Schlussanträge der Generalanwältin Juliane Kokott vom 6. Oktober 2011 (Rechtssache C‑366/10)

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SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

Juliane Kokott

vom 6. Oktober 2011

Rechtssache C‑366/10

The Air Transport Association of America u. a.

(Vorabentscheidungsersuchen des High Court of Justice of England and Wales, Queen’s Bench Division, Administrative Court [Vereinigtes Königreich])

„Umwelt – Treibhausgase – Emissionszertifikate – EU‑System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten (‚EU‑Emissionshandelssystem‘) – Einbeziehung des Luftverkehrs – Internationaler Luftverkehr – Völkerrecht – Vereinbarkeit von sekundärem Unionsrecht mit internationalen Übereinkünften und Völkergewohnheitsrecht – Richtlinien 2003/87/EG und 2008/101/EG“

I – Einleitung

1. Das von der Europäischen Union im Jahr 2003 beschlossene System für den Handel mit Emissionszertifikaten für Treibhausgase ist ein zentraler Baustein der europäischen Klimaschutzpolitik. Mit ihm sollen zum einen bedeutsame umweltpolitische Zielvorgaben der europäischen Institutionen umgesetzt werden; zum anderen dient das System der Erfüllung von Verpflichtungen, welche die Union und ihre Mitgliedstaaten seit den 1990er Jahren im Rahmen der Vereinten Nationen eingegangen sind, insbesondere im sogenannten Kyoto-Protokoll.

2. Die Richtlinie 2008/101/EG sieht vor, dass ab dem 1. Januar 2012 auch der Luftverkehr in dieses EU-Emissionshandelssystem einbezogen wird.

3. Dagegen wehren sich mehrere Fluggesellschaften und Vereinigungen von Fluggesellschaften mit Sitz in den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) bzw. in Kanada. Sie greifen vor dem High Court of Justice of England and Wales die Umsetzungsmaßnahmen des Vereinigten Königreichs zur Richtlinie 2008/101 an. Dabei bringen sie vor, die Europäische Union verstoße mit der Einbeziehung des internationalen Luftverkehrs – insbesondere des transatlantischen Luftverkehrs – in ihr Emissionshandelssystem gegen eine Reihe von Grundsätzen des Völkergewohnheitsrechts sowie gegen diverse internationale Übereinkünfte.

4. Der Gerichtshof ist nun aufgerufen, sich im Wege der Vorabentscheidung zur Gültigkeit der Richtlinie 2008/101 zu äußern. Sein Urteil dürfte nicht nur für die künftige Ausgestaltung der europäischen Klimaschutzpolitik, sondern auch ganz allgemein für das Verhältnis zwischen dem Unionsrecht und dem Völkerrecht von grundlegender Bedeutung sein. Insbesondere wird zu erörtern sein, ob und inwieweit sich Einzelne vor Gericht auf bestimmte internationale Übereinkünfte und Grundsätze des Völkergewohnheitsrechts berufen können, um einen Rechtsakt der Europäischen Union zu Fall zu bringen.

II – Rechtlicher Rahmen

A – Völkerrecht

5. Im Vorabentscheidungsersuchen wird einerseits auf bestimmte Grundsätze des Völkergewohnheitsrechts und andererseits auf verschiedene internationale Übereinkünfte Bezug genommen, insbesondere auf das Chicagoer Abkommen, das Kyoto-Protokoll und das sogenannte Open-Skies-Abkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika.

1. Das Chicagoer Abkommen

6. Dem in Chicago am 7. Dezember 1944 zur Unterschrift aufgelegten Abkommen über die internationale Zivilluftfahrt ( Chicagoer Abkommen) gehören zwar nicht die Europäische Union, wohl aber alle 27 Mitgliedstaaten der Union an. Sein Kapitel I („Allgemeine Grundsätze und Anwendung des Abkommens“) enthält in Art. 1 eine Vorschrift über die Lufthoheit:

„Die Vertragsstaaten erkennen an, dass jeder Staat über seinem Hoheitsgebiet volle und ausschließliche Lufthoheit besitzt.“

7. In Kapitel II des Chicagoer Abkommens („Flüge über dem Hoheitsgebiet von Vertragsstaaten“) sieht Art. 11 unter der Überschrift „Anwendbarkeit von Luftverkehrsvorschriften“ Folgendes vor:

„Vorbehaltlich der Bestimmungen dieses Abkommens sind die Gesetze und Vorschriften eines Vertragsstaats über den Ein- und Ausflug der in der internationalen Luftfahrt verwendeten Luftfahrzeuge nach oder aus seinem Hoheitsgebiet oder über den Betrieb und den Verkehr dieser Luftfahrzeuge innerhalb seines Hoheitsgebiets auf die Luftfahrzeuge aller Vertragsstaaten ohne Unterschied der Staatsangehörigkeit anzuwenden; sie sind von diesen Luftfahrzeugen beim Einflug, Ausflug und innerhalb des Hoheitsgebiets dieses Staates zu befolgen.“

8. Über die „Luftverkehrsregeln“ heißt es darüber hinaus in Art. 12 des Chicagoer Abkommens:

„Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, durch Maßnahmen sicherzustellen, dass jedes sein Hoheitsgebiet überfliegende und darin verkehrende sowie jedes mit seinem Staatszugehörigkeitszeichen versehene Luftfahrzeug, wo immer es sich befinden mag, die in dem entsprechenden Hoheitsgebiet geltenden Flug- und Luftverkehrsregeln und ‑vorschriften befolgt. Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, seine eigenen diesbezüglichen Vorschriften so weit wie möglich denjenigen anzugleichen, die jeweils auf Grund dieses Abkommens erlassen werden. Über dem offenen Meer gelten die auf Grund dieses Abkommens aufgestellten Regeln. Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, die Verfolgung aller Personen sicherzustellen, welche die anzuwendenden Vorschriften verletzen.“

9. Mit „Flughafengebühren und ähnlichen Gebühren“ befasst sich Art. 15 des Chicagoer Abkommens:

„Jeder Flughafen in einem Vertragsstaat, der den inländischen Luftfahrzeugen zur öffentlichen Benutzung zur Verfügung steht, steht … unter einheitlichen Bedingungen gleicherweise den Luftfahrzeugen aller anderen Vertragsstaaten offen. …

Alle Gebühren, die von einem Vertragsstaat für die Benutzung der Flughäfen und Luftfahrteinrichtungen durch Luftfahrzeuge eines anderen Vertragsstaats erhoben werden oder deren Erhebung von einem Vertragsstaat zugelassen wird, dürfen

  • a) für Luftfahrzeuge, die nicht im planmäßigen internationalen Fluglinienverkehr verwendet werden, nicht höher sein als die Gebühren, die inländische Luftfahrzeuge derselben Klasse, die in gleichartiger Weise verwendet werden, bezahlen würden, und
  • b) für Luftfahrzeuge, die im planmäßigen internationalen Fluglinienverkehr verwendet werden, nicht höher sein als die Gebühren, die inländische Luftfahrzeuge, die in einem gleichartigen internationalen Fluglinienverkehr verwendet werden, bezahlen würden.

All diese Gebühren sind zu veröffentlichen und der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation mitzuteilen … Die Vertragsstaaten erheben keine Gebühren, Taxen oder sonstigen Abgaben für ihr Hoheitsgebiet lediglich für das Recht der Durchreise, Einreise oder Ausreise eines Luftfahrzeugs eines Vertragsstaats oder der an Bord befindlichen Personen oder Güter.“

10. Im Kapitel IV des Chicagoer Abkommens („Maßnahmen zur Erleichterung der Luftfahrt“) ist ein Art. 24 enthalten, der den „Zollabgaben“ gewidmet ist und auszugsweise wie folgt lautet:

„a) Luftfahrzeuge auf einem Flug nach, von oder über dem Hoheitsgebiet eines anderen Vertragsstaats sind vorbehaltlich der Zollvorschriften dieses Staates vorübergehend zollfrei zu lassen. Treibstoffe …, die sich bei Ankunft in dem Hoheitsgebiet eines anderen Vertragsstaats an Bord eines Luftfahrtzeugs eines Vertragsstaats befinden und beim Verlassen des Hoheitsgebiets des anderen Staates an Bord geblieben sind, sind von Zollabgaben, Untersuchungsgebühren oder ähnlichen staatlichen oder örtlichen Abgaben und Gebühren befreit. …

…“

11. Durch das Chicagoer Abkommen wurde die Internationale Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO) errichtet, die seit 1947 den Status einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen hat. Ihr gehören alle 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union an, während die Union selbst innerhalb der ICAO lediglich einen Beobachterstatus hat. Die ICAO kann rechtlich bindende Normen erlassen, aber auch unverbindliche rechtspolitische Empfehlungen abgeben.

2. Das Kyoto-Protokoll

12. Das Protokoll von Kyoto zum Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (Kyoto-Protokoll) wurde am 11. Dezember 1997 verabschiedet und trat am 16. Februar 2005 in Kraft. Es wurde sowohl von der damaligen Europäischen Gemeinschaft als auch von allen 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union ratifiziert.

13. Im Kyoto-Protokoll sind diejenigen Vertragsparteien, die zu den „entwickelten Ländern“ gezählt werden, Verpflichtungen zur Begrenzung oder Verringerung ihrer anthropogenen Treibhausgasemissionen eingegangen. Für die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten folgt daraus für den Zeitraum der Jahre 2008 bis 2012 eine globale Verpflichtung zur Senkung ihrer Treibhausgasemissionen um 8 % unter das Niveau von 1990.

14. Zu den möglichen Maßnahmen, welche die Kyoto-Vertragsparteien bei der Erfüllung ihrer Emissionsbegrenzungs- und ‑reduktionsverpflichtungen ergreifen werden, gehören nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. a Ziff. vii des Kyoto-Protokolls auch

„Maßnahmen zur Begrenzung und/oder Reduktion von Emissionen von nicht durch das Montrealer Protokoll geregelten Treibhausgasen im Verkehrsbereich“.

15. In Art. 2 Abs. 2 des Kyoto-Protokolls ist überdies Folgendes festgelegt:

„Die in Anlage I aufgeführten Vertragsparteien setzen ihre Bemühungen um eine Begrenzung oder Reduktion der Emissionen von nicht durch das Montrealer Protokoll geregelten Treibhausgasen aus dem Luftverkehr und der Seeschifffahrt im Rahmen der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation beziehungsweise der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation fort.“

3. Das Open-Skies-Abkommen zwischen der EU und den USA

16. Das Luftverkehrsabkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und den Vereinigten Staaten von Amerika andererseits („Open-Skies-Abkommen“) wurde im April 2007 unterzeichnet und durch ein Protokoll vom 24. Juni 2010 („Änderungs-Protokoll von 2010“) in mehreren Punkten geändert. In seiner ursprünglichen Fassung wurde das Open-Skies-Abkommen seit 30. März 2008 vorläufig angewendet, in der Fassung des Änderungs-Protokolls von 2010 kommt es seit dem 24. Juni 2010 vorläufig zur Anwendung.

17. In Art. 2 des Open-Skies-Abkommens ist der Grundsatz der „billigen und gleichen Wettbewerbsbedingungen“ wie folgt niedergelegt:

„Jede Vertragspartei gibt den Luftfahrtunternehmen beider Vertragsparteien in billiger und gleicher Weise Gelegenheit, bei der Durchführung des durch dieses Abkommen geregelten internationalen Luftverkehrs miteinander in Wettbewerb zu treten.“

18. Unter der Überschrift „Gewährung von Rechten“ ist in Art. 3 des Open-Skies-Abkommens, genauer gesagt in dessen Abs. 4, Folgendes bestimmt:

„Jede Vertragspartei gestattet, dass jedes Luftfahrtunternehmen die Frequenz und Kapazität der von ihm angebotenen internationalen Luftverkehrsdienste aufgrund kommerzieller marktbezogener Überlegungen festlegt. In Übereinstimmung mit diesem Recht begrenzt keine der Vertragsparteien einseitig das Verkehrsvolumen, die Frequenz oder Regelmäßigkeit des Dienstes oder das oder die Muster der von Luftfahrtunternehmen der anderen Vertragspartei eingesetzten Luftfahrzeuge und verlangt keine Vertragspartei die Vorlage von Flugplänen, Charterflugprogrammen oder Betriebsplänen von Luftfahrtunternehmen der anderen Vertragspartei, es sei denn, dies ist aus zollrechtlichen, technischen oder betrieblichen Gründen oder aus Umweltschutzgründen (gemäß Artikel 15) erforderlich, wobei einheitliche Bedingungen in Einklang mit Artikel 15 des ICAO-Abkommens anzuwenden sind.“

19. Zur „Anwendung von Rechtsvorschriften“ enthält Art. 7 des Open-Skies-Abkommens diese Regelung:

  • „(1) Die Gesetze und sonstigen Rechtsvorschriften einer Vertragspartei betreffend den Einflug in ihr oder den Ausflug aus ihrem Gebiet der im internationalen Luftverkehr eingesetzten Luftfahrzeuge oder betreffend den Betrieb und den Verkehr dieser Luftfahrzeuge innerhalb ihres Gebietes gelten für die Luftfahrzeuge, die von den Luftfahrtunternehmen der anderen Vertragspartei verwendet werden, und sind von diesen Luftfahrzeugen beim Ein- oder Ausflug und innerhalb des Gebietes der ersten Vertragspartei zu befolgen.
  • (2) Beim Einflug in das oder beim Ausflug aus dem Gebiet einer Vertragspartei sind die für dieses Gebiet geltenden Gesetze und sonstigen Rechtsvorschriften für den Einflug in das oder den Ausflug aus dem Gebiet von Fluggästen, Besatzungen oder Fracht von Luftfahrzeugen (einschließlich Vorschriften betreffend Einreise, Abfertigung, Einwanderung, Pässe, Zoll und Quarantäne oder bei Postsendungen die hierfür geltenden Vorschriften) von diesen Fluggästen und Besatzungen – oder den in ihrem Namen handelnden Personen – sowie der Fracht von Luftfahrtunternehmen der anderen Vertragspartei einzuhalten.“

20. Unter der Überschrift „Zölle und Abgaben“ findet sich in Art. 11 des Open-Skies-Abkommens folgende Vorschrift:

  • „(1) Bei Ankunft im Gebiet einer Vertragspartei bleiben Luftfahrzeuge, die von den Luftfahrtunternehmen der anderen Vertragspartei im internationalen Luftverkehr eingesetzt werden, … auf der Grundlage der Gegenseitigkeit frei von allen Einfuhrbeschränkungen, Vermögen[s]teuern und ‑abgaben, Zöllen, Verbrauchsteuern und ähnlichen Gebühren und Abgaben, die a) durch die nationalen Behörden oder die Europäische Gemeinschaft erhoben werden und b) nicht auf den Kosten für geleistete Dienste beruhen, sofern diese Ausrüstungsgegenstände und Vorräte an Bord des Luftfahrzeugs verbleiben.
  • (2) Außerdem werden auf der Grundlage der Gegenseitigkeit von den in Absatz 1 genannten Steuern, Zöllen, Gebühren und Abgaben außer den auf den Kosten für geleistete Dienste beruhenden Gebühren befreit:
    • c) Treibstoff, Schmieröle und technische Verbrauchsgüter, die zur Verwendung in einem im internationalen Luftverkehr eingesetzten Luftfahrzeug eines Luftfahrtunternehmens der anderen Vertragspartei in das Gebiet einer Vertragspartei eingeführt oder dort geliefert werden, selbst wenn diese Vorräte auf dem Teil des Fluges über dem Gebiet der Vertragspartei verbraucht werden sollen, in dem sie an Bord genommen werden,
  • …“

21. In Art. 15 des Open-Skies-Abkommens findet sich eine mit „Umwelt“ überschriebene Vorschrift, die – in der Fassung des Änderungs-Protokolls von 2010 – auszugsweise wie folgt lautet:

  • „(1) Die Vertragsparteien erkennen die Bedeutung des Umweltschutzes bei der Entwicklung und Durchführung einer internationalen Luftverkehrspolitik an, wobei sie sorgfältig die Kosten und Nutzen von Maßnahmen für den Umweltschutz bei der Entwicklung einer solchen Politik abwägen und gegebenenfalls gemeinsam effektive globale Lösungen voranbringen. Dementsprechend beabsichtigen die Vertragsparteien zusammenzuarbeiten, um in wirtschaftlich angemessener Art und Weise die Auswirkungen der internationalen Luftfahrt auf die Umwelt zu begrenzen oder zu verringern.
  • (2) Prüft eine Vertragspartei Vorschläge für Umweltmaßnahmen auf regionaler, nationaler oder lokaler Ebene, sollte sie etwaige nachteilige Auswirkungen auf die Ausübung der in diesem Abkommen vorgesehenen Rechte bewerten und bei Annahme solcher Maßnahmen geeignete Schritte zur Abschwächung solcher nachteiligen Auswirkungen unternehmen. Auf Verlangen einer Vertragspartei legt die andere Vertragspartei eine Beschreibung einer solchen Bewertung und der Schritte zur Abschwächung vor.
  • (3) Bei der Festlegung von Umweltmaßnahmen sind die Umweltschutzstandards für den Luftverkehr zu beachten, die von der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation angenommen und dem ICAO-Abkommen als Anhänge hinzugefügt wurden, ausgenommen in Fällen, in denen Abweichungen angezeigt wurden. Die Vertragsparteien wenden Umweltmaßnahmen, die sich auf die von diesem Abkommen geregelten Luftverkehrsdienste auswirken, in Übereinstimmung mit Artikel 2 und Artikel 3 Absatz 4 dieses Abkommens an.
  • (4) Die Vertragsparteien bekräftigen die Verpflichtung der Mitgliedstaaten und der Vereinigten Staaten zur Anwendung des Prinzip[s] des ausgewogenen Ansatzes.
  • (7) Auf Wunsch der Vertragsparteien arbeitet der Gemeinsame Ausschuss mit der Unterstützung von Sachverständigen Empfehlungen aus, die sich auf die mögliche Überschneidung sowie die Übereinstimmung marktgestützter Maßnahmen in Bezug auf luftverkehrsbedingte Emissionen beziehen, die von den Parteien durchgeführt werden, um doppelte Maßnahmen und Kosten zu vermeiden und um den Verwaltungsaufwand für die Luftfahrtunternehmen so weit wie möglich zu verringern. Die Umsetzung solcher Empfehlungen bedarf der internen Genehmigung oder der Ratifikation, sofern dies von jeder Vertragspartei im jeweiligen Fall gefordert wird.
  • (8) Ist eine Vertragspartei der Auffassung, dass eine Frage mit Bezug zum Umweltschutz im Luftverkehr, einschließlich vorgeschlagener neuer Maßnahmen, Zweifel hinsichtlich der Anwendung oder Durchführung dieses Abkommens aufwirft, kann sie eine Sitzung des durch Artikel 18 eingesetzten Gemeinsamen Ausschusses verlangen, um diese Frage zu erörtern und bei berechtigten Einwänden geeignete Lösungen zu entwickeln.“

B – Unionsrecht

22. Das in der Europäischen Union geltende System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten (EU-Emissionshandelssystem) dient der Begrenzung und Reduzierung von Treibhausgasemissionen mit marktorientierten Instrumenten. Dieses System, das bisweilen auch mit dem englischen Ausdruck „cap and trade“ umschrieben wird, wurde durch die Richtlinie 2003/87/EG eingeführt und gilt für den gesamten Europäischen Wirtschaftsraum (EWR).

