Schlussanträge des Generalanwalts Yves Bot vom 19. April 2012 (Rechtssache C‑22/11)
SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
YVES BOT
vom 19. April 2012
Rechtssache C‑22/11
Finnair Oyj
gegen
Timy Lassooy
( Vorabentscheidungsersuchen des Korkein oikeus [Finnland])
„Luftverkehr – Verordnung (EG) Nr. 261/2004 – Ausgleichsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung – Begriff der Nichtbeförderung – Ausschluss der Einstufung als ‚Nichtbeförderung‘ – Annullierung eines Flugs aufgrund eines Streiks im Abflugland – Umorganisation der auf den annullierten folgenden Flüge – Ausgleichsanspruch der Fluggäste dieser Flüge“
1. Der Gerichtshof hat sich im Rahmen des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens zum ersten Mal mit der Auslegung des Begriffs „Nichtbeförderung“ im Sinne von Art. 2 Buchst. j der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 zu befassen. Diese Bestimmung definiert die Nichtbeförderung als die Weigerung, Fluggäste zu befördern, obwohl sie sich ordnungsgemäß am Flugsteig eingefunden haben, sofern keine vertretbaren Gründe für die Nichtbeförderung gegeben sind, z. B. im Zusammenhang mit der Gesundheit oder der allgemeinen oder betrieblichen Sicherheit oder unzureichenden Reiseunterlagen. Wird einem Fluggast gegen seinen Willen die Beförderung verweigert, hat er nach Art. 4 Abs. 3 der genannten Verordnung einen pauschalierten Ausgleichsanspruch.
2. Das Vorabentscheidungsersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Fluggesellschaft Finnair Oyj und Herrn Lassooy. Letzterer hatte den Flug am 30. Juli 2006 um 11.40 Uhr von Barcelona nach Helsinki gebucht. Wegen eines Streiks auf dem Flughafen Barcelona (Spanien) am 28. Juli 2006 organisierte Finnair ihre für den 28., 29. und 30. Juli 2006 vorgesehenen Flüge um und verweigerte Herrn Lassooy die Beförderung; bei dem Flug, den dieser hätte nehmen sollen, gab sie nämlich den Fluggästen den Vorzug, die den Linienflug am 29. Juli 2006 wegen des erwähnten Streiks nicht hatten nehmen können. Herr Lassooy beruft sich nun auf Art. 4 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004; er vertritt die Auffassung, Finnair sei nach dieser Bestimmung verpflichtet, eine Ausgleichszahlung an ihn zu leisten.
3. Der Korkein oikeus (Oberstes Gericht, Finnland) möchte daher wissen, ob unter den Begriff „Nichtbeförderung“ im Sinne von Art. 2 Buchst. j der Verordnung Nr. 261/2004 nur Nichtbeförderungen wegen Überbuchung fallen oder auch andere Fallgestaltungen wie Nichtbeförderungen wegen Umorganisation der Flüge aufgrund außergewöhnlicher Umstände.
4. Außerdem möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Einstufung als „Nichtbeförderung“ Gründe entgegenstehen können, die nicht mit dem Fluggast zusammenhängen, insbesondere solche, die mit außergewöhnlichen Umständen zusammenhängen.
5. In den vorliegenden Schlussanträgen werde ich darlegen, warum unter den Begriff der Nichtbeförderung meines Erachtens nicht lediglich die Fälle der Überbuchung fallen, sondern auch die Nichtbeförderung aus anderen Gründen, wie z. B. betrieblichen.
6. Sodann werde ich erläutern, warum Art. 2 Buchst. j und Art. 4 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen sind, dass außergewöhnliche Umstände keine vertretbaren Gründe für die Nichtbeförderung darstellen können; nur wenn die Weigerung, Fluggäste zu befördern, aus Gründen erfolgt, die mit deren persönlicher Situation zusammenhängen, kann dies ihrer Einstufung als „Nichtbeförderung“ entgegenstehen. Ebenso werde ich verdeutlichen, warum Art. 4 Abs. 3 und Art. 5 Abs. 3 dieser Verordnung meines Erachtens dahin auszulegen sind, dass sich ein Luftfahrtunternehmen nicht auf einen bestimmten Flug betreffende außergewöhnliche Umstände berufen kann, um von seiner Verpflichtung zum Ausgleich gegenüber einem Fluggast befreit zu werden, dem es die Beförderung mit einem späteren Flug verweigert, wenn es diese Nichtbeförderung mit der Umorganisation dieses Flugs wegen dieser außergewöhnlichen Umstände begründet.
7. Schließlich werde ich aufzeigen, warum eine solche Auslegung meines Erachtens mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung vereinbar ist.
I – Rechtlicher Rahmen
8. Im ersten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 261/2004 heißt es, dass die Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft im Bereich des Luftverkehrs u. a. darauf abzielen sollten, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen.
