“

Nationales Recht

12. Die Königliche Verordnung vom 14. April 2002 trat am 1. Juli 2003 in Kraft. Aus ihrer Präambel ergibt sich, dass der Gesetzgeber bei ihrem Erlass u. a. die Verordnung Nr. 925/1999 und die zwingende Notwendigkeit, die aufgrund der Aufhebung dieser Verordnung zum 28. März 2002 für die Betreiber drohende Rechtsunsicherheit zu vermeiden, berücksichtigte.

13. Die Königliche Verordnung vom 14. April 2002 führte für bestimmte Gruppen ziviler Unterschallstrahlflugzeuge, die neu bescheinigt wurden, um die in Band I Teil II Kapitel 3 des Anhangs 16 des am 7. Dezember 1944 in Chicago unterzeichneten Abkommens über die Internationale Zivilluftfahrt (United Nations Treaties Series, Band 15, Nr. 102) festgelegten Normen zu erfüllen, Betriebsbeschränkungen in den Nachtstunden auf allen Flughäfen auf belgischem Gebiet ein.

14. Art. 1 der Königlichen Verordnung vom 14. April 2002 bestimmt:

„Während der Nachtruhe von 23 bis 6 Uhr Ortszeit sind Flugbewegungen ziviler Unterschallstrahlflugzeuge nur dann erlaubt, wenn diese Flugzeuge Flüge in Reiseflugkonfiguration (Fahrwerk und Landeklappen sind eingefahren) durchführen.“

15. Art. 2 dieser Verordnung sieht vor:

„Art. 1 ist nicht anwendbar

  • 1. auf Flugzeuge, die belgisches Gebiet im Verlauf eines Fluges überfliegen, dessen Start- und Zielpunkt im Ausland liegen;
  • 2. auf zivile Unterschallstrahlflugzeuge, die
    • a) mit Triebwerken ausgestattet sind, deren Nebenstromverhältnis größer als oder gleich drei ist, und die den Vorschriften des Anhangs 16 des Abkommens über die Internationale Zivilluftfahrt, dritte Ausgabe (Juli 1993), Band I Teil II Kapitel 3, oder strengeren Vorschriften entsprechen oder
    • b) von Anfang an, d. h., ohne neu bescheinigt worden zu sein, den Vorschriften unter Buchst. a oder strengeren Vorschriften entsprechen.“

16. Nach ihrem Art. 3 gilt die Königliche Verordnung vom 14. April 2002 unbeschadet der Vorschriften der Verordnung Nr. 925/1999. Nach ihrem Art. 4 trat sie am 1. Juli 2003 in Kraft.

Vorverfahren

17. Am 6. Juni 2002 ersuchte die Kommission die belgischen Behörden um Auskünfte über die Königliche Verordnung vom 14. April 2002, insbesondere über die Gründe, die die Beibehaltung einer Bezugnahme auf das Kriterium des „Nebenstromverhältnisses“ der Triebwerke nach der Verordnung Nr. 925/1999 rechtfertigten, obwohl die Verordnung zum Zeitpunkt des Erlasses der Königlichen Verordnung bereits aufgehoben gewesen und dieses Kriterium außerdem nicht in die Richtlinie übernommen worden sei.

18. Da die Antwort der belgischen Behörden vom 28. Juni 2002 die Kommission nicht zufriedenstellte, wies sie das Königreich Belgien mit einem Mahnschreiben vom 24. Oktober 2002 darauf hin, dass die während der Frist für die Umsetzung der Richtlinie erlassenen Maßnahmen geeignet seien, die Erreichung des in ihr vorgeschriebenen Zieles ernstlich in Frage zu stellen, und daher gegen diese Richtlinie sowie gegen Art. 10 Abs. 2 EG in Verbindung mit Art. 249 Abs. 3 EG verstießen.

19. In ihrer Antwort vom 23. Dezember 2002 führten die belgischen Behörden mehrere Argumente an, um nachzuweisen, dass die Königliche Verordnung vom 14. April 2002 nichts anderes als die Formalisierung einer im Sinne von Art. 7 der Richtlinie bereits vor deren Inkrafttreten „erlassenen“ Maßnahme darstelle.

20. Da diese Erklärungen die Kommission nicht überzeugten, forderte sie das Königreich Belgien mit einer mit Gründen versehenen Stellungnahme vom 3. Juni 2003 auf, dieser Stellungnahme innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung durch den Erlass der erforderlichen Maßnahmen nachzukommen. Belgien antwortete darauf mit Schreiben vom 25. Juli 2003.

