Verspätung und Rechtsfolgen: Schadensersatz statt der Leistung
Im Fall einer Abflugverspätung, stehen dem Fluggast bei Vorliegen der Voraussetzungen eventuell Schadensersatzansprüche gegen das Luftfahrtunternehmen zu. Einige Voraussetzungen sind identisch mit denen des Rücktritts. Die genauen Voraussetzungen für den Schadensersatz statt der Leistung ergeben sich aus §§ 280 Abs. 1, 3, 281 Abs. 1 BGB.
Voraussetzungen des Schadensersatzes statt der Leistung
Schuldverhältnis
Erste Voraussetzung zur Begründung des Anspruchs auf Schadensersatz statt der Leistung ist das Vorliegen eines Schuldverhältnisses. Ein Schuldverhältnis ist ein Rechtsgeschäft zwischen mindestens zwei Parteien, bei dem sich zumindest eine der Parteien zur Leistung oder Rücksicht gegenüber der anderen verpflichtet. Bei einem Luftbeförderungsvertrag verpflichtet sich der Luftfrachtführer zur Beförderung und der Fluggast zur Zahlung des Beförderungsentgeltes. Die Parteien sind also gegenseitig zur Leistung verpflichtet. Daraus folgt, dass es sich bei dem Luftbeförderungsvertrag um ein solches Schuldverhältnis handelt.
Pflichtverletzung in Form der Leistungsverzögerung
Weiterhin ist eine Pflichtverletzung erforderlich. Diese kann gemäß § 281 Abs. 1 S. 1 BGB in einer Verzögerung der Leistung bestehen. Eine Leistungsverzögerung liegt vor, wenn die Leistung bei Fälligkeit nicht erbracht wird. Fällig ist die Leistung zur vereinbarten Leistungszeit. Diese ist im Regelfall die vereinbarte Abflugzeit. Wird diese überschritten, ist von einer Leistungsverzögerung auszugehen. Allerdings muss hier in analoger Anwendung des § 281 Abs. 1 S. 3 BGB eine Unerheblichkeitsgrenze beachtet werden. Diese liegt im Regelfall bei ca. 15 Minuten. Sollten die 15 Minuten nach der Abflugzeit überschritten werden, dann ist die Leistungsverzögerung nicht mehr unerheblich und erfüllt die Voraussetzung der Pflichtverletzung in Form einer Leistungsverzögerung.
Nachfristsetzung
Des Weiteren ist der fruchtlose Ablauf einer angemessenen Nachfrist erforderlich. Diese ist gemäß § 281 Abs. 2 Var. 2 BGB entbehrlich, wenn besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die sofortige Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs rechtfertigen. Diese besonderen Umstände sind wie beim Rücktritt gegeben. Auch die sofortige Geltendmachung des Schadensersatzanspruches nach einer automatisch laufenden Nachfrist, wie es bei dem Rücktritt der Fall ist, ist hier aus praktischen Gründen möglich. Geringfügige Überschreitungen der Nachfrist müssen aber wegen § 242 BGB unbeachtlich bleiben. Fraglich ist, ob auch bereits vor Fälligkeit der Leistung Schadensersatz statt der Leistung geltend gemacht werden kann. Im Rahmen der Schadensersatzsprüche fehlt ein dem § 323 Abs. 4 BGB entsprechende Regelung. Es herrscht jedoch Einigkeit darüber, dass dem Gesetzgeber dabei ein Fehler unterlaufen ist. Aus diesem Grund nimmt die herrschende Meinung eine analoge Anwendung des § 323 Abs. 4 BGB an, weshalb eine Geltendmachung des Schadensersatzes statt der Leistung vor Fälligkeit, d.h. vor der eigentlichen Abflugzeit, möglich ist. Allerdings muss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen, dass es zu einer Pflichtverletzung kommen wird und die sonstigen Voraussetzungen des Schadensersatzes statt der Leistung aus §§ 280 Abs. 1, 3, 281 Abs.1 BGB zum Zeitpunkt der Fälligkeit gegeben sein werden. Macht der Luftfrachtführer nach Ablauf der angemessenen Nachfrist ein Erfüllungsangebot, steht es dem Fluggast frei, ob er es annimmt oder Schadensersatz geltend macht. Jedoch muss zur Verhinderung einer ewig langen Schwebezeit verlangt werden, dass sich der Gläubiger entscheidet.
Verschulden
Außerdem muss der Luftfrachtführer die Pflichtverletzung auch zu vertreten haben. Dies ergibt sich aus § 280 Abs. 1 S. 2 BGB. Jedoch liegt in der Norm auch eine Beweislastumkehr, was zur Folge hat, dass der Luftfahrtunternehmer beweisen muss, dass er die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. Er muss sich also selbst entlasten, was in der Regel nicht gelingen dürfte. Der Luftfrachtführer muss aber nicht nur für sein eigenes Verschulden, sondern auch für das seiner Mitarbeiter einstehen. Aber auch das Verschulden fremder Personen, Unternehmen oder Angestellter dieser Unternehmen muss sich der Luftfahrtunternehmer über § 278 BGB zurechnen lassen, wenn diese als Erfüllungsgehilfe tätig geworden sind. Auch bei einem Streik der eigenen Mitarbeiter muss sich der Luftfrachtführer die Pflichtverletzungen nach Meinung der Rechtsprechung zurechnen lassen.