23. Ausweislich ihres 5. Erwägungsgrundes dient die Richtlinie 2003/87 nicht zuletzt der Umsetzung der aus dem Kyoto-Protokoll folgenden Verpflichtungen der Union:

„Die Gemeinschaft und ihre Mitgliedstaaten sind übereingekommen, ihre Verpflichtungen zur Verringerung der anthropogenen Treibhausgasemissionen im Rahmen des Kyoto-Protokolls gemäß der Entscheidung 2002/358/EG gemeinsam zu erfüllen. Diese Richtlinie soll dazu beitragen, dass die Verpflichtungen der Europäischen Gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten durch einen effizienten europäischen Markt für Treibhausgasemissionszertifikate effektiver und unter möglichst geringer Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Entwicklung und der Beschäftigungslage erfüllt werden.“

24. Ursprünglich waren die auf den Luftverkehr zurückgehenden Emissionen von Treibhausgasen nicht vom EU-Emissionshandelssystem erfasst. Im Jahr 2008 beschloss jedoch der Unionsgesetzgeber die Einbeziehung des Luftverkehrs in das System, und zwar ab dem 1. Januar 2012. Erstmalig für das Jahr 2012 müssen deshalb alle Fluggesellschaften – auch solche aus Drittstaaten – für ihre Flüge von und zu europäischen Flugplätzen Emissionszertifikate erwerben und einlösen. Zu diesem Zweck wurde die Richtlinie 2003/87 durch die Richtlinie 2008/101 geändert und ergänzt.

25. Die geänderte Richtlinie enthält ein neues Kapitel II mit der Überschrift „Luftverkehr“, das aus den Artikeln 3a bis 3g besteht. Der Anwendungsbereich dieses Kapitels wird in Art. 3a wie folgt definiert:

„Die Bestimmungen in diesem Kapitel gelten für die Zuteilung und Vergabe von Zertifikaten im Zusammenhang mit den in Anhang I aufgelisteten Luftverkehrstätigkeiten.“

Gemäß der Begriffsbestimmung in Anhang I der geänderten Richtlinie sind Luftverkehrstätigkeiten im Sinne der Richtlinie „Flüge, die von einem Flugplatz abgehen oder auf einem Flugplatz enden, der sich in einem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats befindet, auf das der Vertrag Anwendung findet“.

In Anhang IV Teil B der geänderten Richtlinie ist ferner niedergelegt, dass die Berechnung der Emissionen aus Luftverkehrstätigkeiten nach der Formel „Treibstoffverbrauch x Emissionsfaktor“ erfolgt. Außerdem ergibt sich aus jenem Anhang, dass zur Feststellung des Umfangs der Luftverkehrstätigkeit von Luftfahrzeugbetreibern die Formel „Tonnenkilometer = Flugstrecke x Nutzlast“ zugrunde gelegt wird und dabei als Flugstrecke die Großkreisentfernung zwischen Abflug- und Ankunftsflugplatz gilt, zuzüglich eines zusätzlichen unveränderlichen Faktors von 95 km.

26. Zur „Gesamtmenge der Zertifikate für den Luftverkehr“ heißt es in Art. 3c der geänderten Richtlinie:

  • „(1) Für die Handelsperiode vom 1. Januar 2012 bis 31. Dezember 2012 entspricht die Gesamtmenge der den Luftfahrzeugbetreibern zuzuteilenden Zertifikate 97 % der historischen Luftverkehrsemissionen.
  • (2) Für die Handelsperiode …, die am 1. Januar 2013 beginnt, und, wenn keine Änderungen … erfolgen, für jede folgende Handelsperiode entspricht die Gesamtmenge der den Luftfahrzeugbetreibern zuzuteilenden Zertifikate 95 % der historischen Luftverkehrsemissionen, multipliziert mit der Anzahl der Jahre in der Handelsperiode.
  • …“

27. Art. 3d der geänderten Richtlinie enthält unter der Überschrift „Methode der Zuteilung von Zertifikaten für den Luftverkehr durch Versteigerung“ folgende Bestimmung:

  • „(1) In der Handelsperiode gemäß Artikel 3c Absatz 1 werden 15 % der Zertifikate versteigert.
  • (2) Ab 1. Januar 2013 werden 15 % der Zertifikate versteigert. Dieser Prozentsatz kann im Rahmen der allgemeinen Überprüfung dieser Richtlinie erhöht werden.
  • (4) Es ist Sache der Mitgliedstaaten, über die Verwendung von Einkünften aus der Versteigerung von Zertifikaten zu entscheiden. Diese Einkünfte sollten verwendet werden, um den Klimawandel in der EU und in Drittländern zu bekämpfen, …
  • …“

28. Im Kapitel IV der geänderten Richtlinie („Bestimmungen für die Luftfahrt und ortsfeste Anlagen“) sieht Art. 12 Abs. 2a in Bezug auf die Übertragung, Abgabe und Löschung von Zertifikaten Folgendes vor:

„Die Verwaltungsmitgliedstaaten stellen sicher, dass jeder Luftfahrzeugbetreiber bis zum 30. April jeden Jahres eine Anzahl von Zertifikaten abgibt, die den – gemäß Artikel 15 überprüften – Gesamtemissionen des vorangegangenen Kalenderjahres aus Luftverkehrstätigkeiten im Sinne von Anhang I, die der Luftfahrzeugbetreiber durchgeführt hat, entspricht. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die gemäß diesem Absatz abgegebenen Zertifikate anschließend gelöscht werden.“

29. Gemäß Art. 16 der geänderten Richtlinie haben die Mitgliedstaaten das vorgesehene System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten wirksam durchzusetzen und für Verstöße wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen vorzusehen. Diese Sanktionen können bis hin zur Betriebsuntersagung gehen, die gegebenenfalls auf Antrag eines Mitgliedstaats durch die Kommission beschlossen wird. Die Namen der Luftfahrzeugbetreiber, die gegen ihre Verpflichtungen aus dem Emissionsrechtesystem verstoßen, sind zu veröffentlichen.

30. Art. 25a der geänderten Richtlinie bestimmt unter der Überschrift „Drittlandvorschriften zur Reduzierung der Klimaauswirkungen des Luftverkehrs“:

  • „(1) Erlässt ein Drittland Maßnahmen zur Reduzierung der Klimaauswirkungen von Flügen, die in seinem Hoheitsgebiet beginnen und in der Gemeinschaft enden, so prüft die Kommission nach Konsultationen mit dem Drittland und mit den Mitgliedstaaten … die verfügbaren Möglichkeiten, um eine optimale Wechselwirkung zwischen dem Gemeinschaftssystem und den Maßnahmen des Drittlandes zu erreichen.

Falls erforderlich, kann die Kommission Änderungen erlassen, um Flüge aus dem betreffenden Drittland von den Luftverkehrstätigkeiten gemäß Anhang I auszuschließen oder um sonstige … erforderliche Änderungen in Bezug auf die Luftverkehrstätigkeiten gemäß Anhang I vorzunehmen. …

  • (2) Die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten streben weiterhin eine Vereinbarung über globale Maßnahmen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen aus der Luftverkehrstätigkeit an. Liegt eine solche Vereinbarung vor, so prüft die Kommission, ob diese Richtlinie, soweit sie auf Luftfahrzeugbetreiber Anwendung findet, geändert werden muss.“

31. Ergänzend ist auf die Präambel der Richtlinie 2008/101 hinzuweisen, deren 8., 9., 10., 11. und 17. Erwägungsgrund folgende Aussagen enthalten:

  • „(8) Nach dem Kyoto-Protokoll … sind die Industrieländer verpflichtet, ihre Bemühungen um eine Begrenzung oder Reduktion der Emissionen von nicht durch das Montrealer Protokoll geregelten Treibhausgasen aus dem Luftverkehr im Rahmen der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) fortzusetzen.
  • (9) Die Gemeinschaft ist zwar keine Vertragspartei des [Chicagoer Abkommens], doch sind alle Mitgliedstaaten Vertragsparteien dieses Abkommens sowie Mitglieder der ICAO. Die Mitgliedstaaten unterstützen weiterhin zusammen mit anderen Staaten die Arbeiten im Rahmen der ICAO zur Entwicklung von Maßnahmen zur Verringerung der Auswirkungen des Luftverkehrs auf den Klimawandel, wozu auch die Entwicklung marktgestützter Instrumente gehört. Auf der sechsten Tagung des ICAO-Ausschusses für Umweltschutz in der Luftfahrt im Jahr 2004 wurde einvernehmlich festgestellt, dass ein luftfahrtspezifisches Emissionshandelssystem auf der Grundlage eines neuen Rechtsinstruments und unter der Schirmherrschaft der ICAO nicht genügend Anreize bietet, um weiter in Betracht gezogen zu werden. Folglich wurde in der Entschließung A35-5 der 35. ICAO-Versammlung vom September 2004 kein neues Rechtsinstrument vorgeschlagen, sondern ein offener Emissionshandel befürwortet, mit der Möglichkeit für die Staaten, Emissionen aus dem internationalen Luftverkehr in ihre Emissionshandelssysteme einzubeziehen. Im Anhang L zur Entschließung A36-22 der 36. ICAO-Versammlung vom September 2007 werden die Vertragsstaaten nachdrücklich aufgefordert, die Luftfahrzeugbetreiber anderer Vertragsstaaten nur im gegenseitigen Einvernehmen mit den betreffenden Staaten in ein Emissionshandelssystem einzubeziehen. Unter Hinweis darauf, dass im Chicagoer Abkommen ausdrücklich anerkannt wird, dass jede Vertragspartei das Recht hat, ihre eigenen Rechtsvorschriften diskriminierungsfrei auf die Luftfahrzeuge aller Staaten anzuwenden, haben die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft und 15 weitere europäische Staaten einen Vorbehalt zu dieser Entschließung eingelegt und sich aufgrund des Chicagoer Abkommens das Recht vorbehalten, in Bezug auf alle Luftfahrzeugbetreiber aus allen Staaten, die nach oder von ihrem Hoheitsgebiet oder innerhalb desselben Luftverkehrsdienste anbieten, diskriminierungsfrei marktgestützte Maßnahmen zu erlassen und anzuwenden.
  • (10) Gemäß dem Sechsten Umweltaktionsprogramm der Gemeinschaft, das mit Beschluss Nr. 1600/2002/EG des Europäischen Parlaments und des Rates … eingeführt wurde, muss die Gemeinschaft dafür sorgen, dass spezifische Maßnahmen zur Verringerung von Treibhausgasemissionen aus dem Luftverkehr festgelegt und durchgeführt werden, falls die ICAO bis zum Jahr 2002 keine entsprechenden Maßnahmen beschließt. In seinen Schlussfolgerungen von Oktober 2002, Dezember 2003 und Oktober 2004 hat der Rat die Kommission wiederholt aufgefordert, Maßnahmen zur Verringerung der Klimaauswirkungen des internationalen Luftverkehrs vorzuschlagen.
  • (11) Auf Ebene der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft sollten in allen Wirtschaftssektoren der Gemeinschaft Strategien und Maßnahmen durchgeführt werden, um die notwendigen umfangreichen Reduktionen herbeizuführen. Wenn die Klimaauswirkungen des Luftverkehrs weiterhin im bisherigen Tempo zunehmen, würde dies die in anderen Sektoren erzielten Reduktionen zur Bekämpfung des Klimawandels spürbar untergraben.
  • (17) Die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten sollten weiterhin eine Vereinbarung über globale Maßnahmen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen aus der Luftverkehrstätigkeit anstreben. Das Gemeinschaftssystem kann als Modell für die weltweite Nutzung des Emissionsrechtehandels dienen. Die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten sollten während der Umsetzung dieser Richtlinie weiterhin die Beziehungen zu Dritten pflegen und Drittländer dazu ermutigen, ähnliche Maßnahmen zu ergreifen. Erlässt ein Drittland Maßnahmen zur Reduzierung der Klimaauswirkungen von Flügen in die Gemeinschaft, die mindestens die gleichen Umweltvorteile wie diese Richtlinie erreichen, sollte die Kommission nach Konsultationen mit dem betreffenden Land die verfügbaren Möglichkeiten prüfen, um eine optimale Wechselwirkung zwischen dem Gemeinschaftssystem und den Maßnahmen des betreffenden Landes zu erreichen. Die in Drittländern entwickelten Emissionsrechtehandelssysteme schaffen allmählich eine optimale Wechselwirkung mit dem Gemeinschaftssystem in Bezug auf ihre Abdeckung des Luftverkehrs. Bilaterale Übereinkünfte über die Verbindung des Gemeinschaftssystems und anderer Emissionsrechtehandelssysteme zur Schaffung eines gemeinsamen Systems oder zur Berücksichtigung entsprechender Maßnahmen zur Vermeidung doppelter Regelungen könnten einen Schritt auf dem Weg zu einem weltweiten Abkommen darstellen. In den Fällen, in denen solche bilateralen Übereinkünfte geschlossen werden, kann die Kommission Änderungen bezüglich der im Gemeinschaftssystem erfassten Luftverkehrstätigkeiten vornehmen, einschließlich der daraus resultierenden Anpassungen der Gesamtmenge der den Luftfahrzeugbetreibern zugeteilten Zertifikate.“

C – Nationales Recht

32. Aus dem Recht des Vereinigten Königreichs sind die Aviation Greenhouse Gas Emissions Trading Scheme Regulations 2009 (Regulations von 2009) relevant, die einen Teil der innerstaatlichen Umsetzungsmaßnahmen zur Richtlinie 2008/101 enthalten.

III – Ausgangsverfahren

33. Beim High Court of Justice of England and Wales (Queen’s Bench Division, Administrative Court), dem vorlegenden Gericht, ist eine Klage gegen die Regulations von 2009 anhängig.

34. Diese Klage wurde am 16. Dezember 2009 von vier Klägerinnen mit Sitz in den USA erhoben. Es handelt sich um The Air Transport Association of America (ATAA), American Airlines (AA), Continental Airlines (Continental) und United Air Lines (UAL). ATAA ist ein Handels- und Dienstleistungsverband von Luftverkehrsunternehmen in den USA, der keinen Erwerbszweck verfolgt. AA, Continental und UAL sind drei weltweit tätige Fluggesellschaften mit Sitz in den USA, die auch Ziele in der Europäischen Union bedienen. Der für sie zuständige Verwaltungsmitgliedstaat im Sinne des EU-Emissionshandelssystems ist das Vereinigte Königreich.

35. Beklagter ist der Minister für Energie und Klimawandel des Vereinigten Königreichs als die für die Umsetzung der Richtlinie 2008/101 hauptsächlich zuständige nationale Stelle.

36. Beide Parteien werden jeweils von Streithelferinnen unterstützt. Auf Seiten der Klägerinnen sind dem Ausgangsrechtsstreit zwei weitere Vereinigungen beigetreten: zum einen The International Air Transport Association (IATA), ein internationaler Verband von Fluggesellschaften, und zum anderen The National Airlines Council of Canada (NACC), eine Vereinigung kanadischer Fluggesellschaften. Dem Beklagten sind insgesamt fünf Umweltverbände beigesprungen(25), namentlich The Aviation Environment Federation (AEF), die britische Sektion des World Wide Fund For Nature (WWF-UK), The European Federation for Transport and Environment (EFTE), The Environmental Defense Fund (EDF) und Earthjustice.

37. Im Kern rügen die Klägerinnen, unterstützt von ihren Streithelferinnen, dass die Richtlinie 2008/101 – deren Umsetzung die Regulations von 2009 dienen – mit Völkerrecht nicht vereinbar und deshalb ungültig sei. Der Beklagte und seine Streithelferinnen beziehen einen diametral entgegengesetzten Standpunkt.

IV – Vorabentscheidungsersuchen und Verfahren vor dem Gerichtshof

38. Mit Beschluss vom 8. Juli 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 22. Juli 2010, hat der High Court of Justice of England and Wales (Queen’s Bench Division, Administrative Court) dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt.

  • 1) Können einige oder alle der folgenden Regeln des Völkerrechts im vorliegenden Fall herangezogen werden, um die Gültigkeit der Richtlinie 2003/87/EG in der durch die Richtlinie 2008/101/EG zwecks Einbeziehung des Luftverkehrs in das EU-Emissionshandelssystem geänderten Fassung in Frage zu stellen:
    • a) der Grundsatz des Völkergewohnheitsrechts, dass jeder Staat die vollständige und ausschließliche Hoheit über seinen Luftraum besitzt;
    • b) der Grundsatz des Völkergewohnheitsrechts, dass kein Staat den Anspruch erheben darf, irgendeinen Teil der Hohen See seiner Hoheit zu unterstellen;
    • c) der in der Freiheit von Flügen über Hoher See bestehende Grundsatz des Völkergewohnheitsrechts;
    • d) der Grundsatz des Völkergewohnheitsrechts (dessen Existenz vom Beklagten nicht anerkannt wird), dass Flugzeuge, die über Hoher See fliegen, ausschließlich der Hoheitsgewalt des Staates unterliegen, in dem sie registriert sind, es sei denn, dass in einem völkerrechtlichen Vertrag ausdrücklich etwas anderes vorgesehen ist;
    • e) das Chicagoer Abkommen (insbesondere die Art. 1, 11, 12, 15 und 24);
    • f) das „Open-Skies“-Abkommen (insbesondere die Art. 7, 11 Abs. 2 Buchst. c und 15 Abs. 3);
    • g) das Kyoto-Protokoll (insbesondere Art. 2 Abs. 2)?

Bei Bejahung von Frage 1:

  • 2) Ist die geänderte Richtlinie wegen Verstoßes gegen einen oder mehrere der oben angeführten Grundsätze des Völkergewohnheitsrechts ungültig, wenn und soweit darin das Emissionshandelssystem auf die außerhalb des Luftraums der EU-Mitgliedstaaten stattfindenden Abschnitte von Flügen (entweder allgemein oder in Drittländern registrierter Flugzeuge) angewandt wird?
  • 3) Ist die geänderte Richtlinie ungültig, wenn und soweit darin das Emissionshandelssystem auf die außerhalb des Luftraums der EU-Mitgliedstaaten stattfindenden Abschnitte von Flügen (entweder allgemein oder in Drittländern registrierter Flugzeuge) angewandt wird:
    • a) wegen Verstoßes gegen die Art. 1, 11 und/oder 12 des Chicagoer Abkommens;
    • b) wegen Verstoßes gegen Art. 7 des „Open-Skies“-Abkommens?
    • 4) Ist die geänderte Richtlinie ungültig, soweit darin das Emissionshandelssystem auf den Luftverkehr angewandt wird:
    • a) wegen Verstoßes gegen Art. 2 Abs. 2 des Kyoto-Protokolls und Art. 15 Abs. 3 des „Open-Skies“-Abkommens;
    • b) wegen Verstoßes gegen Art. 15 des Chicagoer Abkommens, allein oder in Verbindung mit den Art. 3 Abs. 4 und 15 Abs. 3 des „Open-Skies“-Abkommens;
    • c) wegen Verstoßes gegen Art. 24 des Chicagoer Abkommens, allein oder in Verbindung mit Art. 11 Abs. 2 Buchst. c des „Open-Skies“-Abkommens?

39. Am schriftlichen Verfahren vor dem Gerichtshof haben sich beteiligt: die Klägerinnen des Ausgangsrechtsstreits, die Streithelferinnen beider Seiten des Ausgangsrechtsstreits, die Regierungen Belgiens, Deutschlands, Spaniens, Frankreichs, Italiens, der Niederlande, Österreichs, Polens, Schwedens, des Vereinigten Königreichs, Islands und Norwegens, sowie das Europäische Parlament, der Rat der Europäischen Union und die Europäische Kommission.

40. Am 5. Juli 2011 fand vor dem Gerichtshof eine mündliche Verhandlung statt, in der mit Ausnahme der Regierungen Belgiens, Deutschlands, Italiens, der Niederlande, Österreichs und Islands alle Beteiligten des schriftlichen Verfahrens sowie darüber hinaus die dänische Regierung vertreten waren.

V – Würdigung

41. Die Klägerinnen des Ausgangsrechtsstreits und die sie unterstützenden Vereinigungen meinen, die Einbeziehung des internationalen Luftverkehrs in das Emissionshandelssystem der Europäischen Union sei mit einer Reihe von Grundsätzen des Völkergewohnheitsrechts sowie mit diversen internationalen Übereinkünften unvereinbar. Deshalb sei die Richtlinie 2008/101, mit der das EU-Emissionshandelssystem auf den Luftverkehr erstreckt wurde, ungültig.

