Schlussanträge des Generalanwalts Yves Bot vom 23. Januar 2014 (Rechtssache C‑487/12)
SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS YVES BOT
vom 23. Januar 2014
Rechtssache C‑487/12
Vueling Airlines SA
gegen
Instituto Galego de Consumo de la Xunta de Galicia
(Vorabentscheidungsersuchen des Juzgado de lo Contencioso-Administrativo n° 1 de Ourense [Spanien])
„Luftverkehr – Gemeinsame Vorschriften für die Durchführung von Luftverkehrsdiensten in der Union – Verordnung (EG) Nr. 1008/2008 – Preisfreiheit – Schutz der Verbraucherrechte – Erhebung fakultativer Zusatzkosten für die Gepäckaufgabe der Fluggäste – Nationale Regelung, die den Luftfahrtunternehmen eine Erhebung solcher Kosten untersagt“
1. Mit dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen wird der Gerichtshof ersucht, die Tragweite des in Art. 22 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1008/2008 genannten Grundsatzes der Preisfreiheit klarzustellen.
2. Insbesondere fragt der Juzgado de lo Contencioso-Administrativo n° 1 de Ourense (Spanien) den Gerichtshof, ob eine nationale Regelung, die den Luftfahrtunternehmen die Erhebung fakultativer Zusatzkosten für die Gepäckaufgabe der Fluggäste untersagt, mit dieser Bestimmung vereinbar ist.
3. Art. 22 der Verordnung Nr. 1008/2008 ist mit „Preisfreiheit“ überschrieben und Teil von Kapitel IV über die „Bestimmungen zur Preisfestsetzung“ der Luftverkehrsdienste. Abs. 1 dieses Artikels bestimmt:
„Die Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft und – auf der Grundlage der Reziprozität – die Luftfahrtunternehmen von Drittländern legen ihre Flugpreise und Frachtraten für innergemeinschaftliche Flugdienste unbeschadet des Artikels 16 Absatz 1 [über die ‚Allgemeinen Grundsätze für gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen‘] frei fest.“
4. Das Vorabentscheidungsersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Vueling Airlines SA (im Folgenden: Vueling), die u. a. über ein Online-Portal Flugreisen vertreibt, und dem Instituto Galego de Consumo de la Xunta de Galicia (Verbraucherinstitut der Autonomen Gemeinschaft Galizien, im Folgenden: ICG) wegen einer von diesem verhängten Geldbuße, mit der der Inhalt des Luftbeförderungsvertrags von Vueling geahndet wird.
5. Vueling erhöhte nämlich im August 2010 den Grundpreis der von Frau Arias Villegas gekauften Flugscheine (241,48 Euro) aufgrund der Onlineaufgabe von zwei Gepäckstücken um 40 Euro.
6. Nach der Rückkehr von ihrer Reise reichte sie am 15. November 2010 daher eine Beschwerde gegen Vueling ein, da sie der Ansicht war, der mit dieser Gesellschaft geschlossene Luftbeförderungsvertrag weise eine missbräuchliche Klausel auf. Das IGC, an das die Beschwerde weitergeleitet wurde, verhängte daraufhin eine verwaltungsrechtliche Sanktion in Höhe von 3 000 Euro gegen Vueling auf der Grundlage von Art. 97 des Gesetzes 48/1960 über den Luftverkehr (Ley 48/1960 sobre Navegación Aérea) vom 21. Juli 1960(4) sowie der Art. 82, 86, 87 und 89 der Neufassung des Allgemeinen Gesetzes über den Schutz der Verbraucher und Nutzer mit Nebengesetzen (texto refundido de la Ley General para la Defensa de los Consumidores y Usuarios y otras leyes complementarias).
7. Art. 97 LNA sieht vor:
„Das Beförderungsunternehmen ist verpflichtet, im Rahmen des Flugpreises neben den Fluggästen deren Gepäck mit den durch Rechtsverordnung festzulegenden Einschränkungen im Hinblick auf dessen Gewicht, unabhängig von der Anzahl der Gepäckstücke, und dessen Abmessungen zu befördern.
Übergepäck ist Gegenstand einer gesonderten Vereinbarung.
Gegenstände und Handgepäck, die der Reisende mit sich führt, sind nicht als Gepäck in diesem Sinne anzusehen. Das Beförderungsunternehmen ist verpflichtet, die Gegenstände und Gepäckstücke, die der Reisende mit sich führt, einschließlich der Artikel, die er in Flughafengeschäften erworben hat, kostenfrei in der Kabine als Handgepäck zu befördern. Die Beförderung dieser Gegenstände und Gepäckstücke kann nur aus Sicherheitsgründen, wegen des Gewichts oder der Größe des Gegenstands mit Rücksicht auf die Eigenschaften des Flugzeugs verweigert werden.“
8. Nach erfolgloser Rechtsbehelfseinlegung beim IGC erhob Vueling am 27. April 2012 Klage beim vorlegenden Gericht, da sie der Ansicht ist, dass die gegen sie verhängte verwaltungsrechtliche Sanktion gegen den Grundsatz der Preisfreiheit nach Art. 22 der Verordnung Nr. 1008/2008 verstoße.
9. Im Rahmen seiner Entscheidung geht das vorlegende Gericht davon aus, dass Art. 97 LNA das Recht des Fluggasts enthalte, ein Gepäckstück ohne Aufschlag oder Aufpreis zum Grundpreis des Flugscheins aufzugeben. Dieses Recht sei Teil der Legaldefinition des Luftbeförderungsvertrags und stelle eine folgerichtige und angemessene Maßnahme zum Schutz des Verbrauchers dar, die der im Recht der Europäischen Union verankerten Liberalisierung der Flugpreise nicht widerspreche.
