Wer zahlt den Flug bei Streik?
Fraglich ist wer bei einem Flugausfall wegen Streik den Flug zahlt.
Definition Flugausfall
Ein Flugausfall bzw. eine Annullierung liegt immer dann vor, wenn ein Flug nicht so durchgeführt werden kann wie geplant und der Start daher aufgegeben wird. Wird der Flug auf einen anderen Tag verlegt, ist darin ebenfalls eine Annullierung zu sehen. Diese Definition für einen Flugausfall legte der EuGH mit seinem Urteil vom 13.10.2011 (Az.: C-83/10) fest. Die Annullierung wird in Artikel 5 der Fluggastrechteverordnung rechtlich normiert. Gemäß Artikel 5 muss das ausführende Luftfahrtunternehmen dem Fluggast gemäß Artikel 8 der Fluggastrechteverordnung Unterstützungsleistungen, gemäß Artikel 9 der Fluggastrechteverordnung Betreuungsleistungen und eine Ausgleichszahlung gemäß Artikel 7 der Fluggastrechteverordnung zukommen lassen.
Streik als außergewöhnlicher Umstand im Sinne der Fluggastrechteverordnung
Um die Frage, wer bei einem Flugausfall wegen Streik haftet überhaupt beantworten zu können, muss zunächst geklärt werden, ob in einem Streik ein ausgewöhnlicher Umstand zu sehen ist. Denn grundsätzlich haftet bei Flugausfall stets das ausführende Luftfahrtunternehmen. Eine Haftung des ausführenden Luftfahrtunternehmen entfällt nur dann, wenn ein außergewöhnlicher Umstand vorliegt. Wichtig ist also erst einmal festzustellen, ob es sich bei einem Streik um einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne der Fluggastrechteverordnung handelt oder nicht. Ob ein Streik als außergewöhnlicher Umstand eingestuft werden kann und damit die Pflicht zur Zahlung von Ausgleichsleistungen nach Art. 5 der Fluggastrechteverordnung für das ausführende Luftfahrtunternehmen entfällt, muss differenziert bewertet werden. Ausschlaggebend für diese Bewertung ist die Art und die Organisation des Streikes. So kann z.B. ein Streik des eigenen Personals des Luftfahrtunternehmens wie Bodenpersonal oder Bordpersonal gegeben sein. Weiterhin kann es jedoch auch zu einem Streik Dritter kommen, wie des Sicherheitspersonals oder der Flugsicherung/Fluglotsen. Einigkeit besteht jedoch darüber, dass in allen Fällen eines Streiks detailliert dargelegt werden muss, dass das von dem ausführenden Luftfahrtunternehmen alle möglichen Maßnahmen zur Vermeidung des Streiks sowie der Annullierung des Fluges ergriffen wurden sind (AG Geldern, Urteil vom 07.10.2016, Az. 17 C 55/16).
