Schlussanträge des Generalanwalts Ján Mazák vom vom 25. Juni 2009 (Rechtssache C‑301/08)

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SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

JÁN MAZÁK

vom 25. Juni 2009

Rechtssache C‑301/08

Irène Bogiatzi, verheiratete Ventouras

gegen

Deutscher Luftpool,

Luxair SA,

Europäische Gemeinschaften,

Großherzogtum Luxemburg,

Le Foyer Assurances SA

(Vorabentscheidungsersuchen der Cour de cassation [Luxemburg])

Verordnung (EG) Nr. 2027/97 – Art. 29 des Warschauer Abkommens – Haftung eines Luftfahrtunternehmens der Gemeinschaft für Schäden, die ein Fluggast bei einem Unfall erlitten hat – Fristen für die Erhebung einer Schadensersatzklage – Völkerrechtlicher Vertrag, der von den Mitgliedstaaten geschlossen wurde – Zuständigkeit des Gerichtshofs nach Art. 234 EG für die Auslegung von Art. 29 des Warschauer Abkommens – Auswirkungen einer Gemeinschaftsverordnung auf einen völkerrechtlichen Vertrag – Art. 307 EG“

I – Einführung

1. Mit Entscheidung vom 26. Juni 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 7. Juli 2008, hat die Cour de cassation (Luxemburg) dem Gerichtshof eine Reihe von Fragen nach der Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 2027/97 des Rates vom 9. Oktober 1997 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei Unfällen (im Folgenden: Verordnung Nr. 2027/97) in Verbindung mit dem am 12. Oktober 1929 in Warschau unterzeichneten Abkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr (im Folgenden: Warschauer Abkommen) gemäß Art. 234 EG zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2. Diese Fragen stellen sich in einem Gerichtsverfahren, das Frau Irène Bogiatzi gegen Luxair und die Gesellschaft deutschen Rechts Deutscher Luftpool wegen Schäden infolge eines Unfalls angestrengt hat, den sie erlitt, als sie am 21. Dezember 1998 (im Folgenden: maßgeblicher Zeitpunkt) an Bord eines Flugzeugs der Luxair gehen wollte.

3. Um zu bestimmen, ob das Recht von Frau Bogiatzi auf Erhebung einer Schadensersatzklage erloschen ist, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 29 des Warschauer Abkommens, der für derartige Klagen eine zweijährige Klagefrist vorsieht, in dem von ihm zu entscheidenden Rechtsstreit anwendbar ist, auch wenn die Verordnung Nr. 2027/97 dies nicht ausdrücklich vorsieht, und ob, wenn die Frage zu bejahen ist, die Frist gehemmt oder unterbrochen oder auf sie verzichtet werden kann.

4. Insofern wirft die erste Vorlagefrage jedoch vorab die Frage auf, ob und inwieweit der Gerichtshof nach Art. 234 EG für die Auslegung des Warschauer Abkommens zuständig ist.

II – Rechtlicher Rahmen

A – Warschauer Abkommen

5. Das Warschauer Abkommen enthält u. a. Vorschriften über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei Unfällen. Es wurde mehrmals geändert, insbesondere durch das Haager Protokoll vom 28. September 1955, das Abkommen von Guadalajara vom 18. September 1961 und die vier Zusatzprotokolle von Montreal vom 25. September 1975.

6. Die Gemeinschaft als solche ist zwar nicht Vertragspartei des Warschauer Abkommens, im maßgeblichen Zeitpunkt waren dem Abkommen jedoch alle 15 Mitgliedstaaten beigetreten.

7. Art. 29 des Warschauer Abkommens in der im maßgeblichen Zeitpunkt geltenden Fassung sieht für Schadensersatzklagen Folgendes vor:

  • „(1) Die Klage auf Schadenersatz kann nur binnen einer Ausschlussfrist von zwei Jahren erhoben werden; die Frist beginnt mit dem Tage, an dem das Luftfahrzeug am Bestimmungsort angekommen ist, oder an dem es hätte ankommen sollen, oder an dem die Beförderung abgebrochen worden ist.
  • (2) Die Berechnung der Frist bestimmt sich nach den Gesetzen des angerufenen Gerichts.“

8. Das Übereinkommen zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr (im Folgenden: Übereinkommen von Montreal), das das Warschauer Abkommen und die zugehörigen Übereinkünfte modernisieren und konsolidieren sollte, wurde am 28. Mai 1999 in Montreal unterzeichnet. Es wurde am 9. Dezember 1999 auch von der Gemeinschaft unterzeichnet und im Namen der Gemeinschaft durch den Beschluss 2001/539/EG des Rates vom 5. April 2001 über den Abschluss des Übereinkommens von Montreal genehmigt.

9. Das Übereinkommen von Montreal, dem sowohl die Gemeinschaft als auch die 27 Mitgliedstaaten beigetreten sind, trat am 4. November 2003, also nach dem maßgeblichen Zeitpunkt, in Kraft. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass Art. 35 dieses Übereinkommens („Ausschlussfrist“) mit Art. 29 des Warschauer Abkommens identisch ist.

