Flugverspätung nach VO 261/2004 und Abgrenzung zu Art. 19 MÜ

Aus PASSAGIERRECHTE
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Die EG-Verordnung 261/2004 wird auch als Fluggastrechteverordnung bezeichnet. Der Art. 6 der FluggastrechteVO regelt die Verspätung eines Fluges seitens des Luftfahrtunternehmens.

Verspätung nach Artikel 6 der Fluggastrechteverordnung (Verordnung 261/2004)

Nach Art. 6 FluggastrechteVO sind kleinere Verspätungen nicht von Bedeutung. Erst ab einer gewissen Zeit führen Verspätungen zu Unterstützungsleistungen für die Fluggäste vom Luftfrachtführer

Bei allen Flügen über eine Entfernung von 1500 km oder weniger ist eine Verspätung von zwei Stunden oder mehr erforderlich, damit der Fluggast Ansprüche auf Unterstützungsleistungen erhält.

Innergemeinschaftliche Flüge über eine Entfernung von mehr als 1500 km und bei allen anderen Flügen über eine Entfernung zwischen 1500 km und 3500 km müssen eine Verspätung von mindestens drei Stunden aufweisen, damit Ansprüche auf Unterstützungsleistungen begründet werden können.

Bei allen Flügen, welche nicht in die eben genannten Beschreibungen fallen, ist für die Begründung solcher Ansprüche eine Verspätung von vier Stunden oder mehr erforderlich.

Die Unterstützungsleistungen bei Flugverspätung

Wie bereits erwähnt, ziehen bestimmte Verspätungen Ansprüche auf Unterstützungsleistungen nach sich. Um welche Unterstützungsleistungen es sich dabei handelt, ist wieder abhängig von der Flugstrecke in Verbindung mit der eingetretenen Verspätung.

Die Verspätungen wie sie unter der Überschrift „Verspätung nach Artikel 6 der Fluggastrechteverordnung“ erwähnt worden, begründen alle einen Anspruch auf Unterstützungsleistungen aus Art. 9 Abs.1 a, Abs.2 FluggastrechteVO. Diese Unterstützungsleistung umfassen Mahlzeiten und Erfrischungen. Zudem wird dem Fluggast die Möglichkeit gegeben zwei kostenfreie Telefonate zu führen. Wahlweise können die Fluggäste, statt Telefonate zu führen, auch zwei Telexe, zwei Telefaxe oder zwei E-Mails verschicken.

Wenn die zu erwartende Abflugzeit erst am Tag nach der zuvor angekündigten Abflugzeit liegt, erhalten die Fluggäste Ansprüche auf Unterstützungsleistungen aus Art. 9 Abs.1 b, c FluggastrechteVO. Dem Fluggast werden durch Art. 9 Abs.1 b, c FluggastrechteVO eine Hotelunterbringung gewährt, falls ein Aufenthalt von einer Nacht oder mehreren Nächten notwenig ist oder ein Aufenthalt zusätzlich zu dem vom Fluggast beabsichtigten Aufenthalt notwendig ist. Auch die Beförderung vom Flughafen zu dem Ort der Unterbringung, welcher regelmäßig ein Hotel darstellen dürfte, muss in einem solchen Fall vom Luftfahrtunternehmen übernommen werden.

Wenn die Verspätung schließlich mindestens fünf Stunden beträgt, werden Unterstützungsleistungen gemäß Art. 8 Abs.1 a FluggastrechteVO seitens des Luftfahrtunternehmens angeboten. Danach haben die Fluggäste Anspruch auf Erstattung der Kosten für den Flugschein binnen sieben Tagen zu den Modalitäten, wie der Flugschein erworben wurde. Wurde der Flugschein beispielsweise per Barzahlung erworben, so sind auch die Kosten per Barzahlung rückzuerstatten. Dies gilt für nicht zurückgelegte Reiseabschnitte, sowie für bereits zurückgelegte Reiseabschnitte, wenn der Flug im Hinblick auf den ursprünglichen Reiseplan des Fluggastes zwecklos geworden ist. Gegebenenfalls ist dieser Anspruch mit einem Rückflug zum ersten Abflugsort zum schnellstmöglichen Zeitpunkt in Verbindung zu setzen.

Ausgleichsleistungen bei Flugverspätung möglich?