21. Das Königreich Belgien unterrichtete die Kommission über den Erlass der Königlichen Verordnung vom 25. September 2003 über Regeln und Verfahren hinsichtlich der Einführung von Betriebsbeschränkungen auf dem Flughafen Bruxelles-National (Moniteur belge vom 26. September 2003, S. 47538). Diese Königliche Verordnung, die die Richtlinie umsetzen soll, trat am Tag ihrer Veröffentlichung in Kraft und hob die Königliche Verordnung vom 14. April 2002 nicht auf.

22. Die Kommission hat schließlich die vorliegende Klage nach Art. 226 EG erhoben.

Zur Klage

Zur Zulässigkeit

23. Die belgische Regierung hält die Klage für unzulässig, da in der Klageschrift sowohl geltend gemacht werde, dass die Königliche Verordnung vom 14. April 2002 nicht beim Erlass der Maßnahmen zur Umsetzung der Richtlinie am 25. September 2003, also drei Tage vor Ablauf der Umsetzungsfrist, aufgehoben worden sei, als auch, dass diese Verordnung auch nach Ablauf dieser Frist noch in Kraft belassen worden sei. Die Kommission habe den Streitgegenstand erweitert, da das Mahnschreiben und die mit Gründen versehene Stellungnahme nur die Maßnahmen beträfen, die innerhalb der für die Umsetzung der Richtlinie eingeräumten Zeit ergriffen worden seien, die Kommission aber in die Klage auch die Haltung der belgischen Behörden nach dieser Zeit mit einbezogen habe.

24. Da diese neue Rüge in der mit Gründen versehenen Stellungnahme nicht erwähnt worden sei, sei dem beklagten Mitgliedstaat die Möglichkeit genommen worden, die ihm vorgeworfene Vertragsverletzung abzustellen oder sich vor einer Befassung des Gerichtshofs zu diesem Punkt zu äußern.

25. Nach ständiger Rechtsprechung grenzen das von der Kommission an den Mitgliedstaat gerichtete Mahnschreiben sowie ihre mit Gründen versehene Stellungnahme den Streitgegenstand ab, so dass dieser nicht mehr erweitert werden kann. Denn die Möglichkeit zur Äußerung stellt für den betreffenden Mitgliedstaat auch dann, wenn er meint, davon nicht Gebrauch machen zu sollen, eine vom EG-Vertrag gewollte wesentliche Garantie dar, deren Beachtung ein substanzielles Formerfordernis für den ordnungsgemäßen Ablauf des Verfahrens auf Feststellung der Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats ist. Die mit Gründen versehene Stellungnahme und die Klage der Kommission müssen daher auf dieselben Rügen gestützt werden wie das Mahnschreiben, mit dem das Vorverfahren eingeleitet wird (vgl. u. a. Urteile vom 29. September 1998, Kommission/Deutschland, C‑191/95, Slg. 1998, I‑5449, Randnr. 55, und vom 22. April 1999, Kommission/Vereinigtes Königreich, C‑340/96, Slg. 1999, I‑2023, Randnr. 36).

26. Im vorliegenden Fall wirft die Kommission dem Königreich Belgien in der mit Gründen versehenen Stellungnahme vor, mit dem Erlass der Königlichen Verordnung vom 14. April 2002 Maßnahmen getroffen zu haben, die die Erreichung des in der Richtlinie vorgeschriebenen Zieles ernstlich in Frage stellten.

27. Die Kommission führt zwar in ihrer Klageschrift aus, dass das Königreich Belgien die Königliche Verordnung vom 14. April 2002 nicht aufgehoben habe, als es die Richtlinie umgesetzt habe, und dass diese Königliche Verordnung nach der Umsetzungsfrist noch immer in Kraft gewesen sei, doch vermag eine solche Äußerung, auch wenn sie im Stadium der Klage erfolgt ist, keine neue Rüge darzustellen. Es handelt sich nämlich seitens der Kommission um eine bloße Tatsachenfeststellung, auf die sie sich berufen kann, soweit damit nachgewiesen werden kann, dass sich die Sachlage seit Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme eingeräumten Frist von zwei Monaten nicht geändert hat und dass außerdem, wie der Generalanwalt in Nr. 56 seiner Schlussanträge festgestellt hat, die Königliche Verordnung vom 14. April 2002 keine Übergangsmaßnahme war, die nach Aufhebung der Verordnung Nr. 925/1999 für Kontinuität sorgen sollte.

28. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Frist für die Umsetzung der Richtlinie bei Abgabe der mit Gründen versehenen Stellungnahme durch die Kommission am 3. Juni 2003 noch nicht abgelaufen war, die Maßnahmen zur Umsetzung dieser Richtlinie noch nicht erlassen worden waren und die Königliche Verordnung vom 14. April 2002 noch nicht in Kraft getreten war.

