Notfallevakuierung

Aus PASSAGIERRECHTE
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In einer Notfallsituation müssen Passagiere und Flugbesatzung das Flugzeug auf dem schnellsten Wege verlassen. Wenn das Flugzeug nicht schnellstmöglich evakuiert wird, können Todesopfer und schwere Verletzungen die Folge sein.
Eine Evakuierung kann infolge von Feuer oder Rauch notwendig sein. In diesem Fall muss die Flugbesatzung so schnell und entschlossen, wie möglich, handeln und das Flugzeug muss gegebenenfalls sofort zur Landung umgeleitet werden. Wenn der Notfall bzw. die Gefahrenquelle nicht gesichert werden kann, ist die einzige adäquate Maßnahme, die Passagiere und die Besatzung sofort aus dem Flugzeug zu evakuieren. Ebenso, im Falle eines unkontrollierbaren Brandes der Triebwerke oder der Flugzeugstruktur sowie nach Flugzeugabsturz beim Start oder bei der Landung oder in jeder anderen Situation, die zum Brand oder Strukturversagen des Flugzeuges führt, ist die sofortige Evakuierung die beste Maßnahme.

Bei der Zulassung des Flugzeuges müssen Flugzeughersteller demonstrieren, dass die Maschine bei vollständiger Belegung innerhalb von 90 Sekunden und nur durch die Hälfte der verfügbaren Notausgänge evakuiert werden kann. In der Realität können infolge des Unfalls ein Teil der Notausgänge durch Feuer oder Rauch unzugänglich oder bis zur Funktionsunfähigkeit beschädigt sein. Darüber hinaus können Ausgänge durch Feuer außerhalb des Flugzeuges blockiert sein. Die 90 Sekunden Evakuierungszeit wurden nach mehreren Tests festgelegt, in denen beobachtet wurde, dass beim Feuer nach einem Absturz ein Spannungsüberschlag und die Ausbreitung des Feuers in den ersten 90 Sekunden am unwahrscheinlichsten sind. Die empirischen Beobachtungen der tatsächlichen Evakuierungen zeigen jedoch, dass die Evakuierungszeit die empfohlene Angabe deutlich übersteigt. Dies trifft insbesondere bei Fällen zu, in denen eine abnormale Situation plötzlich oder kurz nach der Landung eintritt.

Typische Probleme

Am häufigsten entstehen Schwierigkeiten bei der Evakuierung im Zusammenhang mit der Kommunikation, Fluchttürenfunktion, der Vorbereitung der Passagiere auf die Evakuierung und das Vorhandensein von Feuer, Rauch sowie giftigen Dämpfen.

In einer Notfallsituation ist die effektive Verständigung zwischen den Crew-Mitgliedern und den Passagieren für eine rechtzeitige, ordentliche und wirksame Reaktion von entscheidender Bedeutung. Die Kommunikation kann behindert werden durch:

  • Defekte Lautsprecheranlagen (public adress (PA) systems) – die Passagiere oder die Crew sind nicht in der Lage, die erste Aufforderung zur Evakuierung und weitere Anweisungen zu hören.
  • Unzureichende Kommunikation zwischen Crew-Mitgliedern.

Die mangelnde Bereitschaft bzw. mangelndes Bewusstsein der Passagiere ist ein großes Problem während einer Evakuierung. Wenn Passagiere die Gefahr nicht richtig wahrnehmen, in der sie sich befinden, können sie sich unangemessen verhalten.

Feuer, Rauch und giftige Dämpfe stellen die größte Gefahr für eine erfolgreiche Evakuierung dar. Durch Brände und ihre Begleiterscheinungen verringert sich die Sichtbarkeit, die Kommunikation wird eingeschränkt, ein Teil der Notausgänge kann blockiert sein, die psychischen und physischen Kapazitäten der Insassen werden negativ beeinflusst.

Ablauf

Im Rahmen der Vorbereitung auf den Flug muss die Crew die Sicherheitsdemonstration für Passagiere durchführen, zu der auch die Notevakuierung des Flugzeuges gehört. In der Anweisung werden die Passagiere auf ihre Karten mit weiteren Hinweisen aufmerksam gemacht, es werden aber auch die Notausgänge und die Wegbeleuchtung auf dem Boden gezeigt. Fluggäste, die direkt an den Notausgängen über den Tragflächen sitzen, können von der Crew gesondert Instruktionen erhalten, wie die Türen in einer Notfallsituation geöffnet werden.

Eine Evakuierungsrutsche ist auf allen Passagierflugzeugen vorgeschrieben, bei welchen sich die Türen so hoch befinden, dass ein körperlich gesunder Mensch nicht ohne weitere Vorrichtungen selbst aussteigen könnte.