10. Das vorlegende Gericht weist jedoch darauf hin, dass diese Ansicht nicht von allen spanischen Gerichten geteilt werde. Tatsächlich seien einige von ihnen vielmehr der Auffassung, dass es gemäß Art. 22 der Verordnung Nr. 1008/2008 zulässig sei, dass Luftfahrtunternehmen für die Aufgabe eines Gepäckstücks einen Aufschlag auf den Grundpreis des Flugscheins erhöben, und dass diese Bestimmung Vorrang vor den gegenteiligen spanischen Bestimmungen habe.
11. In diesem Zusammenhang hat der Juzgado de lo Contencioso-Administrativo n° 1 de Ourense das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist Art. 22 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1008/2008 dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung (Art. 97 [LNA]) entgegensteht, nach der Personenluftfahrtgesellschaften verpflichtet sind, Fluggästen in jedem Fall das Recht einzuräumen, ohne Aufpreis oder Aufschlag auf den Grundpreis des gebuchten Flugscheins einen Koffer aufzugeben?
12. In den vorliegenden Schlussanträgen werde ich darlegen, warum ich der Auffassung bin, dass es dem Unionsgesetzgeber durch das Zusammenspiel der Grundsätze der Art. 22 und 23 der Verordnung Nr. 1008/2008 gelingt, den Luftfahrtunternehmen eine Preisfreiheit zuzuerkennen, die sämtliche marktbestimmten Dienstleistungen, die mit der Durchführung des Luftbeförderungsvertrags verbunden sind, einschließlich Dienstleistungen wie Gepäckaufgabe, erfasst, und dabei zugleich die Rechte und Interessen des Verbrauchers durch die Festlegung zwingender Normen über seine Information zu schützen.
I – Meine Auslegung
13. Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof wissen, ob der in Art. 22 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1008/2008 aufgestellte Grundsatz der Preisfreiheit einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren entgegensteht, die den Luftfahrtgesellschaften die Erhebung fakultativer Zusatzkosten für die Gepäckaufgabe der Fluggäste untersagt.
14. Verstoßen Luftfahrtunternehmen wie Vueling, Ryanair Ltd, easyJet Airline Co. Ltd oder auch HOP! oder Germanwings mit anderen Worten gegen das Recht der Europäischen Union, wenn sie die Aufgabe des Gepäcks der Fluggäste als fakultative Leistung berechnen?
A – Vorbemerkungen
15. Diese Frage stellt sich aufgrund des Auftretens sogenannter „Low cost“-Fluggesellschaften ( Billigfluggesellschaften) auf dem Luftverkehrsmarkt, das auf die Liberalisierung und die Öffnung des Sektors für den Wettbewerb und auf die Entwicklung des Geschäftsmodells dieser Gesellschaften zurückzuführen ist.
16. Dieses Modell besteht nämlich darin, einer Kundschaft, die darauf bedacht ist, ihre Beförderungskosten für Linienflüge gering zu halten, auf Kurz- und Mittelstrecken besonders niedrige Preise anzubieten und dabei das gleiche Sicherheitsniveau wie jede andere Gesellschaft zu gewährleisten, jedoch einen in der Qualität eingeschränkten Service anzubieten. Zur Verfolgung einer Strategie möglichst niedriger Kosten konzentrieren sich die „Low cost“-Fluggesellschaften daher auf die wesentlichen Dienstleistungen. Indem sie für jede gewöhnlich im traditionellen Flugscheinpreis enthaltene Dienstleistung Kosten berechnen, wenden sie viel differenziertere und gestaffelte Preise an. So werden die traditionell von den etablierten Marktteilnehmern angebotenen Zusatzleistungen wie Sitzplatzreservierung, Gepäckbeförderung, Bordgastronomie oder die Zurverfügungstellung von Zeitungen zu fakultativen Dienstleistungen. Folglich ist es nicht immer leicht, die Zusatzkosten, die zu dem bei Beginn des Buchungsvorgangs angebotenen Kaufpreis hinzukommen, abzuschätzen und die angewandten Preise der verschiedenen Gesellschaften zu vergleichen.
17. Vueling vertreibt Flugreisen u. a. über ein Online-Portal. Wenn wir heute eine fiktive Flugreservierung über dieses Portal vornehmen, stellt sich ihre Geschäftsstrategie wie folgt dar.
18. Wählt der Kunde während des Buchungsvorgangs einen bestimmten Flug über dieses Portal aus, werden drei Preiskategorien in der Mitte der Website angezeigt, nämlich der „Basic“-Tarif, der „Optima“-Tarif und der „Excellence“-Tarif. Unter jedem dieser Tarife befindet sich eine Beschreibung der Vorteile, die sie gewähren und die, sofern erforderlich, symbolisch mit Logos dargestellt werden(7).
19. Nach dieser Beschreibung ermöglicht der „Basic“-Tarif eine Reise zum besten Preis. Er ist mit keinem besonderen Logo versehen.
20. Der „Optima“-Tarif wird grafisch durch einen Sitz, einen Koffer sowie durch ein Zifferblatt dargestellt. Er ermöglicht es u. a., ein Gepäckstück mit einem Höchstgewicht von 23 kg aufzugeben, in den vorderen oder hinteren Reihen des Flugzeugs einen Sitzplatz zu wählen und besondere Vorteile beim Einchecken und bei der Umbuchung des Flugscheins in Anspruch zu nehmen. Der „Excellence“-Tarif schließlich war am Tag der Abfassung der vorliegenden Schlussanträge grafisch durch einen Sitz, einen Koffer und ein Zifferblatt dargestellt. Er gewährt über den „Optima“-Tarif hinaus die Mitnahme eines Handgepäckstücks mit einem Höchstgewicht von 14 kg sowie die Inanspruchnahme eines Sitzplatzes in der ersten Reihe des Flugzeugs. Außerdem ermöglicht er dem Kunden einen Sofort-Check-in am Ende des Buchungsvorgangs, gewährt Zugang zur VIP-Lounge, eine bevorzugte Behandlung bei der Gepäckaufgabe sowie bei der Sicherheitskontrolle und beim Boarding. Er erlaubt ihm schließlich, ein Catering an Bord in Anspruch zu nehmen, den Flug umzubuchen, bei einer etwaigen Stornierung eine Rückerstattung zu erhalten und Treuepunkte zu sammeln.