42. Im Wesentlichen wenden sich diese Verfahrensbeteiligten mit drei Gruppen von Angriffspunkten gegen die Richtlinie 2008/101: Erstens bringen sie vor, die Europäische Union überdehne ihre Zuständigkeiten nach dem Völkerrecht, wenn sie ihr Emissionshandelssystem nicht auf rein innereuropäische Flüge beschränke, sondern darin auch solche Streckenabschnitte von internationalen Flügen einbeziehe, die über der Hohen See oder über dem Hoheitsgebiet von Drittstaaten stattfinden. Zweitens meinen sie, dass ein Emissionshandelssystem für den internationalen Luftverkehr im Rahmen der ICAO ausgehandelt und beschlossen werden müsse; es dürfe nicht einseitig eingeführt werden. Und drittens sind sie der Auffassung, das Emissionshandelssystem komme einer durch internationale Übereinkommen verbotenen Steuer oder Abgabe gleich.

43. Unstreitig ist, dass die Europäische Union an das Völkerrecht gebunden ist. Zum einen hat die Union Rechtspersönlichkeit (Art. 47 EUV) und kann somit Trägerin von völkerrechtlichen Rechten und Pflichten sein. Zum anderen bekennt sich die Union ausdrücklich zu dem Ziel, einen Beitrag zur strikten Einhaltung und Weiterentwicklung des Völkerrechts zu leisten (Art. 3 Abs. 5 Satz 2 EUV) sowie der Achtung der Grundsätze des Völkerrechts weltweit zu stärkerer Geltung zu verhelfen (Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 1 EUV).

44. Dementsprechend hat die Union nach gefestigter Rechtsprechung ihre Befugnisse unter Beachtung des Völkerrechts auszuüben. Im Rahmen seiner Zuständigkeit im Vorabentscheidungsverfahren (Art. 19 Abs. 3 Buchst. b EUV und Art. 267 Abs. 1 Buchst. b AEUV) obliegt es dem Gerichtshof, zu prüfen, ob die Gültigkeit von Handlungen der Unionsorgane dadurch beeinträchtigt ist, dass sie einer Regel des Völkerrechts widersprechen.

45. Dies bedeutet allerdings nicht, dass sich Einzelne (d. h. natürliche oder juristische Personen) in Gerichtsverfahren beliebig auf völkerrechtliche Bestimmungen oder Grundsätze berufen dürfen, um Rechtsakte der Unionsorgane zu Fall zu bringen. Vielmehr ist im Hinblick auf jede konkret in Frage stehende völkerrechtliche Bestimmung und auf jeden konkret in Frage stehenden völkerrechtlichen Grundsatz stets gesondert zu ermitteln, ob und inwieweit sie in einem von einer natürlichen oder juristischen Person angestrengten Rechtsstreit als Maßstab für die Prüfung der Rechtmäßigkeit von Unionsrechtsakten herangezogen werden können. Diese Problematik, der sich die erste Vorlagefrage widmet, ist der eigentlichen Prüfung der Gültigkeit der Richtlinie 2008/101 (bzw. der Prüfung der Gültigkeit der Richtlinie 2003/87 in der Fassung der Richtlinie 2008/101) logisch vorgelagert; sie ist folglich zuerst zu erörtern.

46. Bei der Würdigung der aufgeworfenen Rechtsfragen werde ich mich im Übrigen auf die Grundsätze und Bestimmungen des Völkerrechts beschränken, die das nationale Gericht konkret zum Gegenstand seiner Fragen gemacht hat. Es erscheint mir nicht zweckmäßig, auf die sonstigen internationalen Übereinkünfte einzugehen, die insbesondere von den Streithelferinnen der Klägerinnen des Ausgangsrechtsstreits ins Feld geführt wurden. Zwar ist es theoretisch denkbar, dass der Gerichtshof im Vorabentscheidungsverfahren von sich aus zu möglichen Ungültigkeitsgründen Stellung nimmt, mit denen ihn das vorlegende Gericht nicht befasst hat. Bei Gültigkeitsvorlagen sollte er von dieser Möglichkeit aber nur sparsam Gebrauch machen. Wenn sich aus den Akten ergibt, dass das nationale Gericht es stillschweigend ablehnt, den Gerichtshof zu einer Bestimmung zu befragen, sollte auch der Gerichtshof nicht auf sie eingehen. So verhält es sich im vorliegenden Fall: Der Vorlagebeschluss des High Court erwähnt zwar mehrfach die sonstigen von den Streithelferinnen in Bezug genommenen internationalen Übereinkünfte, machte sie aber gerade nicht zum Gegenstand von Gültigkeitsfragen an den Gerichtshof.

A – Zur Heranziehung von internationalen Übereinkünften und von Grundsätzen des Völkergewohnheitsrechts als Maßstab für die Prüfung der Gültigkeit der Richtlinie 2008/101 (erste Frage)

47. Im Rahmen der ersten Frage ist das grundlegende Problem zu erörtern, ob und inwieweit die vom vorlegenden Gericht in Bezug genommenen internationalen Übereinkünfte und Grundsätze des Völkergewohnheitsrechts überhaupt als Maßstab für die Prüfung der Gültigkeit der Richtlinie 2008/101 herangezogen werden können, und zwar im Hinblick auf Rechtsstreitigkeiten vor nationalen Gerichten, die von natürlichen oder juristischen Personen – hier von Unternehmen und Unternehmensvereinigungen – angestrengt wurden.

48. Ich werde diese Thematik zunächst im Hinblick auf die drei in Rede stehenden internationalen Übereinkünfte – das Chicagoer Abkommen, das Kyoto-Protokoll und das Open-Skies-Abkommen – erörtern (vgl. dazu unten, Abschnitt 1) und sodann in Bezug auf die verschiedenen vom vorlegenden Gericht aufgeworfenen Grundsätze des Völkergewohnheitsrechts (vgl. dazu unten, Abschnitt 2).

1. Internationale Übereinkünfte (erste Frage, Buchst. e bis g)

49. Internationale Übereinkünfte können nach gefestigter Rechtsprechung unter zwei Voraussetzungen als Maßstab für die Prüfung der Gültigkeit von Handlungen der Unionsorgane herangezogen werden:

  • Erstens muss die Europäische Union an die jeweilige Übereinkunft gebunden sein.
  • Zweitens dürfen Art und Struktur der jeweiligen Übereinkunft einer solchen Gültigkeitsprüfung nicht entgegenstehen, und ihre Bestimmungen müssen außerdem inhaltlich unbedingt und hinreichend genau erscheinen.

50. Dabei wird im Rahmen des zweiten Kriteriums zu berücksichtigen sein, dass sich die Frage der Gültigkeit der Richtlinie 2008/101 im vorliegenden Fall in einem Rechtsstreit stellt, der von Einzelnen – von mehreren Fluggesellschaften und einer Vereinigung von Fluggesellschaften – angestrengt wurde.

a) Das Chicagoer Abkommen (erste Frage, Buchst. e)

51. Was zunächst das Chicagoer Abkommen betrifft, so ist bereits das erste der oben in Nr. 49 genannten Kriterien nicht erfüllt.

52. Die Europäische Union ist nämlich nicht Vertragspartei des Chicagoer Abkommens. Damit begründet dieses Abkommen für die Union formell weder Rechte noch Pflichten.

53. Gleichwohl meinen die Klägerinnen des Ausgangsrechtsstreits und die sie unterstützenden Vereinigungen, dass die Union materiell an das Chicagoer Abkommen gebunden sei. Dazu stützen sie sich zum einen auf Art. 351 AEUV und führen zum anderen die Theorie der Funktionsnachfolge an.

54. Beide Argumente greifen jedoch nicht durch.

i) Keine Bindung an das Chicagoer Abkommen nach Art. 351 AEUV

55. Aus Art. 351 Abs. 1 AEUV (ehemals Art. 307 EG bzw. Art. 234 EWG-Vertrag) ergibt sich, dass die Rechte und Pflichten der Mitgliedstaaten gegenüber dritten Ländern durch die Verträge (d. h. durch den EUV und den AEUV) nicht berührt werden, wenn und soweit es sich dabei um Rechte und Pflichten aus internationalen Übereinkünften handelt, die zeitlich vor der Mitgliedschaft des jeweiligen Mitgliedstaats in der Europäischen Union geschlossen wurden.

56. Indem das Unionsrecht gemäß Art. 351 Abs. 1 AEUV solche Altverträge der Mitgliedstaaten mit dritten Ländern anerkennt, trägt es dem völkerrechtlichen Grundsatz pacta sunt servanda Rechnung. Anders ausgedrückt verpflichtet die Mitgliedschaft in der Europäischen Union die Mitgliedstaaten nicht, gegenüber dritten Ländern in Bezug auf früher eingegangene internationale Übereinkünfte vertragsbrüchig zu werden.

57. Die Unionsorgane ihrerseits sind aber lediglich gehalten, die Erfüllung der Pflichten der Mitgliedstaaten aus derartigen Altverträgen nicht zu behindern; nicht etwa wird durch Altverträge der Mitgliedstaaten die Union selbst gegenüber den betroffenen Drittländern völkerrechtlich verpflichtet. Es gilt der auch im Völkerrecht anerkannte Grundsatz der relativen Wirkung von Verträgen, wonach Verträge Dritte weder berechtigen noch verpflichten (pacta tertiis nec nocent nec prosunt).

58. Die fehlende Bindung der Union an Altverträge der Mitgliedstaaten wird im Übrigen offenkundig, wenn man die für Altverträge geltenden Regeln in Art. 351 AEUV denjenigen gegenüberstellt, die gemäß Art. 216 AEUV für die von der Union selbst geschlossenen Übereinkünfte gelten. Während nämlich Art. 216 Abs. 2 AEUV anordnet, dass die von der Union selbst geschlossenen Übereinkünfte die Organe der Union und die Mitgliedstaaten binden, fehlt es in Art. 351 AEUV an einer vergleichbaren Bestimmung in Bezug auf Altverträge der Mitgliedstaaten. Aus Art. 351 AEUV folgt keine Verpflichtung der Unionsorgane, das Unionsrecht an die Altverträge ihrer Mitgliedstaaten anzupassen. Hingegen sind die Mitgliedstaaten nach Art. 351 Abs. 2 AEUV gehalten, alle geeigneten Mittel anzuwenden, um etwaige Unvereinbarkeiten zwischen ihren Altverträgen und den Grundverträgen der Union (EUV und AEUV) zu beheben. Nötigenfalls müssen die Mitgliedstaaten ihre Altverträge mit dritten Ländern anpassen oder kündigen.

59. Aus Art. 351 AEUV folgt also keine Bindung der Union an das Chicagoer Abkommen.

ii) Keine Bindung an das Chicagoer Abkommen durch Funktionsnachfolge

60. Auch mit Hilfe der Theorie der Funktionsnachfolge kann keine Bindung der Union an das Chicagoer Abkommen konstruiert werden.

61. Die Theorie der Funktionsnachfolge geht auf das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache International Fruit Company zurück. Darin hat der Gerichtshof festgestellt, dass die seinerzeitige Europäische Wirtschaftsgemeinschaft an die Bestimmungen des GATT 1947 auch ohne formelle Mitgliedschaft in jenem Abkommen gebunden war, soweit sie in dem betreffenden Bereich aufgrund des EWG-Vertrags Befugnisse übernommen hatte, die früher von ihren Mitgliedstaaten ausgeübt worden waren.

62. Diese Rechtsprechung zum GATT lässt sich jedoch nicht ohne Weiteres auf andere internationale Übereinkünfte übertragen. Insbesondere passt sie nicht auf den hier interessierenden Bereich des Luftverkehrs.

63. Zum einen sind nämlich im Luftverkehr – entgegen der Auffassung der Klägerinnen des Ausgangsrechtsstreits und der sie unterstützenden Vereinigungen – zwar zahlreiche, aber noch nicht alle Befugnisse der Mitgliedstaaten auf die Union übergegangen. Dementsprechend werden etwa Luftverkehrsabkommen bis in die jüngste Zeit hinein als „gemischte Abkommen“ abgeschlossen, an denen neben der Union auch deren Mitgliedstaaten als Vertragsparteien beteiligt sind.

64. Zum anderen bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Europäische Union bzw. zuvor die Europäische Gemeinschaft im Rahmen der ICAO als Nachfolgerin ihrer Mitgliedstaaten auftreten würde und dass ein solches Auftreten die Zustimmung der anderen Vertragsparteien des Chicagoer Abkommens finden würde, wie dies beim GATT 1947 der Fall gewesen war. Wie sich auch aus den Akten ergibt, hat die Union im Rahmen der ICAO lediglich einen Beobachterstatus und koordiniert im Vorfeld von Sitzungen der ICAO-Organe die Standpunkte ihrer Mitgliedstaaten, sie tritt aber in diesen Gremien – jedenfalls beim derzeitigen Stand – nicht anstelle ihrer Mitgliedstaaten auf. Dies haben die Klägerinnen des Ausgangsrechtsstreits und die sie unterstützenden Vereinigungen auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof eingeräumt.

65. Unter diesen Umständen ist keine Funktionsnachfolge anzunehmen, aufgrund deren die Union im Rahmen der ICAO die Rolle ihrer Mitgliedstaaten übernommen hätte und damit selbst – materiell – an das Chicagoer Abkommen gebunden wäre. Der Umstand allein, dass alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union Vertragsstaaten des Chicagoer Abkommens sind, reicht als solcher nicht aus, um eine Bindung der Union an dieses Abkommen zu erzeugen.

iii) Zwischenergebnis

66. Da die Europäische Union somit nicht an das Chicagoer Abkommen gebunden ist, kann dieses Abkommen nicht als Maßstab zur Prüfung der Gültigkeit der Richtlinie 2008/101 herangezogen werden. Der Umstand, dass alle Mitgliedstaaten der Union Vertragsparteien des Chicagoer Abkommens sind, kann sich allerdings bei der Auslegung von Bestimmungen des Unionsrechts auswirken; dies folgt aus dem allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben, der auch im Völkerrecht gilt und darüber hinaus im Unionsrecht in Art. 4 Abs. 3 EUV eine besondere Ausprägung erfahren hat.

b) Das Kyoto-Protokoll und das Open-Skies-Abkommen (erste Frage, Buchst. f und g)

67. An das Kyoto-Protokoll und an das Open-Skies-Abkommen ist die Europäische Union – ehemals Europäische Gemeinschaft – als Vertragspartei dieser beiden Übereinkünfte unzweifelhaft gebunden (vgl. auch Art. 216 Abs. 2 AEUV in Verbindung mit Art. 1 Abs. 3 Satz 3 EUV). Damit ist das erste der oben in Nr. 49 genannten Kriterien jeweils erfüllt. Zu prüfen bleibt jedoch, ob auch dem zweiten dieser Kriterien Genüge getan ist, d. h., ob das Kyoto-Protokoll und das Open-Skies-Abkommen nach ihrer Art und Struktur geeignet sind, als Maßstab für die Prüfung der Gültigkeit eines Unionsrechtsakts herzuhalten, und ob die in Rede stehenden Bestimmungen dieser Übereinkünfte inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind.

i) Vorbemerkung

68. Jede internationale Übereinkunft, die die Europäische Union geschlossen hat, ist für sie im völkerrechtlichen Sinne gegenüber den anderen Vertragsparteien verbindlich. Die unionsinterne Geltung derartiger Übereinkünfte ist allerdings keine völkerrechtliche Frage, sondern eine Frage des Unionsrechts. In ständiger Rechtsprechung beantwortet sie der Gerichtshof dahin gehend, dass die von der Union geschlossenen internationalen Übereinkünfte ab ihrem Inkrafttreten wesentlicher („integraler“) Bestandteil der Unionsrechtsordnung sind. Aus Art. 216 Abs. 2 AEUV folgt zudem, dass diese Übereinkünfte die Unionsorgane und die Mitgliedstaaten binden. Von der bloßen Geltung einer internationalen Übereinkunft zu unterscheiden ist allerdings die Frage nach den Wirkungen ihrer Bestimmungen in einem konkreten Rechtsstreit. Denn aus Art und Struktur der jeweiligen Übereinkunft kann sich ergeben, dass ihre Bestimmungen unionsintern entweder überhaupt nicht oder nur in eingeschränktem Maße zur gerichtlichen Überprüfung der Gültigkeit von Handlungen der Unionsorgane verwendbar sind.

69. Bei der Entscheidung darüber, welche Wirkungen die Bestimmungen eines Abkommens zwischen der Europäischen Union und Drittländern in der Union entfalten, darf der völkerrechtliche Ursprung der fraglichen Bestimmungen nicht außer Acht gelassen werden. Enthält ein Abkommen – wie regelmäßig – keine ausdrückliche Regelung darüber, welche Wirkungen seine Bestimmungen in der internen Rechtsordnung der Vertragsparteien haben sollen, so obliegt es den zuständigen Gerichten, dies im Wege der Auslegung zu ermitteln, insbesondere gestützt auf den Sinn, die Systematik oder den Wortlaut des Abkommens. Auf jeden Fall ist es Sache des Gerichtshofs, unter Zugrundelegung der oben genannten Kriterien festzustellen, ob dem Unionsrecht unterliegende Personen berechtigt sind, vor Gericht unter Berufung auf ein internationales Abkommen die Gültigkeit eines Unionsrechtsakts in Frage zu stellen.

70. So urteilt der Gerichtshof etwa in Bezug auf die Regeln der WTO und die Beschlüsse der WTO-Organe in ständiger Rechtsprechung, dass diese aufgrund ihrer Art und Struktur überhaupt nicht als Maßstab für die Prüfung der Gültigkeit von Unionsrechtsakten herangezogen werden können. Im Wesentlichen begründet der Gerichtshof dies mit der großen „Geschmeidigkeit“ (oder „Flexibilität“, Französisch: „souplesse“) des GATT (bzw. heute des WTO-Rechts), das auf Verhandlungslösungen ausgelegt ist und auf dem Gedanken der Gegenseitigkeit (Reziprozität) beruht.

71. Ganz allgemein gilt darüber hinaus, dass eine internationale Übereinkunft in Rechtsstreitigkeiten, die von Einzelnen (d. h. von natürlichen oder juristischen Personen) angestrengt werden, regelmäßig nur dann Maßstab für die Prüfung der Gültigkeit von Rechtsakten der Unionsorgane sein kann, wenn sie nach ihrer Art und Struktur geeignet ist, Rechte zu begründen, auf die sich der Einzelne vor Gericht berufen kann. Mit anderen Worten muss also die jeweilige internationale Übereinkunft die Rechtsstellung des Einzelnen betreffen.

72. Die Rechtsstellung des Einzelnen ist insbesondere dann betroffen, wenn ihm in einer internationalen Übereinkunft eigenständige Rechte und Freiheiten verliehen werden, so wie dies etwa in zahlreichen von der Europäischen Union geschlossenen Assoziierungs-, Kooperations- oder Partnerschaftsabkommen der Fall ist. Umweltschutzabkommen können ebenfalls Bestimmungen enthalten, auf die sich jeder Betroffene vor Gericht berufen darf.

73. Die nur eingeschränkte Möglichkeit für Einzelne, sich vor Gericht auf internationale Übereinkünfte als Gültigkeitsmaßstab zu berufen, lässt sich mit dem Zweck des Individualrechtsschutzes erklären: Einzelne genießen im Unionsrecht – wie auch in den meisten innerstaatlichen Rechtsordnungen – in der Regel insoweit Rechtsschutz, als dies zur Wahrung der ihnen garantierten Rechte oder Freiheiten erforderlich ist (vgl. auch Art. 47 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union).

74. Vor diesem Hintergrund sind auch im vorliegenden Fall das Open-Skies-Abkommen und das Kyoto-Protokoll in einem ersten Schritt daraufhin zu untersuchen, ob sie nach ihrer Art und Struktur geeignet sind, Rechte zu begründen, auf die sich der Einzelne vor Gericht berufen kann; in einem zweiten Schritt ist dann konkret zu prüfen, ob die jeweils in Rede stehenden Bestimmungen dieser Übereinkünfte inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, damit der Einzelne sich vor Gericht auf sie berufen kann.