9. Im 14. Erwägungsgrund dieser Verordnung heißt es, dass die Verpflichtungen für ausführende Luftfahrtunternehmen in den Fällen beschränkt oder ausgeschlossen sein sollten, in denen ein Vorkommnis auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Solche Umstände können insbesondere bei politischer Instabilität, mit der Durchführung des betreffenden Flugs nicht zu vereinbarenden Wetterbedingungen, Sicherheitsrisiken, unerwarteten Flugsicherheitsmängeln und den Betrieb eines ausführenden Luftfahrtunternehmens beeinträchtigenden Streiks eintreten.
10. Nach Art. 2 Buchst. j der Verordnung Nr. 261/2004 bezeichnet der Ausdruck „‚Nichtbeförderung‘ die Weigerung, Fluggäste zu befördern, obwohl sie sich unter den in Artikel 3 Absatz 2 genannten Bedingungen am Flugsteig eingefunden haben, sofern keine vertretbaren Gründe für die Nichtbeförderung gegeben sind, z. B. im Zusammenhang mit der Gesundheit oder der allgemeinen oder betrieblichen Sicherheit oder unzureichenden Reiseunterlagen“.
11. Art. 4 der Verordnung Nr. 261/2004 lautet:
- „(1) Ist für ein ausführendes Luftfahrtunternehmen nach vernünftigem Ermessen absehbar, dass Fluggästen die Beförderung zu verweigern ist, so versucht es zunächst, Fluggäste gegen eine entsprechende Gegenleistung unter Bedingungen, die zwischen dem betreffenden Fluggast und dem ausführenden Luftfahrtunternehmen zu vereinbaren sind, zum freiwilligen Verzicht auf ihre Buchungen zu bewegen. Die Freiwilligen sind gemäß Artikel 8 zu unterstützen, wobei die Unterstützungsleistungen zusätzlich zu dem in diesem Absatz genannten Ausgleich zu gewähren sind.
- (2) Finden sich nicht genügend Freiwillige, um die Beförderung der verbleibenden Fluggäste mit Buchungen mit dem betreffenden Flug zu ermöglichen, so kann das ausführende Luftfahrtunternehmen Fluggästen gegen ihren Willen die Beförderung verweigern.
- (3) Wird Fluggästen gegen ihren Willen die Beförderung verweigert, so erbringt das ausführende Luftfahrtunternehmen diesen unverzüglich die Ausgleichsleistungen gemäß Artikel 7 und die Unterstützungsleistungen gemäß den Artikeln 8 und 9.“
12. Nach Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 ist ein ausführendes Luftfahrtunternehmen nicht verpflichtet, die normalerweise bei Annullierung eines Flugs geschuldeten Ausgleichszahlungen zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.
13. Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 261/2004 in Verbindung mit Art. 4 dieser Verordnung sieht für die Fluggäste, denen die Beförderung verweigert wird, bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von mehr als 1 500 km und bei allen anderen Flügen über eine Entfernung zwischen 1 500 km und 3 500 km eine pauschalierte Ausgleichszahlung in Höhe von 400 Euro vor.
14. Die Art. 8 und 9 der Verordnung Nr. 261/2004 in Verbindung mit Art. 4 dieser Verordnung sehen für die Fluggäste, denen die Beförderung verweigert worden ist, einen Anspruch auf Erstattung oder anderweitige Beförderung und einen Anspruch auf Betreuungsleistungen vor.
II – Sachverhalt und Ausgangsverfahren
15. Wegen eines Streiks des Personals des Flughafens Barcelona am 28. Juli 2006 musste der Finnair-Linienflug um 11.40 Uhr von Barcelona nach Helsinki annulliert werden. Finnair organisierte ihre Flüge um, damit die Fluggäste dieses Flugs nicht zu lange warten mussten.
16. Diese Fluggäste wurden am folgenden Tag, dem 29. Juli 2006, mit dem Linienflug um 11.40 Uhr und mit einem eigens gecharterten Flugzeug um 21.40 Uhr nach Helsinki (Finnland) befördert. Einige der Fluggäste, die den Flug am 29. Juli 2006 um 11.40 Uhr gebucht hatten, mussten wegen dieser Umorganisation bis zum 30. Juli 2006 warten, um mit dem Linienflug um 11.40 Uhr und einem weiteren eigens gecharterten Flugzeug um 21.40 Uhr nach Helsinki zurückzukehren. Ebenso erreichten einige Fluggäste wie Herr Lassooy, die den Flug am 30. Juli 2006 um 11.40 Uhr gebucht hatten und sich ordnungsgemäß am Flugsteig eingefunden hatten, Helsinki erst mit dem außerplanmäßigen Flug um 21.40 Uhr.
17. Herr Lassooy vertrat die Auffassung, Finnair habe ihm im Sinne von Art. 4 der Verordnung Nr. 261/2004 die Beförderung verweigert und erhob daher beim Helsingin käräjäoikeus (erstinstanzliches Gericht in Helsinki) gegen Finnair Klage auf Leistung der Ausgleichszahlung gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung.