Aufgaben der Crew

Die Evakuierung wird üblicherweise vom Flugkapitän eingeleitet. Sofern die Kommunikation mit der Kabinen-Crew nicht möglich ist, muss der leitende Flugbegleiter die Evakuierung starten, sobald das Flugzeug auf dem Boden zum Stehen gekommen ist.

Ungeplante Evakuierung

Viele Evakuierungen sind nicht geplant und müssen ohne Vorwarnung beim Start oder bei der Landung durchgeführt werden. In einer Studie zu Problemen mit der Evakuierung sehr großer Verkehrsflugzeuge wurde festgestellt, dass die Crew in 11 von 77 Fällen den Flugkapitän gebeten hat, die Evakuierung anzuordnen.

Wenn die Entscheidung über die Evakuierung des Flugzeuges gefällt wird, muss das Kabinenpersonal das Ausmaß der Gefahr und die Konsequenzen einer Verzögerung einschätzen. Rauch oder Feuer, die außer Kontrolle geraten sind, erfordern definitiv eine schnelle Entscheidung wegen der Gefahr, die sie für die Flugzeuginsassen darstellen.

Falls die Kabinenbesatzung sich zu einer Evakuierung entschließt, muss sie versuchen, das Cockpit zu erreichen, um über die Lage zu berichten und weitere Anweisungen zu erhalten. Ist die Cockpit-Crew nicht zu erreichen, soll die Kabinenbesatzung mit der Evakuierung beginnen.

Für jegliche Evakuierung ist eine reibungslose Koordination zwischen den Crew-Mitgliedern notwendig, weil nicht alle Mitglieder sich der Gefahr bewusst sein können. Daher müssen alle Crew-Mitglieder informiert werden. Es gibt mehrere Kommunikationsmöglichkeiten, je nach ihrer Verfügbarkeit:

  • Lautsprecheranlage
  • Gegensprecheranlage
  • Sprachrohr
  • Fluchtalarm

Das sogenannte „silent review“ (stille Überprüfung) ist eine gute Maßnahme, mit der sich die Crew auch bei ungeplanter Evakuierung auf das Unerwartete ein bisschen vorbereiten kann. Es hilft der Crew, ihre Aufmerksamkeit auf ihren Aufgaben und Verantwortlichkeiten sowie Sicherheit zu konzentrieren. Dabei sollen innerhalb von circa 30 Sekunden alle wichtigen Aspekte der Evakuierung gedanklich hervorgerufen werden. Die Aspekte können sein:

  • Die Körperhaltung für den Aufprall annehmen (brace position),
  • Anweisungen,
  • Die Evakuierung einleiten,
  • Die Notausgänge öffnen,
  • Die Außensituation bewerten,
  • Selbstschutz,
  • Identifizierung von Passagieren, die helfen können,
  • Die Rettungsausrüstung.

Jeder Betreiber legt Standardbetriebsverfahren und Schritte fest, wie eine Evakuierung durchgeführt werden kann. Eine Analyse von In-Service-Vorfällen ergab, dass Betriebsstandards nicht immer erfolgreich sind, insbesondere wenn der menschliche Faktor eine Rolle spielt. Das kann beispielsweise in folgenden Situationen passieren:

  • Ein Verfahren wird nicht korrekt angewandt:
    • Ein Flugbegleiter ist nicht an seinem Ausgang beim Start oder bei der Landung und lässt den Ausweg unbeaufsichtigt.
  • Die Crew ist nicht ausreichend ausgebildet:
    • Flugbegleiter haben keine ausreichenden Kenntnisse und Fähigkeiten, um das Flugzeug erfolgreich zu evakuieren,
    • Flugbegleiter haben mangelhafte Ausbildung in Bezug auf Kommunikation und Koordination.
  • Standardbetriebsverfahren reichen nicht aus:
    • Der Betreiber schließt das „Silent review“ nicht in die Standardbetriebsverfahren mit ein,
    • Der Betreiber erlaubt es den Flugbegleitern nicht, die Evakuierung einzuleiten.
    • Der Betreiber erteilt keine Vorgaben, wann die Crew mit der Evakuierung beginnen kann.
  • Die Kommunikation mit Passagieren ist nicht erfolgreich:
    • Flugbegleiter können Anweisungen nicht durchsetzen,
    • Die Anweisungen sind fehlerhaft oder zu kompliziert.