B – Verordnung Nr. 2027/97

10. In den Erwägungsgründen zur Verordnung Nr. 2027/97 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei Unfällen in ihrer im maßgeblichen Zeitpunkt geltenden Fassung heißt es zu dem hier fraglichen Punkt:

  • „(1) Im Rahmen der gemeinsamen Verkehrspolitik ist das Niveau des Schutzes von Fluggästen, die von Unfällen im Luftverkehr betroffen sind, zu verbessern.
  • (2) Die Haftung bei Unfällen ist geregelt durch das am 12. Oktober 1929 in Warschau unterzeichnete Abkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr bzw. dieses Abkommen in der durch das Haager Protokoll vom 28. September 1955 geänderten Fassung und das Abkommen von Guadalajara vom 18. September 1961 – je nachdem, welches Anwendung findet, wobei jedes dieser Abkommen nachstehend, falls anwendbar, ‚Warschauer Abkommen‘ genannt wird. Das Warschauer Abkommen gilt weltweit zum Nutzen sowohl der Fluggäste als auch der Luftfahrtunternehmen.
  • (3) Die durch das Warschauer Abkommen festgesetzten Haftungsgrenzen sind in Anbetracht der heutigen wirtschaftlichen und sozialen Maßstäbe zu niedrig und führen oft zu langwierigen Rechtsstreitigkeiten, die das Image des Luftverkehrs schädigen. Daher haben verschiedene Mitgliedstaaten die Haftungsgrenzen erhöht, was wiederum zu unterschiedlichen Beförderungsbedingungen im Luftverkehrsbinnenmarkt geführt hat.
  • (4) Das Warschauer Abkommen gilt überdies nur für den internationalen Luftverkehr. Im Luftverkehrsbinnenmarkt wird nicht mehr zwischen nationalen und internationalen Flügen unterschieden. Aus diesem Grund sollten im nationalen und internationalen Luftverkehr dieselben Bestimmungen über Höhe und Art der Haftung gelten.
  • (5) Eine umfassende Überprüfung und Revision des Warschauer Abkommens ist seit langem überfällig und wäre langfristig auf internationaler Ebene eine einheitlichere und praktischere Lösung hinsichtlich der Haftung der Luftfahrtunternehmen bei Unfällen. Die Bemühungen um eine Anhebung der im Warschauer Abkommen vorgeschriebenen Haftungsgrenzen sollten weiter in Verhandlungen auf multilateraler Ebene fortgesetzt werden.
  • (7) Im Einklang mit derzeitigen Tendenzen auf internationaler Ebene ist es angemessen, jegliche finanzielle Haftungsgrenzen im Sinne von Artikel 22 Absatz 1 des Warschauer Abkommens oder sonstige rechtliche oder vertragliche Haftungsgrenzen aufzuheben.
  • …“

11. Art. 2 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2027/97 bestimmt:

„Die in dieser Verordnung verwendeten Begriffe, die nicht in Absatz 1 definiert sind, entsprechen den im Warschauer Abkommen benutzten Begriffen.“

12. Art. 5 Abs. 1 und 3 lautet:

  • „(1) Das Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft zahlt unverzüglich, keinesfalls jedoch später als fünfzehn Tage nach der Feststellung der Identität der schadensersatzberechtigten natürlichen Person einen Vorschuss zur Befriedigung der unmittelbaren wirtschaftlichen Bedürfnisse, und zwar im Verhältnis zur Schwere des Falles.
  • (3) Der Vorschuss stellt keine Haftungsanerkennung dar und kann mit den eventuell später aufgrund der Haftung des Luftfahrtunternehmens der Gemeinschaft gezahlten Beträgen verrechnet werden, ist aber nicht zurückzuzahlen, es sei denn, es handelt sich um Fälle gemäß Artikel 3 Absatz 3 oder um Fälle, in denen in der Folge nachgewiesen wird, dass die Person, die den Vorschuss erhalten hat, den Schaden durch Fahrlässigkeit verursacht oder mitverursacht hat oder keinen Schadensersatzanspruch hatte.“

13. Nach dem maßgeblichen Zeitpunkt wurde die Verordnung durch die Verordnung (EG) Nr. 889/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Mai 2002 geändert.

III – Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefragen

14. Wie sich aus der Vorlageentscheidung ergibt, stürzte Frau Bogiatzi am 21. Dezember 1998 auf dem Rollfeld des Flughafens Luxemburg, als sie an Bord eines Flugzeugs der Luxair gehen wollte.

15. Am 22. Dezember 2003 erhob Frau Bogiatzi beim Tribunal d’arrondissement de Luxembourg gegen Deutscher Luftpool und Luxair unter Berufung auf die Verordnung Nr. 2027/97 und das Warschauer Abkommen Klage auf gesamtschuldnerischen Ersatz des ihr entstandenen Schadens.

