Verspätete Beförderung

Aus PASSAGIERRECHTE
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Im Luftverkehr kommt es regelmäßig zu Verspätungen und als Folge daraus auch zu einer verspäteten Beförderung. Fraglich ist, wie eine verspätete Beförderung zu definieren ist und welche Ansprüche daraus resultieren.

Definition der verspäteten Beförderung

Fraglich ist zunächst, was unter einer verspäteten Beförderung zu verstehen ist. Diese könnte man einfach als Beförderung nach der vereinbarten Abflugzeit definieren. Eine Beförderung ist demnach verspätet, wenn sie nach der vereinbarten Abflugzeit beginnt. Diese ist zu Unterscheiden von der Nichtbeförderung: Entgegen der unzureichend deutschen Übersetzung der Verordnung versteht man unter Nichtbeförderung den Umstand, dass sich der Fluggast am Flugsteig bis zum Ende des Einsteigevorgangs eingefunden haben muss, um das Flugzeug zu besteigen. Ist dies Nicht Möglich oder wird verweigert, liegt eine Nichtbeförderung vor. Umfasst werden auch vorzeitige, vor dem Eintreffen des Reisenden am Flugsteig stattfindende Beförderungsverweigerungen. Der in Art. 2 Buchst. j FluggastrechteVO gewählte Begriff „Weigerung, Fluggäste zu befördern“ (engl. „refusal to carry passengers on a flight“; franz. „refus de transporter des passagers sur un vol“) bedeutet, dass das Begehren des Fluggastes, an dem Flug teilzunehmen, zurückgewiesen wird.

Die verspätete Beförderung im Rahmen des absoluten Fixgeschäfts

Im Regelfall werden Fluggäste, die von einer Verspätung betroffen sind, trotzdem befördert. Würde es sich bei dem Luftbeförderungsvertrag um ein absolutes Fixgeschäft handeln, müsste bei einer Abflugverspätung Unmöglichkeit der Leistung, also der Beförderung, eintreten. Findet die Beförderung verspätet statt, handelt es sich dabei ja trotzdem um die vertraglich vereinbarte Leistung. Die Leistung kann also nicht unmöglich gewesen sein, da sie ja faktisch stattgefunden hat. Allerdings stellt sich die Frage nach der rechtlichen Grundlage der verspäteten Beförderung. Laut der herrschenden Meinung ist das bei reinen Verspätungsfällen unproblematisch, da dort gewisse Verspätungen über die Fluggastrechteverordnung abgedeckt sind. Allerdings ist dies bei Überbuchungs- und Annulierungsfällen anders. Bei solchen Fällen geht man tatsächlich von der Unmöglichkeit der Leistung aus, was das Entfallen des Beförderungsanspruchs zur Folge hat. Diese Problematik ist durchaus schwierig und eine Lösung nahezu unmöglich. Das ist ein Indiz dafür, dass es sich bei einem Luftbeförderungsvertrag nicht um ein absolutes Fixgeschäft handelt.

Folgen einer verspäteten Beförderung nach der EG-Verordnung 261/2004

Eine verspätete Beförderung kann natürlich auch Ansprüche begründen. Diese können auf verschiedenen Anspruchsgrundlagen beruhen. Wenn dem Fluggast konkrete Schäden entstehen, können diese Schadensersatzansprüche begründen, welche im Beitrag Verspätung und Rechtsfolgen: Schadensersatz statt der Leistung näher erläutert sind. Hier soll insbesondere auf die pauschalen Ausgleichszahlungen aus der EG-Verordnung 261/2004 eingegangen werden. Wichtig ist zu beachten, dass sich die Ansprüche auf Ausgleichszahlungen bei einer Annullierung oder auch Nichtbeförderung nach der Flugstrecke staffeln. Die Staffelung erfolgt wie folgt:

• 250 € für eine Flugstrecke bis zu 1500 km,

• 400 € für eine Flugstrecke innerhalb der EU von mehr als 1500 km und bei allen anderen Flügen von einer Strecke zwischen 1500 und 3500 km und

• 600 € für eine Flugstrecke von mehr als 3500 km, also alle Flüge die nicht unter die ersten beiden Punkte fallen.

