Europäische Fluggastrechte bei Annullierung des Fluges

Aus PASSAGIERRECHTE
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Europäischen Fluggastrechteverordnung

Definition

Die europäische Fluggastrechteverordnung VO (EG) Nr. 261/2004 bietet Flugreisenden eine Anspruchsgrundlage für Ausgleichsleistungen, wenn ein Flug annulliert wird. Was jedoch eine Annullierung ist, was noch unter diesen Begriff fallen kann und was ein Fluggast in einem solchen Fall für Rechte hat, dem bedarf es einer genaueren Betrachtung.

Entstehungsgeschichte der Verordnung

Der Umstand, dass Luftfahrunternehmen regelmäßig mehr Flugtickets verkaufen, als tatsächlich Sitzplätze vorhanden sind, hat die Europäische Gemeinschaft (heute EU) im Jahre 1991 dazu bewegt, eine Verordnung (In Kraft getretene EU-Verordnungen stellen im Gegensatz zu EU-Richtlinien unmittelbar geltendes Recht dar) ins Leben zu rufen, um die Rechte der Fluggäste zu stärken (Verordnung (EWG) Nr. 295/91 des Rates vom 04. Februar 1991 über eine gemeinsame Regelung für ein System von Ausgleichsleistungen bei Nichtbeförderung im Linienflugverkehr, in Kraft getreten am 08. April 1991).

Im Jahre 2004 trat sodann eine neue Verordnung in Kraft, die die Verordnung von 1991 ablöste (1. Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91). Diese Verordnung verbessert massiv die Rechte der Flugreisenden.

Versuchte Novellierung

im Jahre 2014 wurde eine Novellierung kurz vor ihrem Beschluss gekippt. Es war geplant, dass massive Änderungen in der Verordnung vorgenommen werden. Die meisten wären zulasten der Passagiere gegangen.

Der Vorschlag der Kommission zur Novellierung der Fluggastrechteverordnung wäre nur zu einem Erfolg für die Luftfahrtindustrie geworden. Das eigentliche Ziel, die Fluggesellschaften zu motivieren, Annullierungen und Verspätungen und vorzubeugen bzw. zu unterlassen, wird mit dem Vorschlag kaum noch gefördert, vielmehr wird dieses Ziel sogar in Frage gestellt. Neben den vielen Vergünstigungen für die Luftfahrtunternehmen geht ein Großteil der Ansprüche der Passagiere durch die neue Verordnung verloren. Im „Gegenzug“ dazu werden den Flugreisenden längere Wartezeiten zugemutet, die sie ohne Ausgleichszahlung über sich ergehen lassen müssen. Zudem umgeht die Kommission der Rechtsprechung des EuGH, indem sie diese aufweicht und erweitert.

Annullierung im Sinne der Verordnung

Die Fluggastrechteverordnung spricht ihrem Wortlaut nach den Fluggästen eine Ausgleichsleistung zu, wenn ein Flug annulliert wurde. Was sich allerdings hinter einer Annullierung verbirgt, musste erst von dem Europäischen Gerichtshof geklärt werden.

Mit der vom EuGH entwickelten Definition ist unter einer Annullierung die Nichtdurchführung eines geplanten Fluges, für den zumindest ein Platz reserviert war (vgl. EuGH, Urt. v. 13.10.2010, Rs. C – 83/10). Aus dieser Definition resultiert jedoch die Frage, ob auch eine große Verspätung zu einer Ausgleichszahlung seitens der Fluggesellschaft verpflichte.

Sturgeon-Urteil

In dem Sturgeon-Urteil des EuGH (EuGH, Urt. v. 19.11.2009, C-402/07 und C-432/07) hatte der Gerichtshof sich mit der Frage zu beschäftigen, ob eine große Verspätung einer Annullierung gleichkomme.