16. Nachdem das Tribunal d’arrondissement de Luxembourg festgestellt hatte, dass der Anspruch fünf Jahre nach dem Unfall geltend gemacht worden sei, erklärte es die Klage für verfristet, da sie nach Ablauf der in Art. 29 des Warschauer Abkommens für die Erhebung einer Schadensersatzklage vorgesehenen Klagefrist von zwei Jahren erhoben worden sei. Das Tribunal vertrat insoweit die Auffassung, dass es sich um eine Ausschlussfrist handele, die nicht gehemmt oder unterbrochen werden könne.

17. Auf das von Frau Bogiatzi eingelegte Rechtsmittel hin erklärte die Cour d’appel de Luxembourg mit Urteil vom 28. März 2007 das Rechtsmittel für unzulässig, soweit es die Versicherungsgesellschaft Le Foyer und den Staat Luxemburg betraf, bestätigte jedoch im Übrigen die Entscheidung des Tribunal in ihrem wesentlichen Inhalt.

18. Im Ausgangsverfahren hat die Cour de cassation über das Rechtsmittel zu entscheiden, das Frau Bogiatzi gegen jenes Urteil insoweit einlegte, als in ihm festgestellt wird, dass das Recht von Frau Bogiatzi auf Erhebung einer Klage gegen das Luftfahrtunternehmen Luxair und seinen Versicherer Deutscher Luftpool erloschen sei. Das Rechtsmittel wird auf eine Reihe von Rechtsmittelgründen gestützt, und zwar u. a. auf einen Verstoß gegen die Verordnung Nr. 2027/97. Insbesondere rügt Frau Bogiatzi die Anwendung der in Art. 29 des Warschauer Abkommens vorgesehenen zweijährigen Klagefrist auf einen Sachverhalt, für den die genannte Verordnung gelte.

19. Vor diesem Hintergrund hat die Cour de cassation beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Gehört das Warschauer Abkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr vom 12. Oktober 1929 in der in Den Haag am 28. September 1955 geänderten Fassung, auf das sich die Verordnung (EG) Nr. 2027/97 bezieht, zu den Vorschriften des Gemeinschaftsrechts, für deren Auslegung der Gerichtshof gemäß Art. 234 EG zuständig ist?

2. Ist die Verordnung (EG) Nr. 2027/97 des Rates vom 9. Oktober 1997 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei Unfällen in ihrer zur Zeit des Unfalls, d. h. am 21. Dezember 1998, geltenden Fassung dahin auszulegen, dass für die nicht ausdrücklich geregelten Fragen die Bestimmungen des Warschauer Abkommens, hier dessen Art. 29, weiterhin im Fall eines Flugs zwischen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft anwendbar sind?

3. Für den Fall, dass die erste und die zweite Frage bejaht werden: Ist Art. 29 des Warschauer Abkommens in Verbindung mit der Verordnung (EG) Nr. 2027/97 dahin auszulegen, dass die dort vorgesehene Zweijahresfrist gehemmt oder unterbrochen werden kann oder dass das Luftfahrtunternehmen oder sein Versicherer darauf mit einer vom nationalen Richter als Haftungsanerkenntnis gewerteten Handlung verzichten kann?

IV – Rechtliche Würdigung

A – Wesentliches Vorbringen der Beteiligten

20. Im vorliegenden Verfahren haben Frau Bogiatzi, Luxair, die französische Regierung und die Kommission Erklärungen abgegeben. Alle diese Beteiligten waren auch in der Sitzung vom 19. März 2009 vertreten.

21. Bezüglich der ersten Frage macht Frau Bogiatzi geltend, der Gerichtshof sei gemäß Art. 234 EG für die Auslegung des Warschauer Abkommens zuständig. Da die Verordnung Nr. 2027/97 auf das Abkommen Bezug nehme, müsse dieses als Handlung eines Gemeinschaftsorgans und als Teil der gemeinschaftlichen Rechtsordnung angesehen werden. Darüber hinaus sei eine Auslegung durch den Gerichtshof im Interesse der Einheitlichkeit erforderlich, da es Zweck der Verordnung Nr. 2027/97 sei, eine Harmonisierung im Bereich der Haftung von Luftfahrtunternehmen herbeizuführen.

22. Die Kommission und die französische Regierung tragen dagegen vor, dass die erste Frage zu verneinen sei. Da die Gemeinschaft dem Warschauer Abkommen nicht beigetreten sei, könne es nicht als Handlung eines Gemeinschaftsorgans im Sinne des Art. 234 EG angesehen werden, für deren Auslegung der Gerichtshof zuständig wäre.

23. Außerdem weist die französische Regierung insbesondere darauf hin, dass die Gemeinschaft nicht die zuvor von den Mitgliedstaaten im Anwendungsbereich des Warschauer Abkommens ausgeübten Befugnisse übernommen habe, so dass nicht argumentiert werden könne, dass sie an die Bestimmungen dieses Abkommens im Sinne der auf das Urteil International Fruit Company u. a. zurückgehenden Rechtsprechung gebunden sei.