Nun wird die Frage aufgeworfen, warum hier im Rahmen der verspäteten Beförderung von Annullierung und Nichtbeförderung gesprochen wird. Das ist auf ein Urteil des europäischen Gerichtshofes vom 19.11.2009 zurückzuführen, in welchem der europäische Gerichtshof festlegt, dass ab einer Verspätung von drei Stunden am Ankunftsort ebenfalls Ausgleichszahlungen fällig werden, die denen der Annullierung gleich kommt. Das bedeutet, dass bei einer Verspätung ab drei Stunden am Ankunftsort ein Anspruch auf Ausgleichszahlungen in Höhe von:

• 250 € bei einer Flugstrecke bis zu 1500 km,

• 400 € für eine Flugstrecke innerhalb der EU von mehr als 1500 km und bei allen anderen Flügen von einer Strecke zwischen 1500 und 3500km und

• 600 € für eine Flugstrecke von mehr als 3500 km, also alle Flüge, welche nicht unter die ersten beiden Punkte fallen,

begründet wird. Eine verspätete Beförderung hat im Regelfall ja die verspätete Ankunft zur Folge. Doch auch vor der eigentlichen Beförderung kann im Fall einer Verspätung reagiert werden. Diese Reaktion besteht in der Regel in Unterstützungsleistungen. Insofern wird hier auf den Beitrag Flugverspätung nach VO 261/2004 und Abgrenzung zu Art. 19 MÜ verwiesen, in welchem diese Leistungen näher erläutert werden.

Rechtsprechung

Gericht, Datum Aktenzeichen Amtliche Leitsätze/Grober Inhalt
EuGH, Urteil vom 26.02.2013 C-11/11
  • Verspätet sich ein Zubringerflug, sodass die Fluggäste den Anschlussflug verpassen und somit den Zielflughafen mit einer Verspätung von mehr als drei Stunden erreichen, steht diesen eine Ausgleichszahlung gemäß Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 zu.
  • Wird ein Flug annulliert und keine anderweitige Beförderung angeboten, steht den Fluggästen eine Ausgleichszahlung gemäß Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 zu.
EuGH, Urteil vom 19.11.2009 C-402/07 und C-432/07
  • Im Wesentlichen lässt sich der Entscheidung entnehmen, dass den Fluggästen bei einer Verspätung ein Anspruch auf Ausgleichszahlungen im Sinne der EG-Verordnung 261/2004 entsteht, wie es bei einer Annullierung der Fall ist.
AG Frankfurt, Urteil vom 04.05.2011 30 C 175/11(47)
  • Tritt die Verzögerung während des Fluges ein, so fällt dieser Fall nicht unter die EG-Verordnung 261/2004.
  • Der Anwendungsbereich der EG-Verordnung 261/2004 ist nicht eröffnet, wenn der Abflugsort bzw der Zielort nicht im Gemeinschaftsgebiet liegt.
EuGH, Urt. v. 31.05.2018 Rs. C-537/17
  • Eine Passagierin hatte bei der Fluggesellschaft Royal Air Maroc einen Flug von Berlin nach Agadir (Marokko) gebucht, der eine Zwischenlandung in Casablanca (Marokko) mit Wechsel des Flugzeugs vorsah. Wegen einer Überbuchung wurde die Kundin in Casablanca nicht planmäßig, sondern erst mit der nächsten verfügbaren Maschine der Fluggesellschaft weiterbefördert und erreichte das Endziel Agadir schließlich mit vierstündiger Verspätung.
  • Das Gericht entschied, dass beide Flüge einheitlich gebucht wurden und i.S. eines direkten Anschlusses unmittelbar zusammenhingen. Obwohl der zweite Flug zwischen Casablanca und Agadir vollständig außerhalb der EU durchgeführt wurde und Royal Air Maroc seinen Sitz außerhalb der EU hat, entfaltet so die VO-EG Nr. 261/2004 für die gesamte Beförderung Geltung.
  • Der Regelungen der VO-EG Nr. 261/2004 ist nach Ansicht der Richter nicht zu entnehmen, dass der Wechsel des Flugzeuges nach dem ersten Flug für die Einordnung der Flüge als einheitlichen Beförderungsvorgang bzw. Flug von Bedeutung ist. Der Wechsel der Maschine steht der Gesamtheit des Fluges mit Anschlussflug also nicht entgegen, so dass die VO-EG Nr. 261/2004 vorliegend Anwendung findet. Demnach kann die Passagierin wegen der Verspätung Ausgleichsansprüche nach der Verordnung gegen Royal Air Maroc geltend machen.