18. Mit Urteil vom 19. Dezember 2008 wies das Helsingin käräjäoikeus diese Klage mit der Begründung ab, die Verordnung Nr. 261/2004 betreffe lediglich die Leistung von Ausgleichszahlungen für Fluggäste wegen Nichtbeförderung aufgrund einer Überbuchung aus kommerziellen Gründen. Art. 4 dieser Verordnung sei nicht anwendbar, da eine Umorganisation der Flüge erfolgt sei. Der Flug von Herrn Lassooy sei annulliert worden, auch wenn er tatsächlich stattgefunden habe.
19. Herr Lassooy legte beim Helsingin hovioikeus (Berufungsgericht Helsinki) Berufung ein. Mit Urteil vom 31. August 2009 stellte dieses Gericht fest, Finnair habe Herrn Lassooy gegen seinen Willen die Beförderung verweigert. Der Flug sei nicht annulliert worden; das Flugzeug sei nämlich zu der in der Buchungsbestätigung von Herrn Lassooy angegebenen Zeit abgeflogen, und die Flugnummer sei dieselbe gewesen wie die in dieser Buchungsbestätigung angegebene. Sowohl aus dem Wortlaut der Verordnung Nr. 261/2004 als auch aus den Vorarbeiten ergebe sich, dass diese Verordnung außer auf Fälle der Überbuchung auch auf bestimmte Fälle der Nichtbeförderung aus betrieblichen Gründen Anwendung finde. Finnair werde daher durch mit einem Streik zusammenhängende Gründe nicht von ihrer Haftung befreit und sei verpflichtet, an Herrn Lassooy die Ausgleichszahlung gemäß Art. 7 der Verordnung zu zahlen. Das Gericht hob das Urteil vom 19. Dezember 2008 auf und verurteilte Finnair, 400 Euro zuzüglich der geschuldeten Zinsen zu zahlen.
20. Finnair legte beim Korkein oikeus Kassationsbeschwerde ein. Dieses Gericht hat Zweifel hinsichtlich der Auslegung der Verordnung Nr. 261/2004. Es hat daher beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen.
III – Vorlagefragen
21. Der Korkein oikeus hat dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
- 1. Sind die Verordnung Nr. 261/2004 und insbesondere ihr Art. 4 dahin auszulegen, dass sie lediglich auf eine Nichtbeförderung Anwendung finden, die auf eine Überbuchung des ausführenden Luftfahrtunternehmens aus kommerziellen Gründen zurückzuführen ist, oder findet diese Verordnung auch auf eine Nichtbeförderung Anwendung, die auf anderen Gründen, wie z. B. betrieblichen, beruht?
- 2. Ist Art. 2 Buchst. j der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen, dass die vertretbaren Gründe im Sinne dieser Bestimmung auf Faktoren beschränkt sind, die mit dem Fluggast zusammenhängen, oder kann die Nichtbeförderung auch aus anderen Gründen vertretbar sein? Wenn diese Verordnung dahin auszulegen ist, dass vertretbare Gründe für die Nichtbeförderung nicht unbedingt mit dem Fluggast zusammenhängen müssen, ist dies dann so zu verstehen, dass auch die Umorganisation von Flügen aufgrund außergewöhnlicher Umstände im Sinne der Erwägungsgründe 14 und 15 der Verordnung einen vertretbaren Grund für die Nichtbeförderung darstellen kann?
- 3. Ist die Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen, dass das Luftfahrtunternehmen außer für den beim Vorliegen der außergewöhnlichen Umstände annullierten Flug auch in Bezug auf die Reisenden der späteren Flüge von seiner Haftung nach Art. 5 Abs. 3 der Verordnung befreit ist, wenn es versucht, die negativen Folgen eines außergewöhnlichen Umstands – z. B. eines Streiks – durch Umorganisation der späteren Flüge auf einen größeren Kreis von Fluggästen als den des annullierten Flugs zu verteilen, so dass kein Fluggast eine übermäßige Verspätung hinnehmen muss? Mit anderen Worten: Kann sich das Luftfahrtunternehmen auf außergewöhnliche Umstände auch gegenüber Fluggästen eines späteren Flugs berufen, auf deren Reise sich diese Umstände nicht unmittelbar ausgewirkt haben? Macht es insoweit einen Unterschied, ob sich die Stellung und der Ausgleichsanspruch des Fluggasts nach dem die Nichtbeförderung betreffenden Art. 4 der Verordnung Nr. 261/2004 oder dem die Annullierung eines Flugs betreffenden Art. 5 dieser Verordnung richten?
IV – Würdigung
A – Vorbemerkungen
22. Um dem vorlegenden Gericht eine klare Antwort zu geben, lassen sich die Vorlagefragen meines Erachtens folgendermaßen abhandeln.
23. Die erste Frage betrifft den Begriff der Nichtbeförderung im Sinne von Art. 2 Buchst. j der Verordnung Nr. 261/2004. Das vorlegende Gericht möchte insofern wissen, ob diese Bestimmung dahin auszulegen ist, dass sie lediglich die Nichtbeförderung wegen Überbuchung erfasst oder auch andere Fälle wie die Nichtbeförderung wegen Umorganisation von Flügen.
