Schlussanträge der Generalanwältin Eleanor Sharpston vom 27. September 2007 (Rechtssache C‑396/06)
SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN
ELEANOR SHARPSTON
vom 27. September 2007
Rechtssache C‑396/06
Eivind F. Kramme
gegen
SAS Scandinavian Airlines Danmark A/S
„Luftverkehr – Annullierung von Flügen – Ausgleichsleistungen für Fluggäste – Außergewöhnliche Umstände – Technische Probleme –Zumutbare Maßnahmen – Kausalzusammenhang – Beweis“
1. Mit diesem Vorabentscheidungsersuchen möchte das Østre Landsret (Landgericht Ost) in Kopenhagen, Dänemark, vom Gerichtshof im Wesentlichen wissen, ob Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 einer Fluggesellschaft gestattet, an Fluggäste wegen Annullierung ihrer Flüge dann keine Ausgleichsleistungen zu erbringen, wenn das für den Flug vorgesehene Luftfahrzeug aufgrund technischer Probleme außer Betrieb gesetzt werden musste.
2. Nach der Verordnung haben Luftfahrtunternehmen den Fluggästen für die Ärgernisse und Unannehmlichkeiten Ausgleichsleistungen zu erbringen, die durch Annullierung von Flügen entstehen. Art. 5 Abs. 3 stellt ein Luftfahrtunternehmen von der Leistung einer Ausgleichszahlung frei, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich nicht in zumutbarer Weise hätten vermeiden lassen. Mit den Vorlagefragen wird der Gerichtshof somit erstmals um Auslegung dieser Vorschrift ersucht.
Einschlägige Rechtsvorschriften
Das Übereinkommen von Montreal
3. Das von der Gemeinschaft unterzeichnete Übereinkommen von Montreal will das Warschauer Abkommen modernisieren und konsolidieren. Es erkennt das Erfordernis des Schutzes der Verbraucherinteressen bei der Beförderung im internationalen Luftverkehr und eines angemessenen Schadensersatzes an.
4. Das Übereinkommen behandelt die Annullierung von Flügen nicht speziell. Gemäß seinem Art. 19 hat ein Luftfahrtunternehmen allerdings den Schaden zu ersetzen, der durch Verspätung von Flügen entsteht, es sei denn, es „[weist nach], dass [es] und seine Leute alle zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung des Schadens getroffen haben oder dass es ihm oder ihnen nicht möglich war, solche Maßnahmen zu ergreifen“.
5. Art. 29 beschränkt sämtliche Schadensersatzansprüche im Zusammenhang u. a. mit der Beförderung von Reisenden auf die in diesem Übereinkommen vorgesehenen Beträge und stellt klar, dass jeder eine Strafe einschließende, verschärfte oder sonstige nicht kompensatorische Schadensersatz ausgeschlossen ist.
Verordnung Nr. 261/2004
6. Die Verordnung Nr. 261/2004 verstärkt den Schutz, der Fluggästen in der Gemeinschaft gewährt wird. Mit ihr wird die Verordnung (EWG) Nr. 295/91 aufgehoben, deren Anwendungsbereich sich – lediglich bei Linienflügen – darauf beschränkte, Erstattung oder anderweitige Beförderung, unentgeltliche Leistungen und Mindestniveaus für Ausgleichsleistungen an nicht beförderte Fluggäste vorzusehen. Die neue Verordnung gilt für sämtliche gewerblichen Flüge und regelt neben den Fällen der Nichtbeförderung die Annullierung und die Verspätung von Flügen. Sie sieht Ausgleichsleistungen an Fluggäste nicht nur dann vor, wenn ihnen die Beförderung verweigert wird, sondern auch dann, wenn ihr Flug annulliert wird.
7. In den Erwägungsgründen der Verordnung Nr. 261/2004 wird dargelegt, dass zwar die aufgehobene Verordnung einen grundlegenden Schutz geboten habe, dass aber die Zahl der Fluggäste weiterhin zu hoch bleibe, denen Nichtbeförderung, Annullierungen und große Verspätungen ein Ärgernis seien und große Unannehmlichkeiten bereiteten. Die Gemeinschaft solle deshalb die Schutzstandards auf ein hohes Niveau anheben, die Fluggastrechte stärken und dabei den Erfordernissen des Verbraucherschutzes im Allgemeinen Rechnung tragen.
8. Der 12. Erwägungsgrund handelt von den Annullierungen. Das Ärgernis und die Unannehmlichkeiten, die den Fluggästen entstünden, sollten dadurch verringert werden, dass die Luftfahrtunternehmen veranlasst würden, die Fluggäste im Voraus über Annullierungen zu unterrichten und ihnen eine zumutbare anderweitige Beförderung anzubieten. Andernfalls solle, soweit keine außergewöhnlichen Umstände vorlägen, die sich nicht in zumutbarer Weise hätten vermeiden lassen, eine Ausgleichsleistung erbracht werden.