75. Offen bleiben kann im vorliegenden Fall, ob andere, günstigere Voraussetzungen gelten müssten, wenn privilegiert Klageberechtigte im Sinne von Art. 263 Abs. 2 AEUV im Wege der Nichtigkeitsklage geltend machen würden, ein Rechtsakt der Union verstoße gegen deren völkerrechtliche Verpflichtungen. Dafür spräche, dass das Völkerrecht Bestandteil der Unionsrechtsordnung ist und privilegiert Klageberechtigte im System der Grundverträge der Europäischen Union nicht nur ihre eigenen Rechte geltend machen dürfen, sondern im Allgemeininteresse zur Rechtmäßigkeitskontrolle der Handlungen der Unionsorgane beitragen. Dazu gehört nach Art. 3 Abs. 5 Satz 2 EUV nicht zuletzt auch die Gewährleistung einer strikten Einhaltung des Völkerrechts.

ii) Das Kyoto-Protokoll (erste Frage, Buchst. g)

76. Was zunächst das Kyoto-Protokoll betrifft, so sind nur die Klägerinnen des Ausgangsrechtsstreits und die sie unterstütztenden Vereinigungen der Meinung, es könne unmittelbar angewandt werden. Die am Vorabentscheidungsverfahren beteiligten Organe und Regierungen sowie die Umweltverbände beziehen den diametral entgegengesetzten Standpunkt und gehen davon aus, dass das Kyoto-Protokoll nicht Maßstab für die Prüfung der Gültigkeit der Richtlinie 2008/101 sein kann.

77. Letztere Auffassung überzeugt. Weder der Art und Struktur des Kyoto-Protokolls im Allgemeinen noch der konkret in Rede stehenden Vorschrift (seinem Art. 2 Abs. 2) im Besonderen lassen sich irgendwelche Anhaltspunkte entnehmen, die für eine unmittelbare Anwendbarkeit sprechen würden.

– Art und Struktur des Kyoto-Protokolls

78. Das Kyoto-Protokoll ist ein Umwelt- und Klimaschutzabkommen. Es ist ein Zusatzprotokoll zum Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen.

79. Endziel des Rahmenübereinkommens und aller damit zusammenhängenden Rechtsinstrumente ist die Stabilisierung der Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre auf einem Niveau, auf dem eine gefährliche anthropogene Störung des Klimasystems verhindert wird. Die Präambel des Rahmenübereinkommens unterstreicht u. a. die Sorge der Menschheit über die nachteiligen Auswirkungen von Änderungen des Erdklimas, sie ruft alle Länder auf, so umfassend wie möglich zusammenzuarbeiten, und sie betont die Souveränität der Staaten bei der internationalen Zusammenarbeit zur Bekämpfung von Klimaänderungen.

80. Schon diese Zielsetzung und der Gesamtzusammenhang, in den sich das Kyoto-Protokoll einbettet, deuten darauf hin, dass es sich um ein Rechtsinstrument handelt, welches allein die Beziehungen zwischen Staaten und ihre jeweiligen Verpflichtungen im Rahmen der weltweiten Anstrengungen zur Bekämpfung von Klimaänderungen regelt.

81. Dieser Eindruck verfestigt sich, wenn man den Blick auf die wichtigsten Einzelbestimmungen des Kyoto-Protokolls selbst lenkt: Dort wird zur Förderung der nachhaltigen Entwicklung ein nicht abschließender Katalog von Politiken und Maßnahmen aufgeführt, die bestimmte Vertragsparteien (im Wesentlichen die entwickelten Länder) bei der Erfüllung ihrer jeweiligen Emissionsbegrenzungs- und ‑reduktionsverpflichtungen verwirklichen sollen.

82. Sicherlich kann davon ausgegangen werden, dass sich die im Rahmen des Kyoto-Protokolls von den Vertragsparteien ergriffenen Klimaschutzmaßnahmen mittel- und langfristig zugunsten des Einzelnen auswirken werden, weil sie der Erhaltung der Umwelt dienen. Ebenso ist wahrscheinlich, dass manche der ergriffenen Maßnahmen mit Lasten für Einzelne verbunden sein werden. Solche Auswirkungen sind aber nur mittelbarer Art. Weder das Rahmenübereinkommen noch das Kyoto-Protokoll enthalten konkrete Bestimmungen, die unmittelbar die Rechtsstellung des Einzelnen betreffen könnten. Mehr als einige allgemeine Bezugnahmen auf „die Menschheit“ und „die Menschen“ sind in diesen Rechtsinstrumenten nicht zu finden.

83. All dies spricht gegen die Annahme, dass Einzelne sich vor Gericht auf das Kyoto-Protokoll berufen können, zumal wenn sie Staaten angehören, die dieses Protokoll nicht ratifiziert haben.

84. Hinzu kommt, dass die im Kyoto-Protokoll vereinbarten Verpflichtungen zur Emissionsbegrenzung und ‑reduktion zwar quantifiziert sind, aber den Vertragsparteien einen weiten Ermessensspielraum hinsichtlich der konkret zu verwirklichenden Politiken und der konkret zu ergreifenden Maßnahmen entsprechend ihren nationalen Gegebenheiten belassen. Die Verpflichtungen des Kyoto-Protokolls bedürfen allesamt der innerstaatlichen Umsetzung und sind im Übrigen auch nicht hinreichend genau, als dass sie unmittelbar zugunsten oder zulasten Einzelner wirken könnten.

– Art. 2 Abs. 2 des Kyoto-Protokolls

85. Die konkrete, vom vorlegenden Gericht in Bezug genommene Bestimmung des Art. 2 Abs. 2 des Kyoto-Protokolls fügt sich nahtlos in das soeben erörterte allgemeine Bild ein. Die Vertragsparteien vereinbaren darin (soweit hier von Interesse), ihre Bemühungen um eine Begrenzung oder Reduktion der Emissionen bestimmter Treibhausgase aus dem Luftverkehr im Rahmen der ICAO fortzusetzen.

86. Die fragliche Vorschrift beschränkt sich folglich darauf, bestimmte Rechtsbeziehungen zwischen den Vertragsparteien des Kyoto-Protokolls zu regeln. Sie beschreibt den organisatorischen Rahmen, in dem die Vertragsparteien zur Begrenzung oder Reduktion der Emissionen bestimmter Treibhausgase aus dem Luftverkehr zusammenarbeiten wollen. Die Rechtsstellung Einzelner ist davon jedoch nicht betroffen. Insbesondere hat die in Art. 2 Abs. 2 des Kyoto-Protokolls bezeichnete Vorgehensweise – Zusammenarbeit der Vertragsparteien im Rahmen der ICAO – nicht den Charakter einer Verfahrensgarantie, die dazu bestimmt oder auch nur geeignet wäre, irgendwelche Rechte oder Interessen Einzelner zu schützen.

87. Dementsprechend können Einzelne sich vor Gericht nicht auf Art. 2 Abs. 2 des Kyoto-Protokolls berufen, so dass diese Bestimmung im vorliegenden Fall nicht als Maßstab zur Prüfung der Gültigkeit der Richtlinie 2008/101 herangezogen werden kann.

iii) Das Open-Skies-Abkommen (erste Frage, Buchst. f)

88. Was sodann das Open-Skies-Abkommen anbelangt, so sprechen auch ihm die meisten am Vorabentscheidungsverfahren beteiligten Organe und Regierungen ganz allgemein die Eignung ab, die Rechtsstellung Einzelner zu betreffen. Indes erkennen die Kommission und die französische Regierung im Grundsatz an, dass natürliche und juristische Personen sich vor Gericht auf das Open-Skies-Abkommen berufen können.

89. Letzterer Auffassung schließe ich mich an. Sie wird sowohl der Art und Struktur des Open-Skies-Abkommens als auch den verschiedenen in Rede stehenden Bestimmungen dieses Abkommens besser gerecht.

– Art und Struktur des Open-Skies-Abkommens

90. Sicherlich lassen sich einzelne Formulierungen im Open-Skies-Abkommen dahin gehend deuten, dass mit diesem Luftverkehrsabkommen die Beziehungen zwischen den Vertragsparteien geregelt werden, also zwischen der Europäischen Union – ehemals Europäische Gemeinschaft – sowie ihren Mitgliedstaaten einerseits und den USA andererseits.

91. Eine Vielzahl anderer Formulierungen im Open-Skies-Abkommen nimmt jedoch gezielt auf die Rechte und Pflichten Einzelner Bezug, insbesondere spricht das Abkommen Luftfahrtunternehmen und sonstige Dienstleistungsanbieter direkt an. Teilweise sieht es sogar Rechte für „jedermann“ vor. Solche Formulierungen legen den Schluss nahe, dass das Open-Skies-Abkommen zumindest auch die Rechtsstellung Einzelner, insbesondere die von Unternehmen, betrifft.

92. Dieser Eindruck verfestigt sich, wenn man die Präambel des Open-Skies-Abkommens mit in die Überlegungen einbezieht. Dort ist von dem „auf dem Markt herrschenden Wettbewerb zwischen Luftfahrtunternehmen“ die Rede, der „mit einem Mindestmaß an staatlichen Eingriffen und staatlicher Regulierung“ gefördert, gestärkt und vor Beeinträchtigungen durch staatliche Beihilfen bewahrt werden soll. Es wird die Absicht formuliert, „den Zugang zu den Märkten zu öffnen“, und der Wunsch geäußert, „es den Luftfahrtunternehmen zu ermöglichen, Reisenden und Versendern wettbewerbsfähige Preise und Dienstleistungen in offenen Märkten anzubieten“; außerdem soll der Zugang der Luftfahrtunternehmen zu globalen Kapitalmärkten verbessert werden. Es geht also um die Verwirklichung klassischer wirtschaftlicher Freiheiten. Derartige Zielvorgaben sind charakteristisch für internationale Übereinkommen, deren Inhalt sich nicht in der Regelung von Beziehungen zwischen den Vertragsparteien erschöpft, sondern darüber hinaus auch die Rechtsstellung einzelner Wirtschaftsteilnehmer mit in den Blick nimmt. Besonders augenfällig ist die Rolle des Individuums im Open-Skies-Abkommen außerdem überall dort, wo von (Luftfahrt-)Unternehmen, Fluggästen, Reisenden, Versendern, Verbrauchern oder gar von Beschäftigten und Arbeitnehmern die Rede ist.

93. Das Urteil Intertanko, auf das mehrere Organe und Regierungen in ihren Stellungnahmen vor dem Gerichtshof verwiesen haben, spricht nicht gegen die Annahme, dass das Open-Skies-Abkommen die Rechtsstellung Einzelner betrifft.

94. Zugegebenermaßen schloss der Gerichtshof in der Rechtssache Intertanko aus Art und Struktur des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen, dass jenes Übereinkommen nur die Beziehungen zwischen den Vertragsparteien regle und Einzelnen keine eigenständigen Rechte und Freiheiten verleihe, auch wenn dort bisweilen von Schiffen und ihren Rechten die Rede sei. Die Rechte und Pflichten derer, die mit Schiffen durch Meeresgewässer fahren, werden im Urteil Intertanko lediglich als Ausfluss der Rechte und Pflichten ihrer jeweiligen Flaggenstaaten verstanden.

95. Doch der Umstand allein, dass die Ausübung bestimmter Rechte aus einem internationalen Übereinkommen an die Staatsangehörigkeit der betreffenden Person oder an die Staatszugehörigkeit eines Schiffs oder Luftfahrzeugs geknüpft ist, spricht nicht gegen die unmittelbare Anwendbarkeit der jeweiligen Vorschrift des Übereinkommens. Auch das allgemein anerkannte Prinzip, dass jeder Staat die Bedingungen festlegt, zu denen er seine Staatsangehörigkeit oder seine Staatszugehörigkeit gewährt, schließt für sich genommen nicht aus, dass die an die Staatsangehörigkeit oder Staatszugehörigkeit anknüpfenden Vorschriften in internationalen Übereinkommen die Rechtsstellung Einzelner betreffen.

96. Die allermeisten internationalen Übereinkommen sehen Rechte und Pflichten nur für die Staatsangehörigen der Vertragsparteien vor. Wollte man allein schon wegen dieses Anknüpfens an die Staatsangehörigkeit die unmittelbare Anwendbarkeit ausschließen, so könnten sich Einzelne kaum jemals auf die sie betreffenden Bestimmungen internationaler Übereinkünfte berufen.

97. Aber auch unabhängig davon lässt sich die im Urteil Intertanko für das Seerechtsübereinkommen gefundene Lösung nicht kurzerhand auf das hier interessierende Open-Skies-Abkommen übertragen.

98. Denn das Seerechtsübereinkommen legt einen viel größeren Schwerpunkt auf die Regelung der Beziehungen zwischen Staaten und misst der Rechtsstellung des Einzelnen einen sehr viel geringeren Stellenwert zu, als dies im Open-Skies-Abkommen der Fall ist. Hauptziel des Seerechtsübereinkommens ist es nämlich, die Regeln des allgemeinen Völkerrechts über die friedliche Zusammenarbeit der internationalen Gemeinschaft bei der Erforschung, der Nutzung und der Ausbeutung der Meeresräume zu kodifizieren, näher zu bestimmen und weiterzuentwickeln sowie eine „Verfassung der Meere“ zu schaffen. Es soll ein gerechter Ausgleich zwischen den Interessen der Staaten als Küstenstaaten und ihren Interessen als Flaggenstaaten, die widerstreitend sein können, geschaffen werden; dabei beabsichtigen die Vertragsstaaten, die materiellen und territorialen Grenzen ihrer jeweiligen souveränen Rechte festzulegen.

99. Im Open-Skies-Abkommen sind die Bezugnahmen auf Einzelne und auf Unternehmen deutlich stärker ausgeprägt als im Seerechtsübereinkommen, und die Präambel des Open-Skies-Abkommens unterstreicht, wie bereits erwähnt), die Bedeutung des Individuums und von Unternehmen in einer Deutlichkeit, die im Seerechtsübereinkommen kein Gegenstück findet.

100. Im Übrigen schließt auch die Existenz eines Gemeinsamen Ausschusses und eines Schiedsverfahrens für Streitigkeiten zwischen den Vertragsparteien hinsichtlich der Anwendung oder Auslegung des Open-Skies-Abkommens nicht zwingend aus, dass dieses Abkommen die Rechtsstellung Einzelner betreffen kann und dass einige seiner Vorschriften gegenüber natürlichen oder juristischen Personen unmittelbar zur Anwendung kommen können. Denn anders als das WTO-Recht ist das Open-Skies-Abkommen sehr viel weniger auf Verhandlungen zwischen den Vertragsparteien und auf Reziprozität ausgelegt.

101. Alles in allem bin ich deshalb der Auffassung, dass das Open-Skies-Abkommen nach seiner Art und seiner Struktur die Rechtsstellung Einzelner betreffen kann. In Rechtsstreitigkeiten, die von Einzelnen angestrengt wurden, darf das Open-Skies-Abkommen somit im Prinzip als Maßstab für die Prüfung der Gültigkeit von Unionsrechtsakten herangezogen werden.

– Inhaltliche Unbedingtheit und hinreichende Genauigkeit der in Rede stehenden Bestimmungen des Open-Skies-Abkommens

102. Im Einzelnen fragt das vorlegende Gericht nach drei Bestimmungen des Open-Skies-Abkommens: Art. 7, Art. 11 Abs. 2 Buchst. c und Art. 15 Abs. 3. Für jede einzelne dieser Bestimmungen ist gesondert zu untersuchen, ob sie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau ist, um als Maßstab für die Prüfung der Gültigkeit der Richtlinie 2008/101 zu dienen.

103. Art. 7 des Open-Skies-Abkommens sieht – vereinfacht gesagt – vor, dass die Gesetze und Rechtsvorschriften einer Vertragspartei in deren Hoheitsgebiet auch für die Luftfahrzeuge sowie die Fluggäste, Besatzungen und die Fracht der Luftfahrzeuge der anderen Vertragspartei gelten und von ihnen zu befolgen sind. Diese Vorschrift ist inhaltlich unbedingt, insbesondere setzt sie nicht zwingend irgendwelche internen Durchführungsbestimmungen seitens der Vertragsparteien des Open-Skies-Abkommens voraus. Außerdem ist die Vorschrift hinreichend genau, um aus ihr konkrete Rechtsfolgen für Einzelne abzuleiten: Sie beschreibt detailliert, um welche Art von Gesetzen und Rechtsvorschriften es sich handelt, und sie ordnet kategorisch an, dass diese Gesetze und Rechtsvorschriften „gelten“ und „zu befolgen sind“. Zudem spricht sie Einzelne konkret als Adressaten an, denn es sind speziell die Luftfahrtunternehmen (bzw. deren Luftfahrzeuge und Fracht) sowie die Fluggäste und Besatzungen, für die die betreffenden Gesetze und Rechtsvorschriften gelten und von denen sie zu befolgen sind. Damit erfüllt Art. 7 des Open-Skies-Abkommens alle Voraussetzungen für eine unmittelbare Anwendung.

104. Art. 11 Abs. 2 Buchst. c des Open-Skies-Abkommens sieht – vereinfacht gesagt – eine Befreiung von Steuern, Zöllen, Gebühren und Abgaben auf Treibstoff, Schmieröle und technische Verbrauchsgüter für Luftfahrzeuge der Vertragsparteien vor. Diese Vorschrift ist zwar hinreichend genau, um unmittelbar angewendet zu werden, legt sie doch konkret fest, welche Gegenstände in den Genuss der Befreiung kommen und wovon sie befreit werden. Allerdings ist die Vorschrift nicht unbedingt, denn sie gewährt die Befreiung nur „auf der Grundlage der Gegenseitigkeit“. Ob sich ein Luftfahrtunternehmen zu einem bestimmten Zeitpunkt gegenüber einer bestimmten Vertragspartei des Open-Skies-Abkommens auf die Befreiung berufen kann, hängt folglich vom Verhalten der jeweils anderen Vertragspartei zu diesem Zeitpunkt ab. Ein US-amerikanisches Luftfahrtunternehmen kann gegenüber europäischen Behörden nur dann die im Open-Skies-Abkommen vorgesehene Befreiung geltend machen, wenn und soweit zu diesem Zeitpunkt auch die Behörden in seinem eigenen Niederlassungsstaat europäischen Luftfahrtunternehmen entsprechende Befreiungen gewähren. Angesichts des Bestehens dieser Bedingung sind die Voraussetzungen für eine unmittelbare Anwendung von Art. 11 Abs. 2 Buchst. c des Open-Skies-Abkommens nicht erfüllt.

105. Art. 15 Abs. 3 Satz 1 des Open-Skies-Abkommens schreibt bei der Festlegung von Umweltmaßnahmen die Beachtung der von der ICAO festgelegten Umweltschutznormen für den Luftverkehr vor, „ausgenommen in Fällen, in denen Abweichungen angezeigt wurden“. Diese Vorschrift erscheint weder als unbedingt noch als hinreichend genau, um unmittelbar angewandt zu werden: Sie verweist in ihrem letzten Halbsatz („ausgenommen …“) auf das Recht der ICAO und regelt nicht selbst, unter welchen Voraussetzungen von Umweltschutznormen der ICAO abgewichen werden darf. Außerdem ist nicht ersichtlich, dass diese Vorschrift überhaupt die Rechtsstellung Einzelner betreffen könnte: Es geht um die im Allgemeininteresse erfolgende „Festlegung“ von Umweltmaßnahmen, nicht hingegen um deren Anwendung gegenüber Luftfahrtunternehmen.