24. Die zweite und die dritte Frage sind meines Erachtens miteinander verknüpft. Diese beiden Fragen betreffen nämlich die möglichen Auswirkungen außergewöhnlicher Umstände auf die Regelung der Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen gemäß Art. 4 der Verordnung Nr. 261/2004.
25. So möchte das vorlegende Gericht mit seiner zweiten Frage wissen, ob Art. 2 Buchst. j der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen ist, dass der Einstufung als Nichtbeförderung nur Gründe entgegenstehen können, die mit dem Fluggast, dem die Beförderung verweigert wird, zusammenhängen, oder ob hierfür auch andere Gründe, z. B. die Umorganisation von Flügen wegen außergewöhnlicher Umstände, in Betracht kommen.
26. Der erste Teil der dritten Frage betrifft sodann die Tragweite der Auswirkungen der Annullierung eines Flugs wegen außergewöhnlicher Umstände. Das vorlegende Gericht möchte nämlich wissen, ob die Befreiung von der Verpflichtung zu Ausgleichszahlungen im Fall der Annullierung eines Flugs wegen außergewöhnlicher Umstände gemäß Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 auf Fälle der Nichtbeförderung bei einem späteren Flug ausgedehnt werden kann, wenn das Luftfahrunternehmen diese Nichtbeförderung mit der Umorganisation dieses Flugs wegen dieser außergewöhnlichen Umstände begründet.
27. Schließlich möchte das vorlegende Gericht nach meinem Verständnis mit dem zweiten Teil der dritten Frage wissen, ob nicht eine Ungleichbehandlung besteht zwischen den Fluggästen, deren Flug annulliert worden ist, und denen, denen die Beförderung verweigert worden ist, da Erstere gemäß Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 bei außergewöhnlichen Umständen keine Ausgleichszahlungen erhalten, während Letztere gemäß Art. 4 dieser Verordnung Anspruch auf Ausgleichszahlungen haben.
B – Zu den Vorlagefragen
28. Im Rahmen der Auslegung des Begriffs der Nichtbeförderung im Sinne von Art. 2 Buchst. j der Verordnung Nr. 261/2004 hat der Gerichtshof Gelegenheit, sich zur Tragweite von Art. 4 Abs. 3 dieser Verordnung zu äußern, nach dem ein Fluggast, dem gegen seinen Willen die Beförderung verweigert worden ist, gegen das Luftfahrtunternehmen Anspruch auf Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen gemäß den Art. 7 bis 9 dieser Verordnung hat.
29. Nach ständiger Rechtsprechung sind bei der Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden.
30. Der Begriff der Nichtbeförderung ist in Art. 2 Buchst. j der Verordnung Nr. 261/2004 definiert als „die Weigerung, Fluggäste zu befördern, obwohl sie sich unter den in Artikel 3 Absatz 2 genannten Bedingungen am Flugsteig eingefunden haben, sofern keine vertretbaren Gründe für die Nichtbeförderung gegeben sind, z. B. im Zusammenhang mit der Gesundheit oder der allgemeinen oder betrieblichen Sicherheit oder unzureichenden Reiseunterlagen“.
31. Allein anhand des Wortlauts von Art. 2 Buchst. j der Verordnung Nr. 261/2004 lässt sich nicht bestimmen, ob unter den Begriff der Nichtbeförderung lediglich die Fälle der Überbuchung fallen. Der Wille des Unionsgesetzgebers ist somit anhand des Zusammenhangs dieser Bestimmung und der Ziele, die mit der Verordnung Nr. 261/2004 verfolgt werden, zu ermitteln.
32. Die Verordnung Nr. 261/2004 soll an die Stelle der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 treten. In ihrem Vorschlag für die Verordnung führte die Europäische Kommission nämlich aus, die Verordnung (EWG) Nr. 295/91 enthalte weder Bestimmungen, die Luftfahrtunternehmen stets davon abhielten, übermäßig häufig Fluggästen die Beförderung zu verweigern oder Flüge zu annullieren, noch Anreize dafür, ihre wirtschaftlichen Vorteile und die den Fluggästen entstehenden Kosten gegeneinander abzuwägen. Daher hätten zu viele Fluggäste weiterhin unter diesen Praktiken zu leiden gehabt.
33. Erklärtes Ziel des Erlasses der Verordnung Nr. 261/2004 war es, die Lücken der Verordnung Nr. 295/91 zu schließen und die Häufigkeit der Vorkommnisse der Nichtbeförderung zu verringern, indem die Luftfahrtunternehmen dazu veranlasst werden, Freiwillige zu suchen, die gegen eine Entschädigung zum Verzicht auf ihren gebuchten Platz bereit sind, statt Fluggästen gegen ihren Willen die Beförderung zu verweigern.
34. Mit der Verordnung Nr. 261/2004 wollte der Unionsgesetzgeber also eine strenge und für die Luftfahrtunternehmen abschreckende Regelung einführen.