Fallgruppe: Streik des eigenen Personals
Ob ein Streik der eigenen Mitarbeiter als außergewöhnlicher Umstand einzustufen ist, ist umstritten und hängt von den Einzelheiten des jeweiligen Sachverhaltes ab. Zumindest soll dann kein außergewöhnlicher Umstand gegeben sein, wenn die Piloten einer Airline streiken und dies für das ausführende Luftfahrtunternehmen vorhersehbar war. Das ausführende Luftfahrtunternehmen hat in solchen Fällen genügend Zeit, um externe Piloten zur Vertretung heranzuziehen. Der zusätzliche finanzielle Aufwand für das ausführende Luftfahrtunternehmen kann hierbei kein Argument dafür sein, einen außergewöhnlichen Umstand anzunehmen. Wenn es für ein ausführendes Luftfahrtunternehmen hingegen nicht vorhersehbar war, dass die eigenen Piloten streiken, so ist ein außergewöhnlicher Umstand eher anzunehmen (BGH, Urteil vom 21.08.2012, Az. X ZR 146/11). Da es kurzfristig in der Regel nicht mehr möglich sein wird, die Folgen des Streiks noch abzumildern, kann eine Fluggesellschaft auch nicht mehr verhindern, dass es zu einer Annullierung kommen wird. Im Ergebnis gilt also, dass ein Streik der eigenen Angestellten durchaus zu einem außergewöhnlichen Umstand führen kann. Es reicht jedoch nicht aus dem Streik einfach als Grund anzuführen. Vielmehr muss gleichzeitig begründet werden, dass die Airline den Streik weder vorhersehen noch rechtzeitig Maßnahmen zur Abmilderung der Streikfolgen treffen konnte. Wenn das Sicherheitspersonal eines Flughafens oder die Fluglotsen streiken, ist das ein außergewöhnlicher Umstand und der Fluggast hat in der Regel keinen Anspruch auf eine Ausgleichszahlung (AG Rüsselsheim 3 C 305/13 (31) vom 27.11.2013). Der Begriff der außergewöhnlichen Umstände, der weder in Art. 2 noch in sonstigen Vorschriften der Verordnung (EG) 261/04 definiert ist, bedeutet nach seinem Wortlaut, dass die gegebenenfalls zu einem Wegfall der Ausgleichspflicht führenden Umstände außergewöhnlich sind, d.h. nicht dem gewöhnlichen Lauf der Dinge entsprechen, sondern außerhalb dessen liegen, was üblicherweise mit dem Ablauf der Personenbeförderung im Luftverkehr verbunden ist oder verbunden sein kann (BGH, Urt. v. 24.09.2013, Az.: X ZR 160/12).
Fallgruppe: Streik Dritter
Anders ist die Sachlage bei Streiks von Personengruppen, die nicht für die Airline arbeiten, beispielsweise bei einem Fluglotsenstreik. Streiks dieser Art betreffen häufig den gesamten Flugverkehr und können unter Umständen für einige Zeit Flüge komplett verhindern. Da bei einem Streik am Flughafen das Luftfahrtunternehmen keinen Einfluss auf den Streik haben wird, ist dies fast immer ein außergewöhnlicher Umstand. Dies gilt auch dann, wenn nicht der ganze Flughafen dadurch betroffen ist, sondern nur die Hälfte der Flüge nicht starten kann. In solchen Fällen ist die Kapazität des Flughafens streikbedingt bereits ausgelastet, es besteht also für die verbliebenen Flugzeuge, die wegen des Streiks nicht starten, keine Möglichkeit mehr, doch noch abheben zu können. Daher kann auch die Fluggesellschaft hier keinen Einfluss auf die Annullierung nehmen und soll somit auch nicht die Verantwortung hierfür tragen. Vergleichbar wurde entschieden bei einem Streik des Sicherheitspersonals (AG Hamburg, Urteil vom 09.05.2014, Az. 36a C 462/13) und einem Streik der Vorfeldaufsicht (AG Rüsselsheim, Urteil vom 27.11.2013, Az. 3 C 305/13 (31)). Allerdings gilt auch hier, dass eine Airline nicht einfach behaupten kann, es habe ein Streik vorgelegen. Sie muss zusätzlich auch beweisen können, inwiefern dieser ihren Flug beeinträchtigt hat.