9. Im 14. Erwägungsgrund wird zu dem Begriff „außergewöhnliche Umstände“ ausgeführt:
„Wie nach dem Übereinkommen von Montreal sollten die Verpflichtungen für ausführende Luftfahrtunternehmen in den Fällen beschränkt oder ausgeschlossen sein, in denen ein Vorkommnis auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Solche Umstände können insbesondere bei politischer Instabilität, mit der Durchführung des betreffenden Fluges nicht zu vereinbarenden Wetterbedingungen, Sicherheitsrisiken, unerwarteten Flugsicherheitsmängeln und den Betrieb eines ausführenden Luftfahrtunternehmens beeinträchtigenden Streiks eintreten.“
10. Im 15. Erwägungsgrund wird als weiteres Beispiel außergewöhnlicher Umstände eine Entscheidung des Flugverkehrsmanagements zu einem einzelnen Flugzeug an einem bestimmten Tag angeführt, die zur Folge hat, dass eine große Verspätung eintritt oder es zu Annullierungen von Flügen kommt.
11. Art. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 erläutert, dass durch diese Verordnung Mindestrechte für Fluggäste u. a. für den Fall, dass ihr Flug annulliert wird, festgelegt werden.
12. In Art. 2 definiert die Verordnung den Begriff der „Annullierung“ und trifft sodann in Art. 5 Regelungen für die Annullierung von Flügen. Gemäß Art. 5 Abs. 1 Buchst. a haben die betroffenen Fluggäste die Wahl zwischen einer anderweitigen Beförderung oder einer Erstattung und Anspruch auf angemessene unentgeltliche Leistungen nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. b.
13. Nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. c haben derartige Fluggäste gemäß Art. 7 einen Anspruch auf Ausgleichsleistungen seitens des ausführenden Luftfahrtunternehmens, es sei denn, sie werden über die Annullierung mindestens zwei Wochen im Voraus unterrichtet oder erhalten – wenn die Unterrichtung weniger als zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit erfolgt – ein Angebot zur anderweitigen Beförderung mit Flügen, die innerhalb genau angegebener Zeitfenster abfliegen und ankommen.
14. Art. 5 Abs. 3 sieht vor:
„Ein ausführendes Luftfahrtunternehmen ist nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen gemäß Artikel 7 zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.“
15. Art. 7 regelt u. a. die Höhe der zu entrichtenden Ausgleichszahlungen, nämlich 250 EUR, 400 EUR oder 600 EUR pro Fluggast, je nach Entfernung und abhängig davon, ob es sich um innergemeinschaftliche Flüge handelte. Unter bestimmten Voraussetzungen können die Beträge um 50 % gekürzt werden.
Regeln über die Luftsicherheit
16. Die von den Joint Aviation Authorities (Vereinigte Luftaufsichtsbehörden, im Folgenden: JAA) und der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (im Folgenden: EASA) aufgestellten Vorschriften über die Luftsicherheit und die Lufttüchtigkeit in der Gemeinschaft sind, obwohl sie in der vorliegenden Rechtssache nicht unmittelbar in Rede stehen, für die vorgelegten Fragen von Relevanz. Sie finden sich im Anhang der Verordnungen der Gemeinschaft zur Harmonisierung der zivilen Luftfahrt. Die Verordnung (EG) Nr. 1592/2002 (Grundverordnung) sieht den Erlass von Durchführungsmaßnahmen durch die Kommission vor. Eine dieser Durchführungsmaßnahmen ist die Verordnung (EG) Nr. 2042/2003, mit der die EASA‑Vorschriften von Teil‑M (Aufrechterhaltung der Lufttüchtigkeit) und Teil‑145 (Erteilung von Genehmigungen für Instandhaltungsbetriebe) übernommen werden. Die JAR‑OPS‑1‑Vorschriften der JAA mit der Bezeichnung „Commercial air transportation (aeroplanes)“ (gewerblicher Luftverkehr mit Flächenflugzeugen) finden sich im Anhang der Verordnung (EG) Nr. 1899/2006, die keine der von der Grundverordnung vorgesehenen Durchführungsverordnungen ist.
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
17. Am 27. Februar 2005 annullierte die SAS Danmark A/S (im Folgenden: SAS), die Beklagte des Ausgangsverfahrens, ihren 20:45‑Uhr‑Flug von Paris nach Kopenhagen. Der Kläger Kramme hatte einen Platz auf diesem Flug gebucht. Er verbrachte die Nacht in Paris und kehrte am folgenden Tag nach Dänemark zurück.
18. Daraufhin verklagte er SAS und beantragte – für sich selbst und drei Mitreisende – die Erstattung der Auslagen, die ihnen infolge der Annullierung entstanden seien, und Ausgleichszahlungen gemäß der Verordnung Nr. 261/2004.
19. SAS erstattete die Auslagen, weigerte sich aber, Ausgleichszahlungen zu leisten. Das Unternehmen machte geltend, die Annullierung sei infolge technischer Probleme des Luftfahrzeugs erfolgt, das für den Flug vorgesehen gewesen sei; dies seien außergewöhnliche Umstände im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung.
20. Im Vorabentscheidungsersuchen wird die Abfolge der Ereignisse, die zu Annullierung des Fluges führten, sorgfältig beschrieben, und zusätzliche Einzelheiten ergeben sich aus dem Wartungsbuch des betreffenden Luftfahrzeugs. Am 28. Januar 2005 wurde das fragliche Luftfahrzeug einem „B‑check“ unterzogen, der jeweils nach 275 Flugstunden durchgeführt wird. Am 26. Februar 2005 hörte der Pilot auf einem Flug von Kopenhagen nach Helsinki unnatürliche, von der Flugzeugnase kommende Geräusche. Bei einer Untersuchung in Helsinki ließ sich der Grund der Geräusche nicht feststellen, die auf dem Rückflug nach Kopenhagen weiterhin zu hören waren. Am 27. Februar 2005 wurde das Flugzeug für weitere Flüge eingesetzt, und es wurde vorübergehend repariert, bevor es im Hinblick auf eine gründlichere Inspektion außer Betrieb gesetzt wurde. Den Ausführungen von SAS zufolge war kein anderes Luftfahrzeug verfügbar, da ausnahmsweise acht ihrer Flugzeuge gerade technisch überprüft wurden. Folglich annullierte das Unternehmen den Hin- und Rückflug nach Paris vom 27. Februar 2005, der mit dem außer Betrieb gesetzten Luftfahrzeug hätte durchgeführt werden sollen. Es wurde bekannt, dass die Geräusche von der Luke der Landungsräder herrührten. Die Lukenbefestigung wurde justiert und das Problem behoben.