29. Daher kann der Kommission kein Vorwurf daraus gemacht werden, dass sie in der mit Gründen versehenen Stellungnahme nicht angeführt hat, dass die Königliche Verordnung vom 14. April 2002 beim Erlass der Maßnahmen zur Umsetzung der Richtlinie nicht aufgehoben und sie selbst nach Ablauf dieser Frist in Kraft geblieben sei.

30. Folglich ist die Klage zulässig.

= Zur Begründetheit

31. Zur Begründung ihrer Klage macht die Kommission eine einzige Rüge geltend, die sie auf den Umstand stützt, dass das Königreich Belgien die Königliche Verordnung vom 14. April 2002, die im Hinblick auf die Betriebsbeschränkungen für bestimmte Kategorien von Flugzeugen dem Ansatz der bereits aufgehobenen Verordnung Nr. 925/1999 und nicht dem in der Richtlinie zugrunde gelegten folge, während der den Mitgliedstaaten für die Umsetzung der Richtlinie eingeräumten Frist und zu einem Zeitpunkt, zu dem die Richtlinie bereits in Kraft gewesen sei, erlassen habe. Folglich sei die Erreichung des in dieser Richtlinie vorgeschriebenen Zieles, d. h. der Erlass eines einheitlichen Rahmens für die Einführung von Betriebsbeschränkungen für Luftfahrzeuge auf der Grundlage einer einheitlichen Definition dessen, was unter Luftfahrzeugen, die die in Band I Teil II Kapitel 3 des Anhangs 16 des Abkommens über die Internationale Zivilluftfahrt festgelegten Normen erfüllten, zu verstehen sei, ernstlich in Frage gestellt.

32. Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie sei für leistungsbedingte Betriebsbeschränkungen von dem Lärmwert des Luftfahrzeugs auszugehen, der in dem gemäß Band I des Anhangs 16 dieses Abkommens durchgeführten Bescheinigungsverfahren ermittelt worden sei, während sich Art. 2 der Königlichen Verordnung vom 14. April 2002, wie die Verordnung Nr. 925/1999, zur Festlegung von Betriebsbeschränkungen auf das Kriterium des Nebenstromverhältnisses der Triebwerke beziehe.

33. Die belgische Regierung bestreitet die Vertragsverletzung unter Berufung auf drei Gründe: Erstens falle die Königliche Verordnung vom 14. April 2002 in den Anwendungsbereich von Art. 7 der Richtlinie, zweitens entspreche sie dem Ziel des Gemeinschaftsgesetzgebers, da sie die Rechtslücke ausfülle, die sich aus der Aufhebung der Verordnung Nr. 925/1999 ergebe, und drittens stelle sie die Erreichung des in der Richtlinie vorgeschriebenen Zieles nicht ernstlich in Frage.

Die Königliche Verordnung vom 14. April 2002 falle in den Anwendungsbereich von Art. 7 der Richtlinie

34. Die belgische Regierung macht geltend, dass die Königliche Verordnung vom 14. April 2002 in den Anwendungsbereich von Art. 7 der Richtlinie falle, der eine Ausnahme für Betriebsbeschränkungen vorsehe, die bereits vor Inkrafttreten der Richtlinie erlassen worden seien.

35. Außerdem sei die Königliche Verordnung vom 14. April 2002 Teil der „etablierten Politiken“ und „bereits bestehenden Betriebsbeschränkungen“, auf die die von der 33. Versammlung der Organisation für Internationale Zivilluftfahrt (im Folgenden: ICAO) im Oktober 2001 erlassene Entschließung A33-7, die ein „consolidated statement of continuing ICAO policies and practices related to environmental protection“ (konsolidierte Darstellung der ständigen Politiken und Praktiken der ICAO im Bereich des Umweltschutzes) enthalte, und Art. 7 der Richtlinie Bezug nähmen. Mit Blick auf die Beschränkungen der nächtlichen Lärmbelästigung durch den Flughafen Brüssel habe der belgische Ministerrat am 11. Februar 2000 eine „Flughafenvereinbarung“ beschlossen und eine Ad-hoc-Arbeitsgruppe geschaffen, die damit beauftragt worden sei, eine Reihe von Regelungsentwürfen zu erarbeiten. Da diese Bestimmungen Teil einer etablierten Politik und im Laufe des Jahres 2000, also vor Inkrafttreten der Richtlinie, von den belgischen Behörden zumindest beschlossen worden seien, müsse ihnen die Ausnahme von der Anwendung der durch die Richtlinie eingeführten weniger strengen Prüfung zugute kommen.