35. Damit diese Regelung ihre volle Wirksamkeit entfalten kann, ist der Begriff der Nichtbeförderung weit auszulegen; unter ihn können nicht lediglich die Fälle der Überbuchung fallen. Diese ergibt sich eindeutig aus den Vorarbeiten zu dieser Verordnung. Dem Unionsgesetzgeber zufolge gibt es für die Praxis der Nichtbeförderung nämlich zwei Gründe. Der erste Grund sind Umbuchungen von Fluggästen, die ihren ursprünglich gebuchten Flug wegen betrieblicher Probleme, z. B. verspätete Ankunft oder Annullierung von Anschlussflügen oder Ersatz eines nicht betriebsbereiten Flugzeugs durch eine kleinere Maschine, nicht nehmen konnten, auf einen späteren Flug. Diese umgebuchten Fluggäste erzeugen auf diese Weise einen unvorhergesehenen Platzbedarf, so dass auf den späteren Flug gebuchten Fluggästen mitunter die Beförderung verweigert wird. Der zweite Grund, der zur Praxis der Überbuchung führt, ist das Nichterscheinen von Fluggästen.
36. Die Notwendigkeit, den Begriff der Nichtbeförderung weit auszulegen, ergibt sich auch aus dem Ziel, das mit der Verordnung Nr. 261/2004 verfolgt wird. Wie bereits ausgeführt, zielt diese nämlich darauf ab, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen, da die Nichtbeförderung für die Fluggäste ein Ärgernis ist und ihnen große Unannehmlichkeiten verursacht. Entsprechend hat der Gerichtshof in seinem Urteil Sturgeon u. a. festgestellt, dass die Vorschriften, mit denen den Fluggästen Ansprüche eingeräumt werden, einschließlich derjenigen, die einen Ausgleichsanspruch vorsehen, weit auszulegen sind.
37. Anzunehmen, dass unter den Begriff der Nichtbeförderung lediglich die Fälle der Überbuchung fallen, würde jedoch bedeuten, dass Fluggäste, die sich in der Situation von Herrn Lassooy befinden, völlig schutzlos dastünden.
38. Wie bereits ausgeführt, fand sich Herr Lassooy im Ausgangsverfahren ordnungsgemäß am Flugsteig ein, wo ihm wegen der von Finnair getroffenen Entscheidung, ihre Flüge umzuorganisieren und den Fluggästen den Vorzug zu geben, deren Flug zwei Tage zuvor wegen eines Streiks annulliert worden war, die Beförderung verweigert wurde. Der von Herrn Lassooy gebuchte Flug fand am vorgesehenen Tag zur vorgesehenen Zeit statt.
39. Wenn wir also annähmen, dass im Fall von Herrn Lassooy keine Nichtbeförderung vorläge, könnte sich dieser weder auf Art. 4 der Verordnung Nr. 261/2004 noch auf die Bestimmungen dieser Verordnung über die Annullierung und Verspätung berufen. Ein Fluggast, der sich in derselben Situation wie Herr Lassooy befindet, weil das Luftfahrtunternehmen einseitig beschlossen hat, seine Flüge umzuorganisieren, fiele somit unter keine der Kategorien, die Schutzmaßnahmen für Fluggäste vorsehen, für die die Nichtbeförderung ein Ärgernis ist und ihnen große Unannehmlichkeiten verursacht. Das Luftfahrtunternehmen wäre auch nicht nur nicht verpflichtet, ihm für den entstandenen Schaden eine Ausgleichszahlung zu leisten, sondern auch und insbesondere nicht, ihm Unterstützungsleistungen zu gewähren, d. h., die unmittelbaren Bedürfnisse dieses Fluggasts vor Ort zu befriedigen. Dieser würde seinem Schicksal überlassen, was völlig dem mit dieser Verordnung verfolgten Ziel zuwiderliefe, nämlich, wie bereits ausgeführt, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen.
40. Außerdem könnte dies auch zur Folge haben, dass das eine oder andere Luftfahrtunternehmen sich veranlasst sieht, die Bestimmungen der Verordnung Nr. 261/2004 zu umgehen und sich seinen Verpflichtungen zu entziehen, und zwar gegen den Willen des Unionsgesetzgebers, der es gerade für erforderlich erachtet hat, die Fluggastrechte zu stärken. Diese Luftfahrtunternehmen könnten somit leicht die Umorganisation ihrer Flüge oder irgendwelche anderen Gründe als die Überbuchung vorschützen, um einem Fluggast die Beförderung zu verweigern, ohne ihm Ausgleichs- oder Unterstützungsleistungen gewähren zu müssen.
41. Nach alledem ist Art. 2 Buchst. j der Verordnung Nr. 261/2004 meines Erachtens dahin auszulegen, dass unter den Begriff der Nichtbeförderung nicht lediglich die Fälle der Überbuchung fallen, sondern auch die Nichtbeförderung aus anderen Gründen, wie z. B. betrieblichen.
42. Wenn unter den Begriff der Nichtbeförderung nach meinem Verständnis also nicht nur die Fälle der Überbuchung fallen, stellt sich nun die Frage, ob bei einer Situation wie der von Herrn Lassooy einer Einstufung als Nichtbeförderung im Sinne von Art. 2 Buchst. j der Verordnung Nr. 261/2004 Gründe entgegenstehen können, die mit der Umorganisation von Flügen wegen außergewöhnlicher Umstände zusammenhängen.