Fallgruppe: wilder Streik
Wird der Streik gewerkschaftlich organisiert und mithin angekündigt, trifft er das Unternehmen nicht unvorhergesehen. Besonders relevant wird die Frage der Vorhersehbarkeit allerdings im Rahmen der Fälle von „go sick“ oder „go slow“; sogenannten wilden Streiks. Als prominentes Beispiel ist hier der Fall TUIfly anzuführen. Im Kern dreht sich der Rechtsstreit um die Frage, ob solche wilden Streiks, bei denen sich Arbeitnehmer kollektiv krankmelden, als außergewöhnlicher Umstand zu werten sind und der Pflicht des Unternehmens zur Ausgleichszahlung entgegenstehen. Eine solche streikähnliche Maßnahme ist nicht rechtmäßig. Unter anderem, da sie sofort erfolgt und nicht, wie bei gewerkschaftlich organisierten Streiks, nach einer „Friedensfrist“. Zudem ruht das Arbeitsverhältnis bei einem wilden Streik nicht wie beim rechtmäßigen Streik. Vielmehr kann darin eine Verweigerung der vertraglichen Hauptleistungspflicht gesehen werden, was eine Abmahnung oder auch anschließende Kündigung rechtfertigen könnte. Daher ist es problematisch, die Vorhersehbarkeit für den Unternehmer festzustellen. Die Vielzahl von Krankmeldungen des Flugpersonals bei einer als Leistungserbringerin eingesetzten Fluggesellschaft stellt keine höhere Gewalt im Sinne des § 651j BGB dar, wenn es kein betriebsfremdes, von außen kommendes Ereignis ist, vgl. Sick out.
Mit Urteil vom 17.04.2018 entschied der EuGH über die Auslegung des Art. 5 Abs. 3 VO (EG) 261/2004 hinsichtlich der Einordnung des "wilden Streiks". Der EuGH hält TUIfly dabei für zahlungspflichtig, da er einen wilden Streik nicht als außergewöhnlichen Umstand einordnet. Er argumentiert, dass solche wilden Streiks als Kampfmaßnahme aufgenommen werden und eine soziale Folge der betriebsinternen Abläufe, wie Umstrukturierungsmaßnahmen, seien. Daraus resultiere durchaus eine gewisse Vorhersehbarkeit für das Unternehmen und mithin könne ein außergewöhnlicher Umstand nicht vorliegen. Allerdings ist dabei zu beachten, dass das nicht für alle wilden Streiks gilt. Denn im Einzelfall gibt es eben auch keine Umstrukturierungsmaßnahmen, die den wilden Streik provoziert haben. Es muss also festgestellt werden, dass der Streik nicht vorhersehbar war, um einen außergewöhnlichen Umstand bejahen zu können.
Fallgruppe: Reaktivierung nach Absage des Streiks
Wird ein Flug nach vorheriger Annullierung durch das Luftfahrtunternehmen wegen einer Streikankündigung reaktiviert weil der Streik abgesagt ist, kann sich das Luftfahrtunternehmen bei Verspätung des Fluges nicht darauf berufen, die Verspätung sei auf die Streikankündigung und deren Folgen für den Betriebsablauf zurückzuführen. Die Ankündigung des Streiks selbst stellt zwar einen außergewöhnlichen Umstand gemäß Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechteverordnung dar. Wenn sich das Luftfahrtunternehmen jedoch dafür entschieden hat, den Flug trotz des ursprünglich vorliegenden außergewöhnlichen Umstandes wieder planmäßig durchzuführen, kann sie sich nicht mehr darauf berufen, die Ansprüche des Fluggastes seien wegen der Streikankündigung ausgeschlossen. Denn es ist allein ihrem unternehmerischen Risiko überlassen, zu prüfen, ob ein Flug (auch kurzfristig) planmäßig und ohne Verspätung durchgeführt werden kann. Das Amtsgericht Frankfurt befand in einem Urteil vom 20.06.2018, dass ein angekündigter Streik nur dann einen außergewöhnlichen Umstand darstellen kann, wenn dies kausal zur Annullierung führt. In diesem Fall konnte die beklagte Fluggesellschaft die Streikankündigung im relevanten Zeitraum nicht zweifelsfrei nachweisen, hatte den Flug aber trotzdem darauf bezugnehmend annulliert.
Fazit: wer zahlt den Flug bei Streik
Kann ein Fluggast nicht auf dem gebuchten Flug befördert werden, so muss das ausführende Luftfahrtunternehmen dafür sorgen, dass der Fluggast auf einem anderen Flug befördert wird. Ist der Streik nicht als außergewöhnlicher Umstand einzustufen, dann muss das ausführende Luftfahrtunternehmen weiterhin Ausgleichszahlungen leisten.