36. Es steht fest, dass die seit dem 4. Mai 2000 geltende Verordnung Nr. 925/1999 insbesondere den Erlass von Maßnahmen zum Schutz gegen eine Erhöhung der Lärmbelästigung in der Nähe von Flughäfen der Gemeinschaft sowie von Maßnahmen zur Verringerung des Treibstoffverbrauchs und der Abgasemissionen der Triebwerke bezweckte. Diese Maßnahmen bestanden in allen Mitgliedstaaten in Betriebsbeschränkungen für neu bescheinigte zivile Unterschallstrahlflugzeuge, wobei als Kriterium das Nebenstromverhältnis ihrer Triebwerke herangezogen wurde.

37. Die Richtlinie verfolgt ebenfalls die Ziele, durch Einführung von Betriebsbeschränkungen eine Erhöhung der Lärmbelästigung zu vermeiden und die Umwelt zu schützen. Diese Betriebsbeschränkungen sind jedoch nicht an das Nebenstromverhältnis der Flugzeugtriebwerke gebunden, sondern werden auf der Grundlage eines ausgewogenen Ansatzes für den Lärmschutz auf jedem von der Richtlinie erfassten Flughafen erlassen. Der Vorteil dieses Ansatzes liegt darin, dass gleichartige Betriebsbeschränkungen auf Flughäfen angewandt werden, die vergleichbare Lärmprobleme aufweisen.

38. Aus dem zehnten Erwägungsgrund der Richtlinie ergibt sich, dass der ausgewogene Ansatz ein Verfahrenskonzept zur Bekämpfung von Fluglärm ist, das internationale Leitlinien für Betriebsbeschränkungen auf einzelnen Flughäfen einschließt. Das von der 33. ICAO-Versammlung beschlossene, in der Entschließung A33-7 definierte Konzept des „ausgewogenen Ansatzes“ bei der Bekämpfung von Fluglärm umfasst vier Hauptelemente und erfordert eine sorgfältige Prüfung der verschiedenen Lärmminderungsmöglichkeiten, einschließlich der Reduzierung des Fluglärms an der Quelle, Maßnahmen zur Flächennutzungsplanung und -verwaltung, lärmmindernde Betriebsverfahren sowie Betriebsbeschränkungen, unbeschadet der einschlägigen rechtlichen Pflichten, der bestehenden Vereinbarungen, der geltenden Gesetze und der etablierten Strategien.

39. Außerdem ergibt sich aus dem 18. Erwägungsgrund der Richtlinie, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber es unter diesen Umständen für notwendig gehalten hat, zur Wahrung der wohlerworbenen Rechte der betroffenen Wirtschaftsteilnehmer zu gestatten, dass die derzeitigen flughafenspezifischen Lärmschutzmaßnahmen fortgesetzt werden können. Deshalb gelten nach Art. 7 der Richtlinie, wenn eine Entscheidung über Betriebsbeschränkungen ins Auge gefasst wird, die in Art. 5 der Richtlinie festgelegten Regeln zur Prüfung nicht für bereits bestehende Betriebsbeschränkungen.

40. Zwar bezieht sich der Wortlaut des Art. 7 Buchst. a auf Betriebsbeschränkungen, die bereits vor Inkrafttreten der Richtlinie erlassen worden sind. Gleichwohl ergibt sich daraus nicht, dass die Ziele des Umweltschutzes, die in der vom belgischen Ministerrat am 11. Februar 2000 beschlossenen Flughafenvereinbarung aufgeführt sind und die nach und nach mit dem Erlass verschiedener konkreter Entscheidungen erreicht wurden, als von Art. 7 der Richtlinie erfasste Betriebsbeschränkungen angesehen werden könnten.

41. Bereits nach seiner Überschrift bezieht sich Art. 7 nämlich auf derzeitige, also bereits bestehende Betriebsbeschränkungen. Auch wenn sich aus der Flughafenvereinbarung ergibt, dass der Ministerrat beschlossen hatte, tätig zu werden, um die nächtliche Lärmbelästigung auf Flughäfen zu begrenzen, hat diese Vereinbarung doch keine verbindlichen spezifischen Betriebsbeschränkungen für die betroffenen Wirtschaftsteilnehmer eingeführt.