43. Finnair vertritt nämlich die Auffassung, dass die Gründe, wegen derer Herrn Lassooy die Beförderung auf dem von ihm gebuchten Flug verweigert worden ist, vertretbare Gründe für die Nichtbeförderung gewesen seien, da sie gemäß der genannten Bestimmung im Zusammenhang mit der Gesundheit oder der allgemeinen oder betrieblichen Sicherheit stünden. Die Nichtbeförderung von Herrn Lassooy sei auch deswegen gerechtfertigt gewesen, weil die Verordnung Nr. 261/2004 beim Vorliegen außergewöhnlicher Umstände, die das Luftfahrtunternehmen nicht hätte vermeiden können, eine Begrenzung von dessen Verantwortlichkeit vorsehe. Das vorlegende Gericht fragt sich, ob als vertretbare Gründe für die Nichtbeförderung andere in Betracht kommen als diejenigen, die mit dem Fluggast zusammenhängen, dem die Beförderung verweigert wird.
44. Zwar geht aus der Verwendung des Ausdrucks „z. B.“ in Art. 2 Buchst. j der Verordnung Nr. 261/2004 hervor, dass die Aufzählung der Gründe, die der Einstufung als Nichtbeförderung entgegenstehen, nicht abschließend ist; meines Erachtens sind diese Gründe aber auf solche zu beschränken, die mit der persönlichen Situation des Fluggasts zusammenhängen.
45. Eine Nichtbeförderung, für die vertretbare Gründe im Sinne von Art. 2 Buchst. j der Verordnung Nr. 261/2004 gegeben sind, hat nämlich zur Folge, dass der betreffende Fluggast von jeglicher Möglichkeit des Ausgleichs und jeglicher Unterstützung ausgeschlossen ist. Da es sich um eine Abweichung von den durch diese Verordnung zugunsten der Fluggäste eingeführten Schutzvorschriften handelt, ist diese nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs eng auszulegen.
46. Die Nichtbeförderung zeichnet sich dadurch aus, dass sie einen Fluggast und nicht den Flug selbst betrifft. Zwar kann es durchaus vorkommen, dass bei ein und demselben Flug mehreren Fluggästen die Beförderung verweigert wird. Im Gegensatz zur Annullierung und der Verspätung betrifft die Nichtbeförderung aber nicht alle Fluggäste gleichermaßen. Es handelt sich um eine individuelle Maßnahme, die vom Luftfahrtunernehmen willkürlich gegenüber einem Fluggast getroffen wird, obwohl dieser alle Bedingungen für die Beförderung erfüllt.
47. Diese individuelle Maßnahme ist nur dann nicht willkürlich, wenn den Fluggast selbst ein Verschulden trifft, z. B., wenn er ungültige Ausweispapiere vorlegt oder etwa wenn er durch sein Verhalten die Sicherheit des Flugs und/oder der anderen Fluggäste gefährdet, z. B., wenn er betrunken ist oder gewalttätig wird. Meines Erachtens findet in solchen Fällen Art. 4 der Verordnung Nr. 261/2004 deswegen keine Anwendung und hat der Fluggast deswegen weder Anspruch auf Ausgleichs- noch auf Unterstützungsleistungen, weil die Entscheidung, ihn nicht zu befördern, ihm zuzurechnen ist.
48. Hingegen kann die Nichtbeförderung aus Gründen, die überhaupt nichts mit dem betreffenden Fluggast zu tun haben, in Anbetracht des Ziels dieser Verordnung, nämlich ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen, meines Erachtens nicht dazu führen, dass dieser ohne jeden Schutz dasteht. Wie bereits oben in den Nrn. 37 bis 40 ausgeführt, würde die Nichteinstufung einer Situation wie derjenigen von Herrn Lassooy als Nichtbeförderung zur Folge haben, ihm jegliche Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen zu nehmen.
49. Außergewöhnliche Umstände, wegen derer das Luftfahrtunternehmen wie im vorliegenden Fall seine Flüge umorganisiert, können dieses Ergebnis meines Erachtens nicht in Frage stellen.
50. Zunächst ist festzustellen, dass der Begriff der außergewöhnlichen Umstände eng auszulegen ist; damit sollen die Verpflichtungen des Luftfahrtunternehmens nämlich beschränkt oder sogar ausgeschlossen werden, wenn das in Rede stehende Ereignis sich auch dann nicht hätte vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.