21. Wählt der Kunde den „Basic“-Tarif für die gesamte Reise, so erscheint auf der rechten Seite der Website unter der Überschrift „Ihre Reiseroute“ eine Aufstellung der Kosten. Diese Aufstellung enthält neben dem „Basic“-Flugtarif, in dem die Steuern enthalten sind, eine Bearbeitungsgebühr sowie gegebenenfalls Zusatzkosten bei Zahlung mit Kreditkarte. Die Gesamtsumme dieser Kosten stellt einen „Endpreis“ dar. Um die Buchung fortsetzen zu können, muss der Kunde sodann seine persönlichen Daten angeben. Anschließend muss er die „ Beförderungsbedingungen“ sowie die „Nutzungsbedingungen der Website“ anerkennen. In Punkt 8.4 der „Beförderungsbedingungen“, der das Gepäck betrifft, heißt es:
„Mit dem Basic-Tarif unterliegt die Aufgabe eines Gepäckstücks von bis zu 23 kg pro Fluggast der Zahlung eines variablen Aufpreises nach Maßgabe der besonderen Merkmale jedes Fluges. Im Optima- und im Excellence-Tarif ist die Aufgabe eines Gepäckstücks von bis zu 23 kg pro Fluggast im Preis inbegriffen.
Mit jedem der Tarife kann der Passagier mehr als ein Gepäckstück von bis zu 23 kg aufgeben, wenn er den entsprechenden Aufpreis pro Gepäckstück bezahlt. Das Gewicht eines aufgegebenen Gepäckstücks kann gegen entsprechenden Aufpreis und bis zu einer Obergrenze von 32 kg pro Gepäckstück erhöht werden
…“
22. Nachdem er diese Bedingungen anerkannt hat, wird der Kunde aufgefordert, den Buchungsvorgang fortzuführen, indem er auf den Reiter „Personalisieren Sie Ihren Flug“ klickt. Damit bietet Vueling zur Vervollständigung der Luftverkehrsdienstleistung verschiedene Leistungen an, die der Kunde ablehnen oder gegen Zahlung fakultativer Zusatzkosten auswählen kann. In diesem Stadium kann der Kunde zum Beispiel „ab“ 13 Euro (Grundgebühr) wählen, ein Gepäckstück aufzugeben oder mit einem Haustier zu reisen. Im Verlauf jeder dieser Etappen ändert sich der ausgewiesene „Endpreis“ gemäß der vom Kunden gewählten Option. Der Kunde kann dann seine Buchung abschließen, indem er einen einzigen Betrag zahlt, der dem Gesamtreisepreis entspricht.
23. Wie Vueling in ihren Erklärungen(8) ausführt, besteht das Ziel somit darin, den Kunden durch die Segmentierung des Angebots eine auf sie persönlich zugeschnittene Luftverkehrsdienstleistung anzubieten, die ihren Bedürfnissen und finanziellen Mitteln entspricht. Die Umsetzung dieser Strategie bedeutet zum einen, die wesentlichen Elemente der Luftverkehrsdienstleistung von den Nebenelementen zu unterscheiden, aus denen sich diese Dienstleistung zusammensetzt, und zum anderen, die Nebenelemente in fakultative Elemente umzuwandeln, so dass die Kunden diese Optionen durch ausdrückliche Annahme auf „Opt-in“-Basis wählen können, wenn sie es für erforderlich halten. Reisen zum Bestpreis, wie es der „Basic“-Tarif ermöglicht, bedeutet demnach, auf eine gewisse Anzahl von Dienstleistungen zu verzichten, die hingegen in den höheren Tarifen „Optima“ oder „Excellence“ enthalten sind.
24. Die Strategie einer „Low cost“-Gesellschaft kann also wie folgt zusammengefasst werden:
„Damit ein Kunde von einem äußerst attraktiven Preis profitieren kann, übernimmt (die Fluggesellschaft) die Beförderung, jedoch nur die Beförderung“.
25. Kann das Recht der Union, namentlich Art. 22 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1008/2008, dieses Wirtschaftsmodell in Frage stellen? Läuft eine solche Strategie, nach der fakultative Zusatzkosten für Dienstleistungen wie die Gepäckaufgabe erhoben werden, den Rechten der Verbraucher und den vom Unionsgesetzgeber im Rahmen dieser Verordnung festgelegten Regeln zuwider?
26. Ich denke nicht.
27. Gewiss haben die Liberalisierung des Luftverkehrsmarkts und die Deregulierung des Sektors zu missbräuchlichen und irreführenden Geschäftspraktiken seitens der Luftfahrtgesellschaften und insbesondere der „Low cost“-Fluggesellschaften geführt. Viele von ihnen wurden wegen für rechtswidrig oder missbräuchlich erklärter Klauseln in ihrem Beförderungsvertrag oder wegen der Beschäftigungsbedingungen ihres Personals verurteilt. Sie leiden daher unter einem schlechten Image, zumal sie auf einem Modell beruhen, das mit dem traditionellen Kodex des Luftverkehrs bricht. Viele Fluggäste sind folglich überrascht, Preisaufschläge für Leistungen zahlen zu müssen, die bislang vollständig im Grundpreis des Flugscheins enthalten waren. Ist dies die Folge der Liberalisierung des Marktes? Offensichtlich ja. Diese vom Unionsgesetzgeber seit 1987 betriebene Liberalisierung hatte zum Ziel, die nationalen Märkte aufzubrechen und die Wettbewerbsfähigkeit der Luftfahrtgesellschaften zu verbessern, indem der Markt für die Konkurrenz geöffnet und die den Mitgliedstaaten bis dahin zustehende Regelungsbefugnis beschränkt wurde. Bezweckt waren schlussendlich eine größere Diversifizierung des Angebots sowie eine Festsetzung niedrigerer Preise zugunsten der Verbraucher.
