Verspätung des Ersatzfluges/doppelte Verspätung
Vorbemerkung
Dem Fluggast steht aus dem Beförderungsvertrag gegen den vertraglichen Luftfrachtführer ein Anspruch darauf zu, zum vereinbarten Zeitpunkt, mit einem sicheren und pünktlichen Flug zum vertraglich vorgesehen Bestimmungsort befördert zu werden. Kommt es zu einer Verspätung oder Annullierung des gebuchten Fluges, so stellt dies eine sehr ärgerliche Situation für den Fluggast dar. Noch schlimmer verhält sich die Situation jedoch, wenn dem Fluggast ein Ersatzflug für den annullierten Flug angeboten wird und dieser Ersatzflug sich auch verspätet. Dann kommt es für den Fluggast zu einer sogenannten doppelten Verspätung.
Anspruch auf Ausgleichszahlungen bei doppelter Verspätung
Weist ein Flug eine erhebliche Verspätung auf oder wird sogar annulliert, dann steht dem betroffenen Fluggast ein Anspruch auf Ausgleichszahlungen zu, wenn keine außergewöhnlichen Umstände, der Grund für die erhebliche Verspätung oder Annullierung waren. Fraglich ist jedoch, wie es sich in den Fällen verhält, in denen es zu einer doppelten Verspätung für den Fluggast kommt. Interessant ist die Frage, ob dem Fluggast dann ein doppelter Anspruch auf Ausgleichszahlungen zusteht. Wird ein Flug annulliert und dem Fluggast aus diesem Grund Ausgleichszahlungen geleistet, steht das einer erneuten Leistung von Ausgleichszahlungen nicht entgegen. Wird ein Fluggast also nach Annullierung des ursprünglich gebuchten Fluges auf einen Ersatzflug umgebucht, dann kann er eine weitere Ausgleichsleistung verlangen (Art. 7 analog), wenn dieser Flug ebenfalls annulliert oder mit großer Verspätung durchgeführt wurde. Wird durch die Inanspruchnahme des Ersatzfluges der Zielort um mehr als drei Stunden Verspätung erreicht, dann hat der betroffene Fluggast einen weiteren Anspruch auf Ausgleichszahlungen. Das wird damit begründet, dass die Unannehmlichkeiten, welche dem Fluggast durch die Verspätung des Fluges entstehen und ausschlaggebend für die Leistung von Ausgleichszahlungen sind, bei einer erneuten Verspätung, erneut auftreten und vom Fluggast erneut in Kauf genommen werden müssen. Unannehmlichkeiten entstehen nämlich auch dann, wenn Ersatzflüge annulliert werden oder große Verspätungen aufweisen. Aus diesem Grund erscheint eine doppelte Leistung von Ausgleichszahlungen als gerechtfertigt, denn die Pflicht zur Leistung von Ausgleichszahlungen bezüglich des einen Flug annullierenden Luftverkehrsunternehmens besteht unabhängig davon, ob der Fluggast gegen das den angebotenen Ersatzflug ausführende Luftverkehrsunternehmen Ausgleichsansprüche wegen Verspätung geltend machen könnte.
Analoge Anwendung von Art. 4 der EG-Verordnung 261/2004
Das Argument, welches das ausführende Luftfahrtunternehmen in einem solchen Fall anführen könnte, nämlich, dass die Alternativ-Beförderung kostenfrei für den Fluggast erfolgte und er somit keinen Anspruch auf weitere Ausgleichszahlungen hat, kann nicht angeführt werden. Es ist vielmehr so zu sehen, dass die Alternativbeförderung für den Fluggast nicht etwa kostenfrei erfolgt ist, sondern das Entgelt für den Ersatzflug stellt sich auf die Stelle von dem Ersatzanspruch nach Art. 8 Abs.1 a der EG-Verordnung 261/2004, auf welchen der betroffene Fluggast verzichtet bzw. wird durch die Bezahlung des ursprünglichen Fluges vergütet. Schließlich liegen in einem solchen Fall alle die für eine Analogie erforderlichen Voraussetzungen vor. Es gibt sowohl eine planwidrige Regelungslücke in Art. 4, als auch eine vergleichbare Interessenlage. Mit der Zahlung der Ausgleichsleistungen für den ersten Flug, der verspätet war oder annulliert wurde, werden nur die daraus entstandenen Unannehmlichkeiten (Warten auf den Ersatzflug) ausgeglichen. Bezüglich der (weiteren) Unannehmlichkeiten aufgrund der Verspätung des Ersatzfluges, kann der Fluggast jedoch nicht anders behandelt werden als die übrigen Fluggäste in einem solchen Fall.