21. Herr Kramme, der beim Gerichtshof keine Stellungnahme eingereicht hat, machte vor dem nationalen Gericht geltend, dass der Flug von Paris nach Kopenhagen aus kommerziellen Gründen annulliert worden sei und dass technische Probleme nicht von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 erfasst würden.
22. Das vorlegende Gericht hat beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Liegen außergewöhnliche Umstände im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 vor, wenn ein Luftfahrzeug wegen technischer Probleme außer Betrieb gesetzt wird und dies eine Annullierung des Fluges zur Folge hat?
2. Wenn Frage 1 bejaht werden sollte: Welche zumutbaren Maßnahmen im Sinne der Verordnung muss ein Luftfahrtunternehmen treffen, um Annullierungen wegen technischer Probleme zu vermeiden?
3. Wenn Frage 1 bejaht werden sollte: Hat ein Luftfahrtunternehmen alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen, um eine Annullierung im Sinne der Verordnung zu vermeiden, wenn sich feststellen lässt, dass keine freien Luftfahrzeuge zur Durchführung des Fluges zur Verfügung standen, den das Luftfahrzeug, das aufgrund technischer Probleme außer Betrieb gesetzt wurde, planmäßig hätte durchführen sollen?
4. Wenn Frage 1 bejaht werden sollte: Ist es von Bedeutung, wenn die Unterlagen über die technischen Probleme, auf die sich das Luftfahrtunternehmen beruft, ausschließlich von diesem Luftfahrtunternehmen selbst stammen?
23. SAS, Frankreich, Griechenland und die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. SAS, Griechenland und die Kommission haben sich in der Sitzung vom 5. Juli 2007 mündlich geäußert.
Würdigung
Vorbemerkung
24. In der zweiten und dritten Frage scheint das vorlegende Gericht die Voraussetzung in Art. 5 Abs. 3, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgehen muss, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären, falsch verstanden zu haben.
25. Erstens muss das Unternehmen nicht tatsächlich alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen haben, wie es diese Fragen anzudeuten scheinen. Vielmehr muss es zeigen, dass die Umstände sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn es sie ergriffen hätte.
26. Zweitens impliziert die Frage, dass die Annullierung unvermeidbar sein muss. Aus dem Satzbau von Art. 5 Abs. 3, insbesondere aus der Stellung des Relativpronomens „die“, wird aber klar, dass sich die Worte „nicht hätten vermeiden lassen“ auf „außergewöhnliche Umstände“ beziehen. In Sprachen, in denen das Verb „(nicht hätten) vermeiden lassen“ eine spezielle Pluralform annehmen kann, findet es sich in dieser Form. Darüber hinaus ist in den Sprachen, in denen das Wort „vermeiden“ als veränderliches Partizip Perfekt gebraucht wird und in Numerus und Genus das Bezugswort erkennen lässt, dieses Bezugswort „Umstände“ und nicht „Annullierung“.
27. Die Kommission, die sich in dieser Hinsicht der Lesart des vorlegenden Gerichts von Art. 5 Abs. 3 anschließt, stützt sich zur Rechtfertigung ihrer Auslegung darauf, dass in Erwägungsgrund 14 auf das Übereinkommen von Montreal verwiesen werde. Sie stellt fest, dass nach Art. 19 dieses Übereinkommens zumutbare Maßnahmen zur Vermeidung des (Verspätungs-)Schadens getroffen werden sollten.
28. Diesem Argument schließe ich mich nicht an. Der Verweis auf das Übereinkommen von Montreal in Erwägungsgrund 14 der Verordnung Nr. 261/2004 ist allgemeiner Natur. Er stellt lediglich eine Verbindung zwischen zwei Texten her, ohne eine bestimmte Vorschrift zu erwähnen. Besonders klar wird dies in der französischen Fassung des Erwägungsgrunds, die mit „Tout comme dans le cadre de la convention de Montréal …“ (Hervorhebung nur hier) beginnt.
29. Es gibt noch weitere Hinweise darauf, dass mit Erwägungsgrund 14 nicht beabsichtigt ist, im Wege einer Verweisung den genauen Wortlaut von Art. 19 des Übereinkommens zu übernehmen. Letzterer spricht beispielsweise nicht von „außergewöhnlichen Umständen“. Außerdem schränkt das Übereinkommen die Haftung für Verspätungsschäden ein, wohingegen die Verordnung keine spezifischen Regelungen für Ausgleichszahlungen wegen Verspätungen als solchen enthält. Schließlich verlangt Art. 19 des Übereinkommens – anders als Erwägungsgrund 14 –, dass ein „Luftfrachtführer“ nachweist, tatsächlich zumutbare Maßnahmen getroffen zu haben (oder dass es ihm nicht möglich war, dies zu tun).
