Abfertigung und Rollstuhlservice

Aus PASSAGIERRECHTE
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Nichtbeförderung

Um einen Anspruch wegen Nichtbeförderung geltend zu machen, muss der Fluggast rechtzeitig am Flugsteig anwesend sein und der Einstieg muss diesem verweigert werden (BGH NJW 2009, 2740, Rn. 8, RRa 2009, 239). Unter Flugsteig versteht man den Ort, an dem sich die Fluggäste kurz vor dem Antritt ihres Fluges versammeln, bevor sie ihre Bordkarte vorzeigen und dann das Flughafengebäude verlassen. Dieses können sie entweder über eine Fluggastbrücke verlassen um das Flugzeug zu betreten oder sie können zu Fuß oder mit einem Bus über das Vorfeld zum Flugzeug gelangen. Von dem Flugsteig muss der Abfertigungsschalter unterschieden werden, an dem sich die Fluggäste ausschließlich zur Abfertigung einfinden um dort ihre Reisedokumente vorzulegen, mitgebrachtes Reisegepäck abgeben und ihre Bordkarten in Empfang nehmen (Schmid/Degott/Hopperdietzel/Maruhn, Fluggastrechte -Kommentar online, Art. 2 Rn. 44).

Rechtzeitiges Einfinden am Gate

In der Verordnung lassen sich keine Angaben dazu finden, wann ein Fluggast sich rechtzeitig am Flugsteig eingefunden hat. Es kommt wie bereits geschildert nicht darauf an, wann sich ein Fluggast am Abfertigungsschalter einfindet, sondern ob er rechtzeitig am Flugsteig erscheint und dann trotzdem nicht von dem Luftfahrtunternehmen befördert wird (AG Köln, Urt. v. 11.09.07, Az.: 124 C 48/07, BeckRS 2007, 31504). Dabei muss sich der Fluggast, wenn schon nicht zur angegebenen Einsteigezeit, dann wenigstens bis zum Ende des Einsteigevorgangs am Ausgang befinden (BGH, NJW 2009, 2740, Rn. 9). Davon kann auch nicht abgesehen werden, wenn beide Flüge gemeinsam gebucht werden und durch dasselbe Luftfahrtunternehmen durchgeführt werden (BGH, NJW 2009, 2740, Rn. 6). Im vorliegenden Fall waren die Fluggäste bis zur Beendigung des Einsteigevorgangs immer noch nicht am Flugsteig im Flughafen Frankfurt am Main und ihnen wurde somit keine Beförderung verweigert. Eine rein tatsächliche Nicht(weiter)beförderung ist für die Anwendung des Art. 4 III VO nicht ausreichend (NJW 2009, 2740).

Vorliegen einer Beförderungsverweigerung

Von einer Beförderungsverweigerung kann immer nur dann auszugehen sein, wenn eine solche dem Fluggast gegenüber zum Ausdruck gebracht wird. Das Begehren des Fluggastes am Flug teilzunehmen muss zurückgewiesen werden (BGH, Hinweisbeschl. V. 16.04.13, Az.: X ZR 83/12, NJW-RR 2013, 1462). Das ergibt sich nicht ausschließlich aus dem Wortlaut der Bestimmung sondern lässt sich auch auf die Entstehungsgeschichte der Verordnung zurückführen. Denn das Luftfahrtunternehmen soll nur dann Ausgleichszahlungen leisten, wenn er Fluggäste wegen einer Überbuchung zurückweist (BGH, Urt. v. 30.04.09, Az.: Xa ZR 79/08, BeckRS 2009, 18383).