In seinem Urteil führte das Gericht aus, dass die europäische Fluggastrechteverordnung keine Definition der „Verspätung eines Fluges“ enthält. Allerdings kann dieser Begriff anhand seines Kontextes bestimmt werden. Zunächst ist der Begriff des „Fluges“ durch die Verordnung als Beförderungsvorgang im Luftverkehr beschrieben. Dieser Beförderungsvorgang umfasst eine Flugroute, die in einem zuvor ausgestellten Flugplan festgelegt wurde. Nach diesem Flugplan wird die Beförderung von einem Luftfahrtunternehmen durchgeführt.

In Art. 6 VO (EG) Nr. 261/2004 trifft die Verordnung Regelungen im Falle einer Verspätung. Hier ist von der „Verspätung eines Fluges“ die Rede, wobei nur auf die planmäßige Abflugzeit abgestellt wird. Daraus ergibt sich, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber davon ausgeht, dass nach der Abflugzeit die anderen Umstände, die den Flug betreffen, unverändert bleiben müssen. „Verspätet“ ist also ein Flug, wenn er nach seiner ursprünglichen Planung durchgeführt wird, jedoch sich die planmäßige Abflugzeit verspätet.

Nach Art. 2 Buchst. l VO (EG) Nr. 261/2004 ist eine Annullierung eine Nichtdurchführung eines geplanten Fluges. Folglich unterscheiden sich annullierte und verspätete Flüge voneinander. Ein Flug kann nur als annulliert angesehen werden, wenn die ursprüngliche Planung eines Fluges aufgegeben wird. Demnach kann grundsätzlich von einer Annullierung ausgegangen werden, wenn der ursprünglich geplante und verspätete Flug auf einen anderen Flug verlegt wird, d. h., wenn die Planung des ursprünglichen Fluges aufgegeben wird und die Fluggäste dieses Fluges zu den Fluggästen eines anderen, ebenfalls geplanten Fluges stoßen, und zwar unabhängig von dem Flug, für den die so umgebuchten Fluggäste gebucht hatten.

Es ist nicht ausschlaggebend, ob an der Anzeigetafel am Flughafen der Flug als annulliert oder verspätet angegeben wird, neue Bordkarten ausgehändigt werden oder ob den Fluggästen ihr aufgegebenes Gepäck wieder ausgehändigt wurde.

Im Hinblick auf die Ausgleichszahlung stellt der EuGH eine Annullierung und eine große Verspätung gleich, denn der Fluggast verliert in beiden Situationen Zeit. Ziel der europäischen Fluggastrechteverordnung ist es, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste unabhängig davon sicherzustellen, ob sie von einer Nichtbeförderung, Annullierung oder Verspätung eines Fluges betroffen sind, da sie alle von vergleichbaren Ärgernissen und großen Unannehmlichkeiten in Verbindung mit dem Luftverkehr betroffen sind.

Festigung der Sturgeon-Entscheidung

In zwei weiteren Rechtssachen (EuGH, Urt. v. 23.10.2012, C-581/10, C-629/10) festigte der EuGH seine Rechtauffassung zu der Unterscheidung zwischen einer Annullierung und einer großen Verspätung. Da die Fluggäste annullierter Flüge Anspruch auf eine Ausgleichsleistung haben, wenn ihr Zeitverlust drei Stunden oder mehr beträgt, entscheidet der Gerichtshof, dass den Fluggästen verspäteter Flüge ebenfalls ein Ausgleichsanspruch zusteht, wenn sie aufgrund einer Verspätung ihres Fluges einen solchen Zeitverlust erleiden, d. h., wenn sie ihr Endziel nicht früher als drei Stunden nach der vom Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen.