30. Daraus schließe ich, dass Erwägungsgrund 14 der Verordnung Nr. 261/2004 lediglich auf das allgemeine System des Übereinkommens von Montreal verweist, das für die Haftung von Fluggesellschaften Haftungsbegrenzungen vorsieht. Der Wortlaut des Erwägungsgrunds trägt nicht die Auslegung, die das vorlegende Gericht und die Kommission Art. 5 Abs. 3 der Verordnung geben. Auf jeden Fall gestattet ein Erwägungsgrund keine Abweichung vom tatsächlichen Wortlaut einer Rechtsnorm.
31. Die Vorlagefragen sind daher umzuformulieren. Um dem nationalen Gericht eine sinnvolle Antwort zu geben, sollte diese auf die drei Tatbestandsmerkmale abstellen, die eine Fluggesellschaft für den Nachweis gemäß Art. 5 Abs. 3 geltend machen muss, nämlich, dass die Annullierung (i) zurückgeht auf (ii) Umstände, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen getroffen worden wären, und die (iii) außergewöhnlich waren. Die ersten drei Fragen des nationalen Gerichts betreffen diese Tatbestandsmerkmale und können zusammen geprüft werden. Die vierte Frage gilt dem Beweis und kann getrennt beantwortet werden.
32. Begrifflich mögen die drei Tatbestandsmerkmale in Art. 5 Abs. 3 jeweils separat für sich stehen, aber sie überschneiden sich klar in gewissem Umfang. Die Verfügbarkeit eines Ersatzflugzeugs z. B., die eine der Streitfragen im Ausgangsverfahren ist, und die zur Bereitstellung eines solchen Flugzeugs erforderliche Zeit beziehen sich beide auf den Kausalzusammenhang und die zumutbaren Maßnahmen, die hätten ergriffen werden können.
Fragen 1, 2 und 3
33. Mit seinen ersten drei Fragen möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen für den Fall, dass ein Flug infolge Außerbetriebstellung des für ihn vorgesehenen Flugzeugs wegen technischer Probleme annulliert wird, wissen, (i) auf welche Umstände die Annullierung „zurückgehen“ kann, (ii) welche Maßnahmen ein Luftfahrtunternehmen zumutbarerweise hätte ergreifen können, um diese Umstände zu vermeiden, und (iii) welche Umstände als „außergewöhnlich“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 anzusehen sind.
34. Bevor auf diese spezifischen Punkte eingegangen wird, ist es wichtig, die Funktion von Art. 5 Abs. 3 im Rahmen der Verordnung Nr. 261/2004 zu ermitteln.
35. Ihren Erwägungsgründen zufolge zielt die Verordnung darauf ab, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen und ihre Rechte zu stärken. Sie will die durch Annullierungen verursachten Ärgernisse und Unannehmlichkeiten verringern, indem sie die Fluggesellschaften zu einer Information im Voraus und dem Angebot einer anderweitigen Beförderung veranlasst.
36. Der Anspruch auf Ausgleichsleistung entsteht nur unter bestimmten Voraussetzungen. Nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. c haben Fluggäste keinen derartigen Anspruch, wenn sie über eine Annullierung mindestens zwei Wochen im Voraus unterrichtet worden sind oder ihnen – wenn die Unterrichtung weniger als zwei Wochen vor der Abflugzeit erfolgt – eine anderweitige Beförderung auf innerhalb genau angegebener Zeitfenster abfliegenden und ankommenden Flügen angeboten wird. In derartigen Fällen wird stillschweigend davon ausgegangen, dass die Ärgernisse und Unannehmlichkeiten, die sie erlitten haben, nicht erheblich waren. Andernfalls ist ein Ausgleich im Wesentlichen für den immateriellen Schaden zu leisten, bei dem davon ausgegangen wird, dass er aus der Annullierung folgt. Die Ausgleichszahlungen stehen daher in erster Linie mit derartigen (unterstellten) Schäden in Zusammenhang und nicht, wie SAS in ihren schriftlichen Erklärungen vorträgt, damit, ob die Annullierung auf kommerziellen Gründen beruhte.
37. Nach Art. 5 Abs. 3 kann ein Luftfahrtunternehmen unter bestimmten Umständen der Pflicht enthoben werden, den Fluggästen die Ausgleichszahlungen zu leisten, auf die sie sonst gemäß Art. 5 Abs. 1 Buchst. c Anspruch haben. Als Ausnahme von dem Anspruch auf Ausgleichszahlung sollte diese Vorschrift eng ausgelegt werden. Während die Verordnung Nr. 261/2004 auf ein hohes Schutzniveau für Fluggäste abzielt, schränkt sie bereits die Umstände ein, unter denen der Anspruch auf Ausgleichszahlung entsteht, und die als Ausgleich geschuldeten Beträge sind nicht übermäßig hoch. Es scheint daher in besonderem Maße angezeigt, Art. 5 Abs. 3 eng auszulegen.
Kausalzusammenhang
38. Einige der Beispiele, die in Erwägungsgrund 14 der Verordnung Nr. 261/2004 für außergewöhnliche Umstände genannt werden, führen ihrer Art nach unmittelbar zur Annullierung von einem oder mehreren Flügen. Dies ist der Fall bei politischer Instabilität, mit der Durchführung des betreffenden Fluges nicht zu vereinbarenden Wetterbedingungen und Streiks, die den Betrieb eines Luftfahrtunternehmens beeinträchtigen.