42. Zur Begründung ihres Vorbringens verweist die belgische Regierung auf den Wortlaut von Art. 7 der Richtlinie, wie er in dem von der Kommission vorgelegten Vorschlag für eine Richtlinie gefasst gewesen sei und wonach Art. 5 der Richtlinie nicht für Betriebsbeschränkungen habe gelten sollen, die bereits bei Inkrafttreten dieser Richtlinie bestanden hätten. Somit sei das ursprüngliche Kriterium – bestehende Maßnahmen – durch ein flexibleres Kriterium ersetzt worden, wonach die Maßnahmen nur erlassen zu sein brauchten. Diese Änderung verliere jede praktische Wirksamkeit, wenn der Text des Art. 7 der Richtlinie nicht strikt und wörtlich ausgelegt werde, sondern dahin, dass er nur die Maßnahmen betreffe, die nicht nur erlassen, sondern auch verkündet und veröffentlicht worden seien.

43. Dieses Vorbringen überzeugt jedoch nicht.

44. Wenn nämlich der Text des Art. 7 der Richtlinie im Verhältnis zu dem von der Kommission vorgelegten Vorschlag für eine Richtlinie eine Entwicklung erfahren hat, hat dies seinen Grund darin, dass sich der Gemeinschaftsgesetzgeber entschlossen hat, den Umfang der Ausnahme von der Anwendung des Art. 5 der Richtlinie zu erweitern. Daher entspricht der Begriff „Betriebsbeschränkungen, die bereits vor Inkrafttreten der Richtlinie erlassen worden sind“ eher dem im 18. Erwägungsgrund geäußerten Willen des Gesetzgebers, die wohlerworbenen Rechte der betroffenen Wirtschaftsteilnehmer zu wahren, als der ursprünglich in dem Vorschlag enthaltene Begriff „Betriebsbeschränkungen, die bereits bei Inkrafttreten dieser Richtlinie bestehen“.

45. Daher schließt der Wortlaut des Art. 7 Buchst. a der Richtlinie außer den bei ihrem Inkrafttreten in den Mitgliedstaaten bereits bestehenden Betriebsbeschränkungen die Betriebsbeschränkungen in seinen Anwendungsbereich ein, die zwar erlassen und veröffentlicht worden sind, deren tatsächliche Anwendung aber auf einen späteren Zeitpunkt verschoben worden ist. Soweit die letztgenannten Beschränkungen den Wirtschaftsteilnehmern schon vor ihrer verbindlichen Anwendung Pflichten in Bezug auf den künftigen Betrieb bestimmter Flugzeugtypen auferlegten, mussten die von ihnen unternommenen Vorbereitungen zur Umrüstung ihrer Flotte auf der Grundlage der Wahrung wohlerworbener Rechte ausgenommen werden.

46. Da die durch die Königliche Verordnung vom 14. April 2002 auferlegten Betriebsbeschränkungen am 28. März 2002 weder verkündet noch veröffentlicht waren, konnten sie zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Richtlinie keine Rechte zugunsten der Wirtschaftsteilnehmer begründet haben. Folglich fallen sie nicht unter den Begriff „Betriebsbeschränkungen, die bereits vor Inkrafttreten dieser Richtlinie erlassen worden sind“ nach Art. 7 Buchst. a der Richtlinie.

47. Die belgische Regierung weist schließlich darauf hin, dass das belgische Rechtssystem eine Aufteilung der Kompetenzen zwischen der Föderation und den Regionen umfasse, die, bevor bestimmte politische Entscheidungen formalisiert werden könnten, die Einhaltung eines langen Verfahrens der Abstimmung und Beratung erfordere; sie macht geltend, nur auf diese immanente Komplexität sei es zurückzuführen, dass der Beschluss des Ministerrats erst am 14. April 2002 mit dem Erlass der Königlichen Verordnung, mit der Nachtflüge neu bescheinigter Flugzeuge verboten worden seien, habe formalisiert werden können.

48. Insoweit ist daran zu erinnern, dass sich ein Mitgliedstaat nicht auf Bestimmungen, Übungen oder Umstände seiner internen Rechtsordnung berufen kann, um die Nichteinhaltung der aus dem Gemeinschaftsrecht folgenden Verpflichtungen zu rechtfertigen (vgl. u. a. Urteile vom 26. Juni 2001, Kommission/Italien, C‑212/99, Slg. 2001, I‑4923, Randnr. 34, vom 9. September 2004, Kommission/Spanien, C‑195/02, Slg. 2004, I‑7857, Randnr. 82, und vom 18. Juli 2006, Kommission/Italien, C‑119/04, Slg. 2006, I‑6885, Randnr. 25)

49. Folglich fällt die Königliche Verordnung vom 14. April 2002 nicht in den Anwendungsbereich von Art. 7 der Richtlinie.