Beispiel der Leistung von Ausgleichzahlungen bei doppelter Verspätung
Das oftmals von Luftfahrtunternehmen vorgebrachte Argument, dass Sie die Pflicht hätten nur eine Ausgleichleistung zu erbringen, wenn sie nach einer Annullierung keine anderweitige Beförderung erbringen, ist nicht richtig. Verdeutlichen lässt sich die Sachlage an dem folgenden Beispiel: Ein Fluggast bucht nach einer Annullierung eines Fluges des Unternehmens A einen Flug beim Unternehmen B, weil ihm vom Unternehmen A keine anderweitige Beförderung angeboten wird. Wird der neu gebuchte Flug nun von Unternehmen B annulliert oder unterliegt dieser einer erheblichen Verspätung, dann müsste das Unternehmen B eine Ausgleichsleistung an den Fluggast leisten. Dabei könnte sich das Unternehmen B auch nicht darauf berufen, dass der Fluggast bereits einen Anspruch auf eine Ausgleichsleistung gegen A hat. Folglich ist es sachlich nicht gerechtfertigt, die Rechtslage anders zu beurteilen, wenn beide Flüge bei demselben Unternehmen gebucht wurden. Im vorliegenden Fall z.B. bei dem Unternehmen A.
Vorlegung zum EuGH
Die Frage nach einem sogenannten „Doppelanspruch“ war bereits Gegenstand des Vorabentscheidungsersuchens beim EuGH (Rs. C-305/15 – Delta Air Lines/Hansen). Leider wurde dieses jedoch am 9.6.2016 wieder aus dem Register genommen. Nun hat das HG Wien mit Beschluss v. 13.8.2018 die gleichen Rechtsfragen dem EuGH nochmals vorlegt und einen weiteren Rechtsstreit (50 R 39/18v) in Erwartung einer Klärung ausgesetzt (Beschl. v. 6.9.2018). Die Ausführungen des EuGH im Urteil 13.10.2011 (Rs. C8310 C- 83/10 Sousa Rodriguez/Air France) sind so zu verstehen, dass die Verletzung einer Verpflichtung aus den Art.8 und Art. 9 bereits zu einem Ausgleichsanspruch führt. Ein Ausgleichsanspruch ist also bereits dann gegeben, wenn keine anderweitige Beförderung durch das Luftfahrtunternehmen angeboten wird.
Gerichtsentscheidungen
BGH, Urt. v. 10.10.2017, Az.: X ZR 73/16
Wird der erste Teilflug annulliert und dem Fluggast daraufhin ein Ersatzflug angeboten damit dieser seinen Anschlussflug noch erreichen kann, welcher jedoch auch an einer erheblichen Verspätung leidet und der Fluggast somit seinen Anschlussflug verpasst, hat der betroffene Fluggast einen Anspruch auf Ausgleichszahlungen, da die Pflicht zur Leistung einer Ausgleichszahlung bei Annullierung nur dann entfällt, wenn der Fluggast sein Endziel mit einer Verspätung von weniger als 2 Stunden erreicht.
AG Köln, Urt. vom 24.10.2016, Az.: 142 C 482/15
Verpasst der Fluggast seinen Anschlussflug weil sein Zubringerflugzeug nicht rechtzeitig ankam, so steht dem Fluggast ein Anspruch auf Ausgleichszahlungen zu.
LG Korneuburg, Urt. v. 28.11.17, Az.: 21 R 336/17
Wird ein Flug annulliert und eine entsprechende Ausgleichszahlung geleistet, dann fällt gleichwohl ein weiterer Anspruch auf Zahlung eines Ausgleichs dann an, wenn der von dem Fluggast in Anspruch genommene Ersatzflug um mehr als 3 Stunden verspätet ankommt.
AG Frankfurt a. M., Urt. v. 27.6.2017, Az.: 30 C 553/17-20
Die Unannehmlichkeiten für den Fluggast, die nach den Grundsätzen des EuGH in der Sturgeon-Entscheidung als maßgeblich für die Ausgleichszahlung anzusehen sind, bei der Verspätung des Ersatzfluges erneut auftreten, so dass in diesen Fällen eine doppelte Ausgleichszahlung gerechtfertigt ist. Ebenso ist die Alternativ-Beförderung nicht etwa kostenfrei erfolgt; vielmehr kann das Entgelt für diesen Flug darin gesehen werden, dass der Fluggast auf den ihm nach EWG_VO_261_2004 Artikel 8 Absatz 1 a gewährten Ersatzanspruch verzichtet hat.
AG Erding, Urt. v. 8.6.2018 – Az.: 14 C 3351/17
Nach Ansicht des Gerichts besteht ein Ausgleichsanspruch nach Art. der VO (EG) Nr. 261/2004 auch im Falle der Annullierung oder großen Verspätung einer Ersatzbeförderung. Die Kläger befanden sich hier in genau der gleichen Lage wie jeder andere Fluggast bei einer Verspätung oder Annullierung auch.
BGH, Urt. v. 10.10.2017, Az.: X ZR 73/16, LG Düsseldorf, Urt. v. 18.12.2015, Az.: 22 S 231/15; AG Düsseldorf, Urt. v. 7.5.2015, Az.: 50 C 415, AG Frankfurt a. M., Urt. v. 16.5.2013, Az.: 31 C 3349/12-78, HG Wien, Urt. v. 19.12.2017, Az.: 1 R 45/17
Die Ausgleichspflicht des einen Flug annullierenden Luftverkehrsunternehmens besteht unabhängig davon, ob der Fluggast gegen das den angebotenen Ersatzflug ausführende Luftverkehrsunternehmen Ausgleichsansprüche wegen Verspätung geltend machen könnte.