24. Die französische Regierung und die Kommission räumen jedoch ein, dass der Umstand, dass die Verordnung Nr. 2027/97 auf das Warschauer Abkommen Bezug nehme, für die Zuständigkeit des Gerichtshofs nach Art. 234 EG nicht ohne Folgen sei.

25. Insoweit macht die Kommission geltend, der Gerichtshof sei nur für die Vorschriften des Warschauer Abkommens zuständig, auf die sich die Verordnung Nr. 2027/97 beziehe. Ähnlich trägt die französische Regierung vor, dass der Gerichtshof das Warschauer Abkommen aufgrund dieser Bezugnahmen in der Verordnung Nr. 2027/97 auslegen könne, um die Vorschriften der Verordnung im Licht des Abkommens auszulegen.

26. Luxair ist der Ansicht, der Gerichtshof müsse im vorliegenden Verfahren nicht das Warschauer Abkommen auslegen, sondern Art. 307 EG anwenden, wonach die Übereinkünfte, die vor Inkrafttreten des EG-Vertrags geschlossen worden seien, die Vorschriften des Gemeinschaftsrechts nicht berührten.

27. Bezüglich der zweiten Frage trägt Frau Bogiatzi im Wesentlichen vor, das Warschauer Abkommen – insbesondere dessen Art. 29 – finde nur Anwendung, soweit die Verordnung Nr. 2027/97 dies ausdrücklich vorsehe. Fehle eine ausdrückliche Bezugnahme auf die maßgeblichen Vorschriften des Warschauer Abkommens, sei die Verordnung autonom auszulegen. Wie aus der Entstehungsgeschichte der Verordnung Nr. 2027/97 und aus dem siebten Erwägungsgrund hervorgehe, sei es die Absicht des Gemeinschaftsgesetzgebers gewesen, die Haftung von Luftfahrtunternehmen allein der Verordnung zu unterwerfen und die vom Warschauer Abkommen auferlegten Beschränkungen zu beseitigen. Wenn Art. 29 des Warschauer Abkommens weiterhin Anwendung fände, wäre der mit der Verordnung verfolgte Zweck – nämlich die Harmonisierung der Haftungsvoraussetzungen – beeinträchtigt.

28. Schließlich ist Frau Bogiatzi der Ansicht, dass die Fristen für die Erhebung von Schadensersatzklagen nicht der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten unterliegen dürften. Jedenfalls entspreche die im Warschauer Abkommen vorgesehene zweijährige Klagefrist nicht den Erfordernissen der Gleichwertigkeit und Effektivität.

29. Luxair, die französische Regierung und die Kommission machen demgegenüber geltend, dass sich die Fristen für die Erhebung von Schadensersatzklagen weiterhin nach Art. 29 des Warschauer Abkommens bestimmten.

30. Luxair trägt in diesem Zusammenhang vor, die Verordnung Nr. 2027/97 schweige zu diesen Fristen. Zwischen der Verordnung und dem Warschauer Abkommen bestehe daher kein Widerspruch. Da das Warschauer Abkommen auch von Staaten ratifiziert worden sei, die keine Mitglieder der Europäischen Union seien und die an die Vorschriften des Abkommens einschließlich dessen Art. 29 gebunden blieben, müsse der Gerichtshof den Vorrang des Abkommens im vorliegenden Fall anerkennen.

31. Die französische Regierung ist der Auffassung, es sei nicht ersichtlich, dass die Verordnung Nr. 2027/97 insgesamt an die Stelle des Warschauer Abkommens habe treten sollen; der Verordnung könne im Hinblick auf den Grundsatz der Rechtssicherheit eine solche Rolle auch nicht implizit zugewiesen werden. Wie aus den Erwägungsgründen eindeutig hervorgehe, solle mit der Verordnung Nr. 2027/97 vielmehr das Niveau des Schutzes von Fluggästen verbessert werden, die von Unfällen betroffen seien, jedoch nur in gewisser Beziehung und z. B. nicht in Bezug auf Verfahrensfristen, mit denen sich die Verordnung gar nicht befasse.

32. Die Kommission weist überdies darauf hin, dass nach ständiger Rechtsprechung mangels einer einschlägigen Gemeinschaftsregelung die Ausgestaltung von Verfahren, die den Schutz der dem Bürger aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollten, grundsätzlich Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten sei. Insofern, als die Mitgliedstaaten Vertragsparteien des Warschauer Abkommens seien, könnten die Verfahrensregeln des Abkommens in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens in der innerstaatlichen Rechtsordnung Anwendung finden. Die Kommission bezweifelt schließlich, dass es Grund zu der Annahme gebe, dass die Verordnung Nr. 2027/97 die Anwendung der fraglichen Verfahrensregel ausschließe, ohne für eine Alternative zu sorgen.