Rollstuhlservice

Hier kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich die Fluggäste durch das Einfinden am Flugsteig in München bereits in die Hände des Luftfahrtunternehmens begeben haben. Ein Fluggast muss dennoch selbstständig zur angegebenen Zeit am Gate befinden. Wenn ein Fluggast dazu nicht in der Lage ist, so kann er Gebrauch von dem Rollstuhlservice des Flughafenbetreibers machen. Der Rollstuhlservice liegt dann auch im Verantwortungsbereich des Flughafenbetreibers und nicht des Luftfahrtunternehmens. Nach Art. 7 I VO (EG) Nr. 1107/2006 muss das Leitungsorgan des Flughafens dafür Sorge tragen, dass Hilfe so zur Verfügung steht, dass eine in der Mobilität eingeschränkte Person ihren Flug, für den sie in Besitz einer Buchung ist antreten kann. Den Leitungsorganen von Flughäfen sollte nach dieser Verordnung die Gesamtverantwortung übertragen werden, den sie übernehmen eine zentrale Rolle bei allen Dienstleistungen auf den Flughäfen (Präambel 6 der Verordnung (EG) Nr. 1107/2006). Weiterhin spricht dafür die Nähe des Flughafens zum Flughafenbetreiber und dessen Beherrschbarkeit der Abläufe im Flughafen. Die in der Mobilität eingeschränkte Person muss sich dabei entweder eigenständig zur Abfertigung einfinden oder an einem innerhalb des Flughafens ausgewiesenen Ort. Weiterhin ist zu beachten, dass die Fluggastrechteverordnung nicht alle Fälle regeln kann, in denen ein Fluggast nicht zu dem geschuldeten Zeitpunkt befördert werden kann. Es sind bereits die Fälle der Annullierung, Nichtbeförderung und Verspätung geregelt. Dadurch werden bereits die Mindestrechte für Fluggäste geregelt. Solche Mindestrechte folgen nicht aus dem Beförderungsvertrag, sondern stehen einem Fluggast unabhängig davon zu ob vertragliche Beziehungen bestehen (BGH, Hinweisbeschluss vom 16.04.13, Az.: X ZR 83/12, NJW-RR 2013, 1462). Die Fluggastrechteverordnung soll nur einen Mindestschutz gewähren. Darüber hinausgehende Ansprüche sollen durch nationales Recht geregelt werden. Es liegt demnach keine planwidrige Regelungslücke vor, die durch die Schaffung einer weiteren Anspruchsgrundlage geschlossen werden müsste. Eine solche Analogiebildung würde gegen die Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung sprechen und ist damit nicht zulässig (LG Frankfurt, Urt. v. 23.09.10, Az. 2 24 S 281/10, BeckRS 2011, 384). Den Fluggästen steht kein Anspruch auf Ausgleichszahlungen zu.

LG Frankfurt, Urt. v. 22.12.16, Az.: 2 24 S 110/16

Inhalt

Im vorliegenden Fall wurde von dem Fluggast für sich und seine Eltern einen Flug bei Air Canada gebucht. Der Flug sollte am 14.05.15 von München nach Frankfurt am Main gehen und dann mit Weiterflug nach Vancouver. Da die Eltern in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, wurde gleichzeitig ein Rollstuhlservice bis zur Rampe gebucht. Beide Flugabschnitte wurden im Rahmen eines Code-Sharings durchgeführt. Die Fluggäste verfügten bereits über eine bestätigte Buchung, die Bordkarten und eine Sitzplatzzuweisung für den Flug von Frankfurt nach Vancouver. Bei dem Flug von München nach Frankfurt gab es keinerlei Probleme, da dieser pünktlich startete und landete. Die Fluggäste verpassten jedoch den Anschlussflug von Frankfurt am Main nach Vancouver, da sie verspätet am Gate erschienen sind. Den Fluggästen wurde eine Übernachtung im Hotel und Essensgutscheine zur Verfügung gestellt. Am nächsten Tag wurden die Fluggäste über London an ihr Endziel Vancouver befördert und erreichten ihr Endziel mit einer Verspätung von 22 Stunden. Die Fluggäste verlangen eine Ausgleichszahlung in Höhe von 600 €.