Anspruchsumfang

Ausgleichszahlungen

Bei einer Annullierung stehen dem Fluggast Ausgleichsansprüche zu. Diese erwachsen in folgender Staffelung:

  • Bei einer Strecke von bis zu 1500km und einer Verspätung ab 2 Stunden: 250€
  • Bei einer Strecke von 1500km bis 3500km und einer Verspätung ab 3 Stunden: 400€
  • Bei einer Strecke von 3500km oder mehr und einer Verspätung ab 4 Stunden: 600€

Berechnung

Die Höhe der Ausgleichszahlung nach der europäischen Fluggastrechteverordnung richtet sich nach der Strecke der Reise bzw. der Entfernung und der Verspätung.

Zur Ermittlung der Entfernung wird der letzte Zielort zugrunde gelegt, an dem der Passagier später als zur planmäßigen Ankunftszeit eintrifft (vgl. AG Hannover, Urt. v. 06.12.2012, 452 C 5686/12).

Eine Verspätung kann allerdings auch erst am Zielort eintreten. Dazu hat der EuGH entschieden, dass es bei der Berechnung der Verspätung nicht auf das Aufsetzen des Flugzeuges auf der Landebahn ankommt, sondern auf das Öffnen der Türen des Flugzeuges. Erst dann ist das Flugzeug offiziell angekommen und die Fluggäste können sich um ihre persönlichen, familiären, sozialen und beruflichen Angelegenheiten kümmern. Wenn die Türen noch geschlossen sind, ist dieses nur begrenzt möglich und ein Aufenthalt im Flugzeug über die normale Flugzeit hinaus, ist verlorene Zeit (vgl. EuGH, Urt. v. 04.09.2014, C-452/13).

Betreuungsleistungen

Ungeachtet des Bestehens eines Ausgleichszahlungsanspruches ist das Luftfahrtunternehmen immer zur Erbringung von Betreuungsleistungen für die gestrandeten Fluggäste verpflichtet, Art. 9 VO (EG) Nr. 261/2004. Hierzu zählen:

  • Erfrischungen und Mahlzeiten in angemessenem Verhältnis zur Wartezeit
  • zwei unentgeltliche Telefonanrufe oder zwei Telexe oder zwei Telefaxe oder E-Mails versenden
  • Hotelunterbringung (AG Erding, Urteil v. 15.11.2006, 4 C 661/06)

Ein Fluggast kann aufgebrachte Kosten im Rahmen der Verspätung oder Annullierung vom Luftfahrtunternehmen in einem gewissen Umfang erstattet verlangen (vgl. AG Simmern, Urteil v. 20.04.2007, 3 C 688/06).

Durchsetzung der Ansprüche

Damit ein Luftfahrunternehmen die zustehenden Ausgleichszahlungen tätigt, muss der Fluggast seinen Anspruch durchsetzen.

Die aktuelle Rechtslage bietet dem Reisenden Institutionen, die bei der Durchset-zung der Fluggastrechte helfen sollen. So ist jeder Mitgliedstaat der europäischen Union dazu gehalten, eine Stelle für die Durchsetzung der Verordnung zu benennen. Diese benannte Stelle soll sicherstellen, dass die Fluggastrechte gewahrt bleiben. Zuständig ist diese Stelle für diejenigen Flüge, die von in seinem Hoheitsgebiet gelegenen Flughäfen starten und für Flüge, die aus einem Drittland einen dieser Flughäfen anfliegen. Ein Flugpassagier, der seine Rechte aus der Fluggastrechteverordnung verletzt sieht, kann bei dieser Stelle eine Beschwerde einlegen. Die von dem Mitgliedstaat bestimmte Stelle muss Sanktionen festlegen, die bei Verstößen greifen und wirksam, abschreckend sowie verhältnismäßig sein sollen Art. 16 VO (EG) Nr. 261/2004. Deutschland hat als Mitgliedstaat das Luftfahrtbundesamt zu seiner Durchsetzungsstelle ernannt. Eine zeitliche Einschränkung zur Erhebung der Ansprüche und deren Durchsetzung gibt es nicht. Es gelten die allfälligen Verjährungsfristen (i. d. R. drei Jahre).