106. In Art. 15 Abs. 3 Satz 2 des Open-Skies-Abkommens verpflichten sich die Vertragsparteien, Umweltmaßnahmen mit Auswirkungen auf Luftverkehrsdienste in Übereinstimmung mit Art. 2 und Art. 3 Abs. 4 des Open-Skies-Abkommens anzuwenden. Diese Vorschrift betrifft, anders als Art. 15 Abs. 3 Satz 1, speziell die Anwendung von Umweltmaßnahmen gegenüber Luftfahrtunternehmen, kann sich also konkret auf deren Rechtsstellung auswirken. Inhaltlich besagt sie, dass Umweltmaßnahmen in Übereinstimmung mit dem Prinzip billiger und gleicher Wettbewerbsbedingungen für Luftfahrtunternehmen anzuwenden sind (Art. 2 des Open-Skies-Abkommens). Außerdem muss insbesondere das Recht der Luftfahrtunternehmen gewahrt werden, die Frequenz und die Kapazität der von ihnen angebotenen internationalen Luftverkehrsdienste aufgrund kommerzieller marktbezogener Überlegungen festzulegen (Art. 3 Abs. 4 Satz 1 des Open-Skies-Abkommens). Ferner sind einheitliche Bedingungen im Einklang mit Art. 15 des Chicagoer Abkommens („ICAO-Abkommen“) anzuwenden (Art. 3 Abs. 4 Satz 2 des Open-Skies-Abkommens). All diesen Anforderungen ist letztlich gemeinsam, dass Umweltmaßnahmen gegenüber Luftfahrtunternehmen in nicht diskriminierender Weise angewendet werden müssen und die Chancen der Luftfahrtunternehmen im Wettbewerb zueinander nicht beeinträchtigen dürfen. Solche Anforderungen sind unbedingt und hinreichend genau. Ähnlich wie die aus diversen Assoziierungs-, Kooperations- und Partnerschaftsabkommen bekannten Diskriminierungsverbote und ähnlich wie die im Europäischen Binnenmarkt geltenden Wettbewerbsprinzipien sind sie einer unmittelbaren Anwendung zugänglich.

iv) Zwischenergebnis

107. Damit können nur Art. 7 und Art. 15 Abs. 3 Satz 2 des Open-Skies-Abkommens im vorliegenden Fall als Maßstab zur Prüfung der Gültigkeit der Richtlinie 2008/101 herangezogen werden.

2. Völkergewohnheitsrecht (erste Frage, Buchst. a bis d)

108. Dass die Europäische Union neben den für sie geltenden internationalen Übereinkünften auch an das Völkergewohnheitsrecht gebunden ist, ist allgemein anerkannt und wird durch Art. 3 Abs. 5 Satz 2 EUV („strikte Einhaltung und Weiterentwicklung des Völkerrechts“) bestätigt. Die betreffenden Grundsätze des Völkergewohnheitsrechts sind Bestandteil der Unionsrechtsordnung.

109. Der Rechtsprechung der Unionsgerichte lassen sich jedoch bislang keine klaren Kriterien entnehmen, nach denen zu beurteilen wäre, ob und inwieweit ein Grundsatz des Völkergewohnheitsrechts Maßstab für die Prüfung der Gültigkeit von Unionsrechtsakten sein kann. In der Vergangenheit waren nämlich die Unionsgerichte, soweit ersichtlich, noch nicht veranlasst, eine derartige Gültigkeitsprüfung vorzunehmen; das Völkergewohnheitsrecht wurde bislang in der Rechtsprechung lediglich zur Auslegung von Vorschriften und Grundsätzen des Unionsrechts herangezogen.

110. Wie zahlreiche am Verfahren beteiligte Organe und Regierungen zu Recht vorbringen, sollten diese Kriterien sich nicht von denen unterscheiden, die zur Anwendung kommen, wenn es zu prüfen gilt, ob und inwieweit die Gültigkeit von Unionsrechtsakten an internationalen Übereinkünften gemessen werden kann.

111. Denn zum einen ist kein triftiger Grund ersichtlich, warum Einzelnen die Berufung auf Grundsätze des Völkergewohnheitsrechts unter weniger strengen Voraussetzungen gestattet sein sollte als die Berufung auf internationale Übereinkünfte. Auch die Klägerinnen des Ausgangsrechtsstreits und die sie unterstützenden Vereinigungen haben im Verfahren vor dem Gerichtshof keinen solchen Grund vorgebracht.

112. Zum anderen sind zahlreiche Grundsätze des Völkergewohnheitsrechts inzwischen in internationalen Übereinkünften kodifiziert. Es wäre nicht sinnvoll, wenn hinsichtlich der Berufung Einzelner auf ein und denselben Grundsatz des Völkerrechts unterschiedliche Voraussetzungen gelten würden, je nachdem, ob dieser als völkergewohnheitsrechtlicher oder als völkervertraglicher Grundsatz herangezogen wird.

113. In Anlehnung an die bereits erörterte Rechtsprechung zu internationalen Übereinkünften schlage ich somit dem Gerichtshof vor, Grundsätze des Völkergewohnheitsrechts nur dann als Maßstab für die Prüfung der Gültigkeit von Unionsrechtsakten anzuerkennen, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind:

  • Erstens muss ein Grundsatz des Völkergewohnheitsrechts existieren, an den die Europäische Union gebunden ist.
  • Zweitens dürfen Art und Struktur des jeweiligen Grundsatzes des Völkergewohnheitsrechts einer solchen Gültigkeitsprüfung nicht entgegenstehen, wobei der jeweilige Grundsatz außerdem inhaltlich unbedingt und hinreichend genau erscheinen muss.

114. Im Rahmen des zweiten Kriteriums wird wiederum zu berücksichtigen sein, dass sich die Frage der Gültigkeit der Richtlinie 2008/101 im vorliegenden Fall in einem Rechtsstreit stellt, der von Einzelnen – von mehreren Fluggesellschaften und einer Vereinigung von Fluggesellschaften – angestrengt wurde.

a) Zur Existenz der in Rede stehenden Grundsätze des Völkergewohnheitsrechts und zur Bindung der Europäischen Union an sie

115. Wie sich u. a. aus Art. 38 Abs. 1 Buchst. b des IGH-Statuts herleiten lässt, ist das Völkergewohnheitsrecht eine der allgemein anerkannten Quellen des Völkerrechts. Zu seiner Entstehung ist eine allgemeine Übung der jeweils betroffenen Völkerrechtssubjekte erforderlich (consuetudo; objektives Element), die als Recht anerkannt wird (opinio iuris sive necessitatis; subjektives Element).

116. In multilateralen Abkommen, an denen sich eine sehr große, repräsentative Anzahl von Völkerrechtssubjekten beteiligt hat, finden sich bisweilen bestimmte Grundsätze des Völkergewohnheitsrechts kodifiziert. Dies trifft insbesondere auf einige Vorschriften des Chicagoer Abkommens, auf das Übereinkommen über die Hohe See und auf Teile des Seerechtsübereinkommens zu.

117. Die Beteiligten am vorliegenden Vorabentscheidungsverfahren sind sich im Prinzip darüber einig, dass nicht zuletzt das Chicagoer Abkommen und das Seerechtsübereinkommen Auskunft über das Bestehen oder Nichtbestehen der fraglichen Grundsätze des Völkergewohnheitsrechts und über ihre Verbindlichkeit für die Europäische Union geben können.

i) Die Hoheit der Staaten über ihren Luftraum (erste Frage, Buchst. a)

118. Der Grundsatz der Hoheit der Staaten über ihren Luftraum (bisweilen auch als „Lufthoheit“ bezeichnet) ist Ausfluss der Souveränität der Staaten über ihr jeweiliges Hoheitsgebiet. Er wurde bereits 1919 in Art. 1 des Pariser Luftfahrtabkommens niedergelegt; heute ist er in Art. 1 des Chicagoer Abkommens kodifiziert, dem derzeit 190 Staaten als Vertragsparteien angehören, darunter alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Dabei bringt die völkervertragliche Regelung im Chicagoer Abkommen, wie auch der Internationale Gerichtshof anerkannt hat, lediglich ein seit langem feststehendes Prinzip des Völkergewohnheitsrechts zum Ausdruck.

119. Dass die Europäische Union nicht selbst Vertragspartei des Chicagoer Abkommens ist, steht ihrer Bindung an den in diesem Abkommen kodifizierten völkergewohnheitsrechtlichen Grundsatz der Hoheit der Staaten über ihren Luftraum nicht entgegen. Denn ein Grundsatz des Völkergewohnheitsrechts besteht selbständig neben den internationalen Abkommen fort, in denen er kodifiziert ist.

ii) Die Ungültigkeit von Souveränitätsansprüchen über die Hohe See (erste Frage, Buchst. b)

120. Der Grundsatz, dass kein Staat den Anspruch erheben darf, irgendeinen Teil der Hohen See seiner Souveränität zu unterstellen, ist eine Ausprägung der Freiheit der Hohen See, deren konzeptionelle Ursprünge bis mindestens ins Jahr 1609 zurückreichen. Spätestens seit dem frühen 20. Jahrhundert ist die Freiheit der Hohen See international anerkannt.

121. Im Jahr 1958 wurde der Grundsatz, dass kein Staat den Anspruch erheben darf, irgendeinen Teil der Hohen See seiner Souveränität zu unterstellen, in Art. 2 Satz 1 des Übereinkommens über die Hohe See kodifiziert und fand später unter der Überschrift „Ungültigkeit von Souveränitätsansprüchen über die Hohe See“ in Art. 89 des Seerechtsübereinkommens Eingang. Dem Seerechtsübereinkommen gehören derzeit 162 Vertragsparteien an, unter ihnen die Europäische Union – ehemals Europäische Gemeinschaft – sowie alle ihre Mitgliedstaaten.

122. Angesichts einer mindestens ein Jahrhundert – wenn nicht länger – zurückreichenden Staatenpraxis und ihrer breiten Anerkennung unter Beteiligung der Europäischen Union und aller ihrer Mitgliedstaaten kann angenommen werden, dass es sich bei Art. 89 des Seerechtsübereinkommens um die Kodifizierung eines Grundsatzes des Völkergewohnheitsrechts handelt, an den die Union gebunden ist. Kein Beteiligter am vorliegenden Vorabentscheidungsverfahren hat dies in Frage gestellt.

123. Vereinzelt wurde während des Vorabentscheidungsverfahrens in Zweifel gezogen, dass der Grundsatz der Ungültigkeit von Souveränitätsansprüchen über die Hohe See für die Prüfung der Gültigkeit der Richtlinie 2008/101 von Belang sein kann. Dazu genügt jedoch der Hinweis, dass nach ständiger Rechtsprechung eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Fragen des vorlegenden Gerichts spricht. Da es nicht offensichtlich ist, dass die erste Frage, Buchst. b, für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits unerheblich wäre, sollte sie vom Gerichtshof erörtert werden.

iii) Die Freiheit von Flügen über der Hohen See (erste Frage, Buchst. c)

124. Die Freiheit von Flügen über der Hohen See („Freiheit des Überflugs“) fand ebenfalls bereits 1958 in Art. 2 Satz 3 Nr. 4 des Übereinkommens über die Hohe See Erwähnung und ist heute in Art. 87 Abs. 1 Satz 3 Buchst. b des Seerechtsübereinkommens kodifiziert.

125. Aus denselben Gründen, die soeben schon im Zusammenhang mit der Ungültigkeit von Souveränitätsansprüchen über die Hohe See dargelegt wurden, ist auch die Freiheit von Flügen über der Hohen See als Grundsatz des Völkergewohnheitsrechts anzusehen, an den die Union gebunden ist.

iv) Die vermeintlich ausschließliche Hoheitsgewalt über Luftfahrzeuge über Hoher See (erste Frage, Buchst. d)

126. Anders als dies im Hinblick auf die bislang erörterten Grundsätze des Völkergewohnheitsrechts der Fall war, ist die Existenz des vierten vom vorlegenden Gericht aufgeworfenen Grundsatzes umstritten.

127. Die Klägerinnen des Ausgangsrechtsstreits und die sie unterstützenden Vereinigungen bringen vor, es folge aus dem Völkergewohnheitsrecht, dass Flugzeuge, die über Hoher See fliegen, ausschließlich der Hoheitsgewalt des Staates unterliegen, in dem sie registriert sind, es sei denn, dass in einem völkerrechtlichen Vertrag ausdrücklich etwas anderes vorgesehen ist. Während dies einige Regierungen und Organe nicht näher hinterfragt haben, sind andere Verfahrensbeteiligte – namentlich die Regierungen Deutschlands, Frankreichs, des Vereinigten Königreichs und Norwegens, aber auch die Kommission und die Umweltverbände – dezidiert der Auffassung, es gebe keinen solchen völkergewohnheitsrechtlichen Grundsatz.

128. In der Tat findet sich ein Grundsatz, wonach – vereinfacht ausgedrückt – Fahrzeuge auf Hoher See ausschließlich der Hoheitsgewalt ihres Flaggenstaates unterliegen, nur für Schiffe kodifiziert, nicht aber für Luftfahrzeuge. Dies zeigt ein Blick auf Art. 92 Abs. 1 Satz 1 des Seerechtsübereinkommens, aber auch auf seine Vorgängerbestimmung in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 des Übereinkommens von 1958 über die Hohe See.

129. Die Vorschriften des Art. 6 Abs. 1 des Übereinkommens über die Hohe See und des Art. 92 des Seerechtsübereinkommens lassen sich nicht ohne Weiteres im Wege der Analogie auf Luftfahrzeuge übertragen. Wie sich nämlich aus einer Gesamtbetrachtung dieser beiden multilateralen Abkommen ergibt, haben deren Verfasser klar zwischen Schiffen und Luftfahrzeugen unterschieden und in zahlreichen Vorschriften, die für beide Arten von Fahrzeugen oder speziell für Luftfahrzeuge gelten sollten, diese Luftfahrzeuge ausdrücklich erwähnt.

130. Unter diesen Umständen können Art. 6 des Übereinkommens über die Hohe See und Art. 92 des Seerechtsübereinkommens im Hinblick auf die dort nicht erwähnten Luftfahrzeuge nicht als verlässlicher Nachweis für das Bestehen eines vermeintlichen Grundsatzes des Völkergewohnheitsrechts angesehen werden. Dies gilt umso mehr, als im Chicagoer Abkommen, das spezifisch auf die Luftfahrt ausgerichtet ist, ebenfalls kein Grundsatz der ausschließlichen Hoheitsgewalt der Registrierungsstaaten über ihre die Hohe See überfliegenden Luftfahrzeuge niedergelegt ist. Zudem enthält das Tokioter Abkommen, das ähnlich dem Chicagoer Abkommen so gut wie weltweite Geltung hat, in seinem Art. 4 eine Vorschrift, die es Staaten zu strafrechtlichen Zwecken in bestimmten Grenzen sehr wohl erlaubt, Luftfahrzeuge im Flug zu behindern, auch wenn diese nicht bei ihnen registriert sind.

131. Die einschlägige Rechtsprechung, die bislang zu dem streitigen Grundsatz ergangen ist, betraf – soweit ersichtlich – nur Schiffe, nicht aber Luftfahrzeuge.

132. Vor diesem Hintergrund schlage ich dem Gerichtshof vor, zu urteilen, dass es beim derzeitigen Stand keine hinreichenden Anhaltspunkte für das Bestehen eines Grundsatzes des Völkergewohnheitsrechts gibt, wonach „Flugzeuge, die über Hoher See fliegen, ausschließlich der Hoheitsgewalt des Staates unterliegen, in dem sie registriert sind, es sei denn, dass in einem völkerrechtlichen Vertrag ausdrücklich etwas anderes vorgesehen ist“.

133. Folglich kann ein solcher Grundsatz auch nicht zum Maßstab für die Prüfung der Gültigkeit von Unionsrechtsakten wie der Richtlinie 2008/101 gemacht werden.

b) Zur Eignung der in Rede stehenden Grundsätze des Völkergewohnheitsrechts als Maßstab für eine Gültigkeitsprüfung in einem von natürlichen oder juristischen Personen angestrengten Rechtsstreit

134. Auch wenn jeder Grundsatz des Völkergewohnheitsrechts, an den die Europäische Union gebunden ist, für sie im völkerrechtlichen Sinne verbindlich ist, kann sich aus Art und Struktur des jeweiligen Grundsatzes ergeben, dass er unionsintern entweder überhaupt nicht oder nur in eingeschränktem Maße zur gerichtlichen Überprüfung der Gültigkeit von Handlungen der Unionsorgane verwendbar ist, insbesondere in Rechtsstreitigkeiten, die von natürlichen oder juristischen Personen angestrengt werden.

135. Den drei Grundsätzen des Völkergewohnheitsrechts, die der High Court in Frage 1 Buchst. a bis c zum Gegenstand seines Vorabentscheidungsersuchens gemacht hat, ist gemeinsam, dass sie die Reichweite der Souveränitätsrechte von Staaten bestimmen und ihre jeweiligen Hoheitsbereiche abgrenzen.

136. Derartige Grundsätze sind nach ihrer Art und ihrer Struktur in keiner Weise geeignet, die Rechtsstellung des Einzelnen zu betreffen. Darauf haben zu Recht die am Verfahren beteiligten Organe und die meisten beteiligten Regierungen hingewiesen.

137. Dementsprechend können solche Grundsätze in Rechtsstreitigkeiten, die von natürlichen oder juristischen Personen angestrengt werden, nicht als Maßstab für die Prüfung der Gültigkeit von Unionsrechtsakten herangezogen werden.

3. Zwischenergebnis

138. Alles in allem können also von den in der ersten Vorlagefrage erwähnten völkerrechtlichen Bestimmungen und Grundsätzen nur Art. 7 und Art. 15 Abs. 3 Satz 2 des Open-Skies-Abkommens in einem von natürlichen oder juristischen Personen angestrengten Rechtsstreit als Maßstab zur Prüfung der Gültigkeit von Unionsrechtsakten herangezogen werden.

B – Zur Vereinbarkeit der Richtlinie 2008/101 mit den gerügten internationalen Übereinkünften und Grundsätzen des Völkergewohnheitsrechts (zweite bis vierte Frage)

139. Die Fragen zwei bis vier sind der Vereinbarkeit der Richtlinie 2008/101 mit den vom vorlegenden Gericht aufgeworfenen internationalen Übereinkünften und Grundsätzen des Völkergewohnheitsrechts gewidmet. Sie sind nur für den Fall gestellt, dass die erste Frage zu bejahen ist. Nach meinen obigen Ausführungen ist dies lediglich in Bezug auf Art. 7 und Art. 15 Abs. 3 Satz 2 des Open-Skies-Abkommens der Fall. Ich werde gleichwohl hilfsweise und der Vollständigkeit halber auch die Vereinbarkeit der Richtlinie 2008/101 mit den übrigen vom vorlegenden Gericht aufgeworfenen Bestimmungen und Grundsätzen des Völkerrechts prüfen.

140. Im Verfahren vor dem Gerichtshof wurden zu dieser Thematik höchst konträre Rechtsauffassungen vertreten. Während nämlich die Klägerinnen des Ausgangsrechtsstreits und die sie unterstützenden Vereinigungen sämtliche in Frage stehenden internationalen Übereinkünfte und Grundsätze des Völkergewohnheitsrechts als verletzt ansehen, beziehen die am Verfahren beteiligten Organe und Regierungen sowie die Umweltverbände einhellig den diametral entgegengesetzten Standpunkt.

1. Vereinbarkeit mit bestimmten Grundsätzen des Völkergewohnheitsrechts (zweite Frage)

141. Mit seiner zweiten Frage begehrt das vorlegende Gericht Auskunft darüber, ob die von den Klägerinnen des Ausgangsrechtsstreits gerügten Grundsätze des Völkergewohnheitsrechts zur Ungültigkeit der Richtlinie 2008/101 führen, soweit diese Richtlinie das EU-Emissionshandelssystem auf Streckenabschnitte von Flügen erstreckt, die außerhalb des Luftraums der Mitgliedstaaten der Europäischen Union stattfinden.

142. Dass die Europäische Union ihre Befugnisse unter Beachtung des Völkergewohnheitsrechts auszuüben hat, ist allgemein anerkannt.

143. Im vorliegenden Fall werfen die Klägerinnen des Ausgangsrechtsstreits und die sie unterstützenden Vereinigungen dem Unionsgesetzgeber im Kern vor, er habe sich in Widerspruch zu den völkergewohnheitsrechtlichen Grundsätzen über die Abgrenzung der Zuständigkeiten von Staaten gesetzt. Durch die Einbeziehung von Flugstreckenabschnitten im Luftraum außerhalb der Europäischen Union sei nämlich eine extraterritoriale Regelung erlassen worden, die zum einen die Souveränitätsrechte von Drittstaaten und zum anderen die Freiheit der Hohen See verletze.