33. Bezüglich der dritten Frage ist Frau Bogiatzi der Ansicht, dass diese zu bejahen sei. Zur Begründung ihres Standpunkts bezieht sie sich insbesondere auf die Auslegung von Art. 29 des Warschauer Abkommens durch die französische Cour de cassation sowie auf den Gegenstand und den Zweck sowohl des Warschauer Abkommens als auch der Verordnung Nr. 2027/97, die beeinträchtigt würden, wenn die Vorschrift eng ausgelegt würde. Während nämlich diese Rechtsinstrumente eine schnelle außergerichtliche Entschädigung von Unfallopfern fördern sollten, bringe der Versuch einer gütlichen Einigung für das betreffende Opfer erhebliche Risiken mit sich, wenn die in Art. 29 des Warschauer Abkommens vorgesehene Klagefrist tatsächlich nicht gehemmt oder unterbrochen oder nicht auf sie verzichtet werden könne.

34. Luxair, die französische Regierung und die Kommission machen im Wesentlichen geltend, dass es, da der Gerichtshof nicht für die Auslegung des Warschauer Abkommens zuständig sei, Sache der nationalen Gerichte sei, zu entscheiden, ob – und, wenn ja, unter welchen Voraussetzungen – die in Art. 29 vorgesehenen Fristen gehemmt oder unterbrochen werden könnten oder auf sie verzichtet werden könne.

35. Die Kommission betont, die nationalen Gerichte müssten nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie in jedem Fall sicherstellen, dass die Fristen den Erfordernissen der Gleichwertigkeit und der Effektivität entsprächen.

B – Würdigung

1. Vorbemerkungen

36. Die erste Vorlagefrage geht dahin, ob der Gerichtshof nach Art. 234 EG für die Auslegung des Warschauer Abkommens, insbesondere – in Anbetracht des Gegenstands des Ausgangsverfahrens – seines Art. 29, zuständig ist. Wird die Frage verneint, so ist klar, dass dies die Unzulässigkeit der dritten Frage nach sich zieht, die die Auslegung der genannten Bestimmung betrifft. Die zweite Frage dagegen ist eine Frage nach der Auslegung der Verordnung Nr. 2027/97 und hat somit eindeutig Bezug zum Gemeinschaftsrecht, über das der Gerichtshof grundsätzlich entscheiden kann. Diese Frage geht im Wesentlichen dahin, ob die Verordnung Nr. 2027/97 so zu verstehen ist, dass sie die Anwendung von Art. 29 des Warschauer Abkommens in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens ausschließt.

37. Es stellt sich hier somit allgemeiner die Frage nach dem Verhältnis zwischen den Verpflichtungen, die einen Mitgliedstaat aufgrund eines Aktes des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts treffen können, und den Verpflichtungen, die ihm aufgrund eines völkerrechtlichen Vertrags obliegen, den er mit verschiedenen anderen Mitgliedstaaten und Drittländern geschlossen hat.

38. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass das Wechselspiel zwischen den Verpflichtungen, die sich aus dem Gemeinschaftsrecht ergeben können (insbesondere aus der Verordnung Nr. 2027/97), und denen, die sich aus Art. 29 des Warschauer Abkommens bezüglich der einschlägigen Fristen ergeben, tatsächlich differenzierter sein mag, als die Vorlagefragen es nahezulegen scheinen. Selbst wenn man erstens davon ausgeht, dass die Verordnung Nr. 2027/97 die nationalen Gerichte nicht daran hindert, Art. 29 des Warschauer Abkommens im Rahmen von Schadensersatzklagen anzuwenden, für die die Verordnung Nr. 2027/97 gilt – wenn auch nicht speziell im Hinblick auf Verfahrensfristen –, können gleichwohl bestimmte gemeinschaftsrechtliche Erfordernisse wie die im Hinblick auf den Begriff der „Verfahrensautonomie“ entwickelten bestehen, die in diesem Zusammenhang zu beachten sind. Selbst wenn zweitens sich herausstellen sollte, dass der Gerichtshof nach Art. 234 EG nicht für die Auslegung des Warschauer Abkommens zuständig ist, bedeutet dies nicht, dass der Gerichtshof das Abkommen nicht für die Auslegung der Verordnung Nr. 2027/97 heranziehen darf.

2. Zuständigkeit des Gerichtshofs für die Auslegung von Art. 29 des Warschauer Abkommens

39. Zunächst ist daran zu erinnern, dass gemäß Art. 300 Abs. 7 EG die nach Maßgabe dieses Artikels geschlossenen Abkommen für die Organe der Gemeinschaft und für die Mitgliedstaaten verbindlich sind.

40. Ferner ergibt sich insoweit aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass ein vom Rat gemäß Art. 300 EG geschlossenes Abkommen für die Gemeinschaft als Handlung eines Gemeinschaftsorgans im Sinne des Art. 234 Abs. 1 Buchst. b EG anzusehen ist und dass die Bestimmungen eines solchen Abkommens von dessen Inkrafttreten an integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung sind. Der Gerichtshof ist daher in dem durch diese Rechtsordnung gesteckten Rahmen zur Vorabentscheidung über die Auslegung dieses Abkommens befugt.