Dazu muss er zunächst selber tätig werden und sich mit dem Luftfahrtunternehmen in Verbindung setzen. Verzögert sich die Zahlung oder lehnt die Fluggesellschaft die Zahlung ab, so muss in der Regel ein Fachanwalt für Reiserecht eingeschaltet werden.

Rechtsanwaltskosten

Steht dem Reisenden die Ausgleichszahlung zu, so gewinnt er einen Prozess gegen das Luftfahrtunternehmen. Die Gegenseite trägt in solch einem Fall die Kosten für den Rechtsstreit, also auch die Anwaltskosten des Reisenden.

Der Fluggast kann auch seine außergerichtlichen Anwaltskosten geltend machen, diese werden als Verzugsschaden bewertet (§§ 280 Abs. 1 und 2, 286 Abs. 1, 2 Nr. 3, 257 BGB; vgl. AG Hamburg, Urt. v. 05.12.2006, 14 C 248/06).

Die geltend gemachten Kosten müssen einen Schaden darstellen, für den der Zahlungsverzug der Airline ursächlich war. Dieses setzt voraus, dass der Zahlungsverzug bereits vor der Einschaltung des Rechtsanwalts eingetreten war (vgl. AG Düsseldorf, Urt. v. 11.03.2011, 23 C 15835/10).

Allerdings besteht der Anspruch auf Erstattung der Rechtsanwaltskosten nicht, wenn die Hauptforderung nicht besteht (vgl. LG Darmstadt, Urt. v. 18.12.2013, 7 S 120/13).

Siehe weiterhin: Rechtsanwaltskosten.

Gerichtsstand

Die Frage des Gerichtsstandes ist nicht in der europäischen Fluggastrechteverordnung geregelt, sondern ist nach nationalen Bestimmungen zu ermitteln. Unabhängig vom Vertragsstatut ist der Erfüllungsort nach der Zivilprozessordung (§ 29 ZPO) sowohl der Ort des vertragsgemäßen Abfluges als auch der Ort der vertragsgemäßen Ankunft des Flugzeugs. Damit ist der Ort gemeint, an dem die Reise begann bzw. beginnen sollte (vgl. BGH, Urt. v. 18.01.2011, X ZR 71/10).

Richtiger Anspruchsgegner

Richtiger Anspruchsgegner für die Ansprüche des Passagiers ist das "ausführende Luftfahrtunternehmen". Siehe dazu: Ausführendes Luftfahrtunternehmen – richtiger Anspruchsgegner.

Ausschluss von Ausgleichsleistungen

Diese Ausgleichsansprüche stehen einem Fluggast im Falle einer Annullierung nicht zu, wenn:

  • die Annullierung aufgrund eines außergewöhnlichen Umstandes aufgetreten ist (siehe unten)
  • der Fluggast zwei Wochen vor dem geplanten Abflug über die Annullierung benachrichtigt wurde
  • dem Fluggast ein alternativer Flug auf der gleichen Route in einem ähnlichen Zeitraum angeboten wird.

Außergewöhnliche Umstände

Eine Airline wird von ihrer Zahlungspflicht befreit, wenn die Annullierung des Fluges auf einen „außergewöhnlichen Umstand“ zurückzuführen ist (Art. 5 Abs. 3 VO (EG) Nr. 261/2004). Außergewöhnlich ist ein Umstand dann, wenn er nicht dem gewöhnlichen Lauf der Dinge entspricht, sondern außerhalb dessen liegt, was üblicherweise mit dem Ablauf der Personenbeförderung im Luftverkehr verbunden ist oder verbunden sein kann. Es muss also eine Beeinträchtigung der ordnungs- und planungsgemäßen Durchführung vorliegen.

Ein außergewöhnlicher Umstand ist in den meisten Fällen eine Frage des Einzelfalls. Geschriebene und ungeschriebene Beispiele für außergewöhnliche Umstände sind:

Politische Instabilität

Eine politische Instabilität kann eine Fluggesellschaft dazu zwingen, einen Flug zu annullieren. Dabei sind vor allem an politische Unruhen in Teilen der Welt zu denken, die einen sicheren zivilen Flugverkehr nicht möglich machen.

