Reisenutzen

Aus PASSAGIERRECHTE
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Der Nutzen der Reise definiert sich durch den Reisecharakter und den Reisezweck. Obwohl den Vertragsparteien die größtmögliche Freiheit bei Inhaltsbestimmung und Ausgestaltung des Nutzens gewährt wird, findet er seine Grenze bei subjektiven Befindlichkeiten und empirisch nicht überprüfbaren Erlebnissen. Beispielsweise kann ein mangelrelevanter Nutzen einer spirituellen Pilgerreise nicht als Eintritt unmittelbarer Gotteserfahrungen während der Reise festgelegt werden. Für den Erfolg des Reisenutzens hat der Reiseveranstalter vertragstypisch einzustehen, wenn dieser von seinen Leistungen abhängt. Die Eignung betrifft nur den Wert oder die Tauglichkeit der Reise im Verhältnis zum vorausgesetzten Nutzen. Wird der Wert der Reise beeinträchtigt, oder aufgehoben, ist die Reise ungeeignet, und weißt somit einen Mangel auf nach § 651 i Absatz 2 Satz 2 Nr.1 oder Nr. 2 BGB auf.

Vertraglich vorausgesetzter Nutzen § 651 i Absatz 2 Satz 2 Nr. 1 BGB

Bei dem reisevertraglich vorausgesetzten Nutzen sind die geäußerten oder konkludent unterstellten Absichten der Vertragsparteien über den künftigen Nutzen ihrer Reise entscheidend. Dies ergibt sich aus der Anlehnung an § 633 Absatz 2 Satz 2 Nr. 1 BGB. Die Parteien müssen zu einer gemeinsamen Vorstellung von dem Reisenutzen gekommen sein. Diese Vorstellungen sind im Kontext des Vertragsschlusses fixiert worden sein, andernfalls bleibt das individuelle Nutzenrisiko der Reise beim Reisenden.

Ein nicht vereinbarter, sondern nur vorausgesetzter Nutzen liegt vor, wenn der subjektive Gebrauchswert oder die Tauglichkeit der Reise nicht schon als Inhalt der vertragsschließenden Willenserklärungen bewertet werden kann. Ein vorausgesetzter Nutzen ist eng verwandt mit dem grundsätzlichen unbeachtlichen, weil nur einseitigen Motiv des Reisenden, das den innerlichen Beweggrund oder den nicht vergemeinschafteten Parteizweck für die Reise darstellt. Der Übergang ist fließend. Erlangt der Reiseveranstalter Kenntnis von den Motiven des Kunden und billigt er diese, kann sich daraus eine vertraglich vorausgesetzte Nutzung ergeben. Bloßes Schweigen des Veranstalters zu dem geäußerten Nutzen genügt nicht, da eine Pflicht des Reiseveranstalters zum Widersprechen nicht angenommen werden kann.

Gewöhnlicher Nutzen und übliche Beschaffenheit § 651 i Absatz 2 Satz 2 Nr. 2 BGB

Der Auffangtatbestand nach objektiven Maßstab regelt, dass auch dann ein Reisemangel vorliegen kann, wenn weder eine Beschaffenheit vertraglich vereinbart wurde, noch sich ein von den Parteien vorausgesetzter Reisenutzen feststellen lässt. Demnach ist eine Pauschalreise frei von Mängeln, wenn sie sich für den gewöhnlichen Nutzen eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Pauschalreisen der gleichen Art üblich ist und die der Reisende nach der Art der Pauschalreise erwarten kann.

Nr. 2 stellt dabei keine Richtlinie für die typische Beschaffenheit von Pauschalreisen dar, sondern nur eine Konkretisierung dessen, was mittels Vertragsauslegung nach §§ 133, 157 BGB ebenfalls festgestellt werden kann. Dabei müssen der Wortsinn der Willenserklärung des Veranstalters, die außerhalb des Erklärungsaktes liegenden Begleitumstände, die mit der Reise konkret verfolgten Zwecke des Reisenden, sowie die Verkehrskreise berücksichtigt werden. Mögliche bestehende Lücken sind durch Auslegung zu schließen. Die Grenze der Lückenfüllung ist der im Vertrag enthaltene, wenn auch nur angedeutete Regelungsplan, der keinesfalls überschritten werden darf. Dabei ist auch der hypothetische Parteiwillen heranzuziehen. Die Mangelfreiheit nach Nr. 2 darf nicht zu einer wesentlichen Erweiterung des Inhalts des Vertragsgegenstandes führen und muss sich innerhalb des tatsächlich konturierten Rahmens durch die Parteien bei Vertragsschluss halten. Insbesondere bei spärlichen Prospektangaben, die sich nur auf die Angaben nach Artikel 250 § 3 EGBGB beziehen, oder Reiseangeboten, die in den Formulierungen sehr sparsam sind, ist der subsidiäre Maßstab eines gewöhnlichen Nutzens und einer üblichen Beschaffenheit der Pauschalreiseart unerlässlich, um die Hauptleistungspflichten des Veranstalters zu bestimmen. Die so erreichte vertragliche Klarheit und Sicherheit dient sowohl den Interessen des Reiseveranstalters als auch der des Reisenden. Absichtliche Deutungsspielräume und Leerplätze, die der Reiseveranstalter im Rahmen seines Angebotes formuliert, um seine Hauptleistungspflicht gering zu halten, und sich von einer eventuellen Haftung freizuzeichnen, sind über Nr. 2 durch richterliche konkretisierte Leistungsinhalte zu füllen, die einer Mangelhaftigkeit oder –Freiheit i.S.v. § 651 i Absatz 1 BGB subsumiert werden können. Der Reiseveranstalter wird dadurch geschützt, indem er bei versehentlichen Ungenauigkeiten in der vertraglichen Reisebeschreibung eine unverhältnismäßige Inanspruchnahme über das Gewährleistungsrecht durch den Reisenden abwehren kann. Der Mangelbegriff nach Nr.2 besteht aus zwei Elementen. Zum einen wird auf die Eignung des gewöhnlichen Reisenutzens abgestellt, zum anderen auf die Durchschnittsbeschaffenheit, wobei sich der Maßstab nach der zu bestimmenden Pauschalreise richtet, die in der Branche üblich ist und einer typischen Erwartungshaltung von Reisenden dieser Reiseart entspricht. Beide Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen, können aber nicht einzeln voneinander bestimmt werden. Sie stehen in wechselseitigem Inhalt. Der gewöhnliche Reisenutzen lässt sich nur vor dem Hintergrund der Pauschalreiseart und die Durchschnittsbeschaffenheit nur im Vorgriff auf den gewöhnlichen Reisenutzen bestimmen.