Schaden
Schließlich ist auch ein Schaden erforderlich. Ein Schaden ist eine unfreiwillige Vermögenseinbuße. Es gilt der Grundsatz der Differenzhypothese. Das bedeutet, dass der Gläubiger vom Schuldner wirtschaftlich so zu stellen ist, wie er bei ordnungsgemäßer Erfüllung gestanden hätte. Der Schaden ist die Differenz zwischen der Vermögenslage bei ordnungsgemäßer Erfüllung und der tatsächlich eingetretenen Vermögenslage. Fraglich ist lediglich die Berechnung des Schadens. Dieser bemisst sich nach §§ 249 ff. BGB. Insofern werden zwei Theorien zur Berechnung des Schadens vertreten. Die herrschende Meinung vertritt die Differenztheorie. Nach dieser Theorie fließt der Gegenleistungsanspruch in die Berechnung des Schadensersatzanspruchs mit ein. An die Stelle der beiderseits erloschenen Erfüllungsansprüche tritt ein einseitiger Anspruch des Gläubigers. Dieser berechnet sich aus der Differenz von Leistung und Gegenleistung zuzüglich etwaiger Folgeschäden. Nach der Surrogationstheorie, welche auch Ausbauschtheorie genannt wird, tritt der Ersatzanspruch als Surrogat an die Stelle des eigentlichen Anspruchs. Dieser Anspruch ist mit der noch möglichen Gegenleistung auszutauschen. Diese Ansprüche können durch Aufrechnung verrechnet werden. Heute hat der Schuldner die Wahl, ob er nach der Surrogationstheorie oder nach der Differenztheorie vorgeht. Wählt man die Surrogationstheorie ist die erbrachte bzw. die zu erbringende Gegenleistung als Nachteil des Gläubigers anzurechnen, während nach der Differenztheorie die nicht mehr geschuldete oder die wegen eines Rücktritts zurückgewährende Gegenleistung eben als Vorteil angesehen wird. Es ist ein Gesamtvermögensausgleich vorzunehmen. Praktisch hat die Unterscheidung der Berechnungstheorien jedoch kaum eine Bedeutung, da sie oft zum selben Ergebnis kommen. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn eine etwaige Gegenleistung in Geld erfolgen soll. Nach einem Rücktritt bleibt dem Fluggast jedoch nur das Vorgehen nach der Differenztheorie. Schäden können insbesondere darin bestehen, dass der Fluggast wegen der Verspätung einen anderen Flug bucht. Die Kosten für den Ersatzflug sind dem Fluggast dann zu erstatten. Auch ein entgangener Gewinn, sowie frustrierte Aufwendungen, können als Schadensposten geltend gemacht werden. Auch der Flugpreis kann als Schaden geltend gemacht werden, wenn sich der Gläubiger entscheidet wegen einer Verspätung nicht mehr zu fliegen. Es decken sich also die Rechtsfolgen von Schadensersatz und Rücktritt, da er den Flugpreis als Mindestbetrag des Schadens geltend machen kann, unabhängig davon, ob die Voraussetzungen des Rücktritts vorliegen. Der Verzögerungsschaden fällt allerdings nicht unter §§ 280 Abs. 1, 3, 281 Abs. 1 BGB. Dieser kann nur über §§ 280 Abs. 1, 2, 286 BGB geltend gemacht werden. Problematisch wird die Geltendmachung eines Schadens auch bei der Beförderung über mehrere Teilstrecken.
Mitverschulden
Aus § 254 Abs. 1 BGB lässt sich entnehmen, dass ein Mitverschulden auch bei der Entstehung eines Schadens von Bedeutung ist. Mit dem Begriff Mitverschulden ist ein Verstoß gegen Gebote des eigenen Interesses gemeint. Man könnte es auch als Handeln gegen die eigenen Interessen umschreiben. § 254 BGB ist auch bei einer Haftung nach § 281 BGB anwendbar. Das Verschulden des Gläubigers ist im Rahmen der Gesamtrechnung zu berücksichtigen. Es ist dann ins Verhältnis zu setzen inwieweit der jeweilige Teil für den Schaden verantwortlich. Fraglich ist, unter welchen Umständen beim Luftbeförderungsvertrag ein Mitverschulden des Fluggastes anzunehmen ist. Grundsätzlich liegt ein Mitverschulden dann vor, wenn der Geschädigte diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die jeder vernünftige und verständige Mensch an den Tag legt, um sich selbst vor Schäden zu schützen. Ein Mitverschulden kommt also beispielsweise dann in Betracht, wenn der Fluggast verspätetet erscheint. Ein Mitverschulden kommt aber auch dann in Betracht, wenn der Gast einen an den Flug angrenzenden Termin ohne ausreichenden Zeitpuffer vereinbart. Bei der Frage nach dem notwendigen Zeitpuffer ist der Grundsatz von Treu und Glauben anzuwenden, weshalb man sich an den Längen der Nachfristsetzung bei Abflugverspätungen orientieren kann.
Rechtsprechung
Gericht, Datum | Aktenzeichen | Amtliche Leitsätze/Inhalt |
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BGH, Urteil vom 17.03.2009 | VI ZR 166/08 |
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LG Frankfurt, Urteil vom 12.01.1987 | 2-24 S 173/85 |
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AG Düsseldorf, Urteil vom 30.05.2006 | 33 C 13795/05 |
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