Tenor

Das AG Frankfurt am Main entschied, dass keine Nichtbeförderung nach Art. 4 Abs. 3 VO vorlag, da die Fluggäste nicht rechtzeitig zur Abfertigung am Gate erschienen sind. Von den Verpflichtungen aus Art. 7 der Verordnung EG Nr. 1107/2006 über die Rechte von behinderten Flugreisenden und Flugreisenden mit eingeschränkter Mobilität ist nur das Leistungsorgan des Flughafens betroffen. Da der gebuchte Flug von Frankurt nach Vancouver planmäßig durchgeführt wurde, kann weder eine Annullierung noch eine große Verspätung des Flugs angenommen werden. Weiterhin lag keine Weigerung des Luftfahrtunternehmens vor, die Fluggäste nicht zu befördern. Unter einer Nichtbeförderung ist nach Art. 2 lit. j) VO die Weigerung zu verstehen, Fluggäste zu befördern, die sich unter den in Art. 3 Abs. 2 VO genannten Bedingungen am Flugsteig eingefunden haben. Weiterhin muss der Fluggast über eine bestätigte Buchung verfügen, sich zur angegebenen Zeit oder mangels einer solchen Angabe 45 Minuten vor dem planmäßigen Abflug zur Abfertigung einfinden. Schließlich muss dem erschienen Fluggast der Einstieg gegen seinen Willen verweigert werden. Im vorliegenden Fall hatten die Fluggäste eine bestätigte Buchung für den Anschlussflug und sie waren rechtzeitig zur Abfertigung da. Wenn der Fluggast mit seinem Reisegepäck bereits am Abflugort des Zubringerfluges auch für den Abschlussflug abgefertigt wird, so muss auf dem Anschlussflug weder eine erneute Abfertigung am Umsteigeflughafen erfolgen noch eine Ankunft 45 Minuten vor dem Abflug des Anschlussfluges um eine Ausgleichszahlung wegen Nichtbeförderung zu erhalten (BGH, Urt. v. 28.08.12, Az.: X ZR 128/11, RRa 2012, 285 f.).

Urteile

Urteile Aktenzeichen Zusammenfassung
AG Köln, Urteil vom 11.9.2017 124 C 48/07 Eine geringe Verspätung des Zubringerfluges begründet keinen Ausgleichsanspruch aus der Europäischen Fluggastrechteverordnung.
BGH, Hinweisbeschluss vom 16.4.2013 X ZR 83/12 Eine Beförderungsverweigerung im Sinne der Fluggastrechteverordnung liegt nur dann vor, wenn diese auch gegenüber dem Fluggast zum Ausdruck gebracht wurde.
BGH, Urteil vom 30.4.2009 Xa ZR 79/08 Ein Anspruch auf Ausgleichszahlung im Fall einer Nichtbeförderung besteht nur dann, wenn die Airline dem Fluggast unmissverständlich mitteilt, dass sie sich weigert diesen zu befördern.
LG Frankfurt, Urteil vom 22.12.2016 2-24 S 110/16 Ein Internet-Reisebüro, das über ein Buchungsportal Luftbeförderungsverträge anbietet, ist lediglich als Vermittler tätig, wenn in der Rechnung und dem Ticket darauf hingewiesen wird, dass diese im Namen und für Rechnung der Fluggesellschaft geschlossen wurden.
BGH, Urteil vom 28.8.2012 X ZR 128/11 Wird der Reisende mit seinem Reisegepäck am Abflugort für den Zubringerflug auch bereits für den Anschlussflug abgefertigt, setzt ein Ausgleichsanspruch wegen Nichtbeförderung auf dem Anschlussflug weder eine erneute Abfertigung am Umsteigeflughafen noch eine Ankunft 45 Minuten vor dem Abflug des Anschlussfluges voraus.
LG Frankfurt, Urteil vom 23.9.2010 2-24 S 281/10 Ein Anspruch auf Ausgleichszahlung besteht bei einer Verspätung nur, wenn auch eine Abflugverspätung gemäß Artikel 6 der Fluggastrechteverordnung vorliegt.

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