Vulkanausbruch

→ siehe Hauptartikel: [Vulkanausbruch]

Ein Vulkanausbruch und die daraus resultierende Aschewolke beeinträchtigt den Luftverkehr in besonderem Maße. Diese Beeinträchtigung ist von einer Luftfahrtgesellschaft aber weder vorherzusehen noch durch organisatorische Maßnahmen zu verhindern. Es handelt sich folglich um einen außergewöhnlichen Umstand, der die Fluggesellschaften von ihrer Ausgleichszahlungspflicht entbindet (vgl. AG Köln, Urt. v. 18.05.2011, 132 C 314/10).

Auch wenn der gesamte Luftraum aufgrund einer Aschewolke gesperrt werden muss, handelt es sich hierbei um einen außergewöhnlichen Umstand (vgl. EuGH, Urt. v. 31.01.2013, C-12/11; so auch: AG Rüsselsheim, Urt. v. 21.12.2011, 3 C 229/11 (36); AG Rüsselsheim, Urt. v. 13.01.2012, 3 C 1970/11 (37)).

Wetterverhältnisse

→ siehe Hauptartikel: [Schlechte Wetterbedingungen]

Allgemein ist anerkannt, dass Wetterverhältnisse, die einen Start nicht zulassen, als außergewöhnlicher Umstand angesehen werden (vgl. AG Königs Wusterhausen, Urt. v. 15.06.2011, 4 C 572/10). Allerdings müssen von den Fluggesellschaften alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen werden, um den Flug durchzuführen. Dazu zählt z. B. das Warten auf eine Besserung des Wetters (vgl. Oberster Gerichtshof Wien, Urt. v. 03.07.2013, 7 Ob 65/13d). Im Rahmen dieses Wartens ist ein Luftfahrtunternehmen dazu angehalten, eine Ersatzcrew bereitzuhalten, um eine weitere Verspätung wegen des Überschreitens der Dienstzeit einer Crew zu verhindern (vgl. AG Frankfurt am Main, Urt. v. 08.11.2013, 32 C 1488/13).

Ist das Wetter am Zielflughafen schlecht und gibt es aufgrund dessen keine Starterlaubnis, so liegt auch hier ein außergewöhnlicher Umstand vor (vgl. AG Offenbach, Urt. v. 06.01.2006, 33 C 2/06).

Wenn nicht mit einem baldigen Wegfall des schlechten Wetters zu rechnen ist, so liegt ein außergewöhnlicher Umstand vor. So urteilte der BGH zu einer Streitigkeit, bei der ein Flug sich aufgrund von Nebels um zwei Tage verzögerte (vgl. BGH, Urt. v. 25.03.2010, Xa ZR 96/09). Auch ein Blitzschlag wird als außergewöhnlicher Umstand gewertet.

Auch Schneefall wird im Rahmen von schlechten Wetterverhältnissen als außergewöhnlicher Umstand angesehen (vgl. AG Frankfurt am Main, Urt. v. 17.07.2007, 31 C 1093/07 - 10, 31 C 1093/07).

Bei der Bewertung von Wetterbedingungen ist die Entscheidung des Piloten ausschlaggebend. Seine Entscheidung kann vom Gericht nur eingeschränkt überprüft werden (vgl. LG Kleve, Urt. v. 07.04.2011, 6 S 116/10).

Damit sich eine Fluggesellschaft auf schlechte Wetterverhältnisse als außergewöhnlicher Umstand berufen kann, so liegt die Beweislast bei der Gesellschaft. Sie muss darzulegen, welche konkreten Witterungsbedingungen in welchem Zeitraum wann zur Streichung des ursprünglich vergebenen Starts durch die Flugsicherung geführt haben. Lediglich der Verweis auf schlechte Wetterbedingungen ist nicht ausreichend (vgl. AG Berlin – Wedding, Urt. v. 19.09.2006, 14 C 672/2005).