39. Demgegenüber führt es nicht automatisch zur Annullierung des Fluges, für den das Luftfahrzeug vorgesehen war, wenn dieses wegen eines technischen Problems außer Betrieb gesetzt wird. Der Flug kann immer noch durchgeführt werden, wenn ein Ersatzflugzeug eingesetzt wird.
40. Es ist Sache des nationalen Gerichts, Punkte wie den zu klären, wie viel Zeit es die Fluggesellschaft gekostet hätte, um unter den obwaltenden Umständen für Ersatz zu sorgen. Eine Fluggesellschaft braucht eine gewisse Zeit, um ein Reserveflugzeug flugtauglich zu machen. Womöglich ist es notwendig, das Flugzeug von der Basis zum Abflugflughafen des betreffenden Fluges zu fliegen. Jedoch kann die Vorbereitung für einen Ersatz dann beginnen, wenn sich klar erweist, dass das schadhafte Flugzeug außer Dienst gestellt werden muss. Außerdem lässt sich möglicherweise der fragliche Flug ohne erhebliche weitere Auswirkungen verzögern.
41. Folglich geht die Annullierung, wann immer ein Flug infolge der Außerbetriebsetzung des ursprünglich für ihn vorgesehenen Luftfahrzeugs annulliert wird, tatsächlich auf (i) die Außerbetriebsetzung dieses Luftfahrzeugs und (ii) die Nichtverfügbarkeit eines Ersatzflugzeugs zurück. Unter derartigen Umständen kann sich eine Fluggesellschaft nur auf Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 berufen, wenn sowohl (i) als auch (ii) als außergewöhnliche Umstände einzustufen sind.
Zumutbare Maßnahmen
42. Das nationale Gericht wird darüber befinden müssen, ob durch zumutbare Maßnahmen, wenn sie ergriffen worden wären, entweder die Außerbetriebsetzung des ursprünglich vorgesehenen Luftfahrzeugs oder die Nichtverfügbarkeit eines Ersatzflugzeugs hätte vermieden werden können.
43. Hinsichtlich der Außerbetriebsetzung des ursprünglich für den Flug vorgesehenen Flugzeugs bedeutet dies, dass geprüft werden muss, ob zumutbare Maßnahmen erstens das technische Problem und zweitens die Außerbetriebsetzung des Flugzeugs, nachdem das Problem sich gezeigt hatte, hätten verhindern können.
44. Zu der Frage, welche zumutbaren Maßnahmen eine Fluggesellschaft zur Vermeidung eines technischen Problems hätte ergreifen können, verweisen SAS und Griechenland in ihren schriftlichen Erklärungen auf die Vorschriften und Rechtsnormen, die für die Instandhaltung und die in regelmäßigen Abständen erfolgende Wartung von Luftfahrzeugen gelten. Aus den JAA‑ und EASA‑Vorschriften, die nunmehr in das Gemeinschaftsrecht übernommen worden sind, ergibt sich eindeutig, dass die Instandhaltung von Luftfahrzeugen im Interesse der Lufttüchtigkeit und ‑sicherheit sehr eingehend geregelt ist. Beispielsweise muss ein Luftfahrzeug gemäß einem Programm instand gehalten werden, das von der zuständigen Luftaufsichtsbehörde genehmigt worden ist und Angaben unter anderem zur Häufigkeit der auszuführenden Instandhaltungsarbeiten enthält.
45. In Anbetracht des Niveaus, das mit diesen Vorschriften erreicht werden soll, erschiene es unvernünftig, von einer Fluggesellschaft zu erwarten, zusätzliche Instandhaltungsarbeiten und Wartungen durchzuführen. Demgemäß schlage ich vor, dass zumutbare Maßnahmen zur Vermeidung technischer Probleme die korrekte und rechtzeitige Einhaltung des für ein Luftfahrzeug geltenden Instandhaltungs- und Wartungsprogramms umfassen. Das nationale Gericht sollte darüber befinden, ob derartige Maßnahmen tatsächlich das Auftreten des spezifischen Problems verhindert hätten.
46. Ist ein Problem einmal aufgetreten, so bin ich der Ansicht, dass zumutbare Maßnahmen einer Fluggesellschaft den Versuch umfassen, das Problem ohne Außerbetriebsetzung des Luftfahrzeugs festzustellen und zu beheben. Damit meine ich nicht, dass die Luftsicherheit bedroht oder gefährdet werden sollte. Wie SAS in der Sitzung ausgeführt hat, wird die Entscheidung darüber, ob ein Luftfahrzeug weiterhin fliegen darf, auf der Grundlage sehr strenger Lufttransportvorschriften getroffen. Welche Maßnahmen im konkreten Fall zumutbar sind, hängt von den Umständen ab, beispielsweise davon, ob geeignetes Wartungspersonal an dem betreffenden Flughafen vorhanden ist. Nach Ermittlung dieser Maßnahmen sollte das nationale Gericht darüber befinden, ob diese Maßnahmen tatsächlich die Notwendigkeit hätten entfallen lassen, das fragliche Flugzeug zu Reparaturzwecken außer Betrieb zu setzen.