41. Dies spräche dafür, dass das Warschauer Abkommen, da die Gemeinschaft ihm nicht beigetreten ist, grundsätzlich kein integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung geworden sein kann, für dessen Auslegung der Gerichtshof nach Art. 234 EG zuständig ist.

42. Zwar hat der Gerichtshof im Urteil International Fruit Company u. a. unter bestimmten Voraussetzungen den Fall, dass die Gemeinschaft einen völkerrechtlichen Vertrag förmlich nach Art. 300 EG geschlossen hat, mit dem Fall gleichgestellt, dass die Vorschriften eines völkerrechtlichen Vertrags für die Gemeinschaft verbindlich geworden sind, weil diese nach dem EG-Vertrag die zuvor von den Mitgliedstaaten im Anwendungsbereich des betreffenden Abkommens ausgeübten Befugnisse übernommen hat.

43. Auf dem Gebiet der Beförderung im internationalen Luftverkehr jedoch, für das das Warschauer Abkommen gilt, sind die zuvor von den Mitgliedstaaten ausgeübten Befugnisse offensichtlich nicht, wie nach dieser Rechtsprechung erforderlich, vollständig übergegangen, wodurch die Bestimmungen des Abkommens für die Gemeinschaft verbindlich geworden wären.

44. Auch lässt sich nicht vertreten – die Beteiligten am Ausgangsverfahren haben dies auch nicht versucht –, dass die Bestimmungen des Warschauer Abkommens, insbesondere Art. 29 des Abkommens, die Gemeinschaft rechtlich bänden, weil sie Ausdruck gewohnheitsrechtlicher Normen des allgemeinen Völkerrechts seien.

45. Der Umstand schließlich, dass die Verordnung Nr. 2027/97 in ihren Erwägungsgründen und in Art. 2 Abs. 2 auf das Warschauer Abkommen Bezug nimmt, reicht nicht aus, um Art. 29 des Abkommens als integrierenden Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung zu betrachten, für dessen Auslegung der Gerichtshof nach Art. 234 EG zuständig ist.

46. Zwar ist der Gerichtshof bei der Auslegung des Gemeinschaftsrechts nicht daran gehindert, in unterschiedlichen Zusammenhängen auch einschlägige Normen des Völkerrechts zu berücksichtigen, insbesondere völkerrechtliche Verträge, die als solche für die Gemeinschaft formal nicht verbindlich sind.

47. Dies ist ganz offensichtlich der Fall, wenn – und soweit – eine Bestimmung des Gemeinschaftsrechts ausdrücklich auf eine Norm des Völkerrechts Bezug nimmt und diese in die betreffende Gemeinschaftsnorm „aufnimmt“. Art. 2 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2027/97 liefert hierfür ein Beispiel: Nach dieser Bestimmung muss der Gerichtshof, wenn er mit einem in Art. 2 Abs. 1 der Verordnung nicht definierten Begriff zu tun hat, dem Begriff dieselbe Bedeutung geben, wie sie der im Warschauer Abkommen benutzte Begriff hat, und hat insoweit das Abkommen „auszulegen“.

48. Für die Auslegung des Gemeinschaftsrechts zieht der Gerichtshof überdies einschlägige Bestimmungen des Völkerrechts selbst dann in Betracht, wenn eine solche Bezugnahme fehlt. Hierin kommt das allgemeine Bestreben der Gemeinschaft zum Ausdruck, ihre Befugnisse im Einklang mit dem Völkerrecht, insbesondere aber, wie dies der in Art. 10 EG aufgestellte Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit verlangt, unter Wahrung der internationalen Verpflichtungen auszuüben, die ihre Mitgliedstaaten binden(14).

49. Im vorliegenden Fall jedoch steht fest, dass die Verordnung Nr. 2027/97 zur Frage der Fristen für Schadensersatzklagen schweigt; auch nimmt die Verordnung auf Art. 29 des Warschauer Abkommens keinen besonderen Bezug. Meines Erachtens kann daher die Auslegung von Art. 29 des Abkommens nicht als zur Auslegung der Verordnung Nr. 2027/97 gehörig angesehen werden. Folglich ist die vorliegende Frage, ob der Gerichtshof im Rahmen einer Vorabentscheidung für die Auslegung des Art. 29 des Warschauer Abkommens zuständig ist, von den vorstehend genannten Fällen zu trennen, in denen der Gerichtshof völkerrechtliche Verträge als Gesichtspunkt bei der Auslegung benutzt.

50. Aufgrund dessen ist auf die erste Vorlagefrage meiner Meinung nach zu antworten, dass Art. 29 des Warschauer Abkommens nicht zu den Vorschriften des Gemeinschaftsrechts gehört, für deren Auslegung der Gerichtshof gemäß Art. 234 EG zuständig ist.