Technischer Defekt

→ siehe Hauptartikel: [Technischer Defekt]

Bei technischen Defekten ist die Beurteilung unter der oben genannten Definition schwer zu bestimmen. So muss auch hier danach gefragt werden, ob ein Defekt von der Fluggesellschaft vorhersehbar und vermeidbar war oder nicht.

Der EuGH hat klargestellt, dass die meisten technischen Defekte nicht als außergewöhnliche Umstände zu werten sind und damit das Luftfahrtunternehmen nicht von ihrer Ausgleichszahlungspflicht entbindet. So kann sich eine Fluggesellschaft bei einem technischen Defekt nicht darauf berufen, dass das Flugzeug nach allen Vorschriften gewartet wurde. Das Unternehmen hat bei einem technischen Defekt kein flugtaugliches Flugzeug bereitgestellt. Zwischen den einzelnen Wartungsterminen liegt das Defektrisiko bei den Luftfahrtunternehmen (vgl. EuGH, Urt. v. 22.12.2008, C-549/07; BGH, Urt. v. 12.11.2009, Xa ZR 76/07).

Keine technischen Defekte die einen außergewöhnlichen Umstand begründen sind z.B.: → Unreines Kerosin (vgl. AG Rüsselsheim, Urt. v. 18.04.2013, 3 C 2265/12 (39)) → Defekte Türelektronik (vgl. AG Rüsselsheim, Urt. v. 08.11.2006, 3 C 821/06 (31)) → Triebwerkprobleme (vgl. AG Rüsselsheim, Urt. v. 07.11.2006, 3 C 717/06 (32)) → Defekt am Funkgerät (vgl. AG Rüsselsheim, Urt. v. 17.04.2013, 3 C 3319/12 (36)) → Verstopfte Toilette (vgl. AG Rüsselsheim, Urt. v. 12.09.2011, 3 C 1047/11)

Ein technischer Defekt führt unterdessen zu einem außergewöhnlichen Umstand, wenn der Defekt nicht im Einflussbereich des Flugunternehmens steht. Treten also Defekte ein, die für das Luftfahrtunternehmen nicht beherrschbar oder vorhersehbar sind, so liegt ein außergewöhnlicher Umstand vor und das Unternehmen ist nicht zur Ausgleichszahlung verpflichtet. Ein klassisches Beispiel dafür ist, der sog. Vogelschlag (vgl. BGH, Urt. v. 24.09.2013, X ZR 160/12). Dabei handelt es sich um eine Einwirkung von außen, die für das Flugunternehmen nicht steuerbar ist. Ein weiteres Beispiel ist eine Biene im Staurohr, die eine Fehlermeldung verursacht (vgl. AG Rüsselsheim, Urt. v. 24.07.2013, 3 C 2159/12 (36); AG Düsseldorf, Urt. v. 27.09.2013, 36 C 6837/13).

Technische Defekte die nur gelegentlich bei Flugzeugen auftreten, wie z.B. ein Triebwerkschaden, können auch als außergewöhnliche Umstände gewertet werden (vgl. AG Frankfurt am Main, Urt. v. 18.10.2013, 30 C 1848/12 (47)).

Weitere technische Defekte die einen außergewöhnlichen Umstand begründen: → Defekter Generator des Flugzeuges (vgl. AG Frankfurt a.M., Beschluss v. 2. 3. 2007, 31 C 3337/06) → Radarausfall (vgl. AG Erding, Urt. v. 18.04.2011, 2 C 1053/11)

Streik

→ siehe Hauptartikel: [Streik]

Bei einem Streik wird danach geurteilt, wer zum Streik aufgerufen hat und woher der Streik resultiert.