28. Es steht außer Frage, dass dieses Ziel erreicht wurde. Das Auftreten neuer Gesellschaften auf dem Luftverkehrsmarkt zwang die etablierten Marktteilnehmer – denen man zuvor noch vorgeworfen hatte, ihre beherrschende Stellung auszunutzen oder Preisabsprachen zu treffen – dazu, ihre Preisfestsetzung zu überprüfen. Die Flugpreise gingen daraufhin substanziell zurück und ermöglichten es dadurch Verbrauchern, die bis dahin nicht die erforderlichen Mittel gehabt hatten, zu reisen und das Flugzeug zu nehmen. Diese Liberalisierung hat also dazu beigetragen, die Bedürfnisse einer Kundschaft, die in ihrer Kaufkraft beschränkt ist, zu befriedigen. Die „Low cost“-Fluggesellschaften haben ihre Kundschaft gefunden, und die etablierten Marktteilnehmer – die Air France SA mit der von ihr gegründeten Tochtergesellschaft HOP! und die Deutsche Lufthansa AG mit Germanwings – lancieren zurzeit ihre Versionen des „Low cost“-Modells.
29. Die Deregulierung des Sektors hat also gewiss zu Exzessen seitens der etablierten Luftfahrtunternehmen und der „Low cost“-Gesellschaften geführt; die Verurteilungen von easyJet Airline Co. Ltd, Ryanair Ltd, Brussels Airlines oder auch von Air France SA zeigen uns dies zur Genüge. Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, dass die Liberalisierung des Marktes durch die Stimulierung des Wettbewerbs und die Öffnung des Marktes für neue Wirtschaftsteilnehmer schließlich über eine spürbare Preissenkung zu zahlreichen Vorteilen für den Verbraucher geführt hat.
30. Hinsichtlich der Preisfestsetzung für die Luftverkehrsdienste und insbesondere für diejenigen, die die Gepäckaufgabe betreffen, darf man also in der Debatte den zentralen Punkt nicht aus den Augen verlieren. Auch wenn es völlig legitim ist, die Wirtschaftspraktiken der Luftfahrtunternehmen neu gestalten zu wollen, ändert dies nichts daran, dass die Verordnung Nr. 1008/2008 eine Deregulierung des Sektors durch die Anerkennung einer Preisfreiheit für die Unternehmen anstrebt. In der vorliegenden Rechtssache stellt sich somit die Frage, ob die Erhebung von Kosten für die Aufgabe eines Gepäckstücks in Form von fakultativen Zusatzkosten in den Anwendungsbereich dieser Freiheit fällt oder ob es sich um eine rechtswidrige Praxis handelt, die nach den allgemeinen und besonderen, im Verbraucherschutzrecht vorgesehenen Bestimmungen zu erfassen ist. Keinesfalls kann die Frage jedoch dazu herangezogen werden, eine Regulierung wieder einzuführen, die der Unionsgesetzgeber bewusst abschaffen wollte, es sei denn, sie will sich an dessen Stelle setzen.
31. In der vorliegenden Rechtssache bin ich der Ansicht, dass die fakultative Kostenerhebung in den Bereich der vom Unionsgesetzgeber in Art. 22 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1008/2008 anerkannten Preisfreiheit fällt.
B – Meine Auslegung der Vorschriften
32. Um zu diesem Ergebnis zu kommen, sind die klassischen Auslegungsmethoden, zu denen die teleologische Methode gehört, anzuwenden. Wie wir sehen werden, sind die vom Unionsgesetzgeber in Art. 2 Nr. 18 und Art. 22 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1008/2008 verwendeten Begriffe überaus weit, um nicht zu sagen ungenau.
33. Es ist ganz offensichtlich, dass das im Rahmen der Verordnung Nr. 1008/2008 errichtete System die Liberalisierung des Luftverkehrsmarkts bezweckt. Diese Entwicklung begann mit der Verordnung (EWG) Nr. 2409/92 des Rates vom 23. Juli 1992 über Flugpreise und Luftfrachtraten und sollte über die Öffnung des Marktes für die Konkurrenz in eine größere Diversifizierung des Angebots sowie eine den Verbrauchern zugutekommende Festsetzung niedrigerer Preise münden.
34. Zu diesem Zweck räumte der Unionsgesetzgeber den Luftfahrtunternehmen vollständige Preisfreiheit für die „Flugpreise“ ein. Er beschränkte daher die unumschränkte Souveränität, über die die Mitgliedstaaten in diesem Bereich bis dahin verfügten, indem er die Befugnis der Mitgliedstaaten zur Genehmigung der Preise durch eine einfache vorherige Mitteilung ersetzte und ihr Eingreifen auf die Fälle beschränkte, in denen das Niveau der Preise entweder so überhöht war, dass es die Nutzer bestrafte, oder es sich immer weiter abwärts bewegte, um diese Entwicklungen abzustellen.
35. Die Verordnung Nr. 1008/2008 hat gemäß Art. 1 Abs. 1 auch die Preisfestsetzung für innergemeinschaftliche Flugdienste zum Ziel.
36. In Art. 22 Abs. 1 der Verordnung bekräftigt der Unionsgesetzgeber den Grundsatz der Preisfreiheit der „Flugpreise“. Er setzt damit die Bewegung der Deregulierung des Sektors fort und schränkt den Handlungsbereich der Mitgliedstaaten weiter ein, indem Maßnahmen wie die vorherige Mitteilung der Preise sowie die erwähnten Schutzklauseln aufgehoben werden.