Es ist unmöglich, einer ungeplanten Evakuierung vorzubeugen. Es ist jedoch möglich, präventive Maßnahmen vorzunehmen, mit denen eine plötzliche Evakuierung mehr Aussichten auf Erfolg hat. Das Kabinenpersonal sollte:

  • Regelmäßig geschult werden und professionell mit Notfallmaßnahmen und Ausrüstung umgehen können,
  • Sicherstellen, dass Kommunikation und Koordination zwischen der Cockpit- und Kabinenbesatzung in einem Notfall effektiv ist,
  • Die Aufmerksamkeit der Fluggäste auf die Sicherheitsdemonstration lenken,
  • Durchsetzungsstark und energisch bei den Anweisungen und Befehlen sein,
  • Der Umgebung bewusst sein und Evakuierungsmaßnahmen und Ausrüstung entsprechend der Situation anwenden.

Geplante Evakuierung

Notfälle während des Fluges können zu einer Umleitung des Flugzeuges und einer anschließenden, geplanten Evakuierung veranlassen. Die Kabinen-Crew wird etwas Zeit haben, um die Kabine und die Fluggäste auf eine Evakuierung vorzubereiten.

Der Unterschied bei einer geplanten Evakuierung besteht darin, dass es Zeit gibt, die Kabine und die Passagiere darauf vorzubereiten. Es ist besser, wenn die Flugbesatzung die Passagiere über den Notfall informiert. Das kann jedoch aufgrund der Arbeitsbelastung der Flugbesatzung während einer kritischen Situation nicht immer möglich sein. Daher muss der leitende Flugbegleiter eventuell eine erste Ansage für die Passagiere machen. Der leitende Flugbegleiter soll:

  • Die Art des Notfalls erklären,
  • Die Notwendigkeit, die Kabine vorzubereiten, erklären,
  • Die Passagiere auffordern, die Anweisungen der Crew zu befolgen.

Die Kabine soll wie folgt gerichtet werden:

  • Trennwände bzw. Trennschirme sollen geöffnet werden,
  • Lichter sollen in voller Stärke brennen,
  • Unterhaltungsanlagen, Internet und Kommunikationsanlagen sollen ausgeschaltet werden,
  • Die Passagiere sollen sich in ihren Sitzen befinden, Sitze in aufrechter Position, Klapptische zugeklappt, Sicherheitsgurte angelegt.

Sofern die Zeit es zulässt, sollte eine komplette Sicherheitsanweisung bzw. –Demonstration durchgeführt werden. Das Ziel der Anweisung ist es, den Passagieren so viele Informationen zu geben, wie möglich.
Passagiere müssen alle losen Gegenstände von sich entfernen und sie in den Ablagefächern oder unter dem Vordersitz verstauen.
Das Sichern der Kabine beinhaltet unter anderem:

  • Anlegen der Sicherheitsgurte,
  • Sitze in der aufrechten Position,
  • Klapptische zugeklappt,
  • Armlehnen nach unten,
  • Handgepäck verstaut und gesichert,
  • Ablagefächer oberhalb der Sitze zugeklappt,
  • Durchgänge frei von jeglichen Objekten
  • Trennwände bzw. Trennschirme geöffnet.

Wenn die Kabine und die Passagiere gesichert sind, müssen Bereiche wie Toiletten oder Bordküche ebenfalls abgesichert werden. Alle Bordtoiletten müssen unbesetzt und abgeschlossen sein. Alle Gegenstände in der Bordküche müssen verstaut und befestigt werden:

  • Alle Container sollen geschlossen werden,
  • Alle Schubkarren sollen korrekt verstaut und gesichert sein,
  • Der Strom in der Bordküche soll ausgeschaltet und alle Schutzschalter betätigt werden.

Die Brace position ist einer der wichtigsten Bestandteile der Vorbereitung auf eine Evakuierung. Sie schützt sowohl den Körper als auch den Kopf vor Verletzungen. Es gibt unterschiedliche Formen der Brace position, meist wird jedoch der Oberkörper so weit, wie möglich, nach vorne gebeugt und die Hände über den Kopf gelegt. Alternative Körperhaltungen wurden für Schwangere und Passagiere mit Kleinkindern entwickelt. Die Brace position ist auch immer auf den Safety Cards abgebildet.

Die Crew soll versuchen, Passagiere zu finden, die die Türen öffnen und bei der Evakuierung helfen können. Solche Personen werden in der Fachsprache Able-bodied Passagengers (ABP) genannt. Sie sind entweder körperlich besonders fit, oder in der Lage, in der Notsituation Ruhe zu bewahren und den Anweisungen der Crew Folge zu leisten. Privat reisende Crew-Mitglieder, Angehörige der Militär, Polizisten oder Feuerwehrmänner sind immer eine gute Wahl, da sie es gewohnt sind, Instruktionen zu befolgen und oft die notwendigen praktischen Fähigkeiten haben. Idealerweise sollen jeweils drei dieser Personen für jeden Notausgang ausgesucht werden. Sie öffnen die Türen aber nur dann, wenn die Crew dazu selbst nicht in der Lage ist.