47. Einer Fluggesellschaft zumutbare Maßnahmen zur Vermeidung einer Lage, in der kein Ersatzflugzeug verfügbar ist, bestehen meiner Ansicht nach darin, angemessene Vorkehrungen für entsprechende Zwischenfälle zu treffen. Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu entscheiden, wie viele Ersatzflugzeuge im konkreten Fall hierfür erforderlich sind, und ob diese zur eigenen Flotte der Fluggesellschaft gehören müssen oder von anderen Gesellschaftern gechartert werden können. Zwar geht es hier nicht um die Vorkehrungen, die die Fluggesellschaft tatsächlich trifft, doch kann die Zahl der außer Betrieb gesetzten Luftfahrzeuge, mit der die Gesellschaft in der Vergangenheit konfrontiert war, hilfreich sein, um zu entscheiden, in welcher Größenordnung Vorkehrungen angemessen wären.
Außergewöhnliche Umstände
48. Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 setzt nicht nur voraus, dass die Umstände „sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären“, sondern auch, dass es sich um „außergewöhnliche“ Umstände handelt. Hierin sehe ich separate Aspekte der Definition der fraglichen Umstände, die kumulativ vorliegen müssen. Der Begriff „außergewöhnlich“ wäre, wenn man den zweiten Teil der Definition lediglich als Erläuterung des ersten Teils auffasste, überflüssig und würde nahelegen, er sei gleichbedeutend mit „unvermeidbar“.
49. Die Verordnung definiert den Begriff der „außergewöhnlichen Umstände“ nicht – Erwägungsgrund 14 nennt lediglich Beispiele – und gibt auch keinen Hinweis darauf, dass es sich um einen Fachbegriff handele. Daher erscheint es angemessen, den Begriff „außergewöhnlich“ in seinem Wortsinn als „außerhalb des Gewöhnlichen liegend“ zu verstehen. In geschäftlichen Zusammenhängen bezeichnet er Ereignisse, die üblicherweise nicht im Zuge des Geschäftsverkehrs auftreten.
50. Die travaux préparatoires sprechen auch für eine grammatikalische Interpretation. Im Verlauf dieser Arbeiten wurde der Begriff der „höheren Gewalt“ in „außergewöhnliche Umstände“ abgeändert. Der Begründung des Rates zum Gemeinsamen Standpunkt zufolge erfolgte diese Änderung aus Gründen der rechtlichen Klarheit.
51. Was zunächst die Außerbetriebsetzung des ursprünglich vorgesehenen Luftfahrzeugs betrifft, legt Erwägungsgrund 14 der Verordnung Nr. 261/2004 nahe, dass technische Probleme manchmal als außergewöhnliche Umstände eingestuft werden können. Es ist zwischen den Verfahrensbeteiligten, die schriftliche Erklärungen eingereicht haben, unstreitig, dass derartige Probleme „unerwartete Flugsicherheitsmängel“ darstellen können. Sie können die Lufttüchtigkeit eines Luftfahrzeugs beeinträchtigen, die ein wesentlicher Bestandteil der Flugsicherheit ist. Selbst wenn dies nicht der Fall wäre, deutet der Begriff „insbesondere“ darauf hin, dass die Liste der Beispiele, die in Erwägungsgrund 14 aufgeführt wird, nicht abschließend ist.
52. Ich meine daher, dass technische Probleme, die es erforderlich machen, ein Luftfahrzeug außer Betrieb zu setzen, nicht automatisch außerhalb des Begriffs der „außergewöhnlichen Umstände“ liegen.
53. Daraus folgt jedoch nicht, dass jedes technische Problem hierunter subsumierbar wäre. Art. 5 Abs. 3 sollte eng ausgelegt werden. Außerdem legt der Umstand, dass nach Erwägungsgrund 14 die aufgeführten Vorkommnisse derartige Umstände darstellen können, nahe, dass das nationale Gericht jeden Fall einzeln beurteilen muss.
54. Welche Art technischer Probleme, die es erforderlich machen, ein Luftfahrzeug außer Betrieb zu setzen, sollte daher als außergewöhnlich angesehen werden?
55. SAS führt in ihren schriftlichen Erklärungen aus, dass technische Probleme mit der komplexen Natur eines Luftfahrzeugs und den extremen Verhältnissen, unter denen diese flögen, untrennbar verbunden seien. Im Hinblick auf die katastrophalen Folgen von Flugzeugunfällen müsse der geringste Verdacht eines technischen Problems untersucht werden, indem das Luftfahrzeug außer Dienst gestellt werde. SAS trägt im Wesentlichen vor, dass sämtliche Probleme, die nicht durch allgemeine Instandhaltungsarbeiten und Routinewartungen vermieden werden könnten, unerwartete Flugsicherheitsmängel darstellten.
56. Die Kommission ist demgegenüber der Ansicht, dass die Frage, ob ein technisches Problem ein außergewöhnlicher Umstand sei, von seiner Art, seiner Bedeutung und seiner Häufigkeit abhänge.
57. Ich halte es für erforderlich, zwischen technischen Problemen im Allgemeinen und einem bestimmten technischen Problem zu unterscheiden.
58. Wer regelmäßig mit dem Flugzeug reist, weiß, dass technische Probleme bei Luftfahrzeugen nicht selten vorkommen. SAS trägt vor, sie seien mit der Natur und dem Betrieb von Luftfahrzeugen untrennbar verbunden. Es ist zu erwarten, dass sie irgendwann auftreten, auch wenn man den genauen Zeitpunkt nicht kennt. Angesichts der Sicherheitserwägungen, die SAS unterstreicht, muss es recht häufig vorkommen, dass ein Luftfahrzeug außer Betrieb gesetzt wird. Dass allgemein derartige Probleme auftreten, kann nicht als außergewöhnlich angesehen werden. Sie sind ein normales Vorkommnis im Zuge des Betriebs einer Fluggesellschaft, wofür finanzielle und sonstige Vorkehrungen getroffen werden können. Aus diesem Grund kann ich dem Vorbringen nicht folgen, dass diese Probleme im Allgemeinen unerwartete Flugsicherheitsmängel seien.