37. In Art. 23 der Verordnung führt der Unionsgesetzgeber spezifische Bestimmungen zum Schutz des Verbrauchers gegen missbräuchliche und irreführende Praktiken der Luftfahrtunternehmen ein. Wie wir sehen werden, ist die Preisfreiheit also mit einer Verpflichtung zur Klarheit in Bezug auf die Einzelheiten der erbrachten Leistungen versehen, so dass das Preisniveau vom Nutzer bei einem Vergleich der konkurrierenden Angebote genau beurteilt werden kann. Erreichen lässt sich dies nur zum Preis einer relativen Komplexität, die nach meinem Verständnis gerade die Folge des Geistes des Systems ist, das der Unionsgesetzgeber errichten wollte, um das Ziel, das er sich gesetzt hat, nämlich die Diversifizierung der Angebote und folglich eine große Vielfalt von Dienstleistungen, die an die Kaufkraft des Nutzers angepasst sind, zu erreichen.
38. Ich untersuche nun im Einzelnen jeden der Grundsätze, auf denen die Preisfestsetzung der Luftverkehrsdienste beruht.
1. Der Grundsatz der Preisfreiheit
39. Wie ausgeführt, bekräftigt der Unionsgesetzgeber in Art. 22 Abs. 1 den Grundsatz der Preisfreiheit der „Flugpreise“. Bevor die Tragweite dieses Grundsatzes genauer untersucht wird, sind zunächst die zwei folgenden Beobachtungen zu machen.
40. Erstens definiert der Unionsgesetzgeber den Begriff „Preis“ nicht. Im Rahmen der vorliegenden Schlussanträge werde ich gleichwohl davon ausgehen, dass dieser Begriff den Preis einer Beförderung bezeichnet, den der Fluggast für Strecken, Flüge, Daten und gegebenenfalls für eine Reservierungsklasse zu zahlen hat.
41. Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass die Preisfreiheit keine Anwendung auf die Preise der Flugdienste findet, die unter gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen fallen; dies ergibt sich aus Art. 22 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1008/2008. Diese Freiheit findet ebenfalls keine Anwendung auf von der öffentlichen Hand oder den Flughafenbetreibern erhobene Abgaben, d. h. auf Steuern, Flughafengebühren sowie Zuschläge und Entgelte, wie etwa diejenigen, die mit der Sicherheit oder dem Kraftstoff in Zusammenhang stehen, die aufgrund ihrer Natur nicht in das freie Ermessen der Wirtschaftsteilnehmer fallen können und die der Unionsgesetzgeber speziell und gesondert in Art. 23 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1008/2008 aufführt.
42. Dies vorausgeschickt erscheint mir die Freiheit, über die die Luftfahrtunternehmen hinsichtlich der Preise ihrer Dienstleistungen verfügen, mit Ausnahme dieser zwei Kostengruppen umfassend.
43. Als Erstes verwendet der Unionsgesetzgeber einen besonders weiten Begriff, um die materielle Reichweite dieser Freiheit zu definieren.
44. In der französischen Fassung der Verordnung Nr. 1008/2008 gilt die Preisfreiheit für die „tarifs des passagers“ (Preise für die Fluggäste), einen Begriff, der als solcher sehr weit gefasst ist. In der deutschen und englischen Fassung verwendet der Unionsgesetzgeber einen noch allgemeineren Ausdruck, da er die Ausdrücke „Flugpreise“ bzw. „air fares“ (Flugpreise) verwendet, die den „Flugtarif“ betreffen. Die spanische Fassung geht schließlich sogar bis zur Verwendung des Ausdrucks „tarifas … de los servicios aéreos“ (Tarife der Luftverkehrsdienstleistungen).
45. Außerdem werden diese „Flugpreise“ oder auch „Flugtarife“ unabhängig von ihrer Sprachfassung einheitlich in Art. 2 Nr. 18 der Verordnung Nr. 1008/2008 als „Preise, die für die Beförderung von Fluggästen im Flugverkehr an Luftfahrtunternehmen … zu zahlen sind, sowie etwaige Bedingungen, unter denen diese Preise gelten, einschließlich des Entgelts und der Bedingungen, die Agenturen und anderen Hilfsdiensten geboten werden“ definiert.
46. Mit dem Begriff „Preise, die für die Beförderung von Fluggästen … zu zahlen sind“ im Sinne von Art. 2 Nr. 18 der Verordnung lassen sich sämtliche Nettokosten erfassen, die durch die Erbringung der Beförderungsleistung von der Buchung des Fluges durch den Kunden bis zur Gepäckausgabe an den Gepäckausgabebändern entstehen. Die Durchführung eines Luftbeförderungsvertrags umfasst nämlich zahlreiche Dienstleistungen, zu denen das Einchecken, das Einsteigen und die Betreuung der Fluggäste an Bord des Flugzeugs, ihre Beförderung und die ihres Gepäcks vom Abflugsort zum Ankunftsort gehören, unter Gewährleistung der Sicherheit, der Übernahme der Verantwortung für die Fluggäste während des Fluges, bei der Landung und schließlich für die Ausgabe ihres Gepäcks. Alle diese Dienstleistungen bringen Kosten mit sich, die nicht nur mit der Beförderung des Fluggasts im engen Sinn, sondern auch mit der Bearbeitung seiner Buchung, der Ausgabe seines Flugscheins, der Nutzung und Wartung der Maschine und der Flughafeninfrastrukturen sowie der Abfertigung des Gepäcks im Zusammenhang stehen. Für eine ordnungsgemäße Durchführung des Luftbeförderungsvertrags setzen sie auch den Einsatz von Fachleuten wie Handelsvertretern, Besatzung und Bodenpersonal, Mechanikern und anderem Abfertigungspersonal voraus.