Die Königliche Verordnung vom 14. April 2002 entspreche dem Ziel des Gemeinschaftsgesetzgebers

50. Hilfsweise macht die belgische Regierung geltend, dass die Königliche Verordnung vom 14. April 2002 erlassen worden sei, um die Rechtslücke auszufüllen, die sich aus der Aufhebung der Verordnung Nr. 925/1999 ergeben habe, und dass sie deshalb dem Ziel des Gemeinschaftsgesetzgebers entspreche. Die Königliche Verordnung nehme in ihrer Präambel Bezug auf die Verordnung Nr. 925/1999, und zwar zum einen, weil sich die Erörterungen innerhalb des Ministerrats am 11. Februar 2000 auf diese Verordnung bezogen hätten, und zum anderen, weil sich die von der föderalen Regierung und den Regionen verfolgte Politik in den Rahmen der Verordnung einfüge. Da es die erklärte Absicht der Regierung gewesen sei, die Verwendung bestimmter Unterschallstrahlflugzeuge über belgischem Gebiet so rasch wie möglich zu untersagen, habe verhindert werden müssen, dass die Wirtschaftsteilnehmer meinen könnten, dieser Flugzeugtyp dürfe aufgrund der Aufhebung der Verordnung Nr. 925/1999 eingesetzt werden.

51. Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden.

52. Erstens hat die Aufhebung der Verordnung Nr. 925/1999 keine Rechtslücke geschaffen, da sie am Tag des Inkrafttretens der Richtlinie durch diese ersetzt wurde. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass, wie der Generalanwalt in Nr. 82 seiner Schlussanträge ausführt, der Mitgliedstaat in keiner Weise daran gehindert war, mit den Bestimmungen der Richtlinie vereinbare nationale Regelungen zu erlassen.

53. Zweitens verfolgte der Gemeinschaftsgesetzgeber zwar mit dem Erlass der Richtlinie ebenso wie mit dem Erlass der Verordnung Nr. 925/1999 das Ziel, die von Flugzeugen ausgehenden Lärmbelästigungen zu vermindern, gleichwohl sehen die Verordnung und die Richtlinie völlig unterschiedliche Verfahrenskonzepte vor. Denn nach der Richtlinie ist die Verminderung von Lärmemissionen das Ergebnis eines ausgewogenen Ansatzes für den Lärmschutz auf den einzelnen Flughäfen, während die Verordnung Nr. 925/1999 eine Erhöhung der Lärmbelästigung verhindern soll, indem zivilen Unterschallstrahlflugzeugen nach Maßgabe des Nebenstromverhältnisses ihrer Triebwerke Betriebsbeschränkungen auferlegt werden.

54. Drittens bezweckt die Richtlinie u. a. nach ihrem Art. 1 Buchst. a die Festlegung von Vorschriften für die Gemeinschaft, um eine kohärente Einführung von Betriebsbeschränkungen auf Flughäfen zu erleichtern, und definiert dazu in ihrem Art. 2 Buchst. d den Begriff „knapp die Vorschriften erfüllendes Luftfahrzeug“ nach den in Band I Teil II Kapitel 3 des Anhangs 16 des Abkommens über die Internationale Zivilluftfahrt festgelegten Normen ohne Bezugnahme auf neu bescheinigte Luftfahrzeuge.

55. Die Königliche Verordnung vom 14. April 2002 soll nach ihrem fünften Erwägungsgrund einen auf nationaler Ebene harmonisierten Rechtsrahmen für eben diese Luftfahrzeuge schaffen und führt dazu für die Nachtflüge Beschränkungen ein, die neu bescheinigte zivile Unterschallstrahlflugzeuge unabhängig davon betreffen, ob sie zur Erfüllung der in Band I Teil II Kapitel 3 des Anhangs 16 des Abkommens über die Internationale Zivilluftfahrt festgelegten Normen umgerüstet worden sind.

56. Die belgische Regierung macht außerdem geltend, dass die Königliche Verordnung vom 14. April 2002 einen allgemeinen Geltungsbereich habe und das gesamte Hoheitsgebiet erfasse, während der Flughafen Bruxelles-National, der aufgrund der Anzahl der Flugbewegungen der einzige von der Richtlinie erfasste Flughafen sei, bereits Gegenstand von Betriebsbeschränkungen sei. Diese Beschränkungen seien durch die Ministerialverordnung vom 26. Oktober 2000 zur Genehmigung der vom Verwaltungsrat der BIAC, SA de droit public (Aktiengesellschaft des öffentlichen Rechts), beschlossenen Satzung vom 15. Juni 2000 über die Einführung eines Systems von Lärmquoten in der Nacht und zur Festlegung der erlaubten maximalen nächtlichen Lärmbelastung am Flughafen Bruxelles-National (Moniteur belge vom 17. November 2000, S. 38194) erlassen worden. Damit habe diese Ministerialverordnung Starts von zivilen Unterschallstrahlflugzeugen von diesem Flughafen aus verboten, und die Bestimmungen der Königlichen Verordnung vom 14. April 2002 überlagerten eine bereits bestehende Regelung.