Fraglich ist, ob auch Ausgleichsleistungen, aufgrund einer erheblichen Verspätung, geltend gemacht werden können. Auch der BGH hat sich dieser Frage gewidmet und die Frage an den europäischen Gerichtshof verwiesen. Die Frage war, ob der Begriff „Annullierung“ im Sinne des Art. 2 lit. l FluggastrechteVO, soweit auszulegen ist, dass eine erhebliche Verspätung mit der Annullierung gleichzusetzen ist. Insofern ist festzustellen, dass der EuGH zu dem Ergebnis gekommen ist, dass eine Flugverspätung, egal wie erheblich die Dauer ist, nicht mit einer Annullierung gleichzusetzen ist, wenn er entsprechend der ursprünglichen Flugplanung des Luftfahrtunternehmens durchgeführt wird. Jedoch können Fluggäste verspäteter Flüge, im Hinblick auf einen Anspruch auf Ausgleichsansprüche aus Art. 7 FluggastrechteVO, den Fluggästen annullierter Flüge gleichgestellt werden, wenn sie wegen des verspäteten Fluges einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden. Das würde bedeuten, dass dem Fluggast eines verspäteten Fluges, ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen zusteht, wenn er sein Endziel mindestens drei Stunden nach der vom Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreicht. Eine Verspätung führt allerdings dann nicht zu Ausgleichsansprüchen, wenn das Unternehmen nachweisen kann, dass die erhebliche Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, welche es nicht beherrschen kann. Die Verspätung muss demnach auch eingetreten sein, wenn das Unternehmen alle ihm zumutbaren Maßnahmen getroffen hat, um die Verspätung zu vermeiden. Technische Probleme fallen anerkanntermaßen allerdings nicht unter den Begriff der außergewöhnlichen Umstände.

Gemäß Art. 7 Abs. 1 S. 1 a FluggastrechteVO besteht bei einer Strecke von 1500 km oder weniger ein Ausgleichsanspruch auf 250 €, wenn die Verspätung mindestens drei Stunden beträgt.

Bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von mehr als 1500 km und bei allen anderen Flügen über eine Entfernung zwischen 1500 km und 3500 km besteht ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen in Höhe von 400 €, wenn eine Verspätung von mindestens drei Stunden vorliegt. Dies ist in Art. 7 Abs. 1 S. 1 b FluggastrechteVO festgelegt.

Bei allen anderen Flügen liegt der Anspruch auf Ausgleichsleistungen bei 600 €, vgl. Art. 7 Abs. 1 S. 1 c FluggastrechteVO.


Abgrenzung zu Art. 19 MÜ] (Montrealer Übereinkommen)

Fraglich ist, wie die EG-Verordnung 261/2004 vom Montrealer Übereinkommen abzugrenzen ist. Eine Abgrenzung erscheint hier hinsichtlich des Regelungsbereiches und der Regelungsinhalte ratsam.

Regelungsbereich der VO 261/2004 und des Art. 19 MÜ

Zunächst ist der Regelungsbereich von Bedeutung. Die VO 261/2004 ist eine Verordnung der europäischen Union. Sie ist daher nur auf Flüge anwendbar, die in der EU starten und für Flüge mit EU-Fluglinien, welche in der EU landen.

Das Montrealer Übereinkommen ist ein internationales Übereinkommen und so gut wie auf alle Länder anwendbar. Es ist ein internationales Übereinkommen, dessen Wirkung über die Grenzen der EU hinausgeht. Es gilt also grundsätzlich bei internationalen Flügen, kann aber auch im Land angewendet werden.

Regelungsinhalte der VO 261/2004 und des Art. 19 MÜ

Wie oben bereits ausgeführt, gewährt die Fluggastrechteverordnung dem Fluggast bei Verspätung bestimmte Unterstützungsleistungen. Die verschiedenen Ansprüche auf Unterstützungsleistungen sind an bestimmte Strecken und Fristen gebunden. Auch bei einer Flugannullierung sind die Ausgleichsansprüche an bestimmte Strecken gebunden.

Solche Fristen gibt es bei dem Montrealer Übereinkommen nicht. Es sieht vielmehr keine pauschalen Entschädigungen und festen Fristen vor. Vielmehr sieht das Übereinkommen Obergrenzen vor. Welche Entschädigung es schlussendlich gibt, richtet sich nach nationalem Recht. Findet beispielsweise deutsches Recht Anwendung, werden auch nur konkrete Nachteile ausgeglichen. Eine Bereicherung über den Rechtsweg eines Einzelnen ist, anders als in anderen Rechtsordnungen, nach deutschem Recht nicht möglich. Vielmehr wird der Geschädigte so gestellt, wie er vor dem schädigenden Ereignis gestanden hätte.