47. Außerdem beschränkt sich der Unionsgesetzgeber nicht darauf, den „Prei[s], [der] für die Beförderung von Fluggästen … zu zahlen [ist]“ zu bestimmen. Er bezieht sich nämlich ausdrücklich auf die mit den Preisen im Zusammenhang stehenden „Entgelt[e der] Agenturen und anderen Hilfsdienst[e]“, was weit über die Kosten hinaus geht, die im engen Sinn unmittelbar mit der Durchführung des Luftbeförderungsvertrags in Zusammenhang stehen. Ich meine nicht, dass der Begriff „andere Hilfsdienste“ im Sinne von Art. 2 Nr. 18 der Verordnung Nr. 1008/2008 notwendigerweise an die von Agenturen angebotenen Dienste anknüpft. Dieser Begriff kann folglich eine große Vielzahl von Dienstleistungen erfassen.
48. Nach alledem bin ich der Ansicht, dass der Begriff des Flugpreises eine große Bandbreite von marktbestimmten Dienstleistungen umfasst, unabhängig davon, ob es sich um obligatorische oder unerlässliche Dienste für die Beförderung des Fluggasts oder um Nebenleistungen handelt, die Gegenstand fakultativer Zusatzkosten sein können.
49. Hinsichtlich der Preisfestsetzung im Zusammenhang mit der Gepäckaufgabe besteht meiner Ansicht nach kein Zweifel, dass sie von diesem Begriff erfasst wird und somit unter die in Art. 22 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1008/2008 genannte Preisfreiheit fällt. Denn ein Gepäckstück stellt, wie gesagt, eine marktbestimmte Dienstleistung dar, die Kosten für das Luftfahrtunternehmen mit sich bringt, da für das Gepäckstück Bearbeitungsgebühren, Sortier-, Lager-, Ausgabekosten, sogar Überwachungskosten anfallen.
50. Als Zweites fallen unter die den Luftfahrtunternehmen gewährte Preisfreiheit auch die Modalitäten der Anwendung der Flugpreise. Vorbehaltlich der Einhaltung der Regeln, die in Art. 23 der Verordnung Nr. 1008/2008 hinsichtlich der Information des Verbrauchers vorgesehen sind, sind die Luftfahrtunternehmen insoweit frei, die Bedingungen, an die sie ihre Preise knüpfen, festzulegen. Mit anderen Worten sind die Luftfahrtunternehmen, mit Ausnahme der Fluglinien, die eine öffentliche Aufgabe erfüllen, frei, die Bandbreite ihrer Dienstleistungen, die sie in ihren Luftbeförderungsvertrag aufnehmen wollen, zu bestimmen und festzulegen, in welcher Weise sie diese in Rechnung stellen wollen, ohne dass die Mitgliedstaaten insoweit ein Kontrollrecht haben. Wie die Europäische Kommission in ihren Erklärungen ausführt, verfügen die Mitgliedstaaten nach dieser Verordnung weder über die Befugnis, die für den Preis des Flugscheins geltenden Tarifbedingungen im Einzelnen festzulegen, noch können sie die Leistungen näher bestimmen, die im Flugscheinpreis enthalten sind. Vor dem Hintergrund dieser Regelung sind die verschiedenen Wirtschaftsmodelle und Wettbewerbsstrategien der Luftfahrtgesellschaften zu sehen, die sich entscheiden können, diese Modelle und Strategien zu diversifizieren und ihre Angebote zu segmentieren.
51. Folglich haben die Luftfahrtunternehmen bei der Preisfestsetzung für ein aufgegebenes Gepäckstück die Wahl, soweit diese Dienstleistung nicht durch Sicherheitsvorschriften wie beispielsweise die Verfügbarkeit eines Sitzplatzes vorgeschrieben ist.
52. Sie können sich dafür entscheiden, die Kosten dieser Dienstleistung in den Grundpreis des Flugscheins einzurechnen, wie es die Mehrheit der etablierten Marktteilnehmer macht, die die Qualität ihrer Dienstleistungen angesichts der Konkurrenz durch die „Low cost“-Fluggesellschaften hervorheben und ausbauen wollen.
53. Die Luftfahrtunternehmen können sich auch dafür entscheiden, die Kosten, die mit der Abfertigung, Sortierung, Beförderung und Ausgabe des Gepäcks verbunden sind, zu senken, indem sie diese Leistung für das Basisangebot abschaffen und sie gegen Zahlung fakultativer Zusatzkosten anbieten. Eine solche Praxis ermöglicht es, einen Flug zu günstigeren Preisen als denen anderer Gesellschaften anzubieten, und fügt sich in die marktbestimmte Logik der Verordnung Nr. 1008/2008 ein, vor allem aber ermöglicht sie es, einen Preis zu garantieren, der den Leistungen, die der Nutzer nachfragt, angemessen ist.
54. Eine solche Auslegung ist auf Handgepäck (oder Kabinengepäck) ganz offensichtlich nicht anwendbar, da das Luftfahrtunternehmen hierfür aus zwei Gründen Unentgeltlichkeit sicherstellen muss. Zum einen unterliegt das Handgepäck im Unterschied zu einem aufgegebenen Gepäckstück der alleinigen Verantwortung des Fluggasts. Es gehört auch nicht zu den marktbestimmten Dienstleistungen, die vom Luftfahrtunternehmen erbracht und die von der Verordnung Nr. 1008/2008 erfasst werden, da es anders als ein aufgegebenes Gepäckstück keine Kosten für Aufgabe, Ablaufverfolgung und Lagerung verursacht.
55. Zum anderen gehört die Möglichkeit, persönliche Gegenstände, die man als sehr wertvoll und absolut unerlässlich ansieht, unter eigener Aufsicht mit sich zu führen, zur Würde des Menschen, wie dies das vorlegende Gericht in seiner Vorlageentscheidung anerkennt. Unter diesen Umständen könnte ich dem Grundsatz der Preisfestsetzung für Kabinengepäck nicht, auch in der Zukunft nicht, folgen.
56. Nach alledem bin ich daher der Ansicht, dass Art. 22 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1008/2008 es nicht verwehrt, dass eine Luftfahrtgesellschaft wie Vueling für die Aufgabe des Gepäcks Kosten in Form von fakultativen Zusatzkosten erhebt.