59. Ich meine auch nicht, dass ein bestimmtes Problem schon dadurch außergewöhnlich wird oder in die Kategorie der unerwarteten Flugsicherheitsmängel fällt, dass es zu einem unerwarteten Zeitpunkt auftritt. Wann genau die meisten, wenn nicht alle, technischen Probleme auftreten, mag durchaus nicht vorhersehbar sein. Was mir eher entscheidend zu sein scheint, ist die Frage, ob ein bestimmtes Problem ungewöhnlich nach Art und Häufigkeit ist. Ich folge der Argumentation der Kommission dahin, dass ein Problem bestimmter Art, das regelmäßig bei allen Flugzeugen auftritt oder bei einem bestimmten Flugzeugtyp mehrfach aufgetreten ist, nicht als außergewöhnlich betrachtet werden sollte. Gleiches gilt meiner Ansicht nach für eine Art von Problem, für das ein bestimmtes Flugzeug bekanntlich anfällig ist.
60. Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu beurteilen, ob ein bestimmtes Problem ungewöhnlich ist. Die Prüfung umfasst zwei Etappen: Zunächst ist das zugrunde liegende Problem, das aufgetreten ist, seiner Art nach zu definieren, und in einem zweiten Schritt ist zu ermitteln, ob diese Art von Problem gewöhnlich bei Luftfahrzeugen und/oder bei dem besonderen Luftfahrzeugtyp auftrat und/oder ob diese Art von Problem beim fraglichen Luftfahrzeug unbekannt war.
61. Ich komme zu dem Schluss, dass technische Probleme, die es erforderlich machen, dass ein Luftfahrzeug außer Betrieb gesetzt wird, als außergewöhnliche Umstände im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 angesehen werden können, wenn sie ihrer Art nach weder typischerweise von Zeit zu Zeit bei sämtlichen Luftfahrzeugen und/oder einem bestimmten Luftfahrzeugtyp auftreten noch bekanntermaßen das fragliche Luftfahrzeug zuvor beeinträchtigt haben. Diese Beurteilung betrifft selbstverständlich die Sachverhaltswürdigung und ist vom nationalen Gericht anzustellen.
62. Ob zweitens die Umstände, die dazu geführt haben, dass ein Ersatzflugzeug bei einem bestimmten Anlass nicht verfügbar war, als außergewöhnlich einzustufen sind, hängt davon ab, in welchem Maße diese Umstände für ein Luftfahrtunternehmen vorhersehbar waren, das angesichts bisheriger Erfahrungen zumutbare Vorkehrungen getroffen hat, um Ersatz für wegen technischer Probleme außer Betrieb gestellte Luftfahrzeuge zu schaffen.
Frage 4
63. Ich verstehe das nationale Gericht so, dass es mit seiner vierten Frage wissen möchte, ob Unterlagen, die nur vom Luftfahrtunternehmen selbst stammen, für den Nachweis ausreichen, dass ein als außergewöhnlicher Umstand, der nicht auf zumutbare Weise hätte vermieden werden können, einzustufendes technisches Problem vorliegt.
64. So formuliert hat diese Frage zwei Aspekte: Erstens geht es um die Zulässigkeit und den Beweiswert von vom Luftfahrtunternehmen stammenden Unterlagen und zweitens darum, ob diese ausreichen, um den Nachweis zu erbringen, dass die von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 aufgestellten Voraussetzungen erfüllt sind.
65. Es ist unstreitig, dass die Unterlagen den Nachweis für das Vorhandensein technischer Probleme erbringen. SAS trägt vor, sie reichten aus, um den Nachweis für das Vorhandensein außergewöhnlicher Umstände zu liefern, die nicht auf zumutbare Weise hätten vermieden werden können. Die anderen Verfahrensbeteiligten legen nahe, das nationale Gericht sollte außerdem andere Beweise berücksichtigen.
66. Hinsichtlich des ersten Aspekts trägt nach Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 ausdrücklich das Luftfahrtunternehmen die Beweislast. Die Verordnung spezifiziert allerdings nicht die Anforderungen an die Beweiswürdigung und gibt auch nicht an, welche Beweismittel zulässig sein sollten.
67. Somit ist jedes Beweismittel, das nach dem Verfahrensrecht der Mitgliedstaaten in vergleichbaren Verfahren zulässig ist, grundsätzlich zuzulassen. Ebenso ist es Sache der nationalen Gerichte, nach den Grundsätzen des nationalen Beweisrechts zu entscheiden, ob in Anbetracht aller Umstände die beweisbelastete Partei diesen Beweis erbracht hat.
68. Es stünde nicht in Einklang mit der in Art. 234 EG für Vorabentscheidungsverfahren vorgesehenen Aufgabenverteilung zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten, wonach allein Letztere die Sachverhaltswürdigung vornehmen, wenn der Gerichtshof in Ermangelung jeder Harmonisierung auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts klarstellen würde, welche Beweismittel geprüft werden sollten und welches Gewicht ihnen beizumessen ist.