Gewöhnlicher Reisenutzen

Gewöhnlich ist ein Reisenutzen, der nach der Verkehrsanschauung unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten des Ziellandes und der durchschnittlichen Reiseleistung in Anbetracht von Charakter, Dauer, Preis und Ausflügen der gebuchten Pauschalreise. Subjektive Befindlichkeiten des Reisenden bleiben außer Betracht, in erster Linie ist ein objektiver Maßstab anzulegen. Je mehr die Parteien einen bestimmten Zweck vereinbart haben, desto konkreter lässt sich der Reisenutzen definieren.

Üblichkeit und Erwartung

Zudem ist eine Beschaffenheit der Reise festzulegen, die bei Reisen der gleichen Art üblich ist und der Reisende nach der Pauschalreiseart erwarten kann.

Üblichkeit einer Reise der gleichen Art

Um zu klären, was für eine Reise der „gleichen Art“ üblich ist, ist die Zuordnung der gebuchten Reise zu einer Gattung von Reisen erforderlich. Der den Vergleichsmaßstab bildende empirische Typus von häufig angebotenen Reiseleistungszuschnitten, kann nur in Hinblick auf den gewöhnlichen Reisenutzen festgestellt werden. Weiterführend sind die von der Rechtsprechung vorkonstruierten Reisetypen, wie etwa Billigreisen, Clubreisen, Sprachreisen, etc. zu berücksichtigen. Solche Reisen können die Beschaffenheit aus Nr. 2 vorgeben, soweit das vereinbarte Leistungsprogramm und der Regelungsplan bei Vertragsschluss einem oder mehreren Typusmerkmalen entsprechen. Das Kriterium zur Festlegung der Üblichkeit, bei sonstigen Pauschalreisearten besteht maßgeblich in der Frage:

„Welche Leistungsinhalte, vor allem Qualitätsansprüche sind branchenkonform und können als kollektiv-gleichförmiges Angebot gelten?“. 

Solche statistischen Durchschnittsangebote rufen gewisse Erwartungen in der Branche und beim Kunden hervor. Im Unterschied zu normativen Erwartungen wird ein abweichendes Verhalten von Mitbewerbern nicht sanktioniert, sondern oft als „Reiseinnovation“ angesehen, auf die der Reisemarkt in der Art reagieren kann, dass andere Reiseveranstalter ähnliche Angebote schalten. Dadurch kann sich eine neue Regelmäßigkeit und Üblichkeit der Pauschalreisearten herausbilden. Dabei muss beachtet werden, dass die auch und insbesondere an betriebswirtschaftlichen Zweckmäßigkeitserwägungen orientierte Üblichkeit des durchschnittlichen Angebotsverhaltens relativ unabhängig ist von einer kostenintensivsten Legitimation der angebotenen Reiseleistungen. Eine Reiseinnovation, die eine Vorreiterstellung für künftige Üblichkeiten einnimmt, kann und wird sich zugunsten des Kunden auswirken, muss dies aber nicht. Die Üblichkeit ist daher von Gesetzes wegen ein erforderliches, aber kein hinreichendes Kriterium, um den subsidiären Mangelbegriff nach § 651 i Absatz 2 Satz 2 Nr. 2 BGB bestimmen, sondern wird ergänzt um die anschließend zu erörternde normative Erwartung eines durchschnittlichen Reisenden.

Ergänzend oder unterstützend kann für die Feststellung der Reiseart und ihrer jeweils üblichen Beschaffenheit auch auf Positionspapiere oder Empfehlungen von Verbänden aus der Reisebranche zurückgegriffen werden. Je nach Legitimation der von den Institutionen erlassenen Schreiben werden hier häufig Überschneidungen zu den normativen Erwartungen gegeben sein.

Erwartungshorizont eines Durchschnittsreisenden

Um die Erwartungen eines durchschnittlichen Reisenden an die Reiseart festlegen zu können, müssen empirische Untersuchungen angestrengt werden. In der Rechtsanwendung ist ein pragmatischer Umgang mit der Feststellung geboten. Das Merkmal der Erwartung eines durchschnittlichen Reisenden bildet das normative Regulativ zu einer im Reiseverkehr herrschenden Üblichkeit. Es fungiert als Kriterium für das Mindestmaß des Gebrauchswerts einer jeden Pauschalreiseart.