57. Sollte der Gerichtshof diese Auffassung nicht teilen und die Aufgabe eines Gepäckstücks für eine obligatorische Leistung halten, für die die Kosten im Grundpreis des Flugscheins enthalten sind, wäre es erforderlich, den Inhalt dieser Leistung allgemein zu definieren. Dazu müsste der Gerichtshof für die 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Größe sowie das erlaubte Höchstgewicht eines Gepäckstücks unter Berücksichtigung der Sicherheitsbedingungen für den voraussichtlich verwendeten Flugzeugtyp festlegen. Es ist offensichtlich, dass eine solche Entscheidung, die die Definition technischer Regeln für die Gepäckaufgabe beträfe, weder zu seinen Befugnissen gehört, noch in seinen Aufgabenbereich fällt.
58. Im Übrigen erschiene mir ein solcher Ansatz schwer vereinbar mit den Erfordernissen des freien Wettbewerbs und des Verbraucherschutzes, auf denen die Verordnung Nr. 1008/2008 beruht. Zum einen würde ein solcher Ansatz unabhängig von der Form, die eine solche Definition hätte, zu einer Beschränkung des Wettbewerbs bei einer marktbestimmten Dienstleistung führen, was die praktische Wirksamkeit dieser Verordnung offenkundig beeinträchtigen würde. Zum anderen hinderte er an der Festsetzung von Preisen, die den vom Nutzer nachgefragten Leistungen angemessen sind, was dazu führen würde, dass ein Fluggast, der nur mit seinem Handgepäck reist, die mit der Gepäckaufgabe seines Nachbarn verbundenen Kosten zu tragen hätte, was meines Erachtens dem Verbraucherschutz zuwiderliefe.
2. Der Schutz der Verbraucherrechte
59. Der Unionsgesetzgeber hat die den Luftfahrtunternehmen zuerkannte Preisfreiheit durch die Verpflichtung beschränkt, die in Art. 23 der Verordnung Nr. 1008/2008 genannten Erfordernisse des Schutzes der Verbraucherrechte einzuhalten.
60. Unter der Überschrift „Information und Nichtdiskriminierung“ bestimmt Art. 23 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1008/2008:
„Die in der Öffentlichkeit zugänglichen Flugpreise …, die in jedweder Form – auch im Internet – für Flugdienste von einem Flughafen im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, auf das der Vertrag Anwendung findet, angeboten oder veröffentlicht werden, schließen die anwendbaren Tarifbedingungen ein. Der zu zahlende Endpreis ist stets auszuweisen und muss den anwendbaren Flugpreis … sowie alle anwendbaren Steuern und Gebühren, Zuschläge und Entgelte, die unvermeidbar und zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vorhersehbar sind, einschließen. Neben dem Endpreis ist mindestens Folgendes auszuweisen:
- a) der Flugpreis …,
- b) die Steuern,
- c) die Flughafengebühren und
- d) die sonstigen Gebühren, Zuschläge und Entgelte, wie etwa diejenigen, die mit der Sicherheit oder dem Kraftstoff in Zusammenhang stehen,
soweit die unter den Buchstaben b, c und d genannten Posten dem Flugpreis … hinzugerechnet wurden. Fakultative Zusatzkosten werden auf klare, transparente und eindeutige Art und Weise am Beginn jedes Buchungsvorgangs mitgeteilt; die Annahme der fakultativen Zusatzkosten durch den Kunden erfolgt auf ‚Opt-in‘-Basis.“
61. Diese Bestimmung über die Preisfestsetzung der Luftverkehrsdienste geht als lex specialis den allgemeinen Regelungen vor, die in der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates(17) genannt sind. Sie soll eine größere Transparenz des von den Luftfahrtunternehmen festgelegten Preises gewährleisten, um einen umfassenderen Schutz des Verbrauchers vor irreführenden und missbräuchlichen Geschäftspraktiken, die allzu oft von den Fluggästen beanstandet werden, zu garantieren.
62. Es erübrigt sich zu erwähnen, dass der Preis das entscheidende Kriterium für den Fluggast bei der Wahl des Luftfahrtunternehmens ist. Es besteht ein großer Unterschied zwischen dem Preis des Flugscheins und dem vom Fluggast am Ende des Buchungsvorgangs zu zahlenden Gesamtpreis aufgrund der erheblichen Kosten weiterer Komponenten, insbesondere Steuern, Gebühren und anderer fakultativer Zuschläge.
63. Außerdem haben die Geschäftspraktiken, aber auch die verschiedenen den Luftfahrtgesellschaften auferlegten Abgaben zu einem enormen Anstieg der Preiskomponenten bei den Flugscheinen der Fluggäste geführt, was nicht zu einer Transparenz der Tarifgestaltungen beiträgt.
64. Schließlich werden gewisse Kosten aus Marketinggründen verdeckt, was in Widerspruch zu der Notwendigkeit steht, die festgelegten Preise auf transparente Weise mitzuteilen.
65. Der Unionsgesetzgeber trifft somit in Art. 23 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1008/2008 eine klare Unterscheidung zwischen einerseits dem Flugpreis, den Steuern und den sonstigen Gebühren, die unvermeidbar und zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vorhersehbar sind, und andererseits den fakultativen Zusatzkosten.
66. Hinsichtlich der Flugpreise, der Steuern und sonstigen Arten von Gebühren ist das Luftfahrtunternehmen verpflichtet, die Bedingungen für die Anwendung jedes dieser Tarife unabhängig von ihrer Ausgestaltung und dem Medium, über das sie veröffentlicht werden, anzugeben.
67. Hinsichtlich der fakultativen Zusatzkosten hat der Gerichtshof im angeführten Urteil ebookers.com Deutschland ausgeführt, dass das Luftfahrtunternehmen garantieren muss, dass sie auf klare, transparente und eindeutige Art und Weise zu Beginn jedes Buchungsvorgangs mitgeteilt werden, und sich vergewissern muss, dass der Kunde in die Lage versetzt wird, die fragliche Leistung auf „Opt-in“-Basis anzunehmen oder abzulehnen.