69. Demnach obliegt es dem nationalen Gericht, im Licht sämtlicher Umstände die Zulässigkeit und den Beweiswert der Unterlagen und anderer Beweismittel zu würdigen, die die Verfahrensbeteiligten im Einklang mit dem nationalen Recht beibringen; dies gilt für ihren Inhalt, ihre Herkunft, ihren Zweck, dafür, inwieweit sie einer Nachprüfung zugänglich sind, und für jedes sie bestätigende oder ihnen widersprechende Beweismittel.
70. Wie die Kommission jedoch zu Recht ausführt, müssen die nationalen Beweisvorschriften, die für Verfahren gelten, die sich auf einen Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht beziehen, den Äquivalenz- und den Effektivitätsgrundsatz beachten. Beweisanforderungen, die es für ein Luftfahrtunternehmen unmöglich oder übermäßig schwer machen würden, sein Vorbringen zu beweisen, würden gegen das letztgenannte Prinzip verstoßen.
71. Zum zweiten Aspekt der Frage ist festzustellen, dass das dem nationalen Gericht vorgelegte Wartungsbuch im Wesentlichen das Vorhandensein eines technischen Problems, die zu seiner Lösung getroffenen Maßnahmen und die letzte reguläre Wartung behandelt, die am fraglichen Flugzeug vor Auftreten des Problems durchgeführt wurde. In Bezug auf die letzten zwei Angaben ist festzuhalten, dass, obwohl Art. 5 Abs. 3 von der Fluggesellschaft nicht verlangt, dass sie tatsächlich zumutbare Maßnahmen zur Vermeidung außergewöhnlicher Umstände getroffen hat, jeder Beweis, der belegt, dass sie dies wirklich getan hat, ihr Vorbringen stützen könnte, dass diese Umstände unvermeidbar waren. Jedoch äußern sich die Unterlagen als solche weder zu der Frage, ob die in ihnen beschriebenen Vorkommnisse als außergewöhnliche Umstände eingestuft werden können, noch dazu, ob nicht ein Ersatzflugzeug verfügbar war. Somit beweisen sie als solche nicht alle Punkte, die das Luftfahrtunternehmen nachzuweisen haben wird.
72. Ich folgere hieraus, dass es Sache des nationalen Gerichts ist, die Zulässigkeit und den Beweiswert der Unterlagen und jedes weiteren vom Luftfahrtunternehmen im Einklang mit den nationalen Beweisvorschriften vorgelegten Beweismittels zu würdigen, vorausgesetzt, dass bei Anwendung dieser Vorschriften der Äquivalenz- und der Effektivitätsgrundsatz beachtet werden. Das nationale Gericht wird auch zu entscheiden haben, ob die Beweise für den Nachweis ausreichen, dass die in Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 aufgestellten Voraussetzungen erfüllt sind.
Ergebnis
73. Demnach schlage ich vor, die Fragen des Østre Landsret, wie hier umformuliert, wie folgt zu beantworten:
Fragen 1, 2 und 3
Ein Luftfahrtunternehmen kann sich nur dann auf Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 berufen, um der Verpflichtung zur Leistung von Ausgleichszahlungen nach wegen technischer Probleme erfolgter Außerbetriebsetzung eines Luftfahrzeugs zu entgehen, wenn sowohl die Außerbetriebsetzung als auch die Nichtverfügbarkeit eines Ersatzflugzeugs auf Umstände zurückgehen, die
- sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären; diese Maßnahmen umfassen hinsichtlich der Außerbetriebsetzung die korrekte und rechtzeitige Einhaltung des für ein Luftfahrzeug geltenden Instandhaltungs- und Wartungsprogramms und, sobald Anzeichen auf das technische Problem hindeuten, alle in Anbetracht der Umstände zumutbaren Schritte zur Lösung des Problems ohne Außerbetriebsetzung des Luftfahrzeugs; hinsichtlich der Nichtverfügbarkeit eines Ersatzflugzeugs umfassen sie angesichts bisheriger Erfahrungen angemessene Vorkehrungen für Ersatzflugzeuge;
- außergewöhnlich im Sinne des üblichen Sprachgebrauchs sind; hinsichtlich der Außerbetriebsetzung können hierunter solche technischen Probleme fallen, die ihrer Art nach weder typischerweise von Zeit zu Zeit bei sämtlichen Luftfahrzeugen und/oder einem bestimmten Luftfahrzeugtyp auftreten noch bekanntermaßen das fragliche Luftfahrzeug zuvor beeinträchtigt haben; hinsichtlich der Nichtverfügbarkeit eines Ersatzflugzeugs fallen hierunter Umstände, die für ein Luftfahrtunternehmen unvorhersehbar waren, das angesichts bisheriger Erfahrungen zumutbare Vorkehrungen für Ersatzflugzeuge getroffen hat.
Frage 4
Es ist Sache des nationalen Gerichts, die Zulässigkeit und den Beweiswert der Unterlagen und jedes weiteren vom Luftfahrtunternehmen im Einklang mit den nationalen Beweisvorschriften vorgelegten Beweismittels zu würdigen, vorausgesetzt, dass bei Anwendung dieser Vorschriften der Äquivalenz- und der Effektivitätsgrundsatz beachtet werden. Das nationale Gericht sollte auch entscheiden, ob die Beweise für den Nachweis ausreichen, dass die in Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 aufgestellten Voraussetzungen erfüllt sind.