Wenn das Flugzeug komplett zum Stehen gekommen ist, muss die Crew die Lage im und außerhalb des Flugzeuges beurteilen:

  • Ist es sicher, die Tür zu öffnen?
  • Ist der Bereich unterhalb des Ausgangs frei von Rauch, Feuer, Hindernissen oder Trümmern?
  • Landete das Flugzeug auf dem Wasser oder auf dem Land?

Rauch und Feuer in der Kabine beeinträchtigen die Evakuierung enorm, da sie große Panik bei den Passagieren auslösen. Das Einatmen von Rauch und giftigen Dämpfen setzt Menschen außer Gefecht und limitiert ihre körperliche und geistige Fähigkeit derart, dass sie nicht mehr reaktionsfähig sind und keine Evakuierung durchführen können. Wenn die Kabine mit Rauch gefüllt ist, sollen Fluggäste sich am besten auf den Boden legen, weil unten die Sichtbarkeit besser ist, und mithilfe der Rettungswegbeleuchtung zum nächsten Ausgang finden.

Crew-Mitglieder sollen in der Lage sein, absolute Kontrolle über die Evakuierung zu behalten. Nicht alle Passagiere reagieren in gleicher Weise. Insbesondere in lebensbedrohlichen Situationen konnten folgende Reaktionen und Verhaltensweisen festgestellt werden:

  • Panische Zustände von Schreien und Hysterie bis hin zur Starre und Reaktionslosigkeit,
  • Fehlende Wahrnehmung für die Gefahr,
  • Bestehen darauf, das Flugzeug durch dieselbe Tür zu verlassen, wie sie eingestiegen sind oder das Handgepäck mitzunehmen,
  • Zurückkehren zum Sitz, um das Gepäck umzuräumen,
  • Versuch, die Kontrolle über die Evakuation zu übernehmen,
  • Drängen, Missachten anderer Fluggäste.

Wenn alle das Flugzeug verlassen haben, ist die Crew weiterhin bis zum Eintreffen der Rettungskräfte für die Passagiere verantwortlich. Deshalb sollte sie die Passagiere versammeln und weg vom Flugzeug, Feuer oder offenen Treibstoff bringen, Erste-Hilfe-Maßnahmen durchführen oder mit der Planung der Rettung beginnen, falls das Flugzeug in einer abgelegenen Gegend abgestürzt ist.

Notwasserung

Bei einer Notwasserung soll das Flugzeug schnellstmöglich durch alle verfügbaren Ausgänge evakuiert werden. Die Notfallevakuierung auf dem Wasser kann ebenfalls geplant oder ungeplant sein, es existieren jedoch allgemeine Richtlinien, wie die Evakuierung auf Wasser durchzuführen ist:

  • Bei einer Notwasserung kommt es zu mehr, als nur einem Aufprall,
  • Die Evakuierung darf nur dann eingeleitet werden, wenn das Flugzeug vollständig zum Stillstand gekommen ist,
  • Bevor die Türen geöffnet werden, müssen die Triebwerke ausgeschaltet werden,
  • Nach dem Signal von der Cockpit-Crew beginnt das Kabinenpersonal umgehend mit der Evakuierung,
  • In lebensbedrohlichen Situationen kann auch ohne Hinweis vom Cockpit mit der Evakuierung begonnen werden.

Beim Kontakt mit extrem kalten Wasser kommt es zu einer Schockreaktion. Man beginnt sofort zu hyperventilieren und unkontrollierbare, kurze und tiefe Atemschlucke für die nächsten drei Minuten zu nehmen. Wenn eine Person in diesem Zustand unter Wasser geht, kann sie zu viel Wasser verschlucken und ertrinken. Allerdings ist der Kälteschock von kurzer Dauer und lässt schnell nach.
Bei sehr niedrigen Temperaturen kühlt sich der Körper außerdem im Wasser schnell ab. Überlebende können schnell eine Unterkühlung erleiden.
Es besteht auch bei der Notwasserung die Gefahr, dass das Flugzeug oder der auslaufende Treibstoff sich entzünden. Selbst wenn die Zündquelle durch das Wasser unterdrückt wird, kann das Einatmen oder Verschlucken von Treibstoffdämpfen den Zustand der Überlebenden weiterhin verschlimmern.

Siehe auch