144. Dieser Vorwurf ist nicht haltbar. Er beruht auf einer fehlerhaften und äußerst oberflächlichen Lesart der Regelungen der Richtlinie 2008/101.

a) Zum Fehlen einer extraterritorialen Wirkung des EU-Emissionshandelssystems

145. Wie zahlreiche am Verfahren beteiligte Organe und Regierungen zu Recht herausgearbeitet haben, enthält die Richtlinie 2008/101 keinerlei extraterritoriale Vorschriften. Durch diese Richtlinie wird die Tätigkeit von Luftfahrtunternehmen weder im Luftraum von Drittstaaten noch über der Hohen See irgendwelchen zwingenden Bestimmungen des Unionsrechts unterworfen. Insbesondere führt die Richtlinie 2008/101 nicht zu einer irgendwie gearteten Verpflichtung von Luftfahrtunternehmen, mit ihren Luftfahrzeugen bestimmte Routen zu fliegen, bestimmte Höchstgeschwindigkeiten zu beachten oder bestimmte Grenzwerte für Treibstoffverbrauch und Abgase einzuhalten.

146. Regelungsgegenstand der Richtlinie 2008/101 sind einzig und allein die Starts und Landungen von Luftfahrzeugen auf Flugplätzen in der Europäischen Union, und nur im Hinblick auf solche Starts und Landungen findet auch eine Ausübung von Hoheitsgewalt gegenüber den Luftfahrtunternehmen statt: Je nach Flug müssen diese Unternehmen Emissionszertifikate in unterschiedlicher Höhe einlösen, wobei ihnen im Fall der Nichtbeachtung Sanktionen bis hin zur Betriebsuntersagung drohen.

147. Dass bei der Berechnung der einzulösenden Emissionsrechte die gesamte anlässlich des jeweiligen Fluges zurückgelegte Flugstrecke zugrunde gelegt wird, verleiht den Bestimmungen der Richtlinie 2008/101 keinen extraterritorialen Charakter. Zweifelsohne werden zwar auf diese Weise zum Teil Geschehnisse berücksichtigt, die sich über der Hohen See oder auf dem Hoheitsgebiet von Drittstaaten abspielen. Mittelbar mögen damit Anreize für Luftfahrtunternehmen einher gehen, sich bei Flügen über der Hohen See oder auf dem Hoheitsgebiet von Drittstaaten in bestimmter Weise zu verhalten, insbesondere möglichst wenig Treibstoff zu verbrauchen und möglichst wenig Treibhausgase auszustoßen. Eine konkrete Regelung ihres Verhaltens im Luftraum außerhalb der Europäischen Union erfolgt jedoch nicht.

148. Es ist keineswegs ungewöhnlich, dass ein Staat oder eine internationale Organisation bei der Ausübung von Hoheitsgewalt Umstände mit berücksichtigt, die sich außerhalb seines bzw. ihres territorialen Zuständigkeitsbereichs abspielen oder abgespielt haben. So gilt im Einkommensteuerrecht in vielen Staaten das Welteinkommensprinzip. Auch im Kartellrecht sowie in der Fusionskontrolle ist es weltweit gängige Praxis, dass Wettbewerbsbehörden gegen Vereinbarungen von Unternehmen einschreiten, mögen diese auch außerhalb ihres territorialen Zuständigkeitsbereichs abgeschlossen worden sein und sich möglicherweise sogar in erheblichem Umfang außerhalb dieses Zuständigkeitsbereichs auswirken. In einem Fischereifall hat der Gerichtshof sogar geurteilt, dass auf der Hohen See gefangener Fisch beschlagnahmt werden durfte, sobald das betreffende Schiff, das unter der Flagge eines Drittstaats fuhr, einen Hafen innerhalb der Europäischen Union angelaufen hatte.

149. Entscheidend ist aus völkerrechtlicher Sicht, dass der jeweilige Sachverhalt einen hinreichenden Bezug zu dem betreffenden Staat bzw. zu der betreffenden internationalen Organisation aufweist. Der jeweilige Anknüpfungspunkt kann auf dem Territorialitätsprinzip, auf dem Personalitätsprinzip oder – seltener – auf dem Universalitätsprinzip beruhen.

b) Zum Bestehen eines hinreichenden territorialen Anknüpfungspunkts

150. Im vorliegenden Fall kann sich die Europäische Union auf das Territorialitätsprinzip stützen.

151. Allgemein darf die Union allen Unternehmen, die in ihrem Hoheitsgebiet Dienstleistungen erbringen wollen, abverlangen, dass sie bestimmte im Unionsrecht festgelegte Standards einhalten. Dementsprechend darf sie von Luftfahrtunternehmen verlangen, dass diese anlässlich jedes Starts und jeder Landung auf einem Flugplatz im Hoheitsgebiet der Europäischen Union an den unionsrechtlich vorgeschriebenen Maßnahmen zum Umwelt- und Klimaschutz teilnehmen, hier am EU-Emissionshandelssystem.

152. Denn Start und Landung sind wesentliche und besonders charakteristische Bestandteile eines jeden Fluges. Ist Startort oder Zielort ein Flugplatz im Hoheitsgebiet der Europäischen Union, so besteht ein hinreichender territorialer Anknüpfungspunkt, um den jeweiligen Flug in das EU-Emissionshandelssystem einzubeziehen.

153. In Anwendung des EU-Emissionshandelssystems darf von den jeweiligen Luftfahrtunternehmen verlangt werden, dass diese beim Start und bei der Landung auf einem europäischen Flugplatz umso höhere Emissionszertifikate einlösen, je weiter der jeweilige Abflugort vom Zielort eines Fluges entfernt ist. Eine solche Berücksichtigung der zurückgelegten Gesamtflugstrecke ist letztlich Ausdruck des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und entspricht dem umweltrechtlichen Verursacherprinzip.

154. Das Territorialitätsprinzip verbietet nicht, dass bei der Anwendung des EU-Emissionshandelssystems auch Streckenabschnitte von Flügen mit berücksichtigt werden, die außerhalb des Hoheitsgebiets der Europäischen Union zurückgelegt werden. Eine solche Vorgehensweise entspricht vielmehr der Natur sowie dem Sinn und Zweck von Maßnahmen, die dem Umwelt- und Klimaschutz dienen. Luftverschmutzung kennt bekanntlich keine Grenzen, und Treibhausgase tragen unabhängig von dem Ort, an dem sie ausgestoßen werden, weltweit zum Klimawandel bei; sie können Auswirkungen auf die Umwelt und das Klima in jedem Staat oder Staatenverbund haben, auch in der Europäischen Union.

155. Auch ein Vergleich mit dem bereits erwähnten Fischereifall ist in diesem Zusammenhang lohnend. Wenn es nach dem Territorialitätsprinzip zulässig ist, außerhalb der Europäischen Union gefangenen Fisch auf einem unter der Flagge eines Drittstaats fahrenden Schiff in einem Hafen innerhalb der Europäischen Union zu beschlagnahmen, dann kann es nicht verboten sein, die außerhalb des Luftraums der Europäischen Union ausgestoßenen Abgase eines Luftfahrzeugs bei dessen Start oder Landung auf einem Flugplatz in der Europäischen Union zwecks Berechnung der einzulösenden Emissionszertifikate zu berücksichtigen.

c) Zum Fehlen einer Beeinträchtigung der Souveränität von Drittstaaten

156. Entgegen der Auffassung der Klägerinnen des Ausgangsrechtsstreits und der sie unterstützenden Vereinigungen hindert die Richtlinie 2008/101 Drittstaaten weder rechtlich noch faktisch daran, gegebenenfalls ihre eigenen Emissionshandelssysteme für den Luftverkehr in Kraft zu setzen und anzuwenden.

157. Zugegebenermaßen besteht bei Einbeziehung der über der Hohen See und im Hoheitsgebiet von Drittstaaten zurückgelegten Flugstreckenabschnitte die Gefahr einer „doppelten Regelung“, d. h. einer doppelten Berücksichtigung ein und derselben Strecke in den Emissionshandelssystemen zweier Staaten. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn sowohl am Abflugort als auch am Zielort eines internationalen Fluges jeweils ein Emissionshandelssystem gilt, das – wie die Richtlinie 2008/101 – die gesamte Flugstrecke in Rechnung stellt.

158. Jedoch ist eine solche doppelte Berücksichtigung, so belastend sie auch für die betroffenen Luftfahrtunternehmen sein mag, nach den hier in Rede stehenden Grundsätzen des Völkergewohnheitsrechts nicht verboten. Sie wird vielmehr vom Völkergewohnheitsrecht hingenommen, wie auch im Bereich der direkten Steuern das weit verbreitete Phänomen der Doppelbesteuerung hingenommen wird.

159. Nur durch einseitige Maßnahmen oder durch vertragliche Vereinbarungen zwischen den betroffenen Staaten und internationalen Organisationen lässt sich die doppelte Berücksichtigung ein und desselben Fluges in zwei unterschiedlichen Emissionshandelssystemen vermeiden. Dazu hat der Unionsgesetzgeber – obwohl ihm das Völkergewohnheitsrecht insoweit keine Verpflichtung auferlegte – in der Richtlinie 2008/101 ausdrücklich seine Bereitschaft signalisiert und auch eine konkrete Öffnungsklausel vorgesehen.

d) Zwischenergebnis

160. Alles in allem gibt folglich die Einbeziehung von Flugstreckenabschnitten, die außerhalb des Hoheitsgebiets der Europäischen Union zurückgelegt werden, in das EU-Emissionshandelssystem keinen Anlass zu Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit der Richtlinie 2008/101 mit den streitgegenständlichen Grundsätzen des Völkergewohnheitsrechts.

2. Vereinbarkeit mit bestimmten internationalen Übereinkünften (dritte und vierte Frage)

161. Mit seiner dritten und vierten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Richtlinie 2008/101 mit diversen Bestimmungen in internationalen Übereinkünften vereinbar ist. Dabei wird die Einbeziehung des internationalen Luftverkehrs in das EU-Emissionshandelssystem, wie sie die Richtlinie 2008/101 bewirkt, dem Gerichtshof unter vier Gesichtspunkten zur Rechtmäßigkeitsprüfung vorgelegt: erstens hinsichtlich der Berücksichtigung von Flugstreckenabschnitten außerhalb des EU-Luftraums (dritte Frage), zweitens hinsichtlich des Alleingangs der Europäischen Union außerhalb der ICAO (vierte Frage, Buchst. a), drittens hinsichtlich des Verbots von Abgaben auf die Ein- oder Ausreise (vierte Frage, Buchst. b) und viertens hinsichtlich des Verbots von Steuern und Zöllen auf Treibstoff im internationalen Luftverkehr (vierte Frage, Buchst. c).

a) Rechtmäßigkeit der Einbeziehung von Flugstreckenabschnitten außerhalb des EU-Luftraums in das EU-Emissionshandelssystem (dritte Frage)

162. Mit seiner dritten Frage begehrt das vorlegende Gericht Auskunft darüber, ob diverse Bestimmungen des Chicagoer Abkommens und des Open-Skies-Abkommens zur Ungültigkeit der Richtlinie 2008/101 führen, soweit diese Richtlinie in das EU-Emissionshandelssystem Streckenabschnitte von Flügen einbezieht, die außerhalb des Luftraums der Mitgliedstaaten der Europäischen Union stattfinden.

i) Vereinbarkeit mit Art. 1, 11 und 12 des Chicagoer Abkommens (dritte Frage, Buchst. a)

163. Wie schon im Rahmen der ersten Frage erwähnt, ist die Europäische Union an das Chicagoer Abkommen nicht gebunden; dieses Abkommen kann somit nicht Maßstab für die Gültigkeitsprüfung von Unionsrechtsakten sein. Da jedoch alle Mitgliedstaaten der Union Vertragsparteien des Chicagoer Abkommens sind, ist dieses gleichwohl bei der Auslegung von Bestimmungen des abgeleiteten Unionsrechts zu berücksichtigen. Folglich ist die Richtlinie 2008/101 (bzw. die Richtlinie 2003/87 in der Fassung der Richtlinie 2008/101) nach Möglichkeit so auszulegen, dass sie mit dem Chicagoer Abkommen im Einklang steht.

164. Allerdings zeigt eine Prüfung der vom vorlegenden Gericht aufgeworfenen Vorschriften des Chicagoer Abkommens, dass diese der Richtlinie 2008/101 ohnehin nicht entgegenstehen.

165. Was zunächst Art. 1 des Chicagoer Abkommens betrifft, so verleiht dieser lediglich dem Grundsatz der Souveränität der Staaten und insbesondere ihrer Lufthoheit Ausdruck. Wie bereits oben zum Völkergewohnheitsrecht ausgeführt, enthält die Richtlinie 2008/101 keine extraterritorialen Regelungen und verletzt nicht die Souveränitätsrechte von Drittstaaten. Diese Überlegungen lassen sich ohne Weiteres auf Art. 1 des Chicagoer Abkommens übertragen.

166. Zu Art. 11 des Chicagoer Abkommens ist anzumerken, dass die darin enthaltenen Regelungen sich schon nach ihrem Wortlaut lediglich auf den Ein- und Ausflug der in der internationalen Luftfahrt verwendeten Luftfahrzeuge nach oder aus dem Hoheitsgebiet der Vertragsstaaten sowie auf den Betrieb und den Verkehr dieser Luftfahrzeuge im Hoheitsgebiet der Vertragsstaaten beziehen. Dies bestätigt auch ein Blick auf den Gesamtzusammenhang, in dem besagter Art. 11 steht: Die Bestimmung gehört zum Kapitel II des Chicagoer Abkommens, das Flügen über dem Hoheitsgebiet der Vertragsstaaten gewidmet ist. Aussagen darüber, ob ein von einem Vertragsstaat angewandtes Emissionshandelssystem außerhalb des Hoheitsgebiets dieses Staates zurückgelegte Flugstreckenabschnitte berücksichtigen darf, lassen sich Art. 11 des Chicagoer Abkommens nicht entnehmen.

167. Die einzige inhaltliche Vorgabe, die Art. 11 des Chicagoer Abkommens für die Gesetze und Vorschriften der Vertragsstaaten über den Ein- oder Ausflug und den Betrieb von Luftfahrzeugen macht, ist das Verbot der Diskriminierung von Luftfahrzeugen aufgrund ihrer Staatszugehörigkeit: Die betreffenden Gesetze und Vorschriften sind „auf die Luftfahrzeuge aller Vertragsstaaten ohne Unterschied der Staatszugehörigkeit anzuwenden“. Dass das EU-Emissionshandelssystem dieser Anforderung genügt, hat kein Verfahrensbeteiligter in Zweifel gezogen.

168. Auch aus dem letzten Halbsatz von Art. 11 des Chicagoer Abkommens folgt kein Verbot, im Rahmen des Emissionshandelssystems eines Vertragsstaats die außerhalb seines Hoheitsgebiets zurückgelegten Flugstreckenabschnitte zu berücksichtigen. In jenem Halbsatz wird lediglich ausgeführt, dass die Gesetze und Vorschriften eines Vertragsstaats „beim Einflug, Ausflug und innerhalb des Hoheitsgebiets dieses Staates zu befolgen“ sind. Genau dies und nur dies – die Befolgung von Vorschriften beim Einflug und Ausflug – verlangt die Europäische Union den Luftfahrtunternehmen im Rahmen ihres Emissionshandelssystems ab. Vorschriften, die auf Flugstreckenabschnitten außerhalb des Hoheitsgebiets der Europäischen Union zu beachten wären, enthält das EU-Emissionshandelssystem nicht.

169. Was schließlich Art. 12 des Chicagoer Abkommens anbelangt, so befasst sich dieser mit Luftverkehrsregeln. Derartige Luftverkehrsregeln enthält jedoch die Richtlinie 2003/87 in der Fassung der Richtlinie 2008/101 nicht, weder für das Hoheitsgebiet der Europäischen Union noch für den Luftraum über Drittstaaten oder über dem in Art. 12 Satz 3 des Abkommens besonders erwähnten offenen Meer. Insbesondere schreibt das EU-Emissionshandelssystem, wie erwähnt, Luftfahrtunternehmen und den von ihnen betriebenen Luftfahrzeugen weder eine bestimmte Flugroute, noch bestimmte Höchstgeschwindigkeiten oder Grenzwerte für Treibstoffverbrauch und Abgase vor.

170. Auch der Hinweis der Klägerinnen des Ausgangsrechtsstreits auf Anhang 2 zum Chicagoer Abkommen, in dem bestimmte Luftverkehrsregeln aufgeführt sind, ist nicht geeignet, ihre These zu stützen. Zwar ist dort in Abschnitt 3.1.4 eine Vorschrift über das „Abwerfen oder Sprühen“ von Luftfahrzeugen aus während des Fluges enthalten. Das EU-Emissionshandelssystem ist aber in keiner Weise mit einer Regelung über das Abwerfen oder Versprühen von Substanzen vergleichbar, enthält es doch gerade keine Vorschriften oder Grenzwerte zum Ausstoß von Treibhausgasen aus den Triebwerken einzelner Luftfahrzeuge bei ihren jeweiligen Flügen von und zu Flugplätzen in der Europäischen Union.

171. Da somit kein Konflikt mit den Art. 1, 11 und 12 des Chicagoer Abkommens zu befürchten ist, besteht auch kein Anlass, die Richtlinie 2008/101 im Lichte des Chicagoer Abkommens restriktiv auszulegen und anzuwenden. Insbesondere ist es mit Rücksicht auf dieses Abkommen nicht geboten, den Anwendungsbereich des EU-Emissionshandelssystems auf Streckenabschnitte von Flügen zu beschränken, die im Hoheitsgebiet der Europäischen Union stattfinden.

ii) Vereinbarkeit mit Art. 7 des Open-Skies-Abkommens (dritte Frage, Buchst. b)

172. Anders als die soeben erörterten Bestimmungen des Chicagoer Abkommens kann Art. 7 des Open-Skies-Abkommens unmittelbar als Maßstab für die Prüfung der Gültigkeit der Richtlinie 2008/101 herangezogen werden.

173. In der Sache bestehen jedoch keine Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit des EU-Emissionshandelssystems mit dieser völkerrechtlichen Vorschrift. Denn Art. 7 des Open-Skies-Abkommens schreibt im Wesentlichen vor, dass im Hoheitsgebiet einer Vertragspartei deren Gesetze und sonstige Rechtsvorschriften betreffend den Einflug, Ausflug und Betrieb von Luftfahrzeugen im internationalen Luftverkehr gelten und zu befolgen sind. Damit enthält Art. 7 des Open-Skies-Abkommens, soweit hier von Interesse, eine dem Art. 11 des Chicagoer Abkommens weitgehend inhaltsgleiche Vorschrift. Die zu letzterer Vorschrift gemachten Ausführungen lassen sich also ohne Weiteres auf Art. 7 des Open-Skies-Abkommens übertragen.

b) Rechtmäßigkeit des Alleingangs der EU außerhalb der ICAO (vierte Frage, Buchst. a)

174. Der erste Teil der vierten Frage (Frage 4 Buchst. a) zielt darauf ab, zu klären, ob die Europäische Union ihr Emissionshandelssystem im Alleingang auf den internationalen Luftverkehr erstrecken durfte, ohne zuvor die Erarbeitung einer multilateralen Lösung innerhalb der ICAO abzuwarten. Zu diesem Zweck ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof, die Gültigkeit der Richtlinie 2008/101 unter zwei Gesichtspunkten zu beurteilen: zum einen im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit Art. 2 Abs. 2 des Kyoto-Protokolls und zum anderen im Hinblick auf einen etwaigen Verstoß gegen Art. 15 Abs. 3 des Open-Skies-Abkommens.

i) Vereinbarkeit mit Art. 2 Abs. 2 des Kyoto-Protokolls

175. Nach der Lesart der Klägerinnen des Ausgangsrechtsstreits und der sie unterstützenden Vereinigungen verbietet es Art. 2 Abs. 2 des Kyoto-Protokolls der Europäischen Union, außerhalb des Rahmens der ICAO eine Begrenzung oder Reduktion von Treibhausgasen aus dem Luftverkehr zu verfolgen.