51. Sodann ist festzustellen, dass es im 15. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 261/2004 heißt, dass „außergewöhnlich[e] Umstände [vorliegen], wenn eine Entscheidung des Flugverkehrsmanagements zu einem einzelnen Flugzeug an einem bestimmten Tag zur Folge hat, dass es bei einem oder mehreren Flügen des betreffenden Flugzeugs zu einer großen Verspätung, einer Verspätung bis zum nächsten Tag oder zu einer Annullierung kommt“. Der Unionsgesetzgeber hat für das Luftfahrtunternehmen offensichtlich nicht die Möglichkeit vorgesehen, sich im Fall einer Nichtbeförderung auf den Rechtfertigungsgrund der außergewöhnlichen Umstände zu berufen. Die finnische Regierung weist zu Recht darauf hin, dass der Fluggast selbst bei einer auf außergewöhnliche Umstände zurückzuführenden Annullierung oder Verspätung Anspruch auf anderweitige Beförderung und auf Betreuungsleistungen gemäß den Art. 5 und 6 dieser Verordnung hat. Hingegen ist vom Unionsgesetzgeber für den Fluggast, dem die Beförderung verweigert wird, nichts Vergleichbares vorgesehen worden. Wie wir gesehen haben, hat der Fluggast keinerlei Anspruch auf Betreuungs- oder Unterstützungsleistungen, wenn seine Situation nicht in den Anwendungsbereich von Art. 4 dieser Verordnung fällt. Dies bestätigt meines Erachtens, dass der Unionsgesetzgeber nicht in Betracht gezogen hat, dass der Einstufung als Nichtbeförderung Gründe entgegenstehen können, die mit außergewöhnlichen Umständen zusammenhängen.
52. Dasselbe muss meines Erachtens für die Möglichkeit der Ausdehnung der Möglichkeit der Befreiung von der Verpflichtung zur Leistung von Ausgleichszahlungen im Fall der Annullierung eines Flugs aufgrund außergewöhnlicher Umstände auf den Fall der Nichtbeförderung bei einem späteren Flug gelten, wenn das Luftfahrtunternehmen diese Nichtbeförderung mit der Umorganisation dieses Flugs wegen außergewöhnlicher Umstände rechtfertigt.
53. Im Übrigen geht aus dem 15. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 261/2004 hervor, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen, wenn eine Entscheidung des Flugverkehrsmanagements ein einzelnes Flugzeug und einen bestimmten Tag betrifft. Im vorliegenden Fall betrafen die außergewöhnlichen Umstände, d. h. der Streik des Personals des Flughafens, lediglich den Flug am 28. Juli 2006 um 11.40 Uhr; allein dieser ist nämlich annulliert worden. Diese Umstände haben diesen Flug in der Tat unmöglich gemacht, da Finnair keinen Einfluss auf die Ereignisse hatte, die den Flughafen Barcelona betrafen; anders liegen die Dinge aber bei den Flügen vom 29. und 30. Juli 2006, weil es Finnair freistand, den Fluggästen des Flugs vom 28. Juli 2006 den Vorzug zu geben oder nicht. Keinesfalls hat der Streik auf dem Flughafen Barcelona an dem betreffenden Tag dazu geführt, dass Finnair gezwungen gewesen wäre, Herrn Lassooy zwei Tage nach dem annullierten Flug die Beförderung zu verweigern.
54. Die Entscheidung, die Flüge umzuorganisieren, hat Finnair alleine getroffen, und eine solche Entscheidung kann nicht zur Folge haben, dass der Fluggast, der sich ordnungsgemäß am Flugsteig eingefunden hat, völlig schutzlos dasteht.
55. Zwar kann Finnair nicht der Streik des Personals des Flughafens zugerechnet werden. Wie aus den Vorarbeiten zu der Verordnung Nr. 261/2004 hervorgeht, sollen mit der vom Unionsgesetzgeber eingeführten Regelung der Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste aber vor allem Letztere geschützt werden. Der Unionsgesetzgeber fand so eine einfache Lösung, indem er dem ausführenden Luftfahrtunternehmen alle Verpflichtungen im Zusammenhang mit dieser Regelung auferlegte. Dies soll praktikabel sein, da das ausführende Luftfahrtunternehmen über Mitarbeiter oder Beauftragte an den Flughäfen verfügt, die den Fluggästen Hilfestellung leisten können. Die Regelung ist klar und einfach, so dass sie von den Fluggästen nachvollzogen werden kann.
56. Wenn das Luftfahrtunternehmen der Auffassung ist, dass es die Folgen eines Streiks auf dem Flughafen nicht zu tragen hat, steht es ihm gemäß Art. 13 der Verordnung Nr. 261/2004 frei, bei anderen Personen, auch Dritten, gemäß den anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften Regress zu nehmen.
57. Einer solchen Auslegung könnte entgegengehalten werden, dass der Fluggast, dem das Luftfahrtunternehmen wie im vorliegenden Fall die Beförderung wegen außergewöhnlicher Umstände verweigert hat, besser dastünde als der Fluggast, dessen Flug aufgrund solcher Umstände annulliert worden oder mit Verspätung erfolgt ist; Ersterer erhielte nämlich Ausgleichsleistungen, Letzterer nicht. Nach Auffassung der finnischen Regierung könnte dies mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung unvereinbar sein.