68. Auf diese Weise kann ein Luftfahrtunternehmen zwar im Rahmen der Preisfreiheit, die ihm in Art. 22 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1008/2008 zuerkannt wird, Kosten für die Aufgabe eines Gepäckstücks in Form von fakultativen Zusatzkosten berechnen, es muss jedoch die speziell in Art. 23 Abs. 1 der Verordnung genannten Erfordernisse über die Information des Verbrauchers in jedem Fall einhalten.
69. Es ist nunmehr zu prüfen, ob diese Bestimmungen einer nationalen Regelung wie derjenigen des Art. 97 LNA entgegenstehen. Diese Vorschrift wird, wie gesagt, vom vorlegenden Gericht dahin ausgelegt, dass sie den Luftfahrtunternehmen untersagt, Kosten für die Aufgabe des Gepäcks der Fluggäste durch eine Erhöhung des Grundpreises des Flugscheins zu erheben.
70. Legt man die Regelung in diesem Sinne aus, so ist sie mit dem Unionsrecht offensichtlich nicht vereinbar. Sie führt nämlich eine staatliche Regulierung wieder ein, die der Unionsgesetzgeber im Rahmen der Verordnung Nr. 1008/2008 durch eine Deregulierung und eine Liberalisierung des Sektors bewusst abschaffen wollte. Wie ich bereits ausgeführt habe, haben die Mitgliedstaaten mit Ausnahme der Fluglinien, die eine öffentliche Aufgabe erfüllen, kein Kontrollrecht mehr in Bezug auf das von den Luftfahrtunternehmen festgelegte Preisniveau, die anwendbaren Tarifbedingungen und die Natur der Dienstleistungen, die in den Grundpreis des Flugscheins einbezogen werden können.
71. Darüber hinaus leitet eine solche Regelung die Harmonisierung ein, die der Gesetzgeber mit der Einführung von „gemeinsamen Vorschriften für die Durchführung von Luftverkehrsdiensten in der Gemeinschaft“ gemäß der Überschrift der Verordnung Nr. 1008/2008 bezweckt. Aus den Erwägungsgründen 2, 5, 16 und 18 dieser Verordnung geht hervor, dass eine effizientere, durchgängigere und einheitlichere Anwendung der Rechtsvorschriften der Union für den Luftverkehrsbinnenmarkt erreicht werden soll, zum einen, um Wettbewerbsverzerrungen aufgrund der unterschiedlichen Anwendung der Vorschriften auf nationaler Ebene zu verhindern, und zum anderen, um die Verbraucher in die Lage zu versetzen, die Preise der Flugdienste effektiv zu vergleichen. Da der Luftverkehr seiner Art nach ein internationaler Markt ist, auf dem die Luftfahrtgesellschaften im gleichen Umfang über Buchungsmaschinen tätig werden, die heutzutage keinen Landesgrenzen mehr unterliegen, ist es erforderlich, dass ihr Handeln angesichts der vom Unionsgesetzgeber verfolgten Ziele durch für alle Mitgliedstaaten der Union gemeinsame Rechtsvorschriften wirksam geleitet wird. Eine Regelung wie die in Rede stehende läuft diesen Zielen offensichtlich zuwider.
72. Folglich und angesichts dieser Erwägungen bin ich der Ansicht, dass der in Art. 22 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1008/2008 genannte Grundsatz der Preisfreiheit einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren entgegensteht, die den Luftfahrtunternehmen die Erhebung fakultativer Zusatzkosten für die Gepäckaufgabe der Fluggäste untersagt.
73. Ich meine jedoch, dass es Aufgabe der zuständigen nationalen Stellen ist, sich zu versichern, dass die Luftfahrtunternehmen bei der Erhebung von Kosten für eine solche Leistung die ihnen gemäß Art. 23 Abs. 1 der Verordnung obliegenden Anforderungen in Bezug auf den Schutz der Verbraucherrechte einhalten, indem sie auf klare, transparente und eindeutige Art und Weise am Beginn des Buchungsvorgangs durch den Kunden die Modalitäten der Preisfestsetzung im Zusammenhang mit der Gepäckaufgabe mitteilen und es dem Kunden ermöglichen, die fragliche Leistung auf „Opt‑in“‑Basis anzunehmen oder abzulehnen.
74. Im Rahmen der vorliegenden Rechtssache ist es somit Sache des vorlegenden Gericht zu prüfen, ob Vueling diese Anforderungen in Bezug auf Frau Arias Villegas eingehalten hat.
II – Ergebnis
75. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Frage des Juzgado de lo Contencioso-Administrativo n° 1 de Ourense wie folgt zu beantworten:
Der in Art. 22 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1008/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. September 2008 über gemeinsame Vorschriften für die Durchführung von Luftverkehrsdiensten in der Gemeinschaft genannte Grundsatz der Preisfreiheit ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, die den Luftfahrtunternehmen die Erhebung fakultativer Zusatzkosten für die Gepäckaufgabe der Fluggäste untersagt.
Es ist jedoch Sache der zuständigen nationalen Stellen, sich zu versichern, dass die Luftfahrtunternehmen bei der Erhebung von Kosten für eine solche Leistung die ihnen gemäß Art. 23 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1008/2008 obliegenden Anforderungen in Bezug auf den Schutz der Verbraucherrechte einhalten, indem sie auf klare, transparente und eindeutige Art und Weise am Beginn des Buchungsvorgangs durch den Kunden die Modalitäten der Preisfestsetzung im Zusammenhang mit der Gepäckaufgabe mitteilen und es dem Kunden ermöglichen, die in Rede stehende Leistung auf „Opt-in“-Basis anzunehmen oder abzulehnen.