57. Dem ist nicht zu folgen.

58. Selbst wenn der einzige unmittelbar von der Richtlinie betroffene Flughafen in Belgien bereits Gegenstand von im Jahr 2000 erlassenen, durch eine spezifische Ministerialverordnung angeordneten Betriebsbeschränkungen war, folgt daraus gleichwohl nicht, dass das Königreich Belgien beim Erlass der für alle Flughäfen in seinem Gebiet unabhängig vom Verkehrsaufkommen geltenden Königlichen Verordnung vom 14. April 2002 von dem Ansatz absehen konnte, der in dieser Richtlinie, die bereits in Kraft war, für die Einführung von lärmbedingten Betriebsbeschränkungen vorgeschrieben war.

59. Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung der Umstand, dass es eine bestimmte Tätigkeit, auf die sich eine Richtlinie bezieht, in einem Mitgliedstaat nicht gibt, den Mitgliedstaat nicht von seiner Verpflichtung entbinden kann, Rechts- oder Verwaltungsvorschriften zu erlassen, um eine angemessene Umsetzung sämtlicher Bestimmungen dieser Richtlinie zu gewährleisten (Urteile vom 15. März 1990, Kommission/Niederlande, C‑339/87, Slg. 1990, I‑851, Randnr. 22, vom 16. November 2000, Kommission/Griechenland, C‑214/98, Slg. 2000, I‑9601, Randnr. 22, vom 13. Dezember 2001, Kommission/Irland, C‑372/00, Slg. 2001, I‑10303, Randnr. 11, und vom 30. Mai 2002, Kommission/Vereinigtes Königreich, C‑441/00, Slg. 2002, I‑4699, Randnr. 15).

60. Demnach kann in Bezug auf die Königliche Verordnung vom 14. April 2002 nicht gesagt werden, dass sie dem Ziel des Gemeinschaftsgesetzgebers entspricht.

Die Königliche Verordnung vom 14. April 2002 stelle die Erreichung des in der Richtlinie vorgeschriebenen Zieles nicht ernstlich in Frage

61. Äußerst hilfsweise trägt die belgische Regierung vor, dass der Erlass der Königlichen Verordnung vom 14. April 2002 während der den Mitgliedstaaten für die Umsetzung der Richtlinie eingeräumten Frist nicht nur die Erreichung des in ihr vorgeschriebenen Zieles nicht ernstlich in Frage stelle, sondern auch deren Durchführung erleichtern könne, da diese Verordnung die Luftverkehrsgesellschaften verpflichtet habe, die Investitionen vorzunehmen, die für die Erneuerung ihrer Flotten erforderlich seien.

62. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass nach ständiger Rechtsprechung die Mitgliedstaaten zwar nicht verpflichtet sind, die Maßnahmen zur Umsetzung einer Richtlinie vor Ablauf der dafür vorgesehenen Frist zu erlassen, dass sich jedoch aus Art. 10 Abs. 2 EG in Verbindung mit Art. 249 Abs. 3 EG und aus der Richtlinie selbst ergibt, dass sie während dieser Frist den Erlass von Vorschriften unterlassen müssen, die geeignet sind, die Erreichung des in dieser Richtlinie vorgeschriebenen Zieles ernstlich in Frage zu stellen (vgl. u. a. Urteil vom 18. Dezember 1997, Inter-Environnement Wallonie, C‑129/96, Slg. 1997, I‑7411, Randnr. 45, und vom 14. September 2006, Stichting Zuid-Hollandse Milieufederatie, C‑138/05, Slg. 2006, I‑8339, Randnr. 42).

63. Die Mitgliedstaaten können daher nicht, ohne die Erreichung des in der Richtlinie vorgeschriebenen Zieles ernstlich in Frage zu stellen, während der Frist für die Umsetzung dieser Richtlinie Vorschriften erlassen, die zwar dasselbe Ziel – die Verringerung der Zahl der an den schädlichen Folgen von Fluglärm leidenden Personen – verfolgen, aber die Einführung einheitlicher Betriebsbeschränkungen in der gesamten Gemeinschaft verhindern.