Streiken also die Piloten oder das Kabinenpersonal eines Flugunternehmens, so gehört es zum betrieblichen Risiko, dass hierdurch Flüge ausfallen. Ein Streik seiner Mitarbeiter ist einem jeweiligen Luftfahrtunternehmen zuzurechnen (vgl. LG Köln, Urt. v. 27.10.2011, 6 S 282/10). Bei einem Fluglotsenstreik im Inland kommt es darauf an, ob das jeweilige ausführende Flugunternehmen den ihm gegebenen Spielraum bei der Entscheidung, ob ein Flug wegen außergewöhnlicher Umstände annulliert wird, fehlerfrei ausgeübt hat. Dabei ist es dem Unternehmen erlaubt, auf den verbleibenden Flugplan Rücksicht zu nehmen (vgl. AG Königs Wusterhausen, Urt. v. 19.01.2011, 9 C 461/10).

Findet der Streik allerdings auf einem Flughafen im Ausland statt, so hat die Luftfahrtgesellschaft dafür Sorge zu tragen, dass Ersatzflugzeuge bereitstehen und die Fluggäste an ihr Ziel befördert werden können (vgl. AG Hannover, Urt. v. 18.04.2012, 416 C 12559/11). Bei einem Streik des Abfertigungspersonals ist es erheblich, ob sich die dadurch verursachte Flugverspätung bei Einsatz aller zumutbaren finanziellen, materiellen und personellen Mittel hätte verhindern lassen. Hierfür trägt die Airline die Beweis- und Darlegungslast (vgl. AG Hannover, Urt. v. 08.02.2012, 531 C 10491/11). Nur wenn alle Mittel ausgeschöpft wurden, liegt ein außergewöhnlicher Umstand vor.

Streikt das Personal am Flughafen, welches nicht zu der betroffenen Airline gehört, so trifft die Airline kein Verschulden und sie sind von ihrer Zahlungspflicht befreit.

Betrifft der Streik einen Flug nur indirekt, so kann sich das Luftfahrtunternehmen nicht auf außergewöhnliche Umstände berufen; vgl. AG Hannover, Urteil vom 18.4.2012, Az.: 416 C 12559/11. Eine indirekte Betroffenheit liegt insbesondere dann vor, wenn sich z.B. eine Maschine auf dem Vorflug wegen eines Streiks verspätet, womit ein Folgeflug mit derselben Maschine ebenfalls erst verspätet starten kann. Hier liegt die Ursache der Verspätung des Folgefluges nämlich nicht in dem Streik selbst, sondern in einer fehlerhaften Organisation der Fluggesellschaft, da diese für solche Fälle Ersatzmaschinen bereitstellen muss.

Vogelschlag

→ siehe Hauptartikel: [Vogelschlag]

Ein Vogelschlag ist ein klassischer außergewöhnlicher Umstand, auf den sich Airlines berufen können. Der BGH hat dazu geurteilt, dass ein Unternehmen seine Flugzeuge trotz regelmäßiger Wartung nicht vor Vogelschlägen schützen kann. Die Flugrouten von Vögeln sind nicht vorhersehbar und Gegenmaßnahmen stellen keine sichere Verhinderung von Vogelschlägen dar (vgl. BGH, Urt. v. 24.09.2013, X ZR 160/12).

Crew

→ siehe Hauptartikel: [Crew als außergewöhnlicher Umstand]

Erkrankt ein Crewmitglied, so ist darin kein außergewöhnlicher Umstand zu sehen. Eine Erkrankung eines Crewmitglieds liegt im Risikobereich des Unternehmens und muss in den normalen Betriebsablauf eingeplant werden. Die Art der Erkrankung spielt dabei keine Rolle (vgl. AG Rüsselsheim, Urt. v. 17.09.2010, 3 C 598/10 (31)).