51. Es obliegt dem Gerichtshof daher nicht, die dritte Vorlagefrage zu beantworten.

3. Fristen für die Erhebung von Schadensersatzklagen

52. Um zu beurteilen, wie weit die Anwendung von Art. 29 des Warschauer Abkommens angesichts der Verordnung Nr. 2027/97 in innerstaatlichen Verfahren ausgeschlossen sein kann, empfiehlt es sich, zunächst einige Aspekte des Verhältnisses zwischen den Rechtsordnungen und den betreffenden Übereinkünften in Erinnerung zu bringen.

53. Insoweit ergibt sich aus Art. 300 Abs. 7 EG und der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass völkerrechtliche Verträge, denen die Gemeinschaft beigetreten ist, Vorrang vor den Bestimmungen des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts und – da sie integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung sind – dem entgegenstehenden nationalen Recht haben.

54. Da jedoch, wie oben ausgeführt, die hier in Rede stehenden Bestimmungen des Warschauer Abkommens für die Gemeinschaft nicht verbindlich sind, können sie im Fall einer Normenkollision den Bestimmungen der Verordnung Nr. 2027/97 nicht vorgehen.

55. Vielmehr ist offenkundig, dass nach dem Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts die nationalen Gerichte gehalten sind, für die volle Wirksamkeit der Bestimmungen einer Gemeinschaftsverordnung Sorge zu tragen und eine entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts, und zwar grundsätzlich auch Regelungen, die sich aus für den betreffenden Mitgliedstaat verbindlichen völkerrechtlichen Verträgen ergeben, unangewendet zu lassen. In einem Fall, in dem die Bestimmungen der Verordnung Nr. 2027/97 mit den Bestimmungen des Warschauer Abkommens kollidieren, haben daher die Ersteren grundsätzlich Vorrang vor den Letzteren und schließen damit in einem Verfahren vor den innerstaatlichen Gerichten die Anwendung der entgegenstehenden relevanten Vorschrift des Abkommens aus.

56. Diese Feststellung des Vorrangs ist natürlich im Licht des Art. 307 Abs. 1 EG zu relativieren, der bestimmt, dass die Rechte und Pflichten aus Übereinkünften, die vor dem Inkrafttreten des Vertrags zwischen einem oder mehreren Mitgliedstaaten einerseits und einem oder mehreren dritten Ländern andererseits geschlossen wurden, durch den Vertrag nicht berührt werden. Nach dieser Bestimmung, die auf das Warschauer Abkommen grundsätzlich anwendbar ist, weil Letzteres ein zwischen den Mitgliedstaaten und Drittstaaten bereits zuvor geschlossenes Abkommen ist, hat eine entgegenstehende Gemeinschaftsbestimmung gegenüber einem von einem Mitgliedstaat geschlossenen älteren völkerrechtlichen Vertrag zurückzutreten. Ein Mitgliedstaat kann nach dieser Bestimmung daher von gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen abweichen, allerdings nach der eher engen Auslegung der Bestimmung durch den Gerichtshof nur in dem Umfang, der für die Einhaltung seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen gegenüber Drittstaaten unbedingt erforderlich ist.

57. Im vorliegenden Fall ist jedoch darauf hinzuweisen, dass es einen nach diesen Grundsätzen zu klärenden unmittelbaren Konflikt zwischen der Verordnung Nr. 2027/97 und dem Warschauer Abkommen, soweit die in Art. 29 des Abkommens festgelegte Klagefrist betroffen ist, tatsächlich nicht gibt, da diese Frage als solche in der Verordnung nicht geregelt wird.

58. Abgesehen davon, dass es in der Verordnung Nr. 2027/97 offensichtlich keine ausdrückliche Bestimmung gibt, die die Frage der Fristen für Schadensersatzklagen behandelt, ist insoweit auch weder dem Gegenstand noch dem Zweck der Verordnung zu entnehmen, dass sich die Verordnung tatsächlich mit Fristen befassen sollte oder – genauer – in die Frist nach Art. 29 des Warschauer Abkommens eingreifen sollte.

59. Zwar soll die Verordnung Nr. 2027/97 – wie aus ihren Erwägungsgründen, insbesondere den Erwägungsgründen 1 und 2, hervorgeht – das vom Warschauer Abkommen garantierte Schutzniveau für Fluggäste, die von Unfällen im Luftverkehr betroffen sind, verbessern, vor allem im Hinblick auf die Haftung der Luftfahrtunternehmen bei Unfällen, doch wird in den Erwägungsgründen der Verordnung auf bestimmte materielle Aspekte der Haftung der Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft Bezug genommen, wie die finanziellen Haftungsgrenzen und die Möglichkeit der Luftfahrtunternehmen, sich auf die Beschränkungen nach Art. 20 Abs. 1 des Warschauer Abkommens zu berufen. Zudem werden diese Aspekte jeweils in den Bestimmungen der Verordnung wiederaufgenommen. In den Erwägungsgründen der Verordnung und erst recht in deren Bestimmungen findet sich dagegen keine Bezugnahme auf die verfahrensrechtlichen Aspekte einer Schadensersatzklage wie die in Art. 29 des Warschauer Abkommens festgelegte Klagefrist.