Quellen

Urteil/Beschluss Aktenzeichen Leitsätze
EuGH, Urteil vom 23.10.2012 C-581/10 und C-629/10
  • Fluggästen steht bei Annullierung und Verspätung von mindestens 3 Stunden eine Ausgleichszahlung im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 zu.
  • Die Ausgleichszahlung zwischen 250 € und 600 € ist von der Höhe der Flugdistanz abhängig.
  • Ausgeschlossen ist die Ausgleichszahlung, wenn ein außergewöhnlicher Umstand im Sinne des Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 vorliegt.
EuGH, Urteil vom 19.11.2009 C-402/07
  • Ein verspäteter Flug ist nicht mit einem annullierten Flug gleichzusetzen.
  • Die Art. 5, 6 und 7 der Verordnung Nr. 261/2004 sind dahin auszulegen, dass die Fluggäste verspäteter Flüge im Hinblick auf die Anwendung des Ausgleichsanspruchs den Fluggästen annullierter Flüge gleichgestellt werden können und somit den in Art. 7 dieser Verordnung vorgesehenen Ausgleichsanspruch geltend machen können.
  • Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 ist dahin auszulegen, dass ein bei einem Flugzeug aufgetretenes technisches Problem, das zur Annullierung oder Verspätung eines Fluges führt, nicht unter den Begriff "außergewöhnliche Umstände" im Sinne dieser Bestimmung fällt.
BGH, Urteil vom 17.09.2013 X ZR 150/10
  • Ein Fluggast hat einen Ausgleichsanspruch, wenn er seinen Anschlussflug aufgrund von mehr als drei Stunden Verspätung verpasst.
  • Die Ausgleichsleistung ist auch dann zu erbringen, wenn die verspätete Ankunft am Endziel darauf beruht, dass infolge der Flugverspätung ein selbst nicht verspäteter Anschlussflug verpasst worden ist.
BGH, Urteil vom 17.09.2013 X ZR 123/10
  • Bei mehr als 3 Stunden Verspätung hat der Fluggast Anspruch auf Ausgleichszahlung.
BGH, Beschluss vom 17.07.2007 X ZR 95/06
  • Ist bei der Auslegung des Begriffs „Annullierung“ entscheidend darauf abzustellen, ob die ursprüngliche Flugplanung aufgegeben wird, so dass eine Verzögerung unabhängig von ihrer Dauer keine Annullierung darstellt, wenn die Fluggesellschaft die Planung des ursprünglichen Fluges nicht aufgibt?
  • Falls die Frage zu 1 verneint wird: Unter welchen Umständen ist eine Verzögerung des geplanten Fluges nicht mehr als Verspätung, sondern als Annullierung zu behandeln? Hängt die Beantwortung dieser Frage von der Dauer der Verspätung ab?
  • An den europäischen Gerichtshof verwiesen.
OLG Koblenz, Urteil vom 16.07.2009 2 U 1312/08
  • Außergewöhnliche Umstände befreien das Luftfahrtunternehmen von seiner konkreten Leistungspflicht.
LG Landshut, Urteil vom 18.12.2009 12 S 1250/09
  • Die Fluggäste verspäteter Flüge können im Hinblick auf die Anwendung des Ausgleichsanspruchs, den Fluggästen annullierter Flüge gleichgestellt werden, wenn sie wegen eines verspäteten Fluges einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden, d. h., wenn sie ihr Endziel nicht früher als drei Stunden nach der von dem Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen.
LG Darmstadt, Entscheidung vom 12.07.2006 21 S 82/06
  • Unter "Annullierung" eines Fluges kann nicht schon jede Nichtdurchführung zur vorgesehenen Abflugzeit gemeint sein, sondern nur die endgültige Nichtdurchführung oder eine so große Verzögerung, dass diese einer endgültigen Nichtdurchführung gleichkommt.
  • Eine Verzögerung des Abflugs um 25 Stunden schließt begrifflich eine Verspätung noch nicht aus. Ob es eine maximale zeitliche Grenze für die Verspätung gibt, bleibt offen.
AG Frankfurt, Urteil vom 13.12.2012 29 C 655/12 (11)
  • Ein Anspruch auf eine Ausgleichszahlung wegen Flugverspätung gemäß Art. 5, 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 begründet sich nicht nur durch eine Abflugverspätung, sondern auch durch eine Ankunftsverspätung.
AG Nürnberg, Urteil vom 14.09.2011 18 C 6053/11
AG Köln, Urteil vom 03.11.2010 142 C 535/08
AG Rüsselsheim, Entscheidung vom 17.03.2006 3 C 109/06 (33)
  • Abgrenzung zwischen Verspätung und Annullierung.
  • Wird ein Flug nicht zur vereinbarten Zeit, sondern unter der gleichen Flugnummer am Folgetag durchgeführt, so liegt eine erhebliche Verspätung des Fluges vor. Eine Annullierung wäre nur dann gegeben, wenn am Tag des tatsächlichen Abflugs ein weiterer planmäßiger Flug des ausführenden Luftfahrtunternehmens angesetzt gewesen wäre und der Reisende mit diesem Flug befördert worden wäre.|}