176. Diese Auffassung vermag nicht zu überzeugen. Wie nämlich zahlreiche am Verfahren beteiligte Organe und Regierungen zu Recht hervorgehoben haben, legt Art. 2 Abs. 2 des Kyoto-Protokolls die Begrenzung und Reduktion von Treibhausgasen aus dem Luftverkehr nicht in die ausschließliche Zuständigkeit der ICAO. Dies lässt sich sowohl aus dem Wortlaut jener Vorschrift als auch aus ihrem Zusammenhang und ihren Zielen nachvollziehen.

177. Schon im Wortlaut von Art. 2 Abs. 2 des Kyoto-Protokolls fehlt jegliche Bezugnahme auf eine irgendwie geartete Ausschließlichkeit. Das Bemühen um eine Begrenzung oder Reduktion von Treibhausgasen aus dem Luftverkehr soll gerade nicht „ausschließlich“ oder „nur“ im Rahmen der ICAO fortgesetzt werden. Hätten die Vertragsparteien des Kyoto-Protokolls eine ausschließliche Zuständigkeit der ICAO begründen wollen, so wäre zu erwarten gewesen, dass dies im Wortlaut der Vorschrift mit der gebotenen Klarheit zum Ausdruck kommt.

178. Darüber hinaus ist das Kyoto-Protokoll in den Gesamtzusammenhang des Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen über Klimaänderungen eingebettet, zu dessen Ausführung es geschlossen wurde und in dessen Licht es folglich auszulegen ist. Jenes Rahmenübereinkommen lässt nicht nur multilaterale Politiken und Maßnahmen zur Begrenzung oder Reduktion von Treibhausgasen zu, sondern auch nationale und regionale.

179. So sieht Art. 4 Abs. 1 Buchst. b des Rahmenübereinkommens ausdrücklich vor, dass die Vertragsparteien „nationale und gegebenenfalls regionale Programme erarbeiten, umsetzen, veröffentlichen und regelmäßig aktualisieren, in denen Maßnahmen zur Abschwächung der Klimaänderungen durch die Bekämpfung anthropogener Emissionen aller nicht durch das Montrealer Protokoll geregelten Treibhausgase … vorgesehen sind“. Im selben Sinne bestimmt Art. 4 Abs. 2 Buchst. a des Rahmenübereinkommens, dass jede der zu den entwickelten Ländern gehörenden Vertragsparteien „nationale Politiken“ beschließt und „Maßnahmen zur Abschwächung der Klimaänderungen“ ergreift, wobei in einer Fußnote ausdrücklich klargestellt wird, dass dies auch die von Organisationen der regionalen Wirtschaftsintegration beschlossenen Politiken und Maßnahmen einschließt.

180. Entgegen der von den Klägerinnen des Ausgangsrechtsstreits in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof geäußerten Auffassung deutet nichts darauf hin, dass mit Art. 2 Abs. 2 des Kyoto-Protokolls von den genannten Prinzipien in Art. 4 des Rahmenübereinkommens abgewichen werden sollte.

181. Denn den Zielen des Rahmenübereinkommens im Allgemeinen und jenen des Kyoto-Protokolls im Besonderen würde es zuwiderlaufen, etwaige Maßnahmen zur Begrenzung oder Reduktion von Treibhausgasen aus dem Luftverkehr allein auf multilateraler Ebene im Rahmen der ICAO zu ergreifen. Es besteht nämlich keine Deckungsgleichheit zwischen dem Kreis der Parteien des Rahmenübereinkommens und des Kyoto-Protokolls einerseits sowie des Chicagoer Abkommens und der darauf basierenden ICAO andererseits. Wäre die ICAO ausschließlich zuständig, so könnten ICAO-Mitglieder, die nicht selbst an das Kyoto-Protokoll gebunden sind, die Verwirklichung der Kyoto-Ziele behindern. Umgekehrt würde es Vertragsparteien des Kyoto-Protokolls erschwert, zur Verwirklichung der Kyoto-Ziele aktiv beizutragen, wenn sie selbst – wie die Europäische Union – gar nicht ICAO-Mitglied sind.

182. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die Vertragsparteien des Kyoto-Protokolls sich in dessen Art. 2 Abs. 2 nicht verpflichtet haben, ihre Bemühungen um eine Begrenzung oder Reduktion von Treibhausgasen aus dem Luftverkehr ausschließlich im Rahmen der ICAO fortzusetzen.

183. Sicherlich kommt in Art. 2 Abs. 2 des Kyoto-Protokolls die Präferenz der Vertragsparteien zum Ausdruck, für die Begrenzung oder Reduktion von Treibhausgasen aus dem Luftverkehr eine multilaterale Lösung im Rahmen der ICAO zu finden. Dies kann auch die Europäische Union bei der Ausgestaltung und Umsetzung ihrer Umwelt- und Klimaschutzpolitik nicht unberücksichtigt lassen, obwohl nicht sie selbst, sondern nur ihre Mitgliedstaaten der ICAO angehören.

184. Allerdings wird die Präferenz der Vertragsparteien für eine multilaterale Lösung im Rahmen der ICAO durch Art. 2 Abs. 2 des Kyoto-Protokolls lediglich in eine äußerst allgemein gehaltene Handlungsverpflichtung (Französisch: „obligation de moyen“, Englisch: „obligation of conduct“) umgemünzt. Kommt eine Einigung im Rahmen der ICAO nicht in angemessener Zeit zustande, so muss es den Vertragsparteien des Kyoto-Protokolls unbenommen bleiben, die notwendigen Maßnahmen zur Verwirklichung der Kyoto-Ziele auf nationaler oder regionaler Ebene zu ergreifen. Ansonsten bestünde die ernsthafte Gefahr, dass diese Ziele nicht erreicht werden könnten.

185. Ob und zu welchem Zeitpunkt nun die Europäische Union außerhalb des Rahmens der ICAO einseitig Maßnahmen zur Begrenzung oder Reduktion von Treibhausgasen aus dem Luftverkehr ergreift, ist letztlich eine Frage der Zweckmäßigkeit, deren Beurteilung den politischen Instanzen der Union obliegt. Dies bedeutet zwar nicht, dass die betreffenden Unionsorgane insoweit frei von gerichtlicher Kontrolle agieren könnten. Jedoch ist zu berücksichtigen, dass ihnen bei Entscheidungen, die eine Beurteilung komplexer wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhänge erfordern, ebenso wie bei komplexen Entscheidungen im Bereich des auswärtigen Handelns, ein weiter Ermessensspielraum zusteht. Gerade bei der Abwägung der Vor- und Nachteile eines regionalen Alleingangs zur Begrenzung oder Reduktion von Treibhausgasen aus dem Luftverkehr sowie bei der Wahl des Zeitpunkts für einen solchen Alleingang muss den zuständigen Unionsorganen ein Ermessen zugestanden werden.

186. Im vorliegenden Fall steht fest und wird auch nicht bestritten, dass sich die Mitgliedstaaten der Europäischen Union über mehrere Jahre hinweg an den multilateralen Verhandlungen im Rahmen der ICAO über etwaige Maßnahmen zur Begrenzung und Reduktion von Treibhausgasen aus dem Luftverkehr beteiligt haben. Von den Unionsorganen konnte vernünftigerweise nicht verlangt werden, dass sie den ICAO-Gremien unbegrenzt lange Zeit zur Entwicklung einer multilateralen Lösung einräumten. Zu bedenken sind nämlich die zeitlichen Zwänge, die das Kyoto-Protokoll der Europäischen Union wie auch zahlreichen anderen Vertragsparteien für die Erreichung ihrer quantifizierten Ziele zur Emissionsbegrenzung und ‑reduktion auferlegt: Im Kyoto-Protokoll wird ein ganz konkreter Verpflichtungszeitraum festgesetzt, der sich über die Jahre 2008 bis 2012 erstreckt.

187. Unter diesen Umständen kann es keineswegs als verfrüht angesehen werden, dass der Unionsgesetzgeber im Jahr 2008 beschloss, den Luftverkehr ab 2012 in das EU-Emissionshandelssystem einzubeziehen. Dies gilt umso mehr, als mit der Richtlinie 2008/101 die Tür für eine spätere multilaterale Lösung im Rahmen der ICAO keineswegs zugeschlagen wurde. Vielmehr streben die Union und die Mitgliedstaaten ausdrücklich „weiterhin eine Vereinbarung über globale Maßnahmen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen aus dem Luftverkehr“ an. Mit einer Öffnungsklausel in der geänderten Richtlinie wird zudem ermöglicht, dass kurzfristig Maßnahmen zur Vermeidung doppelter Regelungen getroffen werden.

188. Alles in allem haben somit das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union die Grenzen des ihnen im Hinblick auf Art. 2 Abs. 2 des Kyoto-Protokolls zustehenden Ermessensspielraums beim Erlass der Richtlinie 2008/101 nicht überschritten. Die Richtlinie stellt keinen Verstoß gegen Art. 2 Abs. 2 des Kyoto-Protokolls dar.

ii) Vereinbarkeit mit Art. 15 Abs. 3 des Open-Skies-Abkommens

189. Im Open-Skies-Abkommen ist vorgesehen, dass bei der Festlegung von Umweltmaßnahmen die Umweltschutzstandards für den Luftverkehr zu beachten sind, die von der ICAO angenommen und dem Chicagoer Abkommen als Anhänge hinzugefügt wurden, ausgenommen in Fällen, in denen Abweichungen angezeigt wurden (Art. 15 Abs. 3 Satz 1 des Open-Skies-Abkommens). Außerdem sind Umweltmaßnahmen in Übereinstimmung mit den Art. 2 und 3 Abs. 4 des Open-Skies-Abkommens anzuwenden (Art. 15 Abs. 3 Satz 2 des Open-Skies-Abkommens).

– Keine entgegenstehenden Umweltschutzstandards der ICAO

190. Was zunächst Art. 15 Abs. 3 Satz 1 des Open-Skies-Abkommens anbelangt, so genügt die Feststellung, dass derzeit – zumindest nach den in diesem Vorabentscheidungsverfahren dem Gerichtshof vorgelegten Informationen – keine Umweltschutzstandards der ICAO für den Luftverkehr bestehen, die der Einbeziehung des Luftverkehrs in ein Emissionshandelssystem wie das der EU entgegenstünden; dies gilt auch für Anhang 16 zum Chicagoer Abkommen.

191. Zwar hat die 36. ICAO-Versammlung im September 2007 die Vertragsstaaten des Chicagoer Abkommens nachdrücklich aufgefordert, Luftfahrzeugbetreiber anderer Vertragsstaaten nur im gegenseitigen Einvernehmen mit den betreffenden Staaten in ein Emissionshandelssystem einzubeziehen. Damit wurde jedoch nicht etwa ein rechtlich verbindlicher Standard für den Luftverkehr festgelegt, erst recht kein Umweltschutzstandard im Sinne von Art. 15 Abs. 3 Satz 1 des Open-Skies-Abkommens. Vielmehr handelt es sich lediglich um eine unverbindliche politische Erklärung der in der ICAO-Versammlung vertretenen Vertragsstaaten.

192. Selbst wenn man aber der besagten Entschließung der 36. ICAO-Versammlung rechtliche Wirkungen beimessen wollte, so wäre sie jedenfalls für die Europäische Union unbeachtlich, weil alle ihre Mitgliedstaaten in ihrer Eigenschaft als Vertragsstaaten des Chicagoer Abkommens einen Vorbehalt gegen diese Entschließung eingelegt haben; sie haben sich ausdrücklich das Recht vorbehalten, in Bezug auf alle Luftfahrzeugbetreiber aus allen Staaten, die nach oder von ihrem Hoheitsgebiet oder innerhalb desselben Luftverkehrsdienste anbieten, diskriminierungsfrei marktgestützte Maßnahmen zu erlassen und anzuwenden.

193. Überdies wurde die besagte Entschließung der 36. ICAO-Versammlung aus dem Jahr 2007 zwischenzeitlich von einer jüngeren Entschließung der 37. ICAO-Versammlung aus dem Jahr 2010 überlagert. Letztere Entschließung, die im Prinzip auch von den europäischen ICAO-Mitgliedern mitgetragen wurde, erkennt die wichtige Rolle marktgestützter Maßnahmen wie Emissionshandelssysteme an und empfiehlt in ihrem Anhang Leitlinien für die Einführung solcher Systeme durch die Vertragsstaaten des Chicagoer Abkommens. Abgesehen davon, dass die Entschließung der 37. ICAO-Versammlung ebenfalls nicht rechtsverbindlich ist, hat keiner der Beteiligten am vorliegenden Vorabentscheidungsverfahren geltend gemacht, die Richtlinie 2008/101 sei mit ihr unvereinbar. Überdies deutet die zuletzt genannte Entschließung darauf hin, dass sich innerhalb der ICAO nunmehr eine positivere Grundeinstellung gegenüber der Einbeziehung des Luftverkehrs in nationale und regionale Emissionshandelssysteme durchzusetzen beginnt.

194. Insgesamt lässt sich folglich aus der Verweisung in Art. 15 Abs. 3 Satz 1 des Open-Skies-Abkommens auf Umweltschutzstandards der ICAO nichts herleiten, was der Gültigkeit der Richtlinie 2008/101 entgegenstünde.

– Kein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Open-Skies-Abkommens

195. Was sodann Art. 15 Abs. 3 Satz 2 des Open-Skies-Abkommens anbelangt, so wird dort die Anwendung von Umweltmaßnahmen für den Luftverkehr von der Einhaltung des Grundsatzes billiger und gleicher Wettbewerbsbedingungen für Luftfahrtunternehmen (Art. 2 des Open-Skies-Abkommens) und des Rechts der Luftfahrtunternehmen zur Festlegung von Frequenz und Kapazität ihrer internationalen Luftverkehrsdienste (Art. 3 Abs. 4 des Open-Skies-Abkommens) abhängig gemacht. Wie bereits erwähnt, ist all diesen Anforderungen letztlich gemeinsam, dass Umweltmaßnahmen gegenüber Luftfahrtunternehmen in nicht diskriminierender Weise angewendet werden müssen und die Chancen der Luftfahrtunternehmen im Wettbewerb zueinander nicht beeinträchtigen dürfen.

196. Das in den Art. 2 und 3 Abs. 4 des Open-Skies-Abkommens angelegte Diskriminierungsverbot ist Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes, wie er auch im Unionsrecht anerkannt und in Art. 20 und 21 der Charta der Grundrechte verankert ist. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser Grundsatz im Rahmen des Open-Skies-Abkommens anders zu verstehen wäre als sonst im Unionsrecht. Im Unionsrecht verlangt der Grundsatz der Nichtdiskriminierung nach ständiger Rechtsprechung, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden dürfen, es sei denn, dass eine solche Behandlung objektiv gerechtfertigt ist.

197. Die Richtlinie 2008/101 bezieht die Flüge aller Luftfahrtunternehmen von und zu europäischen Flugplätzen in das EU-Emissionshandelssystem ein, ohne dabei einen Unterschied nach ihrer Staatszugehörigkeit oder nach dem Abflug- und Zielort des jeweiligen Fluges zu machen. Eine nach den Art. 2 und 3 Abs. 4 des Open-Skies-Abkommens verbotene Diskriminierung könnte die Richtlinie folglich nur dann bewirken, wenn die jeweiligen Sachverhalte nicht vergleichbar wären.

198. Die Vergleichbarkeit der Sachverhalte ist im Lichte des Zwecks und des Ziels der Unionsmaßnahme, die die fragliche Unterscheidung einführt, zu beurteilen. Als Maßnahme zur Verringerung der Klimaauswirkungen des internationalen Luftverkehrs zielt die Richtlinie 2008/101 darauf ab, die durch diesen Wirtschaftssektor verursachten Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Sie dient der Umsetzung des Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen über Klimaänderungen und des Kyoto-Protokolls. Im Hinblick auf diese Ziele ist es unerheblich, welche Staatszugehörigkeit das jeweilige Luftfahrtunternehmen hat. Ebenso wenig ist es im Hinblick auf die besagten Ziele von Bedeutung, welchen Abflugort ein Flug zu einem europäischen Flugplatz und welchen Zielort ein Flug von einem europäischen Flugplatz hat. Die jeweiligen Sachverhalte sind vergleichbar. Folglich war es nach den Art. 2 und 3 Abs. 4 des Open-Skies-Abkommens geboten, die betreffenden Sachverhalte gleich zu behandeln, so wie dies in der Richtlinie 2008/101 auch geschehen ist.

199. Hätte der Unionsgesetzgeber vom EU-Emissionshandelssystem solche Luftfahrtunternehmen ausgenommen, die die Staatszugehörigkeit eines Drittstaats besitzen, so hätten diese Unternehmen gegenüber ihren europäischen Mitbewerbern einen nicht gerechtfertigten Wettbewerbsvorteil erlangt. Mit dem Grundsatz billiger und gleicher Wettbewerbsbedingungen, wie er in Art. 2 des Open-Skies-Abkommens niedergelegt ist und im Übrigen auch der Richtlinie 2008/101 selbst zugrunde liegt, wäre eine solche Vorgehensweise nicht vereinbar gewesen.

200. Hätte der Unionsgesetzgeber vom EU-Emissionshandelssystem Flüge von oder zu einem Flugplatz in einem Drittstaat ausgenommen, so hätte – etwa im Hinblick auf transatlantische Flüge – die Gefahr einer Besserstellung von Langstreckenflügen im Vergleich zu Kurzstreckenflügen bestanden. Eine solche Besserstellung wäre im Hinblick auf das Ziel der Richtlinie 2008/101 ebenfalls nicht gerechtfertigt gewesen: Dem Unionsgesetzgeber ging es um eine möglichst umfassende Einbeziehung des Luftverkehrs in das EU-Emissionshandelssystem mit dem Ziel der Verringerung der auf den Luftverkehr zurückgehenden Treibhausgasemissionen.

201. Insgesamt lässt sich folglich kein Verstoß gegen den in den Art. 2 und 3 Abs. 4 des Open-Skies-Abkommens niedergelegten Grundsatz der Nichtdiskriminierung feststellen.

– Kein Verbot eines Alleingangs außerhalb des Rahmens der ICAO

202. Die Klägerinnen des Ausgangsrechtsstreits berufen sich auf Art. 15 Abs. 3 des Open-Skies-Abkommens auch noch deswegen, weil er – über den Umweg der Verweisung auf Art. 3 Abs. 4 des Open-Skies-Abkommens – auf Art. 15 des Chicagoer Abkommens Bezug nimmt. Gestützt auf diese Verweisungskette äußern sie, ähnlich wie schon zuvor im Zusammenhang mit Art. 2 Abs. 2 des Kyoto-Protokolls, die Auffassung, die Europäische Union hätte den Luftverkehr nicht im Alleingang einem Emissionshandelssystem unterwerfen dürfen, sondern eine multilaterale Lösung innerhalb der ICAO abwarten müssen.

203. Dazu ist anzumerken, dass Art. 15 des Chicagoer Abkommens, der sich mit Flughafengebühren und ähnlichen Gebühren sowie allgemein mit dem Zugang zu Flughäfen befasst, keine konkrete Regelung zur Zulässigkeit oder Unzulässigkeit eines einseitigen Vorgehens bei der Einführung eines Emissionshandelssystems für den Luftverkehr enthält. Es ist deshalb wenig plausibel, dass die Parteien des Open-Skies-Abkommens durch die bloße Bezugnahme auf Art. 15 des Chicagoer Abkommens eine solche Regelung „durch die Hintertür“ einführen wollten, zumal zwischen ihnen in diesem Punkt ohnehin keine Einigkeit bestand.

204. Vielmehr zeigt ein Blick auf den neuen Art. 15 Abs. 7 des Open-Skies-Abkommens in der Fassung des Änderungs-Protokolls von 2010, dass die Vertragsparteien keineswegs die Anwendung „marktgestützter Maßnahmen in Bezug auf luftverkehrsbedingte Emissionen“ ausschließen wollten, selbst wenn diese einseitig eingeführt werden. Denn in diesem neuen Absatz ist ausdrücklich von Überschneidungen und von Empfehlungen des Gemeinsamen Ausschusses zur Vermeidung „doppelter Maßnahmen und Kosten“ die Rede.