64. Es steht fest, dass die belgische Regierung während der für die Umsetzung der Richtlinie vorgesehenen Frist die Königliche Verordnung vom 14. April 2002 verkündet und veröffentlicht hat. Diese Königliche Verordnung sollte nicht die Richtlinie umsetzen, sondern auf nationaler Ebene einen harmonisierten Rechtsrahmen zur Verminderung der von Luftfahrzeugen verursachten Lärmbelästigungen schaffen, der auf den in der Verordnung Nr. 925/1999 vorgesehenen Ansatz gestützt war, also den Erlass von Betriebsbeschränkungen auf der Grundlage des Nebenstromverhältnisses der Triebwerke, womit der Betrieb neu bescheinigter ziviler Unterschallstrahlflugzeuge endgültig verboten werden sollte.

65. Folglich hat der Erlass der Königlichen Verordnung vom 14. April 2002, die am 1. Juli 2003 in Kraft trat, d. h. weniger als drei Monate vor Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie, eine nicht gerechtfertigte nachteilige Behandlung bestimmter Kategorien von Flugzeugen herbeigeführt und die Bedingungen der Umsetzung und der Anwendung dieser Richtlinie in der Gemeinschaft dauerhaft in Frage gestellt. Wegen des sich aus der Anwendung dieser Königlichen Verordnung ergebenen Verbots des Betriebs verschiedener Flugzeuge kann nämlich bei der in der Richtlinie vorgesehenen Beurteilung der Lärmauswirkungen nicht den Emissionen aller den in Band I Teil II Kapitel 3 des Anhangs 16 des Abkommens über die Internationale Zivilluftfahrt festgelegten Normen entsprechenden Flugzeuge Rechnung getragen und daher die optimale Verbesserung des Lärmschutzes nicht in richtlinienkonformer Weise erreicht werden.

66. Die belgische Regierung macht weiter geltend, dass die Kommission nicht nachgewiesen habe, dass die Königliche Verordnung vom 14. April 2002 geeignet sei, zu einem solchen negativen Ergebnis zu führen, denn wenn sie im März 2002 verkündet worden wäre, wären die Beschränkungen, die sie vorschreibe, als bei Inkrafttreten der Richtlinie erlassene Maßnahmen im Sinne der Ausnahmeregelung des Art. 7 akzeptiert worden. Daher lasse sich bei vernünftiger Betrachtung nicht sagen, dass die Königliche Verordnung deswegen, weil sie einen Monat später verkündet worden sei, schädliche Auswirkungen habe, obwohl die für die Umsetzung der Richtlinie eingeräumte Frist noch nicht abgelaufen gewesen sei.

67. Hierzu genügt, wie die Kommission in ihrer Erwiderung hervorhebt, die Feststellung, dass dieses Vorbringen völlig hypothetisch ist und dass der Gerichtshof seine Entscheidung in einem Vertragsverletzungsverfahren allein auf die tatsächlichen Gegebenheiten der Rechtssache stützt und unter Ausschluss jeglicher Vermutung zu entscheiden hat. Im Übrigen ist zu bemerken, dass die belgische Regierung von einer hypothetischen Fallgestaltung ausgeht, bei der die Königliche Verordnung vor dem Erlass der Richtlinie erlassen worden wäre.

68. Demnach ist die vom Königreich Belgien während der Frist für die Umsetzung der Richtlinie erlassene Königliche Verordnung vom 14. April 2002 geeignet, die Erreichung des in dieser Richtlinie vorgeschriebenen Zieles ernstlich in Frage zu stellen.

69. Demnach ist die von der Kommission erhobene Klage begründet.

70. Daher ist festzustellen, dass das Königreich Belgien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie sowie aus Art. 10 Abs. 2 EG in Verbindung mit Art. 249 Abs. 3 EG verstoßen hat, dass es die Königliche Verordnung vom 14. April 2002 erlassen hat.

Kosten

71 Nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission die Verurteilung des Königreichs Belgien beantragt hat und dieses mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1. Das Königreich Belgien hat dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie 2002/30/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. März 2002 über Regeln und Verfahren für lärmbedingte Betriebsbeschränkungen auf Flughäfen der Gemeinschaft sowie aus Art. 10 Abs. 2 EG in Verbindung mit Art. 249 Abs. 3 EG verstoßen, dass es die Königliche Verordnung vom 14. April 2002 zur Regelung des Nachtflugverkehrs bestimmter ziviler Unterschallstrahlflugzeuge erlassen hat.

2. Das Königreich Belgien trägt die Kosten.

Unterschriften