Kann ein Flugzeug aufgrund von Hindernissen nicht starten, so beginnt jedoch schon die Arbeitszeit der Crew. Im schlimmsten Falle, ist die Arbeitszeit abgelaufen, ohne dass das Flugzeug am Ziel angekommen ist oder gar abgehoben hat. Für einen solchen Fall ist es der Airline zumutbar, eine Ersatzcrew bereit zu halten, um eine weitere Verspätung des Fluges zu verhindern (vgl. LG Frankfurt, Urt. v. 02.09.2011, 2/24 S 47/11; EuGH, Urt. v. 12.05.2011, C-294/10).

Informationsrecht

Ein Fluggast kann verlangen, dass er Informationen über seine Rechte im Falle einer Nichtbeförderung, Annullierung oder Verspätung erhält. Außerdem sollen schriftliche Hinweise an die Passagiere ausgehändigt werden, welchen zu entnehmen ist, welche Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen gegeben sind. Im Falle einer Verspätung müssen diese Hinweise erst zwei Stunden nach der eigentlich geplanten Abflugzeit ausgehändigt werden, vgl. Art. 14 VO (EG) Nr. 261/2004.


Beschwerdestelle

Durch das Gesetz zur Schlichtung im Luftverkehr ist die Schiedsstelle bei Meinungsverschiedenheiten, die aus dem Luftverkehr herrühren beim Luftfahrt-Bundesamt angesiedelt. Um ein Schlichtungsverfahren durchführen zu können, bedarf es mehrerer Voraussetzungen:

  • Die wesentlichen Punkte der Streitigkeit müssen geklärt sein: Anspruchsteller, Anspruchsgegner, Gerichtsstand in Deutschland, Ansprüche um Grunde und der Höhe nach.
  • Die Anspruchshöhe muss sich zwischen 10€ und 5000€ anfinden
  • Der Anspruchsgegner muss außergerichtlich kontaktiert worden sein und hat auf diese Kontaktaufnahme innerhalb von 30 Tagen nicht reagiert
  • Der Anspruchsgegner ist mit einem Schlichtungsverfahren einverstanden.

Siehe auch

Anspruch auf Ausgleichszahlung bei Flugverspätung und Flugannullierung

Außergewöhnliche Umstände

Betreuungsleistungen

Montrealer Übereinkommen


Quellen

www.reise-recht-wiki.de


Weblinks

Allgemeines:

http://www.spiegel.de/reise/aktuell/fluggastrechte-bei-verspaetung-welche-rechte-haben-passagiere-a-989928.html

https://www.test.de/Fluggastrechte-Der-Weg-zur-Entschaedigung-4667375-0/

Diskussion um die Novellierung der europäischen Fluggastrechteverordnung:

http://www.welt.de/reise/article119506813/72-Prozent-der-Passagiere-gehen-kuenftig-leer-aus.html

http://www.wiwo.de/finanzen/steuern-recht/umstrittene-reform-eu-will-fluggastrechte-massiv-schwaechen/8712230.html

http://www.sueddeutsche.de/reise/eu-zu-flugverspaetungen-rechtlos-reisen-1.1758047

http://www.ronald-schmid.de/bemerkungen-zum-vorschlag-der-eu-kommission-zur-anderung-der-fluggastrechte-verordnung.html

Beispiele zu Fällen der außergewöhnlichen Umstände:

http://www.flugrechte.eu/index.php?qa=1430&qa_1=vogelschlag-au%C3%9Fergew%C3%B6hnlicher-umstand-vogelschlag-%C3%BCberpr%C3%BCfen

http://www.flugrechte.eu/index.php?qa=1477&qa_1=nachtflugverbot-au%C3%9Fergew%C3%B6hnlicher-fluggastverordnung

http://www.flugrechte.eu/index.php?qa=44&qa_1=versp%C3%A4tete-eintreffen-technischen-au%C3%9Fergew%C3%B6hnliche-richtlinie

http://www.flugrechte.eu/index.php?qa=2&qa_1=haben-einem-flug-condor-stunden-versp%C3%A4tung-gehabt-k%C3%B6nnen-tun