60. Unter diesen Umständen gibt die Verordnung für eine Auslegung dahin gehend, dass sie zumindest implizit die Fristen für die Erhebung von Schadensersatzklagen regelt und folglich die Anwendung der in Art. 29 des Warschauer Abkommens niedergelegten Frist ausschließt, nichts her. Wie die Kommission zu Recht ausgeführt hat, ist tatsächlich kaum anzunehmen, dass die Verordnung Nr. 2027/97 die Anwendung dieser Verfahrensvorschrift ausschließt, ohne zugleich für eine Alternative zu sorgen.

61. Soweit daher die Verordnung Nr. 2027/97 keine Regelung der Fristen vorsieht, innerhalb deren bei Schäden, die im Zusammenhang mit Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft erlitten werden, Schadensersatzklage erhoben werden muss, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten die Ausgestaltung der entsprechenden Verfahren grundsätzlich Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten.

62. Folglich ist es einem Mitgliedstaat grundsätzlich nicht verwehrt, in einem innerstaatlichen Verfahren auf diesem Gebiet Vorschriften wie die des Art. 29 des Warschauer Abkommens anzuwenden, die sich aus für ihn verbindlichen völkerrechtlichen Verträgen ergeben.

63. Soweit jedoch Schadensersatzklagen in den Bereich der durch die Verordnung Nr. 2027/97 eingeführten Haftungsregelung fallen und demgemäß Klagen darstellen, die den Schutz der den Einzelnen aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, müssen die Mitgliedstaaten nach dem Gemeinschaftsrecht sicherstellen, dass die anwendbaren Verfahrensvorschriften nicht weniger günstig ausgestaltet sind als die für entsprechende innerstaatliche Klagen (Grundsatz der Gleichwertigkeit) und auch nicht so ausgestaltet sind, dass sie die Ausübung der Rechte, die die Gemeinschaftsrechtsordnung einräumt, übermäßig erschweren oder praktisch unmöglich machen (Grundsatz der Effektivität).

64. Insoweit ist es grundsätzlich nicht Sache des Gerichtshofs, sondern die des nationalen Gerichts, genau zu prüfen, welche Verpflichtungen der betreffende Mitgliedstaat aufgrund von Art. 29 des Warschauer Abkommens in Bezug auf die für Schadensersatzklagen geltenden Klagefristen hat, und festzustellen, inwieweit die Anwendung dieser Ausschlussfristen der Einhaltung der oben genannten Grundsätze entgegensteht. Es genügt gleichwohl der Hinweis, dass der Gerichtshof mehrfach entschieden hat, dass die Festsetzung angemessener Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung im Interesse der Rechtssicherheit mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, und dass eine Ausschlussfrist von zwei Jahren, wie sie in Art. 29 des Warschauer Abkommens festgesetzt ist, meines Erachtens nicht geeignet ist, die Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs nach Maßgabe der Verordnung Nr. 2027/97 übermäßig zu erschweren oder praktisch unmöglich zu machen.

65. Nach alledem ist auf die zweite Vorlagefrage meiner Meinung nach zu antworten, dass die Verordnung Nr. 2027/97 im Hinblick auf die Fristen für die Erhebung von Schadensersatzklagen wegen Verletzungen, die bei einem von der Verordnung erfassten Flug zwischen Mitgliedstaaten erlitten werden, nicht dahin auszulegen ist, dass sie die nationalen Gerichte an der Anwendung von Art. 29 des Warschauer Abkommens hindert, soweit die betreffende Frist mit den Gemeinschaftsgrundsätzen der Effektivität und der Gleichwertigkeit im Einklang steht.

V – Ergebnis

66. Ich schlage daher vor, auf die Vorlagefragen wie folgt zu antworten:

  • Art. 29 des am 12. Oktober 1929 in Warschau unterzeichneten Abkommens zur Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr gehört nicht zu den Vorschriften des Gemeinschaftsrechts, für deren Auslegung der Gerichtshof gemäß Art. 234 EG zuständig ist.
  • Die Verordnung (EG) Nr. 2027/97 des Rates vom 9. Oktober 1997 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei Unfällen ist im Hinblick auf die Fristen für die Erhebung von Schadensersatzklagen wegen Verletzungen, die bei einem von der Verordnung erfassten Flug zwischen Mitgliedstaaten erlitten werden, nicht dahin auszulegen, dass sie die nationalen Gerichte an der Anwendung von Art. 29 des Warschauer Abkommens hindert, soweit die betreffende Frist mit den Gemeinschaftsgrundsätzen der Effektivität und der Gleichwertigkeit im Einklang steht.

Siehe auch