58. Nach ständiger Rechtsprechung verlangt der Grundsatz der Gleichbehandlung bzw. das Diskriminierungsverbot, dass gleiche Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleichbehandelt werden, sofern eine solche Behandlung nicht objektiv gerechtfertigt ist. Anders als die finnische Regierung geltend macht, befinden sich die Fluggäste, die Opfer einer Annullierung oder erheblichen Verspätung eines Flugs geworden sind, meines Erachtens aber nicht in derselben Situation wie Fluggäste, denen das Luftfahrtunternehmen die Beförderung verweigert hat.
59. Wie wir nämlich oben in Nr. 46 gesehen haben, betrifft die Nichtbeförderung nicht alle Fluggäste eines Flugs, sondern nur einen oder mehrere Fluggäste, obwohl sie sich ordnungsgemäß am Flugsteig eingefunden haben. Allein wegen der willkürlichen Entscheidung des Luftfahrtunternehmens nimmt der Fluggast, dem die Beförderung verweigert wird, nicht an dem von ihm gebuchten Flug teil, der wie vom Luftfahrtunternehmen vorgesehen durchgeführt wird. Bei einer Annullierung oder einer Verspätung eines Flugs liegen die Dinge anders, da in solchen Fällen alle Fluggäste auf dieselbe Weise betroffen und beeinträchtigt sind.
60. Wenn die Annullierung oder die Verspätung des Flugs auf außergewöhnliche Umstände zurückzuführen ist, ist das Luftfahrtunternehmen nicht zur Ausgleichszahlung gemäß Art. 7 der Verordnung Nr. 261/2004 verpflichtet, soweit es die Geschehnisse nicht beherrschen kann. Da das Luftfahrtunternehmen für das Ärgernis und die Unannehmlichkeiten, die die Fluggäste zu erdulden haben, nicht verantwortlich ist, gibt es keinen Grund für eine Ausgleichszahlung, die abschreckend wirken soll.
61. Dies ist aber nicht der Fall, wenn dem Fluggast, wie im vorliegenden Fall, die Beförderung nach einer vom Luftfahrtunternehmen wegen außergewöhnlicher Umstände beschlossenen Umorganisation der Flüge verweigert worden ist. Das Ärgernis und die Unannehmlichkeiten, die einer oder mehrere völlig willkürlich ausgewählte Fluggäste zu erdulden haben, sind allein auf diese Entscheidung des Luftfahrtunternehmens zurückzuführen. Aus diesem Grund, nämlich, weil der erlittene Schaden dem Luftfahrtunternehmen zurechenbar ist, bleibt die Ausgleichszahlung geschuldet, um dieses davon abzuhalten, auf eine solche Praxis zurückzugreifen, anstatt gemäß Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 zu versuchen, Fluggäste zum freiwilligen Verzicht auf ihre Buchungen zu bewegen.
62. Nach alledem sind Art. 2 Buchst. j und Art. 4 der Verordnung Nr. 261/2004 meines Erachtens dahin auszulegen, dass außergewöhnliche Umstände keine vertretbaren Gründe für die Nichtbeförderung darstellen können; nur wenn die Weigerung, Fluggäste zu befördern, aus Gründen erfolgt, die mit deren persönlicher Situation zusammenhängen, kann dies ihrer Einstufung als „Nichtbeförderung“ entgegenstehen.
63. Im Übrigen sind Art. 4 Abs. 3 und Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen, dass sich ein Luftfahrtunternehmen nicht auf einen bestimmten Flug betreffende außergewöhnliche Umstände berufen kann, um von seiner Verpflichtung zum Ausgleich gegenüber einem Fluggast befreit zu werden, dem es die Beförderung mit einem späteren Flug verweigert, wenn es diese Nichtbeförderung mit der Umorganisation dieses Flugs wegen dieser außergewöhnlichen Umstände begründet.
64. Eine solche Auslegung ist mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung vereinbar.
V – Ergebnis
65. Aufgrund der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, dem Korkein oikeus wie folgt zu antworten:
- 1. Art. 2 Buchst. j der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 ist dahin auszulegen, dass unter den Begriff der Nichtbeförderung nicht lediglich die Fälle der Überbuchung fallen, sondern auch die Nichtbeförderung aus anderen Gründen, wie z. B. betrieblichen.
- 2. Art. 2 Buchst. j und Art. 4 der Verordnung Nr. 261/2004 sind dahin auszulegen, dass außergewöhnliche Umstände keine vertretbaren Gründe für die Nichtbeförderung darstellen können; nur wenn die Weigerung, Fluggäste zu befördern, aus Gründen erfolgt, die mit deren persönlicher Situation zusammenhängen, kann dies ihrer Einstufung als „Nichtbeförderung“ entgegenstehen.
Art. 4 Abs. 3 und Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 sind dahin auszulegen, dass sich ein Luftfahrtunternehmen nicht auf einen bestimmten Flug betreffende außergewöhnliche Umstände berufen kann, um von seiner Verpflichtung zum Ausgleich gegenüber einem Fluggast befreit zu werden, dem es die Beförderung mit einem späteren Flug verweigert, wenn es diese Nichtbeförderung mit der Umorganisation dieses Flugs wegen dieser außergewöhnlichen Umstände begründet.
Eine solche Auslegung ist mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung vereinbar.