205. Letztlich kann deshalb Art. 15 des Chicagoer Abkommens im Rahmen von Art. 3 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 15 Abs. 3 des Open-Skies-Abkommens nur insoweit eine Rolle spielen, als von einer Vertragspartei aus Gründen des Umweltschutzes einseitig Begrenzungen des Verkehrsvolumens, der Frequenz oder Regelmäßigkeit der Luftverkehrsdienste oder des Musters der eingesetzten Luftfahrzeuge vorgenommen werden oder aber Flugpläne, Charterflugprogramme oder Betriebspläne von Luftfahrtunternehmen verlangt werden. Für solche Fälle schreibt Art. 3 Abs. 4 des Open-Skies-Abkommens „einheitliche Bedingungen im Einklang mit [Art. 15 des Chicagoer Abkommens]“ vor, er verleiht also lediglich dem Diskriminierungsverbot Ausdruck, das – wie soeben erörtert(169) – durch die Richtlinie 2008/101 nicht verletzt wird.

206. Was schließlich die Frage betrifft, ob das EU-Emissionshandelssystem als Flughafengebühr oder sonstige Gebühr im Sinne von Art. 15 des Chicagoer Abkommens aufzufassen ist, so verweise ich auf meine nun folgenden Ausführungen zum zweiten Teil der vierten Frage (Frage 4, Buchst. b).

c) Kein Verstoß gegen das Verbot von Gebühren auf die Ein- oder Ausreise von Luftfahrzeugen (vierte Frage, Buchst. b)

207. Der zweite Teil der vierten Frage hat das Problem zum Gegenstand, ob die Erstreckung des EU-Emissionshandelssystems auf den internationalen Luftverkehr das völkerrechtliche Verbot von Abgaben auf die Ein- oder Ausreise von Luftfahrzeugen verletzt, wie es sich aus Art. 15 des Chicagoer Abkommens ergibt, wobei letztere Vorschrift „allein oder in Verbindung mit“ Art. 3 Abs. 4 und Art. 15 Abs. 3 des Open-Skies-Abkommens thematisiert wird.

208. Für sich allein ist das Chicagoer Abkommen, wie bereits erwähnt, kein Maßstab für die Prüfung der Gültigkeit von Unionsrechtsakten. Sein Art. 15 kommt aber über die Verweisung in Art. 3 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 15 Abs. 3 des Open-Skies-Abkommens zur Anwendung.

209. Von besonderer Bedeutung ist im vorliegenden Zusammenhang der letzte Satz von Art. 15 des Chicagoer Abkommens, wonach die Vertragsstaaten keine Gebühren, Taxen oder sonstigen Abgaben für ihr Hoheitsgebiet lediglich für das Recht der Durchreise, Einreise oder Ausreise eines Luftfahrzeugs eines Vertragsstaats oder der an Bord befindlichen Personen oder Güter erheben.

210. Die Klägerinnen des Ausgangsrechtsstreits und die sie unterstützenden Vereinigungen sind der Meinung, mit dem EU-Emissionshandelssystem werde eben eine solche Gebühr auf die Ein- oder Ausreise eingeführt, was gegen den letzten Satz von Art. 15 des Chicagoer Abkommens verstoße.

211. Dazu ist anzumerken, dass der letzte Satz von Art. 15 des Chicagoer Abkommens nicht losgelöst aus dem Gesamtzusammenhang dieser Vorschrift betrachtet werden darf. Wie sich nämlich aus dem ersten Absatz von Art. 15 entnehmen lässt, zielt diese Vorschrift insgesamt darauf ab, allen Luftfahrzeugen unabhängig von ihrer Staatszugehörigkeit „unter einheitlichen Bedingungen“ Zugang zu den öffentlichen Flughäfen der Vertragsstaaten zu gewähren. Daran anknüpfend schreibt der zweite Absatz von Art. 15 vor, dass Gebühren für die Benutzung von Flughäfen und Luftfahrteinrichtungen durch Luftfahrzeuge anderer Vertragsstaaten nicht höher sein dürfen als Gebühren, die von inländischen Luftfahrzeugen erhoben werden. Letztlich ist also in Art. 15 hinsichtlich des Zugangs zu Flughäfen der Vertragsstaaten ein Verbot der Diskriminierung von Luftfahrzeugen aufgrund ihrer Staatszugehörigkeit verankert. Daran knüpft der dritte Absatz von Art. 15 mit der Formulierung „Alle diese Gebühren …“ nahtlos an.

212. Versteht man Art. 15 in seiner Gesamtheit als bloßen Ausdruck eines Diskriminierungsverbots aufgrund der Staatszugehörigkeit, so bestehen keinerlei Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit des EU-Emissionshandelssystems mit dieser Vorschrift, da dieses System auf alle Luftfahrzeuge unabhängig von ihrer Staatszugehörigkeit in gleicher Weise Anwendung findet.

213. Aber selbst für den Fall, dass der letzte Satz von Art. 15 des Chicagoer Abkommen mehr ist als ein bloßer Ausdruck des Diskriminierungsverbots und ihm ein weitergehendes Verbot bestimmter Gebühren und Abgaben zu entnehmen ist, steht diese Vorschrift dem EU-Emissionshandelssystem nicht entgegen. Denn im Rahmen des EU-Emissionshandelssystems werden Luftfahrtunternehmen keinerlei Gebühren oder sonstige Abgaben abverlangt, erst recht nicht solche, die „lediglich für das Recht der Durchreise, Einreise oder Ausreise“ erhoben werden.

214. Gebühren werden als Gegenleistung für eine in Anspruch genommene öffentliche Leistung erhoben. Ihr Betrag wird von der öffentlichen Hand einseitig festgelegt und lässt sich im Voraus ermitteln. Auch sonstige Abgaben, insbesondere Steuern, werden von der öffentlichen Hand einseitig festgesetzt und richten sich nach im Voraus bestimmten Kriterien, z. B. Steuersatz und Bemessungsgrundlage.

215. Bei einem Emissionshandelssystem wie dem der Europäischen Union handelt es sich hingegen um eine marktgestützte Maßnahme. Für den Erwerb von Emissionszertifikaten sind keine Gebühren oder Abgaben vorgesehen. Vielmehr werden vorerst 85 % der Zertifikate völlig unentgeltlich abgegeben, und nur die verbleibenden 15 % der Zertifikate werden versteigert (Art. 3d Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2003/87). Auch für letztere Zertifikate steht das Entgelt nicht vorab fest, sondern richtet sich allein nach Angebot und Nachfrage. Werden Emissionszertifikate später, nach ihrer Zuteilung durch die zuständigen Behörden, auf dem Markt gehandelt, so richtet sich auch hier der Preis nach Angebot und Nachfrage und ist nicht im Voraus festgelegt.

216. Es wäre, gelinde gesagt, ungewöhnlich, den für ein Emissionszertifikat entrichteten Kaufpreis, der sich nach dem freien Spiel der Marktkräfte aufgrund von Angebot und Nachfrage bildet, als Gebühr oder als Steuer zu bezeichnen, mag auch hinsichtlich der Verwendung der Einnahmen ein gewisses Ermessen der Mitgliedstaaten bestehen (Art. 3d Abs. 4 der Richtlinie 2003/87).

217. Im Übrigen fällt das Entgelt für Emissionszertifikate nicht „lediglich für das Recht der Durchreise, Einreise oder Ausreise“ an, wie es eine Anwendung von Art. 15, letzter Satz, des Chicagoer Abkommens erfordern würde. Zwar verpflichtet jeder Start und jede Landung eines Luftfahrzeugs auf Flugplätzen in der Europäischen Union den Betreiber des Luftfahrzeugs, innerhalb einer bestimmten Frist die dafür erforderlichen Emissionszertifikate einzulösen (Art. 12 Abs. 2a der Richtlinie 2003/87). Damit werden aber nicht die jeweiligen Starts oder Landungen als solche „bezahlt“, sondern es wird den Treibhausgasemissionen Rechnung getragen, welche durch die zugehörigen Flüge verursacht wurden, und zwar unabhängig davon, ob es sich um unionsinterne oder um die Unionsgrenzen überschreitende Flüge handelte.

218. Auch in den Gremien der ICAO wird zwischen Umweltabgaben einerseits und Emissionshandelssystemen andererseits unterschieden. Darauf haben zahlreiche am Vorabentscheidungsverfahren beteiligte Organe und Regierungen hingewiesen.

219. Würde die ICAO Emissionshandelssysteme unter das Verbot von Gebühren oder sonstigen Abgaben im Sinne von Art. 15 des Chicagoer Abkommens fassen, so könnte sie außerdem in ihren Gremien schwerlich Leitlinien für die etwaige Einführung eben solcher Systeme durch ihre Vertragsstaaten empfehlen.

220. Die Vertragsparteien des Open-Skies-Abkommens gehen, wie der neue Art. 15 Abs. 7 des Open-Skies-Abkommens in der Fassung des Änderungs-Protokolls von 2010 zeigt, ebenfalls von der grundsätzlichen Zulässigkeit marktgestützter Maßnahmen aus. Diese neue Bestimmung würde keinen Sinn machen, wenn die Vertragsparteien solche Maßnahmen als Verstoß gegen Art. 15 des Chicagoer Abkommens ansähen, auf den bekanntlich das Open-Skies-Abkommen verweist.

221. Vor diesem Hintergrund kann nicht davon ausgegangen werden, dass das EU-Emissionshandelssystem gegen Art. 15 des Chicagoer Abkommens in Verbindung mit Art. 3 Abs. 4 und Art. 15 Abs. 3 des Open-Skies-Abkommens verstößt.

d) Kein Verstoß gegen das Verbot von Steuern und Abgaben auf Treibstoff (vierte Frage, Buchst. c)

222. Mit dem dritten Teil der vierten Frage soll schließlich geklärt werden, ob der Unionsgesetzgeber durch die Einbeziehung des internationalen Luftverkehrs in das EU-Emissionshandelssystem gegen das völkerrechtliche Verbot von Steuern und Zöllen auf Treibstoff im internationalen Luftverkehr verstoßen hat, wie es sich aus Art. 24 Buchst. a des Chicagoer Abkommens und aus Art. 11 Abs. 2 Buchst. c des Open-Skies-Abkommen ergibt.

223. Da das Chicagoer Abkommen, wie bereits erwähnt, kein Maßstab für die Prüfung der Gültigkeit von Unionsrechtsakten ist, kann diese letzte Frage des vorlegenden Gerichts nur mit Blick auf das Open-Skies-Abkommen beantwortet werden. Sein Art. 11 Abs. 2 Buchst. c ist allerdings im Lichte von Art. 24 Buchst. a des Chicagoer Abkommens auszulegen, zu dessen Vertragsstaaten sowohl die USA als auch alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union zählen.

224. Nach Art. 11 Abs. 2 Buchst. c in Verbindung mit Abs. 1 des Open-Skies-Abkommens ist Treibstoff, der zur Verwendung in einem im internationalen Luftverkehr eingesetzten Luftfahrzeug eingeführt oder geliefert wird, auf der Grundlage der Gegenseitigkeit von bestimmten Abgaben befreit, insbesondere von Zöllen und Verbrauchsteuern. Art. 24 Buchst. a Satz 2 des Chicagoer Abkommens bestimmt seinerseits, dass Treibstoffe an Bord eines Luftfahrzeugs von Zollabgaben, Untersuchungsgebühren oder ähnlichen staatlichen und örtlichen Abgaben und Gebühren befreit sind. Im Kern verbieten somit beide Bestimmungen u. a., Treibstoff für Luftfahrzeuge im internationalen Luftverkehr mit Zöllen und Verbrauchsteuern zu belasten.

i) Zum Verbot von Verbrauchsteuern auf Treibstoff

225. Die Klägerinnen des Ausgangsrechtsstreits und die sie unterstützenden Vereinigungen meinen, mit dem EU-Emissionshandelssytem werde eine nach Art. 11 Abs. 2 Buchst. c des Open-Skies-Abkommens und Art. 24 Buchst. a des Chicagoer Abkommens verbotene Verbrauchsteuer auf Treibstoff eingeführt.

226. Diese Auffassung überzeugt mich nicht.

227. Das EU-Emissionshandelssystem kann schon gar nicht als Steuer angesehen werden, und zwar aus den gleichen Gründen, aus denen es auch nicht als Gebühr einzuordnen ist.

228. Auch sonst unterscheiden sich Regelungsziele und Regelungsgegenstand von Art. 11 Abs. 2 Buchst. c des Open-Skies-Abkommens und Art. 24 Buchst. a des Chicagoer Abkommens von jenen des EU-Emissionshandelssystems.

229. Was zunächst die Regelungsziele anbelangt, so schützen Art. 11 des Open-Skies-Abkommens und Art. 24 des Chicagoer Abkommens Luftfahrtunternehmen eines Vertragsstaats davor, dass ihre Luftfahrzeuge und ihre Vorräte bei der bloßen Landung in anderen Vertragsstaaten als „importiert“ behandelt werden; sie sollen also von bestimmten Abgaben freigestellt werden, denen eingeführte Waren normalerweise unterliegen. Das EU-Emissionshandelssystem verfolgt hingegen eine gänzlich andere Zielsetzung: Es dient dem Umwelt- und Klimaschutz und hat nichts mit der Einfuhr oder Ausfuhr von Gegenständen zu tun. Dementsprechend werden die Emissionszertifikate, die für Flüge mit Start oder Landung auf Flugplätzen in der Europäischen Union einzulösen sind, wegen des Ausstoßes von Treibhausgasen erhoben und nicht wegen des bloßen Verbrauchs von Treibstoff.

230. Zum Regelungsgegenstand ist anzumerken, dass Art. 11 des Open-Skies-Abkommens und Art. 24 Buchst. a des Chicagoer Abkommens die an Bord des jeweiligen Luftfahrzeugs befindliche oder für dieses Luftfahrzeug gelieferte Treibstoffmenge betreffen, d. h. seinen Treibstoffvorrat. Demgegenüber legt das EU-Emissionshandelssystem die von dem Luftfahrzeug bei einem konkreten Flug tatsächlich verbrauchte Treibstoffmenge zugrunde. Der Treibstoffvorrat des Luftfahrzeugs, mit dem sich das Open-Skies-Abkommen und das Chicagoer Abkommen befassen, lässt als solcher keine direkten Rückschlüsse auf den tatsächlichen Ausstoß von Treibhausgasen dieses Luftfahrzeugs für einen konkreten Flug zu. Emissionszertifikate sind nicht deswegen einzulösen, weil ein Luftfahrzeug Treibstoff an Bord hat oder solchen tankt, sondern weil es durch die Verbrennung dieses Treibstoffs während eines Fluges Treibhausgasemissionen verursacht.

231. Die Annahme, mit dem EU-Emissionshandelssystem werde der Treibstoff von Luftfahrzeugen als solcher einer Verbrauchsteuer unterworfen, lässt sich auch nicht auf das Urteil Braathens stützen, welches die Klägerinnen des Ausgangsrechtsstreits und die sie unterstützenden Vereinigungen ins Feld führen. Zugegebenermaßen hat der Gerichtshof in jener Rechtssache bezüglich einer schwedischen Umweltsteuer auf den Inlandsflugverkehr entschieden, dass diese als Verbrauchsteuer anzusehen sei, weil sie sich – zumindest teilweise – am Treibstoffverbrauch von Luftfahrzeugen orientierte. Das Urteil Braathens lässt sich jedoch aus zwei Gründen nicht auf den vorliegenden Fall übertragen.

232. Erstens betraf das Urteil Braathens zwei Richtlinien zur Schaffung des Europäischen Binnenmarkts, mit denen unionsintern die Strukturmerkmale der Verbrauchsteuern auf Mineralöle harmonisiert werden. Vor dem Hintergrund dieser binnenmarktpolitischen Zielsetzung mag man die vergleichsweise weite Auslegung verstehen, die der Gerichtshof in jenem Urteil dem Begriff der Verbrauchsteuer gab. Eine solche Notwendigkeit besteht im vorliegenden Fall nicht. Denn weder das Open-Skies-Abkommen noch das Chicagoer Abkommen nimmt eine den EU-Binnenmarktrichtlinien vergleichbare Harmonisierung von Strukturmerkmalen des innerstaatlichen Verbrauchsteuerrechts vor.

233. Zweitens bestand im Fall Braathens ein unmittelbarer, untrennbarer Zusammenhang zwischen dem Kraftstoffverbrauch und den von Luftfahrzeugen ausgestoßenen Schadstoffen, derentwegen die schwedische Umweltsteuer gerade erhoben wurde. Im EU-Emissionshandelssystem gibt es hingegen keinen solchen unmittelbaren und untrennbaren Zusammenhang. Denn der Treibstoffverbrauch lässt für sich allein betrachtet keine unmittelbaren Rückschlüsse auf die beim jeweiligen Flug ausgestoßenen Treibhausgase zu, vielmehr ist zusätzlich je nach verwendetem Treibstoff ein Emissionsfaktor in Ansatz zu bringen. Dieser kann bei Treibstoffen, die vom Unionsgesetzgeber als besonders umweltfreundlich angesehen wurden, null betragen, wie dies für Biomasse der Fall ist.

234. Insgesamt kann also das EU-Emissionshandelssystem nicht als verbotene Verbrauchsteuer auf Treibstoff im Sinne von Art. 11 Abs. 2 Buchst. c des Open-Skies-Abkommens oder Art. 24 Buchst. a des Chicagoer Abkommens angesehen werden.

ii) Zum Verbot von Zöllen auf Treibstoff

235. Nur der Vollständigkeit halber füge ich hinzu, dass mit dem EU-Emissionshandelssystem auch keine Zölle auf Treibstoff erhoben werden. Denn Zölle sind Abgaben, denen eine Ware wegen des Grenzübertritts, d. h. wegen ihrer Einfuhr oder Ausfuhr unterliegt. Demgegenüber sind Emissionszertifikate gerade nicht wegen der Verbringung von Treibstoff über Zollgrenzen einzulösen, vielmehr fallen sie wegen des Ausstoßes von Treibhausgasen während eines bestimmten Fluges an. Emissionszertifikate müssen selbst für unionsinterne Flüge eingelöst werden, bei denen überhaupt keine Zollgrenzen überflogen werden.

iii) Zwischenergebnis

236. Die Richtlinie 2008/101 verstößt nicht gegen Art. 11 Abs. 2 Buchst. c des Open-Skies-Abkommens, ausgelegt im Lichte von Art. 24 Buchst. a des Chicagoer Abkommens.

C – Zusammenfassung

237. Alles in allem ist also die Richtlinie 2008/101 (bzw. die Richtlinie 2003/87 in der Fassung der Richtlinie 2008/101) mit allen im Vorabentscheidungsersuchen aufgeworfenen Bestimmungen und Grundsätzen des Völkerrechts vereinbar.

238. Dementsprechend geben die im vorliegenden Verfahren erörterten Fragen auch keinen Anlass, die Richtlinie im Hinblick auf irgendeine der genannten Bestimmungen oder irgendeinen der genannten Grundsätze restriktiv auszulegen oder anzuwenden.

239. Insgesamt ist dem vorlegenden Gericht zu antworten, dass die Prüfung der vorgelegten Fragen nichts ergeben hat, was der Gültigkeit der Richtlinie 2003/87 in der Fassung der Richtlinie 2008/101 entgegenstünde.

VI – Ergebnis

240. Vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen schlage ich dem Gerichtshof vor, auf das Vorabentscheidungsersuchen des High Court of Justice wie folgt zu antworten:

  • 1) Von den in der ersten Vorlagefrage erwähnten völkerrechtlichen Bestimmungen und Grundsätzen können in einem von natürlichen oder juristischen Personen angestrengten Rechtsstreit nur Art. 7 und Art. 15 Abs. 3 Satz 2 des im April 2007 unterzeichneten Luftverkehrsabkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und den Vereinigten Staaten von Amerika andererseits als Maßstab zur Prüfung der Gültigkeit von Unionsrechtsakten herangezogen werden.
  • 2) Die Prüfung der vorgelegten Fragen hat nichts ergeben, was der Gültigkeit der Richtlinie 2003/87/EG in der Fassung der Richtlinie 2008/101/EG entgegenstünde.

Siehe auch